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Der Ich-Erzähler, Überlebender eines polnischen Ghettos, schildert die Geschichte des Ghettobewohners Jakob Heym, der durch Zufall im deutschen Polizeirevier aus dem Radio Satzfetzen einer Meldung vernimmt, die fortan das Leben im Ghetto verändern sollte: "In einer erbitterten Abwehrschlacht gelang es unseren heldenhaft kämpfenden Truppen, den bolschewistischen Angriff 20 km vor Bezanika zum Stehen zu bringen." Jakob kennt diesen Ort nur vom Hörensagen, doch weiß er, dass Bezanika nicht weit vom Ghetto entfernt liegt. Zugleich wird ihm bewusst, dass diese Nachricht den Ghettobewohnern einen…mehr

Produktbeschreibung
Der Ich-Erzähler, Überlebender eines polnischen Ghettos, schildert die Geschichte des Ghettobewohners Jakob Heym, der durch Zufall im deutschen Polizeirevier aus dem Radio Satzfetzen einer Meldung vernimmt, die fortan das Leben im Ghetto verändern sollte: "In einer erbitterten Abwehrschlacht gelang es unseren heldenhaft kämpfenden Truppen, den bolschewistischen Angriff 20 km vor Bezanika zum Stehen zu bringen." Jakob kennt diesen Ort nur vom Hörensagen, doch weiß er, dass Bezanika nicht weit vom Ghetto entfernt liegt. Zugleich wird ihm bewusst, dass diese Nachricht den Ghettobewohnern einen konkreten Anlass zum Durchhalten geben würde.
Um die Glaubwürdigkeit seiner Informationen zu erhöhen, behauptet Jakob, über ein Radio zu verfügen, dessen Besitz natürlich verboten ist. Durch diese Notlüge gerät er in die Zwangslage, ständig neue Nachrichten erfinden zu müssen; sein Lügengeflecht führt zu tragikomischen Situationen und das technische Medium wird zum Symbol von Verheißung und Gefahr. Einerseits schöpfen die Ghettobewohner wieder Hoffnung; sie schmieden Pläne, die Selbstmordrate ist rückläufig. Andererseits befürchten einige seiner Leidensgenossen, dass die Entdeckung des Radios durch die deutschen Besatzer alle gefährden könne ...
Autorenporträt
Becker, Jurek
Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb 1997. Er wuchs im Ghetto in Lodz auf und wurde später in Konzentrationslagern inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über. Aus politischen Gründen wird er vom Studium ausgeschlossen und geht an die Filmhochschule Babelsberg. Neben zahlreicher Drehbücher schreibt er ab 1969 Romane.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2017

HÖRBUCHKOLUMNE
Gedrängt, aber nie karg, nie ärmlich ist die Prosa des historistischen Erzählmeisters Conrad Ferdinand Meyer, sie bietet eine dichte Folge starker Reize. Das ist nichts für Leser, die sich vor Effekten fürchten, und nichts für Schauspieler, die auf Effekte setzen. Sie würden sich nur blamieren vor Meyers Virtuosität.
1887 erschien als eines seiner letzten Werke die Renaissance-Novelle „Die Versuchung des Pescara“. Italien im Jahr 1525: Der Feldherr Pescara, der die Schlacht bei Pavia für Karl V. gewann, soll zum Verrat an seinem Kaiser überredet werden. Ehren, eine Krone, Drohungen wie Schmeichelworte werden aufgeboten, ihn auf die Seite der Liga zu ziehen, die das „geliebte Italien“ zu einen verspricht. Pescaras Frau, die schöne, gebildete Viktoria, in Literaturgeschichten als Vittoria Colonna bekannt, scheint schon für die italienische Sache gewonnen zu sein.
Über sie und ihre Dichtungen, über die historischen Hintergründe, die Conrad Ferdinand Meyer ausgiebig studiert hat, informiert wie immer bei Hörbüchern des Sinus-Verlags das sorgfältig gemachte Booklet.
Die Handlung schreitet im Wechsel von Dialogen und Bildbeschreibungen voran, bis am Ende der Held selber wie die Hauptfigur eines Freskos daliegt. Burghart Klaußner säuselt, wütet, schmeichelt, wiegelt auf, besänftigt. Er leiht jeder Figur Leben, den Szenen Prägnanz und Rhythmus, den vielen Kunstwerken, existierenden wie erfundenen, Präsenz. Nicht aus Fleisch und Blut, hieß es oft, seien Meyers Menschen, sondern „bloß“ aus Marmor und Gips. Klaußners Kunst erledigt dieses Klischee. Im großen Drama seiner Lesung hat alles Tag und Licht, sinnliche Gegenwart bis zum letzten schwachen Schrei.
„Haben Sie auch Wasser?“ Über diese Frage mag man nur mit Benjamin von Stuckrad-Barre nachdenken. Seit „Soloalbum“ beschreibt er das Gesellschaftsleben der Gegenwart als einen Kampfplatz, auf dem man weniger die Gegner fürchten, vielmehr die vielen Fallen vermeiden muss, will man dem Absturz ins Peinliche entgehen. „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“ ist ein Nebenwerk, ein heiteres Seitenstück zu „Panikherz“, dem autobiografischen Roman über Rausch, Sucht, Genesung. „Haben Sie auch Wasser?“, fragt der Genesene die Kellner, während rings um ihn das abendliche Trinken vollzogen wird wie immer: ein wenig verklemmt, demonstrativ sozialverträglich, am Rausch meist nur nippend.
Benjamin von Stuckrad-Barre performt seinen Bericht sehr nüchtern, Fallhöhe wird erst einmal nicht angestrebt. Wehmütig fast klingt das Zählen der Zigaretten am Weltnichtrauchertag: von der ersten, der morgendlichen in „Notgemeinschaftsromantik“ bis zur 21. Zigarette auf dem Balkon. Das trifft die Raucherexistenz genau: zwischen der Sehnsucht nach Rauchfreiheit und der Sehnsucht nach der nächsten Zigarette. Auch das eine Übung im Nicht-Dazugehören.
Jakob Heym hat ein Radio, nein, er lässt seine Freunde, die Mitgefangenen im Ghetto, glauben, dass er eines habe, damit sie den Lebenswillen behalten, damit sie ihm glauben, jetzt, da die Rote Armee nur noch einige Hundert Kilometer entfernt steht. Die Geschichte von Jakob, dem Lügner hatte Jurek Becker ursprünglich in einem Film erzählen wollen. Er schrieb ein Drehbuch für seinen Freund Frank Beyer, doch der fiel bei den DDR-Oberen in Ungnade. Daher verfasste Jurek Becker seinen ersten Roman, der dann später, 1974, erfolgreich verfilmt und für den Oscar nominiert wurde. Die Geschichte ging auf seinen Vater zurück. Nach dem Überfall auf Polen waren Jurek Becker und seine Eltern ins Ghetto Litzmannstadt deportiert worden.
Jurek Becker selbst hat Auszüge aus seinem Roman für eine Schallplatte vorgelesen. Die erste vollständige Lesung, man glaubt es kaum, ist diese mit August Diehl. Er erzählt die Geschichte von Jakob Heym, dessen Mitgefangenen, vom Ghetto, dem Radio und dem Tod ohne historische Patina, ohne Angebote an die Hörer, das Geschehen in irgendeiner Ferne zu entsorgen. Beherrscht, gewitzt spricht Diehl, kraftvoll durch Zurückhaltung, auch da, wo das Gesetz des Erzählens ausgesprochen wird: „Wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wir wollen jetzt ein bißchen schwätzen, wie es sich für eine ordentliche Geschichte gehört. Ohne ein Schwätzchen ist alles so elend traurig.“
JENS BISKY
Conrad Ferdinand Meyer: Die Versuchung des Pescara. Gelesen von Burghart Klaußner.
Sinus Verlag, Kilcherbg 2016. 4 CDs, 307 Minuten, Booklet 256 Seiten, 39,80 Euro.
Benjamin von Stuckrad-Barre: Nüchtern am Weltnichtrauchertag. Ungekürzte Autorenlesung. Tacheles/Roof Music, Bochum 2016.
1 CD, 56 Minuten, 10 Euro.
Jurek Becker: Jakob der Lügner. Ungekürzte Lesung mit August Diehl. Speak Low, Berlin 2016.
7 CDs, 515 Minuten, 29,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Begeistert, bewegt und berührt feiert Rezensent Mirko Weber diese Einlesung von Jurek Beckers Roman "Jakob der Lügner" durch den Autor selbst. Denn näher als in dieser "kostbaren, wundersam schlüssig gekürzten 60-Minuten-Version" des Romans könne man dem Kern von Jurek Beckers Schreiben nicht kommen: einer melancholischen, unaufgeregten Schlichtheit, in der selbst die Tristesse nie trostlos und doch nichts beschönigt werde. Nachdem Weber diese aus dem Jahr 1976, also kurz vor der Biermann-Ausbürgerung entstandene Aufnahme von Beckers Lesung seines berühmtesten Buches gehört hat, kann er eigentlich nur noch sagen: "nur so" könne man es lesen.

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