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Eine Frau, die aus dem vorgezeichneten Einerlei ihres Lebens ausbrechen will, ein Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, ein Mann, der mit einer furchtbaren Schuld beladen ist - das sind einige der Helden der irischen Schriftstellerin Claire Keegan. Jede ihrer Erzählungen entblättert eine große oder kleine Abgründigkeit und liest sich dabei so spannend wie ein Thriller.

Produktbeschreibung
Eine Frau, die aus dem vorgezeichneten Einerlei ihres Lebens ausbrechen will, ein Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, ein Mann, der mit einer furchtbaren Schuld beladen ist - das sind einige der Helden der irischen Schriftstellerin Claire Keegan. Jede ihrer Erzählungen entblättert eine große oder kleine Abgründigkeit und liest sich dabei so spannend wie ein Thriller.
Autorenporträt
Keegan, Claire
Claire Keegan, geboren 1968, wuchs auf einer Farm in der irischen Grafschaft Wicklow auf. Sie hat in New Orleans, Cardiff und Dublin studiert. Im Steidl Verlag sind von der vielfach ausgezeichneten Autorin bereits die Erzählungsbände Wo das Wasser am tiefsten ist und Durch die blauen Felder erschienen. Für Das dritte Licht erhielt sie den renommierten Davy Byrnes Award. Claire Keegan lebt in Wexford, Irland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2005

Fallobst beim Rendezvous
Poesie der Genauigkeit: Die Erzählungen von Claire Keegan

Das Risiko, das im Lebendigsein liegt, ist Claire Keegan immer gegenwärtig. Die erstaunliche irische Autorin hat einen Band mit Erzählungen vorgelegt, die vom ersten bis zum letzten Satz elektrisieren. Sie handeln von seltsamen Paaren, ländlichen Familien, von Einzelgängern, Kriminellen und Verrückten, aber die Ereignisse, die sie in ihnen mit der souveränen Ruhe einer großen Prosakünstlerin entfaltet, schlagen jeden in ihren Bann. An epischem Glück ist die Sechsunddreißigjährige nur am Rande interessiert, wie bei Maupassant ist irdische Zufriedenheit bei Keegan eher ein Alarmsignal.

Eine sonst wunschlose Ehefrau beschließt einen Seitensprung, um vor der Vergreisung auch diese Erfahrung zu machen. Sie geht systematisch vor, reist für ein Wochenende in die Stadt und läßt sich von einem Fremden nach Hause einladen. Die schlichte Affäre verwandelt sich in einen Albtraum, und Keegans antizipatorische Feder sagt uns, daß es so kommen mußte. Etwas in der Protagonistin hatte genau diesem Ausgang zugefiebert - und der Leser fragt sich, ob die Biographie oder menschlicher Wissensdurst das Schicksal sind.

Dieser Trieb, dem Ärgsten ins Auge zu sehen, zeichnet Keegans Figuren aus und versieht sie mit sehr nordischen Ahnungskräften. Ein Kindermädchen träumt wiederholt denselben Traum, bis die Wirklichkeit ihn einholt, und es - anders als Kassandra - rettend einzugreifen vermag. Es hatte die Angstentwicklung vorweggenommen, würde Freud sagen, und mußte daher im Ernstfall nicht vor Entsetzen erstarren. Eine Mutter hat eine Eingebung, sie weiß plötzlich, wo der vermißte Hund steckt, der, in einer Falle verendend, nun mit dem Leben davonkommt. Das nächste Mal sagt ein Traum der Frau den Tod ihrer Mutter an, und sie erholt sich nicht von dieser Neuigkeit. Bevor ihr prophetisches Vermögen in Wahnsinn umschlägt, gehen beide in einer Sommernacht ins Freie, liegen gemeinsam auf einem Hügel im Gras und betrachten die Sterne.

Auch wenn, wie in dieser Geschichte, manchmal jemand in der Klapsmühle endet, gibt es bei Claire Keegan keine Betonwand zwischen den Normalen und den anderen. Die zum Abenteuer Fähigen können ferne Großmütter sein, ihr Lebensfunke wirkt bis ins dritte Glied, selbst wenn sie ihn nie ausleben konnten. Für die Irin ist kontextuelle Hellsichtigkeit kein Krankheits-, sondern ein Gesundheitssymptom. Sie befindet sich in intimer Verwandtschaft mit dem Poetischen, mit dem Sinn für die vierte Dimension, der über die Befangenheit des einzelnen hinausreicht und das Objektive erkennt.

Weil Keegan eine Spezialistin für das Rieseln des Mörtels, die feinen Sprünge im Gebälk und das Ächzen der Fugen ist, geraten alle Kurzgeschichten ihr zu Novellen. Sie erzählt von unvermeidlichen Krisen, vom Ticken unter der Oberfläche hinfälliger Wahrnehmungsstrukturen, in dem sich eine Zukunft ankündigt, der wir noch nicht gewachsen sind. Deshalb kehrt sie das christliche Schema vom Sündenfall um und dämonisiert nicht den Griff nach der Frucht, sondern die feige Hand, die im Schoß ruht. Ein Landarzt ist ein Verhältnis mit einer jungen Frau namens Cordelia eingegangen und bricht es ab, weil seine Frau ihm auf die Schliche kam. Er macht mit seiner Geliebten einen Termin in der Zukunft aus, wenn seine Kinder aus dem Haus sein werden. Cordelia schließt sich zehn Jahre in ihr Haus ein und trifft beim Rendezvous auf die Konkurrentin. "Sie schreiben wunderschöne Briefe", gesteht ihr die andere: "In meinem ganzen Leben habe ich nie einen Brief wie die Ihren erhalten." Als auch der Ehemann auftaucht, sitzen drei Menschen mit zerstörten Leben am Strand und wissen nicht weiter. Cordelia hatte ihren Geliebten bei der Ernte von Fallobst getroffen. Jetzt ist sie selbst ein Apfel, der reif und ungenossen vom Baum fiel.

Die andere Möglichkeit - daß jemand sich nimmt, wovon er ahnt, daß es ihm zusteht - wird in der Geschichte von einem Paar skizziert, das eine Kontaktanzeige zusammenbringt. Unsicher und aufgeregt landen sie auf einem Rummelplatz und steigen auf eine gigantische Rutsche. Sie möchte bis zuletzt den Rückzug antreten, doch dann kommt eine "Hand heraus und versetzt ihr einen Schubs". Diese Hand steht bei Keegan für das Unerwartete, das dem Entschlossenen zu Hilfe kommt. Ihre unberechenbaren Figuren lassen es ankommen auf die Erschütterung, die sie an einen neuen Ort versetzt. In ihrer Bereitschaft überlebt eine animalische Witterung, die im erweiterten Sinn durchaus sexuell ist. Deshalb hat die Autorin auch viel über frühreife Kinder zu erzählen, über die ersten Ambivalenzen, in denen sich die Mutterliebe auf ein neues Objekt überträgt und Instinkt sich in Freiheit verwandelt. Daß es für das Gelingen solcher Autonomie keine Garantie gibt, erzählt "Die singende Kassiererin": Zwei Schwestern halten sich nach dem Tod der Eltern am Rande des Existenzminimums über Wasser. Die ältere empfängt den Briefträger regelmäßig zum Stelldichein und schickt die jüngere zum Einkaufen. Auf ihren lustlosen Gängen läßt sie jedesmal eine Milchflasche mitgehen, die ihr vor einem Nachbarhaus ins Auge springt.

Eines Tages stellt sich heraus, daß in diesem Haus ein Mädchenmörder wohnte, die Leichen liegen noch unter den Dielen. Aus der Burleske wird eine Farce: "Ich hätte eines von ihnen sein können. Cora hat mich zu vorgeschobenen Botengängen auf die mit Abstand gefährlichste Straße Englands geschickt." Keegan hat die Erzählung an einem historischen Fall orientiert. Sie sagt nicht nur, daß es im Leben keinen doppelten Boden gibt, sie führt auch vor, was passieren kann, wenn die Vorsicht gegenüber dem Lustprinzip versagt.

Man merkt diesen Geschichten an, daß ihre Autorin einer Kultur entstammt, in der das Erzählen noch zur Überlebenstechnik zählt. Claire Keegan ist eine Stimme, die uns daran erinnert, daß die literarische Wahrnehmung kein dekadentes Vergnügen darstellt, sondern der elementaren Orientierung dient. Weil Cordelia keine Konsequenzen daraus zog, daß ihr Arzt sie an ein Buch erinnerte, "in dem die mittleren Kapitel fehlten", konnte er ihr Leben ruinieren. Genauigkeit ist poetisch, sagt dieser Erzählband, denn sie befreit uns von Illusionen und macht uns für wirkliche Abenteuer bereit.

INGEBORG HARMS

Claire Keegan: "Wo das Wasser am tiefsten ist". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Inge Leipold und Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2004. 216 S., geb., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Frostig sind die sechzehn Erzählungen der irischen Autorin Claire Keegan, so empfindet es Renate Wiggershaus, die eingesteht, sich zunächst durchaus von ihnen in den Bann gezogen gefühlt zu haben. Auf untergründige Weise werde eine unheilschwangere, beklemmende und oftmals auch dumpfe Atmosphäre heraufbeschworen, charakterisiert Wiggershaus das von Keegan beschriebene ländliche Milieu in Irland, in dem die meisten Geschichten angesiedelt sind. Durch Fahrlässigkeit, Unachtsamkeit, Naivität oder einfach aus einer Laune heraus riskierten Keegans Protagonisten ihr kleines Glück und gerieten in Situationen, aus denen es kein Entrinnen gäbe. Leider fehle diesen Figuren, so die Rezensentin, Lebendigkeit, Fantasie und Erfahrungsreichtum, deshalb wirkten sie bei näherer Betrachtung wie Stereotypen, die statt Schrecken Unwillen und Überdruss hervorriefen. Dennoch, hält Wiggershaus fest, bestechen die Geschichten - passagenweise - durch topographische Genauigkeit, Plastizität und eine lakonische Poesie.

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