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Im vergangenen Frühjahr hat die spanische Regierung erstmals eine Karte veröffentlicht, auf der die mehr als 2000 Massengräber aus dem Bürgerkrieg und der anschließenden Franco-Diktatur verzeichnet sind. Die Ausmaße des franquistischen Terrors während und nach dem Bürgerkrieg sind erst in den letzten Jahren in ihrem ganzen Ausmaß bekannt geworden. Dadurch hat auch die Debatte um die Fakten der Vergangenheit, das kollektive Gedächtnis und die öffentliche Aufarbeitung der Diktatur in Spanien eine neue Dynamik erhalten. Georg Pichler hat mit Nachkommen beider Seiten, der republikanischen wie der…mehr

Produktbeschreibung
Im vergangenen Frühjahr hat die spanische Regierung erstmals eine Karte veröffentlicht, auf der die mehr als 2000 Massengräber aus dem Bürgerkrieg und der anschließenden Franco-Diktatur verzeichnet sind. Die Ausmaße des franquistischen Terrors während und nach dem Bürgerkrieg sind erst in den letzten Jahren in ihrem ganzen Ausmaß bekannt geworden. Dadurch hat auch die Debatte um die Fakten der Vergangenheit, das kollektive Gedächtnis und die öffentliche Aufarbeitung der Diktatur in Spanien eine neue Dynamik erhalten. Georg Pichler hat mit Nachkommen beider Seiten, der republikanischen wie der franquistischen, sowie mit Wissenschaftlern, Intellektuellen, Journalisten, Richtern und Politikern gesprochen, um eine Spanien übergreifende Darstellung der 'Vergangenheitspolitik' bieten zu können. Zudem zeichnet er die verschiedenen Phasen der Aufarbeitung der Vergangenheit Spaniens seit dem Ende des Bürgerkriegs bis in die Gegenwart und vergleicht die spanischen Debatten mit jenen in anderen europäischen und lateinamerikanischen Ländern. Nicht zuletzt ist das Buch auch eine Analyse der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Spanien. In ihnen setzen sich die ideologischen und politischen Auseinandersetzungen von damals weiter fort, und es wird nach wie vor heftig um die Deutungshoheit über die Vergangenheit gestritten.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Spaniens Gesellschaft ist gespalten und einer der wesentlichen Gründe dafür ist die mangelnde Aufarbeitung der Verbrechen unter der Franco-Diktatur, lernt Rezensent Thomas Urban zwei neuen Büchern von Adriaan Kühn und Georg Pichler. Aus beiden lernt er, welche Strukturen die Diktatur überlebt haben und dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht angerührt wird. Die großen Konzerne, die Aktienunternehmen, sind oft aus ehemaligen staatlichen Unternehmen entstanden und ihre Führungsriege rekrutiert sich noch immer aus den gleichen Kreisen wie damals, erfährt der Rezensent. Dass angesichts der Finanzkrise unter einer konservativen Regierung zuallererst die Mittel für die Aufarbeitung gestrichen werden, findet Urban ziemlich bezeichnend. An Pichlers Buch hat dem Rezensent besonders die Erzählkunst des Autors gefallen. Und dass er sich - trotz seiner offensichtlichen Sympathien für die Republikaner - um ein ausgewogenes Bild bemüht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2013

Die Schlachten von früher dauern an
Der spanische Bürgerkrieg wirft seine Schatten: Angehörige ermordeter Republikaner kämpfen
mühsam um Anerkennung, während die Nachfolger franquistischer Wirtschaftsführer profitieren
VON THOMAS URBAN
Das Ende des spanischen Bürgerkriegs liegt zwar schon 74 Jahre zurück, aber er spaltet nach wie vor die Gesellschaft zutiefst. Diese Frontlinien und Bruchstellen loten auf unterschiedliche Weise, aber letztlich mit ähnlichen Ergebnissen, die Dissertation des Darmstädter Politologen Adriaan Kühn und der Interviewband des in Madrid lehrenden Grazer Germanisten Georg Pichler aus. Die Frontstellungen aus dem Bürgerkrieg setzen sich heute auch in wirtschafts- und sozialpolitischen Programmen fort, im Verhältnis zur Kirche, in Kontroversen über Homosexualität und Abtreibung. Spanien ist keine Konsens-, sondern eine Konfliktgesellschaft, die Schlachten von gestern haben sich auf andere Gebiete verlagert – die „zwei Spanien“ leben fort.
  Zwei Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco, des Siegers im Bürgerkrieg gegen die demokratisch legitimierten Republikaner und die mit ihnen verbündeten linksradikalen Gruppierungen,
beschloss das Parlament in Madrid 1977 ein Amnestiegesetz. Beide Autoren sind sich einig, dass es seine wichtigste Funktion erfüllt hat: Es garantierte den für den Übergang zur Demokratie unabdingbaren innenpolitischen Frieden. Aber es befriedete die Gesellschaft nicht. Denn es hatte einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler: Faktisch bedeutete es die Straffreiheit sowohl für die Schreibtischtäter wie für die Folterknechte des Franco-Regimes, gleichzeitig nahm es deren Opfern weitgehend die Möglichkeit, juristische, materielle und moralische Wiedergutmachung zu erlangen.
  Zwar erschien bis heute eine kaum zu überblickende Menge an Untersuchungen und Memoiren, die sich mit dem Bürgerkrieg befassen. Doch der „Schweigepakt“ der Politiker von 1977 hielt zwei Jahrzehnte, auch in den Jahren der Verfestigung der Demokratie unter dem sozialistischen Regierungschef Felipe González (1982-1996). Unter dessen konservativem Nachfolger José Maria Aznar aber setzte eine schleichende Rehabilitierung der Franquisten ein. So bezuschusste die Regierung eine Stiftung, die Franco verherrlichte.
  Aznars 2004 gewählter Amtsnachfolger, der Sozialist José Luis Zapatero, erklärte dann die Aufarbeitung des Bruderkriegs zu einem Kernanliegen seiner Regierung. Die konservative Volkspartei (PP), aber auch die katholische Kirche warfen ihm daraufhin vor, „alte Wunden aufzureißen“. Eine große öffentliche Debatte brach aus. Erstmals wurden von lokalen Gruppen im ganzen Land die Massengräber von Opfern des Franquismus ermittelt.
  Deren Zahl wird von Experten auf 130 000 geschätzt. Das konservative Lager hält dagegen, in der Zeit der Republik seien Zehntausende Vertreter der alten Ordnung von Anarchisten und Kommunisten ermordet sowie unzählige Kirchen zerstört worden. Schützenhilfe bekamen die Konservativen aus dem Vatikan: Unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. wurden fast eintausend Priester und Nonnen als Märtyrer seliggesprochen. Die Nachkommen der Verlierer des Bürgerkriegs wiesen vergeblich darauf hin, dass es in der Behandlung der Opfer einen fundamentalen Unterschied gegeben habe: Ihre Toten seien nie geehrt worden.
  Die Regierung Zapatero aber konnte die Erwartungen der „Gedächtnisbewegung“ sowie der Opferverbände am Ende nicht erfüllen, nicht zuletzt wegen der Grenzen, die das Amnestiegesetz von 1977 gezogen hatte. Zapatero musste sich vorhalten lassen, er habe kein umfassendes Konzept einer staatlichen Erinnerungspolitik erarbeiten lassen. Die juristische Aufarbeitung blieb Stückwerk, auch weil damit Entschädigungsansprüche verbunden gewesen wären. Und kein einziger Täter stand je vor Gericht.
  Mit dem 2008 einsetzenden Absturz der Wirtschaft wurden zudem die Mittel für lokale Initiativen und wissenschaftliche Projekte stark gekürzt. Die Ende 2011 unter Mariano Rajoy an die Macht zurückgekehrte PP strich sie ganz.
  Auch in den bitteren Konflikten zwischen Madrid und dem baskischen sowie dem katalanischen Separatismus spielt der Bürgerkrieg eine zentrale Rolle. Sowohl die überwiegend konservativ-katholischen Basken als auch die republikanisch gesinnte Elite Kataloniens standen gegen Franco; dieser ließ nach seinem Sieg jegliche Autonomiebestrebungen unterdrücken, beginnend mit Sprache und Kultur.
  Mehrere der von Pilcher interviewten Befürworter einer rückhaltlosen Aufarbeitung weisen auf die Verstrickung mancher Erben franquistischer Wirtschaftsführer in Korruptionsaffären der PP hin. Viele der Konzerne aus dem spanischen Aktienindex IBEX 35 sind aus staatlichen Unternehmen der Franco-Zeit hervorgegangen. Grundzüge der damaligen Wirtschaftsordnung haben den Systemwechsel überstanden, darunter die nur geringer Kontrolle unterliegende Stellung der Unternehmensführer: günstige Voraussetzungen für Korruption. Der Streit um die heutige Krise und die Kontroversen um die Franco-Zeit überlagern und vermischen sich also.
  So wird denn auch eine Linie von 1939 über den Schweigepakt von 1977 bis zu Krise von heute gezogen: Gewinner und Verlierer seien immer dieselben. Kühn beschreibt den Verlauf dieser Debatten sehr akribisch und auch souverän, ohne sich dabei in Politologensprech zu verzetteln. Pilcher ist ein hervorragender Erzähler, bei all seiner Sympathie für die damaligen Republikaner und die heutigen Linken lässt er neben Wissenschaftlern im Bemühen um Ausgewogenheit auch Verehrer Francos zu Wort kommen. Beide Bücher leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des heutigen Spanien und seiner nach wie vor gespaltenen Gesellschaft.
Adriaan Kühn: Kampf um die Vergangenheit als Kampf um die Gegenwart. Die Wiederkehr der „zwei Spanien“. Nomos, Baden-Baden 2012. 347 Seiten, 54 Euro.
Georg Pichler: Gegenwart der Vergangenheit. Die Kontroverse um Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien. Rotpunktverlag, Zürich 2012. 333 Seiten, 29,50 Euro.
Kein einziger Franquist stand
je vor Gericht: Die juristische
Aufarbeitung blieb Stückwerk
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