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Oktober und wer wir selbst sind, das neue Buch der großen autobiographisch-poetischen Chronik von Peter Kurzeck, geht zurück in das Jahr 1983. Es ist für den Erzähler die Zeit vor der Trennung, vor der »neuen Zeitrechnung«, die 1984 beginnt.

Produktbeschreibung
Oktober und wer wir selbst sind, das neue Buch der großen autobiographisch-poetischen Chronik von Peter Kurzeck, geht zurück in das Jahr 1983. Es ist für den Erzähler die Zeit vor der Trennung, vor der »neuen Zeitrechnung«, die 1984 beginnt.
Autorenporträt
Peter Kurzeck ist 1943 in Böhmen geboren und als Flüchtlingskind in Staufenberg im Kreis Gießen aufgewachsen, lebte seit 1970 viele Jahre in Frankfurt am Main und in Uzès, Südfrankreich. Verschiedene Literaturpreise und Stipendien: Alfred-Döblin-Preis 1991, Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1999, Hans-Erich-Nossack-Preis 2000, Stadtschreiber von Bergen 2000/2001. 2008 erhielt Peter Kurzeck den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis. Der Autor verstarb 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2007

Wie die Welt mit uns spricht

Er schreibt Prosa von seltener poetischer Qualität, aber bekannt ist er damit nicht geworden. Jetzt setzt Peter Kurzeck sein autobiographisches Projekt mit einem neuen Roman fort.

Von Marius Meller

Er ist noch viel zu wenigen bekannt. Seit 1979 erscheint alle paar Jahre ein Buch von Peter Kurzeck, von der Kritik gelobt, aber nur einem kleinen Kreis von Verehrern wirklich bekannt. Wenn der Titel "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" nicht schon so prominent vergeben wäre, müsste man das minutiös, fast manisch autobiographische Gesamtwerk Peter Kurzecks so taufen. Wie bei Thomas Bernhard könnte man sagen: Liest man ein Buch, hat man alle gelesen. Andererseits macht Kurzeck süchtig: Liest man ein Buch, wird man alle lesen.

Auch in Kurzecks neuem Roman "Oktober und wer wir selbst sind" setzt er seitenlange Erinnerungskaskaden aus den frühen achtziger Jahren aneinander, unterbrochen oder verbunden durch angedeutete Reflexionen zu Zeit, Erinnerung und Bewusstsein. Mal wird hektisch ein Abschnitt beendet mit der Feststellung: "Schon wieder zwei Minuten mehr, die eilig an mir vorbei sind." Dann wird so etwas wie ein mystischer Augenblick skizziert: "Und mußt stehenbleiben und dir den Augenblick merken. Für immer. Dein Leben, den Herbst, die Straßenecke, den heutigen Tag. Das bin ich."

Der Inhalt des Buches ist schnell erzählt. Peter, der Ich-Erzähler, schildert Alltag und Gedankenketten des Jahres 1983. Seine Frau Sibylle und seine kleine Tochter leben unter bescheidenen Bedingungen in Frankfurt. Auf dem Weg zum Kindergarten fallen ihm immer neue Erinnerungsräume zu, auch ausführliche Rückblenden in die Zeit, als er im oberhessischen Dorf aufwuchs. Gedanken an die französischen Freunde, an seine frühere Alkoholsucht und an seine oft quälende Schreibarbeit. In diesen Koordinaten bewegt sich Kurzecks autobiographisches Projekt, das er auf sieben Bände angelegt hat: eine Art Weltwissen über den Peter-Kurzeck-Kosmos, besser gesagt: Kurzeck-Mikrokosmos. Jedes Buch ist mit den anderen verknüpft, alle lassen sich ohne Vorwissen genießen. Auch im neuen Roman werden immer wieder die gleichen Ereignisse umkreist, und die Beschreibungen vermitteln nach und nach eine recht konkrete Vorstellung von Kurzecks Denken, seiner Wohnung und den Straßen seiner unmittelbaren Umgebung.

Alles ist - so kunstvoll flüchtig es bisweilen geschrieben ist - fest verankert in den Dingen und Lebewesen, die er beschreibt. Es werden ständig neue Anker der Wahrnehmung in die Wirklichkeit geworfen. Die Sorge, hier könnte eine Perspektive auf die Welt gleichsam aus dem Koordinatensystem kippen, begleitet den Leser, wird aber durch die oft aufblitzende Selbstironie des Erzähler-Ichs beruhigt: Hier führen die Genauigkeit der Beschreibung und die Suggestionsmächtigkeit der Erinnerungsräume immer nur fast bis in die Psychose. Komisch ist, wenn Peter vor einer Schaufensterscheibe steht und einen Satz denkt, der als Motto über dem Gesamtwerk stehen könnte: "Wichtige Einzelheiten und wie die Welt mit uns spricht. Kaffee, Obst, Oliven. Ein kleines Stück Ziegenkäse." Komisch auch, wenn aus dem Nachdenken über Kinder und Katzen eine metaphysische Meditation wird: "Eben noch da und dann nicht mehr. Und behalten wie die Katzen ihre Geheimnisse und das Geheimnis für sich. Überall Zeichen. Direkt schon aufdringlich, sagte ich. Aber wie soll man die Zeichen deuten?"

Geschichten aus dem Leben eines Melancholikers sind die Romane Peter Kurzecks, und sie haben viel mit Eichendorff und Robert Walser zu tun. Die Tage laufen gleichförmig ab, von manchen Wahrnehmungen ist nicht einmal sicher, ob sie Gegenwart sind oder die Assoziation einer Erinnerung. Aber immer sind sie Gegenstand mystischer Versenkung. Man könnte sogar von einer mystischen Poetik sprechen, denn an die Stelle des Transzendenten tritt bei Kurzeck die Schrift. Das Sammeln, Notizen machen und sortieren im Mikrokosmos, in den sich fast nie eine Information aus der "großen Welt" verirrt, ist die Vorarbeit zum Festhalten der Erinnerungen beim Schreiben: "Und in Gedanken mußt du den Obststand malen. Du mußt ihn jedesmal malen und wirst jedesmal nicht ganz fertig damit. Aber du nimmst die Bilder im Kopf mit und hebst sie alle gut auf."

In diesem Sinne ist auch die jähe Unterbrechung eines Gedankengangs zu verstehen: "Wieso Nachwelt? Wir werden nie sterben. Keiner stirbt!" "Keiner stirbt", das ist der Titel eines Romans von Peter Kurzeck aus dem Jahr 1990.

- Peter Kurzeck: "Oktober und wer wir selbst sind". Roman. Verlag Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt am Main 2007. 203 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.02.2009

Die Ferne bleibt fern
Peter Kurzeck liest seinen Roman „Oktober und wer wir selbst sind”
Eine Weile wird der Zuhörer sich fragen, ob das läppisch ist, was ihm vorgelesen wird, oder ob es großartig ist. In seinem Roman „Oktober und wer wir selbst sind” erzählt Peter Kurzeck fast alles ganz genau: Was nach dem Aufstehen am Morgen passiert, wie es dann auf der Straße ist, das Wetter und die Farbe des Himmels, und wie man sich fühlt, und was man dazu denken kann. Woran einen das Licht erinnert, wo man das schon mal gesehen hat, welchen Stoffen es gleicht, wann man es wiedersehen wird, wer auf der Straße herumsteht, und wer sie sind, die man auf der Straße sieht.
Wenn der Erzähler mit seiner Frau und der kleinen Tochter in einem exotischen Geschäft ist, denkt er daran, noch nie in China gewesen zu sein. „Und heute fahren wir auch nicht hin. Wieder nicht.” Nicht erst diese Art von überraschenden Wendungen, nein, es sind ja Folgerungen, lassen den Zuhörer sehr aufmerksam werden. Aber sie erinnern besonders daran, nach eigenen verpassten Gelegenheiten zu forschen.
Peter Kurzeck hält so viel fest, wie er nur kann. Denn alles, was wo mit wem wie gewesen ist, muss erinnert, darf nicht vergessen werden, weil genau das das Leben war. Jede Einzelheit. Der Autor trägt diesen Text ruhig und entschlossen vor: Satz für Satz. Der Satz ist immer eine vollendete Sache, so bedeutsam wie eine Gedichtzeile. Es sind mit Kurzeckschem Werkzeug aus dem Wust der zur Verfügung stehenden Worte geformte Sätze, oft nur sehr kurz, weil sie auch so knapp hinlänglich verständlich sind und Kurzeck vielleicht nicht zu viele Worte umsonst machen wollte, weil noch etwas anderes aufgeschrieben werden musste.
Am Anfang ist es vor allem die Melodie, die den Hörer festhält: Der Autor liest alles mit einem Ton der Verwunderung, als schaue er es zum ersten Mal genau an, auch wenn er Sätze wiederholt. Diese anhaltende Verwunderung wirkt erstaunlich glaubwürdig und deshalb sympathisch. Als sei alles, was er bemerkt, in seiner Selbstverständlichkeit nur scheinbar und in Wirklichkeit doch ganz unerhört und verblüffend. Man kann das auf Dauer ein wenig anstrengend finden, man kann es aber auch als musikalische Qualität erkennen – und sich immer wieder anhören. So sehr rhythmisch und melodisch liest Peter Kurzeck die Mitschrift seiner ständigen aufmerksamen Hinwendung zu den Dingen, Tieren und Menschen vor, dass man am Ende vielleicht selbst versucht, die Einzelheiten um einen herum leise innerlich zu singen. Also ist dieses Hörbuch nicht läppisch, es ist großartig.
MARTIN Z. SCHRÖDER
 
PETER KURZECK: Oktober und wer wir selbst sind. Roman. Gelesen vom Autor. 480 min. Aufnahme: Saarländischer Rundfunk. Stroemfeld Verlag, 2008. 7 CD, 42 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das "Gegenteil von Massenware" erkennt Rezensentin Verena Auffermann in Peter Kurzecks Roman über den Oktober 1983 in Frankfurt. Sie würdigt den Autor als Solitär, als radikalen Biografen seiner Selbst, der detailversessen sein eigenes Leben protokolliert. Dass das nicht bei jedermann auf Gegenliebe stößt, ist Auffermann bewusst, sie jedenfalls zeigt sich von Kurzecks Werk fasziniert. Seine Bücher werden ihres Erachtens einst als die "genauesten Analysen" der in ihnen dargestellten Zeit, Orte und Gefühle gelten. Das grundlegende Thema Kurzecks sieht sie im Vergehen der Zeit, im Wunsch, sie aufzuhalten, nichts verloren gehen zu lassen. Gerade wegen der Privatheit der Aufzeichnung eines von den Kriegsfolgen und den Erkenntnissen von '68 geprägten Lebens scheint ihr das Werk eminent politisch. Sie rühmt Musikalität und Sprachmelodie von Kurzecks Werk, dessen Sätze ihr wie Kompositionen erscheinen. Die Lektüre des Romans erfordert zwar etwas Geduld, räumt Auffermann ein, aber die Mühe lohne sich: "Geduldige Leser haben Glück".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Erkennbar wird, dass hier einer mit Zärtlichkeit schreibt, dass ein melancholischer Protokollant der fortschreitenden Weltentzauberung am Werk ist, der in seinen Sätzen die Magie wiederherstellt.« Christoph Schröder, Frankfurter Rundschau