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Das Buch bildet den Auftakt des Romanzyklus "Vorläufige Hölle", mit dem Ruffato den Armen, den einfachen Leuten, den Migranten eine Stimme verleiht. Er hebt sie aus ihrer literarischen Vergessenheit und lässt so die Geschichte des brasilianischen Proletariats wiederauferstehen. Innere Monologe wechseln mit poetischen Passagen, mit Szenen von dramatischer Intensität. Unprätentiös, frei von Sozialromantik und auf höchstem literarischen Niveau. Ruffatos Saga des proletarischen Brasilien ist nüchtern, schmerzhaft und kompromisslos.

Produktbeschreibung
Das Buch bildet den Auftakt des Romanzyklus "Vorläufige Hölle", mit dem Ruffato den Armen, den einfachen Leuten, den Migranten eine Stimme verleiht. Er hebt sie aus ihrer literarischen Vergessenheit und lässt so die Geschichte des brasilianischen Proletariats wiederauferstehen. Innere Monologe wechseln mit poetischen Passagen, mit Szenen von dramatischer Intensität. Unprätentiös, frei von Sozialromantik und auf höchstem literarischen Niveau. Ruffatos Saga des proletarischen Brasilien ist nüchtern, schmerzhaft und kompromisslos.
Autorenporträt
Luiz Ruffato wurde 1961 in Cataguases im brasilianischen Bundesstaat Minais Gerais geboren und wuchs in einer armen Familie italienischer Immigranten auf. Er arbeitete u.a. als Verkäufer und Mechaniker und studierte Journalismus. Im Jahr 1998 veröffentlichte er einen ersten Band mit Kurzgeschichten. Drei Jahre später folgte der Roman 'Es waren viele Pferde' (Eles eram muitos cavalos), der die brasilianische Literatur revolutionierte, von der Kritik enthusiastisch aufgenommen und u.a. mit dem Prêmio Machado de Assis der brasilianischen Nationalbibliothek ausgezeichnet wurde. Zwischen 2005 und 2011 schrieb Luiz Ruffato den fünfbändigen Romanzyklus 'Vorläufige Hölle' (dt. ab 2013 bei Assoziation A). Luiz Ruffato lebt in São Paulo.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2013

LITERATURLAND BRASILIEN
Luiz Ruffato – die Entwurzelung der Immigranten
Als Luiz Ruffato noch ein Kind war, zog seine Familie aus dem kleinen Ort Cataguases im Bundesstaat Minas Gerais nach São Paulo. Ruffatos Mutter war Waschfrau, sein Vater verkaufte Popcorn. Ein Mann sprach ihn an, als er dem Vater half, erkannte sein Talent und ermöglichte ihm den Besuch einer weiterführenden Schule. Aus Schüchternheit habe er angefangen zu lesen, erzählte Ruffato einmal seinem kongenialen Übersetzer Michael Kegler, und weil in den Büchern nie von den Leuten die Rede war, die er kannte – den Nachbarn, den Eltern, den Armen, den Arbeitern, der unteren Mittelschicht –, habe er irgendwann, als er längst Journalist war, beschlossen, selber zu schreiben.
  Um sein Journalistikstudium zu finanzieren, arbeitete Ruffato auch als Mechaniker, einmal übernachtete er eine Woche lang auf dem Busbahnhof, weil ihm das Geld für ein Zimmer fehlte. Das ist eine Geschichte wie im Märchen, die so ganz und gar nicht der Realität Brasiliens entspricht – und auch nicht der Welt, die Luiz Ruffato in seinen Büchern entwirft. Die ist gnadenlos und grausam. Sein erster Roman „Es waren viele Pferde“ (Deutsch von Michael Kegler, Verlag Assoziation A, 2012) ist in Brasilien inzwischen ein Klassiker. Zwischen 2005 und 2011 verfasste Ruffato den fünfbändigen Romanzyklus „Die vorläufige Hölle“, dessen erster Band „Mama, es geht mir gut“ nun auf Deutsch erschien. Im Original trägt der Roman den italienischen Titel „Mamma, sono tanto felice“ nach einem Song, den auch Luciano Pavarotti oft sang: „Ich bin so glücklich, weil ich zu dir zurückkehre . . .“ „Mamma“ steht hier wohl einerseits für die Heimat Italien, andererseits für das Leiden der Mütter, die die Hauptlast in den Auswandererfamilien trugen. Ruffato, dessen Großeltern von Italien nach Brasilien kamen, beschreibt das Leben von Immigranten, die sich um 1950 aufmachen ins Traumland (Süd-)Amerika. Sie hoffen, dort der unerträglichen Not zu entkommen. Doch die Armut bleibt. Es ist ein Kulturschock, eine Entwurzelung.
  Die Strukturen in den italienischen Familien sind archaisch, die Väter herrschen. Die Mütter, Söhne, Töchter leiden unter ihrer Grobheit. Ruffato zeichnet einzelne Fragmente, in sechs Kapiteln verwebt er die Schicksale der Bicios, der Finettos, der Michelettos. Einzelne Figuren treten in unterschiedlichem Kontext auf, alle stammen aus der gleichen Gegend, dem Kaff Rodeiro und den benachbarten Städten Ubá und Cataguases, weit entfernt von der Küste. Ähnlich wie Zola in „Germinal“ das unmenschliche Dasein der französischen Bergarbeiter beschrieb, schildert Ruffato mit naturalistischer Intensität das Elend der Immigranten in Brasilien. Er stellt den einzelnen Texten Epigraphe und Gedichtzeilen voran, zitiert auch das Alte Testament. Es ist immer nur der Tod, der seine Protagonisten heimkehren lässt.
  Das erste Kapitel trägt den Titel „Fabel“. Eine archaische Geschichte, fast fühlt man sich in einen biblischen Text versetzt. Der alte Micheletto führt ein strenges Regiment auf seinem kleinen Anwesen. Von seinen fünf Söhnen überleben nur zwei. „Die anderen wanderten einer nach dem anderen sieben Hand breit unter die Erde.“ Den Dreijährigen beißt eine Viper; den Zwölfjährigen tötet ein Dorn im Fuß, der Achtzehnjährige stirbt „melancholisch an von Ameisengift zersetzten Gedärmen“. Die Mädchen hingegen, „die zu nichts gut waren, fütterte er bis zur Hochzeit durch“. Eine von ihnen brennt mit einem fliegenden Händler durch. Der Vater spürt sie auf, bindet ihr einen Strick um den Hals und schleift sie hinter seinem Pferd her. Dann erschießt er das Mädchen. Seinen Knechten befiehlt er: „Grabt ein tiefes Loch, dass die Tiere nicht an ihr fressen, es ist mein Fleisch und Blut.“ Seine Frau, die alte Micheletta, lässt er, als sie krank wird, „dahinvegetieren in ihrem Raum, . . . aus dem sie mit fünfunddreißig erst, bereits erstarrt und in ein Tischtuch gewickelt, wieder herauskommen sollte, leicht wie ein Vogel“.
  Die zweite Geschichte, „Morphinsulfat“, beschreibt das langsame Sterben einer Waschfrau aus Cataguases. Ein orangengroßer Tumor zerdrückt die Lunge von Paula Bicio, der Schwester der alten Micheletta. Es ist ein mehrstimmiger Text. Der Erzähler, die Sterbende, Familie und Nachbarn, die ihr die letzte Ehre erweisen – alle scheinen durcheinanderzureden: Gedankenfetzen, alltägliche Sorgen und die Beileidsbekundungen. Vor ihrem Tod kehrt Paula in die Welt ihrer Kindheit heim. Sie betet das Vaterunser auf Italienisch „Padre nostro che sei nei celli . . .“ Durch zahlreiche italienische Zitate nimmt Ruffato Bezug auf seine eigene Herkunft.
  „Mama . . .“ ist ein Buch, das berührt, denn seine Figuren begegnen dem Leser auf Augenhöhe. Ruffato vermeidet jegliche Sozialromantik, da passt kein Label wie etwa „Prekariat“, nichts was Menschen von Ferne klassifiziert. Vom Hinterland verschiebt sich die Handlung langsam in ein städtisches Umfeld.
  Carlos fährt mit seiner Mutter nach dem Tod des Vaters ans Meer. Die Uhrzeiten der Stopps gliedern den Text. Im Auto hängen Mutter und Sohn ihren Gedanken nach. Erinnerungen, nie verarbeitete Vorfälle in der Familie. Carlos hatte den Vater, der die Mutter schlug, attackiert und dann die Familie verlassen. Jetzt fragt er sie: „Warst du glücklich?“ Und sie antwortet: „Natürlich war ich glücklich.“ Später gründete der verstoßene Sohn seine eigene Familie. „Ich wollte mich meiner Geschichte entledigen. Die Wände meiner Erinnerung niederreißen und meine Gegenwart auf neue Sockel stellen. Wie dumm!“ Er scheitert, verlässt Frau und Sohn. „Ich hatte Angst, Mutter, . . . richtig Angst . . . so zu enden wie du und Vater . . . das wollte ich nicht.“
  So beschreibt Ruffato ein Schicksal nach dem anderen. Ein Tod folgt dem anderen. Die Familie gibt keinen Halt, schützt nicht vor dem harten Leben im Exil. Sie ist wie ein Kerker, doch auch die Flüchtigen, die es in die Stadt schaffen, in die Kleinstadt Cataguases oder nach São Paulo, finden ihr Glück nicht. „Dummes kleines Leben, ereignislos“, denkt Francisco in der letzten Geschichte. Er hat es in den Mittelstand geschafft, man nennt ihn nun „den Professor“. Auch sein Leben ist schon dem Ende nahe. „Und doch waren wir glücklich! Ja, glücklich, denn Glück ist Unbedarftheit . . .Wer nichts kennt, freut sich des Lebens. Wissen ist die Schlange, die wir nähren, damit sie uns beißt . . . was waren wir glücklich damals!“
MICHAELA METZ
Luiz Ruffato: Mama, es geht mir gut. Deutsch von Michael Kegler. Verlag Assoziation A, Berlin 2013. 160 Seiten, 18 Euro.
  
  
Luiz Ruffato, geb. 1961 in Cataguases im Bundesstaat Minais Gerais, ist mit Ana Maria Machado literarischer Eröffnungsredner der Frankfurter Buchmesse 2013.
FOTO: ADRIANA VICHI
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Karl-Markus Gauss ist schwer beeindruckt von der Kunst des Luiz Ruffato, Sozialkritik mit Avantgardeliteratur zu verbinden. Im vorliegenden Roman gelingt dem Autor das laut Gauss im Hinblick auf das ländliche Brasilien, nachdem er zuvor den Stadtmoloch Sao Paulo auf diese Art verhandelt hat. Die Mittel der Darstellung, Gauss benennt sie anerkennend: dauernde Perspektivwechsel, innere Monologe, Jargon, Pathos und Kälte der Darstellung im fliegenden Wechsel, dazu ein ständig sich veränderndes Satzbild, mal kursiv, mal fett, mal groß, mal klein. Die Wirkung dieser Erzählweise hält der Rezesent für heilsam, da sie mit Klischees aufzuräumen imstande ist, etwa mit dem, das Landleben wäre beschaulich und übersichtlich. Im Gegenteil, Ruffato präsentiert es laut Gauss als Reigen aus Gewalt und Unterdrückung, und kein Gottesbeweis weit und breit.

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