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"Der beste Kenner eines Landes und seiner Gesellschaft", schrieb einst der große Soziologe Georg Simmel, "ist der Fremde, der bleibt."
Der Autor dieses Buches, ein äthiopischer Prinz, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt,ist ein solcher Fremder. Die europäischen Sitten in ihrer deutschen Spielart sagen mehr über uns, als wir, in unserem Misstrauen gegen die Tradition, gemeinhin glauben. Über die Zähigkeit der Manieren kann man sich wundern, ärgern oder freuen. Radikale Demokraten betrachten sie als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen.…mehr

Produktbeschreibung
"Der beste Kenner eines Landes und seiner Gesellschaft", schrieb einst der große Soziologe Georg Simmel, "ist der Fremde, der bleibt."

Der Autor dieses Buches, ein äthiopischer Prinz, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt,ist ein solcher Fremder.
Die europäischen Sitten in ihrer deutschen Spielart sagen mehr über uns, als wir, in unserem Misstrauen gegen die Tradition, gemeinhin glauben. Über die Zähigkeit der Manieren kann man sich wundern, ärgern oder freuen. Radikale Demokraten betrachten sie als eine Art stillen Skandal, weil sie gegen das heilige Gebot der Gleichheit verstoßen. Andere verteidigen die Höflichkeit gegen ihre Verächter. Fest steht nur, dass sich Manieren nie einwandfrei begründen lassen; sie sind der leibhaftige Anachronismus. Und da kein Mensch und keine Gesellschaft mit sich selber gleichzeitig sein kann, lohnt es sich, intelligent mit ihnen umzugehen.

Manieren ist kein Anstandsbuch. Es liegt dem Autor fern, dem Leser Vorschriften zu machen.Doch die ungeschriebenen Regeln fasst er genau ins Auge. Ist der Handkuss peinlich? Kann man den Spießer loben? Sind Contenance und Diskretion Fremdwörter? Hatten auch die Kommunisten Manieren? Stirbt das Kompliment aus? Wie vulgär ist die Mode? Gibt es Damen und Herren oder nur Männer und Frauen?
Solche und hundert andere Fragen werden hier erörtert.

Autorenporträt
Prinz Asfa-Wossen Asserate, 1948 in Addis Abeba geboren, ließ sich nach der äthiopischen Revolution von 1974 in Deutschland nieder. Er hat in Tübingen und Cambridge studiert und in Frankfurt/M. promoviert. Dort war er auch als Pressechef der Messegesellschaft tätig; heute arbeitet er als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2003

Eine gewisse Schläfrigkeit im Gebaren gehört unbedingt dazu
Mehr als nur ein Buch über „Manieren”: Prinz Asfa-Wossen Asserate schreibt gegen die Häresie der Formlosigkeit an
In dem Maße, wie das Gespür für Formen in Deutschland zurückgegangen ist, hat die Sensibilität für Peinlichkeiten geradezu pathologische Züge angenommen. Die Peinlichkeit ist eine seelische Regung der Angst vor Abweichung. Sowenig die nivellierte Mittelklassegesellschaft ihre eigene Rolle zu umreißen vermag, so sehr fürchtet sie, aus dieser zu fallen. Hier sind die vielfältigen Benimm-Bücher zur Stelle. Sie bergen das Versprechen, wer sie nur gründlich studiert und nichts vergisst, dem könnten einige der überall lauernden Fettnäpfchen der Peinlichkeit erspart bleiben.
Das Buch „Manieren” ist da von anderem Kaliber. Es ist ein Benimm-Buch aus dem Geist nicht der Neurose, sondern der Freiheit. Ein kleines Beispiel: Wo die üblichen Benimm-Bücher ihrem Leser dringend nahelegen, sich keine Unpünktlichkeit zu erlauben, fragt dieses Buch überhaupt nicht nach dem Unpünktlichen, sondern nach denen, die er warten lässt. An ihnen ist es, Delikatesse zu beweisen und den Verspäteten nicht etwa mit einem „Wir haben uns schon Sorgen gemacht” bloßzustellen. Im Miteinander, so ist zu lesen, sollte „eisern die Fiktion aufrechterhalten werden, dass niemand sich aus bösem Willen eine Nachlässigkeit zuschulden kommen lässt. Wer dem Unpünktlichen gegenüber Groll zeigt oder gar zu einer Strafpredigt anhebt, ,hat seinen Lohn schon dahin‘”.
Obwohl der Leser aus diesem Buch allerlei Handfestes etwa über die Konversation oder den Handkuss erfährt, ist es vor allem ein grandioses, sprachmächtiges Sittenbild unserer Zeit. Ein Platzhalter jenes Gesellschaftsromans aus dem Geist eines Balzac oder Proust, den man von der deutschen Gegenwartsliteratur einzuklagen pflegt. Wer Deutschland kennen lernen will, sollte dieses Buch lesen.
Ein wenig fühlt man sich bei der Lektüre an die „Persischen Briefe” erinnert, die im frühen 18. Jahrhundert, anonym publiziert, ein Bestseller in Frankreich waren: Da wurden die Sitten, Gebräuche und Eigentümlichkeiten der französischen Gesellschaft aus der Perspektive zweier persischer Reisender geschildert – und der Blick aus der Distanz schien das Charakteristische des eigenen Landes überhaupt erst treffend erfassen zu können. (Es stellte sich dann natürlich sehr bald heraus, dass Montesquieu der Verfasser der Briefe war.)
Fast ein solcher Perser ist auch der Autor der „Manieren”. Prinz Asfa-Wossen Asserate, 1948 in Addis Abeba geboren, ist der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers. Am kaiserlichen Hof durch seine österreichische Erzieherin Louise Haunold früh mit der deutschen Sprache vertraut, studierte der Prinz Jura und Geschichte in Tübingen, und als 1974 die Revolution das Kaiserhaus stürzte (und seine Verwandtschaft hingerichtet oder hinter Gitter gesperrt wurde), blieb er in Deutschland. Wo er seither lebt – als Unternehmensberater in Frankfurt.
Dass „Manieren” einen Autor von Stand hat, passt ausgezeichnet zum kulturhistorischen Fundament des Buches: „Die europäische Auffassung über das, was schön und angemessen ist im Umgang der Menschen miteinander, hat der Adel formuliert.” Seit der französischen Revolution versuchte das Bürgertum weniger den Adel abzuschaffen, als ihm durch Nachahmung ebenbürtig zu werden. Das hat bis heute die köstlichsten Absetzungspirouetten zur Folge. Was das Bürgertum adaptiert, muss der Adel (in diesem Buch stets als „Schöne Welt” apostrophiert) um des Distinktionsvorsprunges willen preisgeben. Hier hat dieses vergnügliche Buch seine vergnüglichsten Stellen, etwa die über das Kopfabwenden beim Naseputzen: „In Deutschland stellte ich fest, dass die Schöne Welt, in ihrem Eifer, sich von den um gute Formen bemühenden Kleinbürgern abzugrenzen, nun gerade dies Kopfabwenden in Acht und Bann getan hat. Die Putz- und Schnaub-Prozedur wird von den eleganten Leuten en face zum Gegenüber erledigt, und in Milieus, in denen über solche Erkennungszeichen Buch geführt wird, schießen die Blicke hin und her, wenn der unschuldsvolle und zugleich erkältete Aufsteiger rücksichtsvoll seine Nase aus dem Gesprächskreis entfernt, um sie zu schneuzen.”
Immer auf der Sesselkante
Seit in bürgerliche Milieus durchgesickert ist, dass man sich an Adelstischen keinen „Guten Appetit” wünscht, dürfte dieser Formel in der Schönen Welt eine baldige Renaissance vorauszusagen sein. Man sieht: Die Distinktionsschraube ist von raffinierter Unendlichkeit, aber auch ein wenig eitel im alten Sinne – und Prinz Asserate beobachtet diese eher spielerischen Exzesse mit amüsierter Distanziertheit.
Wie alle Wahrheiten sind auch die vollendeten Manieren auf ein Paradox gebaut, das man nicht auflösen, sondern nur leben kann: Einerseits ist der Kern der Manieren Aufmerksamkeit. Alles hat der Mensch von Manieren im Auge. Schnell prägt er sich Namen (und Titel) ein, kennt die Eigentümlichkeiten seiner Mitmenschen, „um sie mit Schonung und Behutsamkeit behandeln zu können”, er sitzt gewissermaßen „auf der Sesselkante, immer bereit aufzuspringen”. Überhaupt das Aufstehen: „Wer, wenn irgendeine Hilfe erforderlich ist, zunächst einen Augenblick lauert, ob sich nicht jemand anders eher erhebt, hat schon verloren.” Andererseits gibt es keinen Stil ohne Nachlässigkeit, ohne Nonchalance, Zerstreutheit und Desinvolture. Ja, eine gewisse Schläfrigkeit im Gebaren gehört unbedingt dazu. Der Nachlässige führt die Dinge beiläufig aus, er lebt in freundlicher Distanziertheit, engagiert sich nicht in starken und lauten Meinungen und bringt kaum je Spuren von Neugier auf. „Sein Interesse erwacht nur, wenn es um wirklich vollständig Marginales geht” – die Ergebnisse des Hunderennens zum Beispiel.
Die Schöne Welt kreist um zwei Figuren: Die Dame und den Herrn. Die „Erfindung der Dame” ist geradezu das Herz der europäischen Manieren. Die Dame ist zugleich Herrin und schwach. Sie „fordert nichts und erhält alles”. Die ganze Gesellschaft ist auf die Dame bezogen, die wiederum diese Verehrung ein wenig zerstreut entgegennimmt. In ihrer Gegenwart verstummen „alle Formen von Insistieren, Rechtbehalten und Laut- und Penetrantsein”. Sie kann sich alles erlauben, solange sie damenhaft bleibt, wird sie ihre Unschuld nie verlieren. Das Idealbild ist Helena: „Was sie an Krieg und Zerstörung auslöste, ließ sie unversehrt; aus einem Bett ins andere gelangte sie jungfräulich.”
Ihr gegenüber steht der Herr, der Grandseigneur. Man erkennt ihn daran, dass er in jeder Gesellschaftsschicht sofort als solcher erkannt wird. Anders als es das Ideal des Understatements erwarten lässt (dem Prinz Asserate ohnehin misstrauisch gegenübersteht – es ist ihm wohl beides: zu verdruckst und zu aufgesetzt), kennt der Herr die große Geste, auch das leicht Demonstrative. Die „anarchische Kraftgebärde” gehört zu ihm, er ist verschwenderisch, nie käme er auf die Idee, etwas durchzurechnen, er hat kein Portemonnaie („das Geld klimpert bei ihm in der Hosentasche”), aber dafür die „Fähigkeit, große Verluste mit Fassung zu tragen.”
Am anderen Ende der Manieren steht die Vulgarität: nicht am anderen Ende der Schönen Welt, sondern knapp drunter. Nicht die Geschmacklosigkeit des Gelsenkirchener Barock (die ohne Anspruch daherkommt) ist vulgär, sondern die Prätention des schwitzenden Aufsteigers: „Vulgär ist es, jeden Gegenstand allein auf seinen Signalwert in der gerade herrschenden Mode anzusehen.” Der Vulgäre verkennt sofort den Rang, sobald die äußeren Insignien fehlen. Er ist auftrumpfend und konditioniert von dem Gefühl, stets ein Recht auf etwas zu haben. Dabei weiß im geheimen doch jeder, „dass er allenfalls das Recht auf einen Tritt in seinen Hintern besitzt. Dies Wissen zum Schweigen gebracht zu haben, ist sicheres Anzeichen von Vulgarität.”
Fraglos: Dieses Buch nimmt seine Maßstäbe aus einer größeren Zeit. Gleichwohl, versichert Prinz Asserate, sei vieles davon, zumindest als regulative Idee, in Adelskreisen durchaus noch lebendig – wenn es auch wie aus einem anderen Jahrhundert herüberzureichen scheint. Natürlich ist das Ganze auch ein Klamauk, eine Maskerad’, Aufforderung zum Rollenspiel. Wie Don Quixote, „der ritterlich sein wollte, obwohl es schon lange keine Ritter mehr gab”, darf der Leser sich ins Kostüm der Manieren werfen. Folgte nicht auf Don Quixote das goldene Zeitalter der spanischen Kunst?
IJOMA MANGOLD
ASFA-WOSSEN ASSERATE: Manieren. Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 330 Seiten, 27,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2003

Manieren
Prinz Asfa-Wossen Asserates Buch als Vorabdruck in der F.A.Z.

Mit Manieren verhält es sich ähnlich wie mit gutem Geschmack: Jeder meint, sie zu besitzen. Bedauerlicherweise sind viele der Auffassung, gerade deshalb auch ohne sie auskommen zu können. Das Wissen um das, was sich schickt, und die Befolgung dieser Erkenntnis sind eben zweierlei. Jedes Verhalten verrät jedoch nicht nur etwas über das Individuum, das glaubt, einzig seinem persönlichen Gusto nach zu handeln, sondern ebensoviel über den Proteus Mentalität. Fremdländischen Beobachtern fallen Besonderheiten und Eigenarten eines Volks von jeher stärker auf, und oftmals vermögen sie diese treffender und geistreicher zu beschreiben als Einheimische - man denke nur an den Ungarn Georg Mikes und seinen famosen, geradezu klassischen England-Führer "How to be an Alien".

Nun tritt aus unserer Mitte ein Prinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus, ein Aristokrat, dessen Muttersprache Amharisch ist, der jedoch seit fast drei Jahrzehnten in Deutschland lebt und arbeitet, und schreibt ein Buch über europäische, aber vor allem deutsche "Manieren": nicht etwa einen der notorischen Benimm- oder Verhaltensführer, sondern eine kulturhistorische Erzählung darüber, wer wir sind und wie wir uns darstellen - und was dies über uns aussagt. Prinz Asserate schildert dies ganz ohne Überheblichkeit und Besserwisserei, dafür mit Kenntnis, Leidenschaft und jener exakt dosierten Prise Snobismus, ohne die ein solches Unterfangen jämmerlich scheitern müßte. Der Kinderspruch, man zeige nicht mit nacktem Finger auf angezogene Leute, findet in seinem Buch, das wir von heute an vorabdrucken, die literarische Entsprechung, entstammt Prinz Asserates Spurensuche doch nicht nur persönlichem Erleben, sondern auch forschender Lektüre in Werken von Goethe oder Thomas Mann, La Rochefoucauld und Proust, Wilde und Chesterton, Cervantes und Gracián.

Dem Großneffen des Kaisers Haile Selassie, der 1948 in Addis Abeba zur Welt kam und sich nach der Revolution von 1974 in Deutschland niederließ, geht es um viel mehr als Anstand oder Etikette, wenngleich er seine Leser subtil auch darüber zu unterrichten versteht ("Zum Understatement gehört, daß etwas da ist, was herunterzuspielen sich lohnt"). Doch neben Kapiteln, die sich mit den Gepflogenheiten von Handkuß, Geschenken und Lob, Pünktlichkeit, Anreden oder Anzeigen befassen, stehen solche, in denen so schwer greifbare Begriffe wie Ehre, Würde und Contenance ebenso glänzend wie amüsant verhandelt und eingeordnet werden.

Oscar Wilde, Doyen der Lebenskunst an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert, verfügte, daß in wichtigen Angelegenheiten Stil, nicht Aufrichtigkeit entscheidend sei - eine Maxime, die unsere auf Äußerlichkeiten bedachte Gesellschaft längst verinnerlicht hat. Hundert Jahre später zeigt Prinz Asserate, daß vorbildliches Benehmen per se stilvoll ist, ohne darum an Aufrichtigkeit einzubüßen - denn im Zweifel ist auch Desinteresse aufrichtig.

Seine "Manieren" sind wahrhaft elegant - geschrieben in herrlichem Deutsch, humorvoll, gelehrt und unterhaltsam, von dezidiert persönlichem Charme und geradezu universellem Reiz: ein Buch, dessen Lektüre man jedermann anraten möchte. Und so mag der Band eines Aristokraten mit exotisch anmutendem Namen das Werk mit dem größten demokratischen Reiz sein, das je in dieser Zeitung vorabgedruckt wurde.

FELICITAS VON LOVENBERG

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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