Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,33 €
  • Gebundenes Buch

Der erste Roman Péter Esterházys, neben Harmonia Cælestis und Einführung in die schöne Literatur einer der drei Grundpfeiler seines Werks. Als er 1979 in Ungarn erschien, schlug er wie eine Bombe ein und erlangte "Kultstatus".
Ein Roman aus zwei Teilen. Teil I ist die grandiose Parodie eines Produktionsromans", jener Gattung, in der die Autoren der kommunistischen Hemisphäre gemäß der Doktrin des sozialistischen Realismus das Leben der Arbeiterklasse optimistisch widerzuspiegeln" hatten. Esterházy zeigt den Tagesablauf in einem mathematischen Institut, die Irrungen und Wirrungen des…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Der erste Roman Péter Esterházys, neben Harmonia Cælestis und Einführung in die schöne Literatur einer der drei Grundpfeiler seines Werks. Als er 1979 in Ungarn erschien, schlug er wie eine Bombe ein und erlangte "Kultstatus".
Ein Roman aus zwei Teilen. Teil I ist die grandiose Parodie eines Produktionsromans", jener Gattung, in der die Autoren der kommunistischen Hemisphäre gemäß der Doktrin des sozialistischen Realismus das Leben der Arbeiterklasse optimistisch widerzuspiegeln" hatten. Esterházy zeigt den Tagesablauf in einem mathematischen Institut, die Irrungen und Wirrungen des Rechentechnikers Imre und seines Genossen Generaldirektor Gregory Peck, beide hin(und her-)gerissen von der blonden Sekretärin Marilyn Monroe. Aber jede Produktion, die der Titel verspricht, wird von der Papierflut überschwemmt, die die groteske Slapstick-Suche nach einer verloren gegangenen Studie auslöst.
Teil II heißt E.s Aufzeichnungen". Der Chronist Peter Eckermann (oder Péter Esterházy?) berichtet in Anmerkungen voller Verehrung und Respekt, aber hochvergnüglich über die Umstände, unter denen Teil I vom Meister" (Goethe?, Péter Esterházy?) geschrieben wurde, über dessen Privatleben - in Szenen von gnadenloser Alltäglichkeit, immer wieder unterbrochen von den Kommentaren des Meisters", seinen Reflexionen über den Roman. Nur scheinbar ein Anmerkungsteil, ist es in Wahrheit ein Produktionsroman" im Esterházy'schen Sinne, ein Roman über die Produktion eines Romans, die Keimzelle seiner späteren Themen und Schreibweisen und, zusammen mit den typo - graphischen Frechheiten und dem bischofsvioletten Umschlag (eine Reminiszenz an eine Jugend als Messdiener), ein Affront zu Zeiten der herrschenden Widerspiegelungstheorie", der Einbruch der Moderne in die ungarische Literatur.
Nach dem Erscheinen des Produktionsromans" 1979 gab es dort nur noch ein Davor" und Danach", und in der Weltliteratur hatte er nur einen Vorläufer: Nabokovs Fahles Feuer.
Autorenporträt
Esterházy, Péter
Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, wo er auch heute lebt, seit 1978 als freier Schriftsteller. Für seinen Roman »Harmonia Cælestis« (BV 2001; BvT 2003) erhielt er unter anderem den Ungarischen Literaturpreis und den Grinzane-Cavour-Preis. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Flanke Eckermann, Kopfball Esterházy

Was, bitte, ist ein Produktionsroman? Eine Zumutung der sozialistischen Literatur. Und eine raffinierte postmoderne Posse von Péter Esterházy.

Von Hubert Spiegel

Dieses Buch kann einen die kindliche Tugend lehren, sich an schönen Dingen auch dann zu erfreuen, wenn man sie nicht so ganz versteht. Das beginnt schon mit dem Titel: "Ein Produktionsroman (Zwei Produktionsromane)". Was, bitte schön, ist eigentlich ein "Produktionsroman"? Und warum erscheint das Buch diesen Titels, das der große europäische Autor Péter Esterházy bereits 1979 in seiner ungarischen Heimat veröffentlichte, erst jetzt in einer deutschen Übersetzung? Weil es unübersetzbar, hiesigen Lesern unverständlich oder vergleichsweise unwichtig für Esterházys Gesamtwerk wäre?

Der deutsche Verlag zählt den Roman, es ist Esterházys zweiter, zusammen mit "Einführung in die schöne Literatur" (1986; deutsch 2006) und "Harmonia Caelestis" (2000; deutsch 2001) zu den "Grundpfeilern" von Esterházys Werk, und Kindlers Literatur Lexikon sieht darin einen "ganzen sozialen Kosmos und ein differenziertes Bild Ungarns in den siebziger Jahren" gespiegelt. Unwichtig kann das Buch also nicht sein. Unübersetzbar? Terézia Moras Übertragung liest sich fabelhaft, ein Sprachkunstwerk eigenen Rechts, und nur wer des Ungarischen mächtig wäre, könnte das Ausmaß der Kongenialität genauer bestimmen. Bleibt noch die Verständlichkeit.

Im Nachschlagewerk findet sich zwar der Priesterroman und der Professorenroman, aber kein Produktionsroman. Man muss schon in die Vergangenheit und hinter den Eisernen Vorhang blicken, wenn man wissen will, dass der Produktionsroman als Gattung ein Sprössling des Sozialistischen Realismus war, der die positive Darstellung des Aufbaus neuer Industrieanlagen zum Zweck hatte. Der technische Fortschritt im Sozialismus, aber auch der Wiederaufbau der durch Kriegsschäden oder anschließende Demontage ruinierten Industriebetriebe sollten in den Romanen gleichermaßen dargestellt und glorifiziert werden.

Der Produktionsroman war ein von Staat und Partei verordnetes literarisches Genre und wie die sozialistische Kulturpolitik überhaupt ein Mittel zur Durchsetzung ideologischer Ziele. Walter Ulbricht erklärte auf der zweiten Bitterfelder Konferenz 1964 recht unverblümt: "Leiten und Anleiten sind eine große Kunst. Man muss sie beherrschen. Von ihrer Qualität hängt die Wirkung der praktischen Kulturpolitik ab." Dass mit "Leiten und Anleiten" recht eigentlich Vorschreiben und Zensieren gemeint waren, zeigte die kulturpolitische Praxis.

Was die Schriftsteller davon hielten, hatte Brecht bereits elf Jahre zuvor beschrieben, als er beklagte, dass Parteifunktionäre den Künstlern ihr "großes Gedankengut" aufdrängen würden wie "sauer Bier": "Es mag für administrative Zwecke und mit Rücksicht auf die Beamten, die für Administration zur Verfügung stehen, einfacher sein, ganz bestimmte Schemata für Kunstwerke aufzustellen. Dann haben die Künstler ,lediglich' ihre Gedanken (oder die der Administration?) in die gegebene Form zu bringen, damit alles ,in Ordnung' ist. Aber der Schrei nach Lebendigem ist dann ein Schrei nach Lebendigem für Särge. Die Kunst hat ihre eigenen Ordnungen."

Solche Sätze konnte sich damals, 1953, allenfalls ein Brecht leisten, und erst Ende der siebziger Jahre wurden Stimmen laut, die auszusprechen wagten, dass "unerwartete künstlerische Entdeckungen", wie ein bulgarischer Literaturkritiker es vorsichtig formulierte, die Theorie des Sozialistischen Realismus vor die Notwendigkeit stellen könnte, "einige ihrer Positionen kritisch neu zu bewerten".

Das war die literarische Tradition, in die Esterházy 1979 mit seinem Roman hineingrätschte wie ein wildgewordener Mittelstürmer. Seine höhnische, mit allen Wassern der literarischen Postmoderne gewaschene Parodie auf den Produktionsroman holzte dem alten Genre in die morsch gewordenen Knochen, dass es nur so krachte. Es war dieses Krachen, das Esterházy berühmt machte. Seitdem gilt er als Erneuerer der ungarischen Literatur.

Der erste Teil des Romans spielt genretypisch in einem Industriebetrieb, einem Rechenzentrum mit jungen Technikern, die mit starken Händen ihre Waffe, "das Terminal", halten und sich sorgenvoll über Zeilendrucker und Lochstreifen beugen sollten. Denn "die Dossiers und Mappen sollen sich füllen, die Daten sollen sich ergießen in alle Ecken und Enden des im Aufbau befindlichen, erstarkenden Vaterlands". Aber die Angestellten bauen keineswegs den Sozialismus auf, sondern verbringen ihre Zeit mit Intrigen, Eifersüchteleien und Konkurrenzkämpfen. Esterházy beschreibt bizarre Sitzungen, nennt probate Mittel zur Bekämpfung eines Schädlings mit dem schönen Namen "Rübenderbrüssler" und füllt ein ganzes Kapitel mit der grandiosen Darstellung einer Angestelltenphantasie vom Karrieresprung: "Wenn ich Chef wäre ..." Dann folgt die endlose Litanei: hätte ich recht, würde ich klauen, betrügen, lügen; würde man mir Luft zufächeln; würde meine eine Hand meine andere waschen. So geht es fast vierzehn Seiten lang. Am Ende des ersten Romanteils begräbt eine ungeheure Papierlawine, die bei der Suche nach einer ominösen Studie versehentlich ausgelöst wird, das ganze Institut sintflutartig unter sich.

Johannes R. Becher definierte den Schriftsteller als "kollektives Wesen", Esterházy erfindet sich in seinem Roman als postmodernes Personenkollektiv, als multiple Persönlichkeit. Der Rechentechniker Imre Tomcsányi, die Hauptfigur des ersten Teils, entpuppt sich in der zweiten, ungleich umfangreicheren Romanhälfte als Erfindung und Alter Ego des Schriftstellers Péter Esterházy, der selbst als Rechentechniker in einem mathematischen Institut in Budapest arbeitete und dessen Leben als fußballverrückter "Meister" von einem weiteren "P. E." beschrieben wird, hinter dem sich sowohl Péter Esterházy wie Peter Eckermann, Goethes getreuer Chronist, verbergen. Dieser zweite Produktionsroman schildert also auf ausufernde Weise die Entstehungsbedingungen des ersten Produktionsromans, mit dem er auf vielfältige Weise verknüpft ist: durch Anmerkungen, einzelne Sätze, die in beiden Teilen vorkommen, oder parallele Handlungselemente.

Unmöglich, allen Anspielungen zu folgen, alle Zitate zu erkennen, alle Pointen, Finten und Finessen dieser quecksilbrigen Prosa zu erfassen, die unablässig in Bewegung ist, die Tonarten und Register wechselt, sich in ungezählten Parodien ergeht und immer wieder eintaucht in drei große Themenfelder, die Esterházy nie voneinander abgrenzt, sondern unaufhörlich miteinander vermengt. Es sind dies die ungarische Geschichte, die Geschichte seiner Familie, der Grafen Esterházy, sowie: der Fußball.

Nichts, kein Thema, keine Person, kein Ereignis ist denkbar, dass sich nicht umstandslos mit dem Fußball in Verbindung bringen ließe. So wie das uralte Geschlecht der Esterházys allgegenwärtig seine Bücher durchwandert, erscheint auch der Fußball bei Péter Esterházy geradezu als überzeitliches Phänomen: Er war immer da, er wird immer da sein, und wahrscheinlich ist das Fußballspiel auch der wahre Grund, weshalb die Erde rund ist und keine Scheibe. Sie ist das Spielfeld ohne Außenlinie. Deshalb hört das Spiel auch nie auf, es geht immer weiter, in der Umkleidekabine, auf den Straßen (durch die der Meister zu reiten pflegt), zu Hause, beim Essen, bei der Liebe, im Schlaf.

Und was immer der Fußballspieler und Schriftsteller Péter Esterházy tut, ob er nach dem Spiel unter die Dusche geht oder mit dem Drucker die Farbe des künftigen Buchumschlags bespricht, stets ist er als sein eigener Eckermann bestrebt, des Meisters Weisheiten für die Nachwelt zu bewahren: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, doch der Umschlag!, der ist bischofsviolett!."

Neunundzwanzig Jahre alt war Péter Esterházy, als er dem sozialistischen Realismus die tödliche Nase seiner "Produktionsromane" drehte, die literarische Moderne in Ungarn einläutete und sich auf James Joyce weniger berief, als dass er ihn zu sich auf jenes Podest holte, das er sich mit seinem Roman selbst gezimmert hatte. Auch Goethe wurde einbestellt, zu ironischen Übertrumpfungszwecken: Denn was kann schon ein Dichter taugen, der nicht eine Zeile über Fußball geschrieben hat?

Péter Esterházy: "Ein Produktionsroman. (Zwei Produktionsromane)". Aus dem Ungarischen von Terézia Mora. Berlin Verlag, Berlin 2010. 538 S., geb., 36,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2010

Wird hier überhaupt zugehört?
Der neue Roman von Péter Esterházy ist in Wahrheit sein erster – und auf Deutsch ist
er auch ein Glanzstück der Übersetzerin Terézia Mora Von Burkhard Müller
Péter Esterházy hat seit den achtziger Jahren in Deutschland rund zwei Dutzend Werke veröffentlicht. Dass sein allererster Roman, der in Ungarn schon 1979 erschien, erst jetzt auf Deutsch vorliegt, dafür gibt es Gründe. Offenbar hält der Berlin-Verlag nun erst den Augenblick für gekommen, auch dieses tief in Ort und Zeit seiner Entstehung wurzelnde Werk dem deutschen Publikum des Autors, das inzwischen beträchtlich angewachsen ist, zuzutrauen. Denn um es vorwegzunehmen: Leicht macht er es seinen hiesigen Lesern nicht.
„Produktionsroman“ nennt Esterházy sein dickleibiges Buch, und im Untertitel, als hätte er es sich noch mal überlegt, „Zwei Produktionsromane“. In der Tat handelt es sich um zwei separate Werke, die nur durch einen hauchdünnen Faden miteinander verbunden sind: Überall wo Roman 1 eine Fußnote setzt und auf den Anhang verweist, macht Roman 2 ein umfängliches Kapitel daraus; Roman 2 wird es in dieser Art schließlich auf ein Mehrfaches des Umfangs bringen.
Dabei bedeutet „Produktionsroman“ je nachdem etwas Grundverschiedenes. Roman 1 liefert die ziemlich unverblümte Parodie einer staatstragenden sozialistischen Literaturgattung: Die Obrigkeit wünschte damals Romane zu sehen, die den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft konstruktiv zu begleiten und durch die Wahl ihres Sujets den Vorrang der ökonomischen Sphäre innerhalb der Gesellschaft zu beglaubigen hatten.
Dem kommt Esterházy nur sehr zum Schein nach. Schon der träg mäandrierende, barock ausufernde Titel des ersten Abschnitts lässt den Geist des hinhaltenden Widerstands, wenn nicht der Sabotage ahnen: „1. (oder kurzes) Kapitel / in welchem / der Genosse Generaldirektor die Szene betritt, derweil sich seine Persönlichkeit gerade spaltet, wofür sich ein weites Feld auftut, eingedenk, dass er Drillinge ist, welche Tatsache nur auf den ersten, oberflächlichen Blick amüsant ist, doch die Zahl der unausweichlichen Hemden, Krawatten, Krawattennadeln, Pantalons, Siegelringe und der Erzählweisen deuten schon jene kompakte Traurigkeit an, welche hier dem Leser zukommt.“ Erstaunlich ist, dass ein solches renitentes Buch im Jahr 1979 gedruckt werden konnte – im Bruderland DDR wäre das zur selben Zeit wohl kaum passiert. Ungarn scheint von allen Staaten des Warschauer Pakts schon damals der unsicherste Kantonist gewesen zu sein, der dank eines müden Sarkasmus auch Fragliches durchgehen ließ. Oder, wie Esterházy es ausdrückt: „Wir sind Mitteleuropäer: unser Nervenkostüm ist verschlissen, unser Klopapier hart.“
Freilich befleißigt sich der Autor doch einer gewissen Vorsicht, indem er zum Mittel der unkenntlich machenden Groteske greift. Die Protagonisten des mathematischen Instituts, wo die Handlung spielt, heißen Marilyn Monroe und Gregory Peck; Gregory Peck, obschon der Chef, misst nur zwei Zoll. Als Berater werden zwei Hamster beschäftigt, die in einem Blumentopf hausen und „nuffen“, worunter man sich, obwohl es das Wort genau genommen nicht gibt, sofort etwas vorstellen kann. Betriebliche Auseinandersetzungen verwandeln sich in Ritterschlachten mit tonnenweise Blut und Leichenteilen.
Der ganze Laden wird schließlich, nach dem man leichtsinnigerweise einen alten Aktenschrank aufgebohrt hat, von einer ungeheuren Papierlawine verschüttet. Auch Kritik an der Leitung formuliert Esterházy doch lieber im Modus der unwirklichen Vorstellung: „Wenn ich Chef wär’“, heißt es da litaneiartig, dann „würden die zu spät Kommenden Froschhüpfen auf dem Flur machen / (. . .) / –
würde ich klauen, betrügen, lügen, / – würde ich jedem Feuer unterm Hintern machen. (Es würde nach der Pfeife getanzt; und: die Pfeife würde schön geblasen)“, so geht es über viele Seiten weiter im Stil des sozialistischen Irrealismus.
Das alles ist recht vergnüglich; hat aber dreißig Jahre und einen Systemwechsel später doch das leicht Missliche an sich, dass der Parodie das Parodierte abhanden gekommen ist und man Esterházys Text wie einen Reiter ohne Pferd ein wenig o-beinig durchs Gelände wandeln sieht. Am besten lässt der Leser die ungezählten, unkommentierten Hungarica auf sich beruhen, fragt gar nicht erst, warum an einem Zonenpörkölt mehr das Pörkölt als die Zone problematisch sein soll, und hält sich stattdessen an die vielen schönen Details, die ihre Wurzel oft in einem sehr eigenwilligen Humor haben. Der geht so: „Ihre Frau Mutter war eine Mohrin, nicht wahr? Jawohl Herr Präsident, ich bin ein Mulatte. Sehr richtig, mein Herr; machen Sie weiter so.“
Roman 2 versteht unter Produktion hingegen die dichterische. Hier erweist sich der Autor als so bescheiden, dass er keineswegs selbst über sich und seine Lebensumstände berichtet (zu denen vorzugsweise das Fußballspiel und seine engere wie weitere Familie gehören), sondern die Erzählung einem ergebenen Chronisten überträgt, wie ihn Goethe in Eckermann besaß. Die Tatsache, dass sowohl Peter Eckermann als auch Péter Esterházy die Initialen P.E. aufweisen, ermöglicht es dem Autor, in beide Rollen zugleich zu schlüpfen. „Meine Hauptentschuldigung: er. Ihm diene ich mit meiner ganzen Liebe und was ich sonst noch habe, dem Verstand.“ Das muss man doch insgesamt als einen recht plumpen Trick im Dienst der Selbstbeweihräucherung bezeichnen. Insbesondere dass der damals noch nicht dreißigjährige Romancier durchgehend als „der Meister“ erscheint, beginnt den Leser nach einigen hundert Seiten mit seinem salbungsvollen Klang selbst dann zu verdrießen, wenn er weiß, es ist ironisch gemeint.
Noch mehr als von der ersten gilt von dieser längeren zweiten Hälfte: Man muss sich durch die vielen Einzelheiten entschädigen, um bei der Lektüre auf seine Kosten zu kommen. Niemals wäre P.E. so ungalant zu sagen, jemand sei dick geworden, es muss heißen: „Sein Gürtel kehrte in einem größeren Bogen zu sich selbst zurück.“ Dialoge haben die Neigung, sinnierend zu versacken, was teils dunkle, teils amüsante Resultate zeitigt. „Wissen Sie, mein Freund, ich habe keinen Freundeskreis. Sondern ich sehe meine Freunde wie die halb eingesunkenen Meilensteine am Wegesrand (. . .) Wird hier überhaupt zugehört?“ Aber selbst wenn hier nicht so genau zugehört wurde, so wurde doch auch nichts Wesentliches verpasst, indem es ständig um Anderes und eigentlich um nichts geht und Umständlichkeit als die Höflichkeit des Grafen gilt; denn um einen solchen handelt es sich beim Meister, wenngleich es ihm im kommunistischen Ungarn nichts nützt.
Man hat Zeit; Zeit etwa, um in der Kaffeetasse sechs Zuckerstücke übereinander zu stapeln und dann gespannt zuzuschauen, wie sie schmelzen, nein vielmehr, wie „sich der Kaffee ‚gewalttätig in das Gebäude fraß‘, ein Würfel einknickte, der Turm ins Wanken geriet und in Schwärze versank.“ Wer an solchen weitgehend sprachlich generierten Dramen nicht teilhaben mag, der wird sich wahrscheinlich langweilen. Man möchte jedenfalls dem Literaturredakteur, aus dessen Brief an den Meister zitiert wird, nicht völlig unrecht geben: „wenn sie ihr schreiben ein wenig komprimieren könnten würde das dem schreiben gut tun.“
Ein großes Kompliment sollte man der Übersetzerin Terézia Mora machen. Sie hat Esterházys Sprache in all ihren versonnenen, beleidigten, abwegigen Nuancen auf eine Weise ins Deutsche geholt, die alle Register der alten ambivalenten k.u.k-Schicksalsgemeinschaft zieht. Das reicht viel tiefer als in die zahlreichen Austriazismen, es geht in den Ton ein – jenen „ungarischen Originalton“, den Karl Kraus stets mitzuhören empfahl, wo er halbseidene oder schlitzohrige Zumutungen aus dem Osten des Reichs witterte und zitierte. „Wir bitten um die baldmöglichste Erneuerung des Abonnementpreises, damit sich in der Versendung keine Verspätung einstellt.“ Gegen diese Verspätung in der Versendung lässt sich nichts einwenden, das ist völlig korrekt gesagt; und doch würde ein deutscher Muttersprachler es niemals so ausdrücken. Für solche Dinge hat Mora ein ungeheuer feines Ohr – und ohne ihre Hilfe, diese Vermutung darf man wagen, wäre Esterházys Buch hierzulande verloren gewesen.
Péter Esterházy Péter Esterházy
Ein Produktionsroman
(Zwei Produktionsromane)
Roman. Aus dem Ungarischen von
Terézia Mora. Berlin Verlag,
Berlin 2010. 541 Seiten, 36 Euro.
„Wir sind Mitteleuropäer: unser
Nervenkostüm ist verschlissen,
unser Klopapier hart.“
Man hat Zeit; Zeit etwa, um in
der Kaffeetasse Zuckerstücke
übereinander zu stapeln
Sein „Produktionsroman“ war 1979 ein Attentat auf den sozialistschen Realismus: Péter Esterházy .
Foto: Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Wenn Sie Peter Esterhazy nicht verstehen, befinden Sie sich in guter Gesellschaft: Seine Mutter hat Schwierigkeiten damit, Peter Nadas findet ihn "vertrickst" und Miklos Meszöly ärgerte sich über die "Szenesprache". Auch Rezensent Andreas Isenschmid hat Probleme. Und doch! Seine Besprechung ist eine einzige Werbung dafür, den Versuch zu wagen. Esterhazy trainiert den Gehirnmuskel wie kein anderer, verspricht der Rezensent. "Ein Produktionsroman" erschien in Ungarn 1979 und machte den Autor auf der Stelle berühmt. Die Ungarn liebten dieses Buch, das den Irrsinn der sozialistischen Bürokratie mit den vertracktesten Wortspielen und Anekdoten aufs Korn nahm, erzählt Isenschmid. Esterhazy wollte keine Gesinnungsliteratur schreiben, sondern das System mit ästhetischen Mitteln entlarven. Und das scheint ihm laut Rezensent bestens gelungen zu sein. Übersetzerin und Autorin Terezia Mora hat im Deutschen daran nicht unerheblichen Anteil und ein "fettes Sonderlob" geht an den Berlin Verlag, der den deutschen Lesern die drei Hauptromane Esterhazys zugänglich gemacht hat.

© Perlentaucher Medien GmbH