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Joel entdeckt als Kind, dass er eine besondere Gabe besitzt: Er kann die Träume anderer mitträumen und sie ihnen wiedergeben. Als Joel Jahre später seiner Frau Rachel von seiner Gabe erzählt, nimmt ein verhängnisvolles Geschehen seinen Lauf: Sie will fortan nur noch träumen, wird geradezu süchtig danach, die nächtlichen Bilder von ihm in lebhafte Eindrücke verwandeln zu lassen. Dieses Spiel mit dem Feuer findet statt während eines monatelangen sintflutartigen Sturms im heutigen, fantastisch verfremdeten Tel Aviv.
Auch die Zwillinge Alon und Lior vergreifen sich an der Erinnerung und wollen
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Produktbeschreibung
Joel entdeckt als Kind, dass er eine besondere Gabe besitzt: Er kann die Träume anderer mitträumen und sie ihnen wiedergeben. Als Joel Jahre später seiner Frau Rachel von seiner Gabe erzählt, nimmt ein verhängnisvolles Geschehen seinen Lauf: Sie will fortan nur noch träumen, wird geradezu süchtig danach, die nächtlichen Bilder von ihm in lebhafte Eindrücke verwandeln zu lassen. Dieses Spiel mit dem Feuer findet statt während eines monatelangen sintflutartigen Sturms im heutigen, fantastisch verfremdeten Tel Aviv.

Auch die Zwillinge Alon und Lior vergreifen sich an der Erinnerung und wollen das Rad der Zeit zurückdrehen: Sie weigert sich, die symbiotische Beziehung zu ihrem Bruder aufzugeben, er trauert einer vergangenen Liebe nach und versucht der Gegenwart zu entfliehen. Die Schicksale beider Paare kreuzen sich mit dem eines "Bettlerkönigs", der die Manipulationen des Gedächtnisses und die Überschreitungen individueller Grenzen ausbeutet und der unter geheimnisvollen Umständen ermordet wird.

Vor dem apokalyptischen und zugleich alltäglichen Hintergrund seiner Erzählung entfaltet Nir Baram in einer poetischen Sprache voller Witz und Ironie ein figurenreiches Panorama der israelischen und palästinensischen Gesellschaft.
Autorenporträt
Nir Baram, geboren 1977 in Jerusalem, stammt aus einer Politikerfamilie und setzt sich aktiv für die Gleichberechtigung der Palästinenser und für Frieden in Israel ein. Der Wiederträumer ist sein dritter Roman und ebenso wie schon sein Debüt Purple Love Story in Israel ein Bestseller.

Harry Oberländer, geboren 1950 in Bad Karlshafen, war 2008 Finalist beim Lyrikwettbewerb Meran. Er lebt in Frankfurt am Main und leitet das Hessische Literaturforum im Mousonturm.
Rezensionen
"Einer der faszinierendsten Autoren der israelischen Gegenwartsliteratur." -- Haaretz

"Der Wiederträumer war für mich ein einzigartiges Leseerlebnis." -- Amos Oz

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2009

Paranoia in einem Wald aus Steinen

In seinem Tel-Aviv-Roman beweist der leise mahnende Apokalyptiker Nir Baram viel Sinn für die schwarze Komik des Absurden.

Von den Propheten des Alten Testaments heißt es, dass sie ihre Eingebungen im Schlaf erhielten - als göttlich inspirierte Träume. Die Protagonisten in Nir Barams Roman "Der Wiederträumer" schlafen und träumen einen Großteil ihrer Zeit, und wenn sie einmal wach sind, suchen sie mit allen Mitteln ihrer verblassten Träume Herr zu werden - inmitten der Alltagswirklichkeit des Molochs Tel Aviv, in dem wenig an die Präsenz Gottes zu erinnern scheint. Stattdessen treffen wir auf Menschen, die nicht mehr wissen, wer sie sind oder einmal waren und wo sie sich bewegen, ob im Traum oder im richtigen Leben, und welche Konsequenzen ihre Worte, Taten und Träume nach sich ziehen. Die Erzählebenen sind grotesk vermischt, mitunter der Logik von Träumen vergleichbar, die sich ihre Anfänge und Enden immer wieder überraschend aus ihrem eigenen Chaos fabulieren. Zeiten, Räume und Perspektiven springen von Kapitel zu Kapitel oder gleiten ineinander: Die Welt des Romans funktioniert selbst wie ein Traum, der aus den fragilen Rändern der Realität hervorbricht.

Es gibt zwei Paare von gegenseitig abhängigen Träumern, deren Existenz auf bizarre Weise durch die Ermordung eines arabischen Bettlerkönigs in einen Mahlstrom von Verwicklungen hineingezogen wird. Da ist Joel, der, vom rebellischen Wohlstandskind der achtziger Jahre zum Medienstudio-Yuppie avanciert, die Gabe besitzt, in anderer Leute nächtliche Träume einzusteigen. Damit versichert er sich der Treue seiner Frau Rachel, der er Morgen für Morgen ihre Traumwelt zurückerstattet. Doch als sie endlich die Abhängigkeit wittert, in die sie dadurch geraten ist, flieht sie in Trance vor ihm. Und da ist Alon, der nach einer Schizophrenie in seiner Pubertät die Tage mit der Zwillingsschwester Lior verbringt und deutsche Kinderbücher übersetzt. Doch Nacht für Nacht halluziniert er streunend in den Straßen Tel Avivs seine frühere Geliebte Noa, um am perfekten Traum zu basteln, der sie ihm zurückgeben könnte. Nicht genug, dass Lior auch als Haushälterin der Träumerin Rachel angestellt ist, ohne um deren Beziehung zu Joel zu wissen - auch die Wege Joels und Alons müssen sich kreuzen, ohne dass einer von den Abgründen des anderen etwas erführe. Weil der ermordete Bettlerkönig Jonathan jedoch ebenso wie Joel über die Gabe des Traumlesens verfügte, steigt die Verwirrung ins Unermessliche. Und weil die Stadt gleichzeitig von seltsam apokalyptischen Unwettern heimgesucht wird, einem Klimakollaps, der mit einer unbekannten Seuche daherkommt, die auch vor den Romanfiguren nicht haltmachen wird.

Levantinische Exotik, ein farbenfrohes Jerusalem, in dem Völker und Kulturen wie im Schmelztiegel der Weltmusik folkloristisch zusammenflössen, das sucht man bei Nir Baram vergebens. Ein Ort für spirituellen Trost, wie ihn möglicherweise Jerusalem böte, ist im "Wiederträumer" einfach nicht vorgesehen. Dies ist ein Tel-Aviv-Roman, doch die neue Sachlichkeit jüdischer Selbstfindung im Staate Israel, wie sie vielleicht für die ältere Generation von Schriftstellern, etwa auch Amos Oz, bestimmend war und einem Ort wie Tel Aviv zukäme, sie fehlt dem Roman des 1977 Geborenen ebenso sehr. Die jüdische oder hebräische Identität als solche ist ein verschwindendes Problem bei der permanenten Fremdheit seiner Protagonisten sich selbst gegenüber.

Insoweit scheint Baram an postmoderne Vexierspiele mit Identität anzuknüpfen, die gewissermaßen ohne konkreten Ort auskommen, egal, ob sie wie bei Murakami zufällig in Tokio oder wie bei Auster in New York spielen. Doch man würde Barams Verwirrspiel missverstehen, wenn man es auf bekannte Pasticcios zurückführen wollte. Die brutale Albtraumlogik, mit der sein "Wiederträumer" dem Ende entgegenschießt, zeigt, wie bitterernst es dem Autor mit seiner Geschichte ist. Sie möchte zugleich auch unaufdringlich und, ohne zu belehren, eine Parabel auf heutige Zustände in Israel erzählen - zumindest legen das die Verwicklungen in aktuelle politische und soziale Widersprüche nahe, denen die Figuren schließlich, scheinbar ohne ihr eigenes Zutun, zum Opfer fallen.

Politischer Status quo und ökonomische Weltkultur haben sich in ihnen zu einem bösartigen Geschwür verschwistert, das nur noch Zerrbilder von Persönlichkeiten, in Paranoia und Delirium Agierende, hervorbringt. Vielleicht müsste Dostojewski so schreiben, würde er heute in Israel leben: "Lior war seit zwei Stunden kraftlos im Sofa versunken. Es war mit schwarzem Tuch verhüllt, um das weiße Leder zu schonen, dessen Pracht schon seit Jahren kein menschliches Auge gesehen hatte. Lärmende Böen zerrissen jegliche Stille, hämmerten gegen das breite Fenster, das auf das Nebengebäude mit seinen rußgefleckten schwarzen Steinen ging. Die Scheiben zitterten. Die Häuser standen hier so dicht, dass die Fenster schamlos in die Wohn- und Schlafzimmer der gegenüberliegenden Wohnungen schauten. Der Küchendunst fetter Gewürze vom ersten Stock mischte sich mit dem Marihuana- oder Zigarettenhauch vom zweiten. Laute Musik, das Klappern von Stöckelschuhen, das Jaulen eines Katers, der in den Morgenstunden endlose Symphonien anstimmte, und ein cholerischer Hund, der diese Symphonie mit einer eigenen Interpretation begleitete. Gebäude, viel zu dicht beieinander, ein Wald aus Steinen. Die Bewohner atmeten einer den Atemhauch des anderen."

Letztlich könnte man in Nir Baram, der sich für die Gleichberechtigung von Arabern und Juden in Israel engagiert, einen postmodernen Fortsetzer der alttestamentarischen Prophetentradition sehen - einen leise mahnenden Apokalyptiker mit Sinn für die schwarze Komik des Absurden. Lydia Böhmer, seit Jahrzehnten eine der aktivsten Vermittlerinnen aus dem Hebräischen hierzulande, ist zu danken für diesen gemeinsam mit Harry Oberländer ins Deutsche gebrachten notwendigen Einblick in eine irrwitzig und rasant erzählte Gegenwart, die völlig anders ist als das, was an Nachrichten täglich aus dem Gelobten Land über unsere Schirme flimmert.

JAN RÖHNERT

Nir Baram: "Der Wiederträumer". Roman. Aus dem Hebräischen von Lydia Böhmer und Harry Oberländer. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt 2009. 478 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jan Röhnert legt uns den Roman "Die Wiederträumer" von Nir Baram ans Herz. Es wird viel geträumt und geschlafen in diesem im modernen Tel Aviv spielenden Roman, dessen Konstruktion durch die verschwimmenden Zeit- und Raumebenen selbst der Traumlogik verpflichtet scheint, erklärt der Rezensent. Dabei sei bunte Folklore genauso wenig zu erwarten wie jüdisch-israelische Selbstfindungsliteratur, betont Röhnert, denn es gehe um die "permanente Fremdheit" der Figuren sich selbst gegenüber. Das Leben zweier Paare, Träumende auch sie, verknüpft sich in "bizarrer Weise" durch die Ermordung eines arabischen "Bettlerkönigs", später gerät die Großstadt Tel Aviv unter den zerstörerischen Einfluss einer Klimakatastrophe und einer mysteriösen Seuche, erklärt der Rezensent. Baram geht es, so sieht es der Rezensent, um eine "Parabel" der Situation Israels, und er bietet sie mit einer guten Portion "schwarzen Humors", apokalyptischer Finsternis und dankenswerter Weise ohne erhobenen Zeigefinger, wie Röhnert eingenommen feststellt.

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