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An einem Sommertag im Jahre 1979 geht der neunjährige Suleiman mit seiner Mutter auf dem Markt in Tripolis, der Hauptstadt Libyens, einkaufen. Das machen die beiden oft, wenn der Vater auf Geschäftsreise. In den Nächten trinkt sie dann viel von ihrer "Medizin", die sie beim Bäcker unterm Ladentisch kauft und raucht Kette. Sie erzählt Suleiman dann Dinge, von denen der Junge gar nichts wissen sollte, zum Beispiel, wie sie als 14-jähriges Mädchen auf Beschluß ihrer männlichen Verwandten, an seinen wesentlich älteren Vater verheiratet worden ist, um die Ehre der Familie zu retten. Man hatte sie…mehr

Produktbeschreibung
An einem Sommertag im Jahre 1979 geht der neunjährige Suleiman mit seiner Mutter auf dem Markt in Tripolis, der Hauptstadt Libyens, einkaufen. Das machen die beiden oft, wenn der Vater auf Geschäftsreise. In den Nächten trinkt sie dann viel von ihrer "Medizin", die sie beim Bäcker unterm Ladentisch kauft und raucht Kette. Sie erzählt Suleiman dann Dinge, von denen der Junge gar nichts wissen sollte, zum Beispiel, wie sie als 14-jähriges Mädchen auf Beschluß ihrer männlichen Verwandten, an seinen wesentlich älteren Vater verheiratet worden ist, um die Ehre der Familie zu retten. Man hatte sie allein mit einem Jungen im Kaffeehaus gesehen. Diese Schande mußte abgewendet werden, und so wurde das Mädchen Najwa, das ganz andere Pläne für die Zukunft hatte, von einem Tag auf den anderen Ehefrau und bald auch Mutter. Der schwärzeste Tag ihres Lebens sei das gewesen, flüstert sie ihrem Sohn in diesen Nächten zu, sagt aber auch: "Wir sind zwei Hälften derselben Seele, zwei offene Seiten desselben Buchs." Während Suleiman ihren Geschichten lauscht, während er versucht, sie zu beschützen, da er mit ihr allein und "der Herr im Haus" ist, malt er sich immer wieder aus, wie er seine Mutter hätte retten können.
Auf dem Markt sieht Suleiman seinen Vater, obwohl er sich angeblich im Ausland aufhält. Er trägt eine Sonnenbrille, geht an Suleiman vorbei, ohne ihn zu bemerken und verschwindet in einem Haus am Märtyrerplatz. Als er später zu Hause anruft, behauptet er, weit weg zu sein. Suleiman versteht nicht, warum ihn seine Eltern belügen. Auch auf der Straße vor dem Haus, wo er immer mit den Nachbarsjungen spielt, hat sich alles verändert. Karim, sein bester Freund, steht seit einer Woche nur am Rand oder kommt gar nicht mehr heraus. Seit dem Tag, an dem Karims Vater Ustath Raschid von vier Männern mit einem weißen Auto abgeholt worden ist. Es heißt, Ustath Raschid sei ein Verräter. Und Suleiman soll sich von Karim fernhalten.
Autorenporträt
Hisham Matar wurde 1970 in New York City geboren; seine Eltern stammen aus Libyen. Er wuchs in Tripolis und, nach der Emigration der Familie, in Kairo auf. Seit 1986 lebt Hisham Matar in London. Hisham Matars Debüt, das in 22 Sprachen übersetzt ist, wurde für die Shortlist des Man Booker Prize 2006 und des The Guardian First Book Award nominiert. 2007 wurde Hisham Matar ausgezeichnet mit dem Royal Society of Literature Ondaatje Prize, dem Commonwealth Writers' Prize, dem Premio Vallombrosa Gregor von Rezzori, dem Premio Internazionale Flaiano und dem Arab American Book Award. Im Jahr 2013 erhielt er den Blue Metropolis Al Majidi Ibn Dhaher Arab Prize.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2007

Wenn Gaddafi den Schalter umlegt
Libyen von innen: Hisham Matars Roman „Im Land der Männer”
Die Menge johlt, als der Gehenkte am Strick noch einen Moment lang wie ein Fisch in der Luft zappelt. Schon ist sie nicht mehr zu bändigen, stürmt das Stadion, Einzelne klammern sich dem Verräter an die Füße, doch ihre Wirkung entfaltet diese Hinrichtungsszene, die zugleich Schlüsselszene von Hisham Matars Libyen-Roman „Im Land der Männer” ist, erst in der unheimlichen Stille, die ihr folgt. Wie abwesend starren Musa, der politisch Verbündete des Opfers, Najwa, die Nachbarin, und Sluma, ihr neunjähriger Sohn und zugleich Erzähler des Romans, auf den Bildschirm, auf dem jetzt nur noch das Standbild einer rosafarbenen Blume zu sehen ist – Anzeichen dafür, dass der Große Revolutionsführer Gaddafi genug gesehen und den Schalter umgelegt hat, mit dem er Übertragungen nach Gutdünken unterbrechen kann. Es ist diese fassungslose Schockstarre der Intellektuellen im Libyen der siebziger Jahre, in dem Gaddafi gleichsam den Schalter umlegt, das er gleichschaltet, welche Matar mit Gespür für die Zwischentöne aufzeichnet. Trotz rasender Mobs, Folter und Hinrichtungen ist sein Libyen ein Land im Flüsterton.
Da ist nicht nur die unheimliche Stille des absurd harmlosen Standbilds, das eingeblendet wird, wenn ein „Verräter” bei einem öffentlichen Verhör die falsche Antwort gibt, so lange, bis er zur richtigen geprügelt worden ist. Da ist der Sprecher im Hintergrund, der dem Kameramann Weisungen für die Inszenierung des Schreckens zuraunt, leise, bestimmt und für das Fernsehpublikum doch zu hören. Da sind die Stimmen der anderen in der überwachten Telefonleitung. Es sind die Stimmen der Einflüsterer eines Überwachungsstaates, die gerade deshalb so unheimlich sind, weil sie sich vom unterdrückten Flüstern der Geschundenen und Verfolgten kaum unterscheiden. Und da ist die zurückgehaltene Stimme des Erzählers selbst, der sich Jahre später an den Jungen von neun Jahren zu erinnern versucht, welcher er in den Revolutionswirren war, die Stimme eines Erzählers, der in sich hineinhorcht und sich alles Laute verbietet.
„Im Land der Männer” ist ein stilles Buch über eine lärmende Zeit. Dass Matar die Revolution dabei aus der Perspektive eines Neunjährigen beschreibt, ist ein Glücksfall. Denn Slumas Perspektive ist unsere: Begriffsstutzig stehen wir wie er den Geschehnissen gegenüber, bevor uns wie ihn die Ahnung um den Terror beschleicht. So versteht er nicht recht, warum das weiße Auto den freundlichen Professor von gegenüber abholt und hofft, wie der Leser, es möge eine Verwechslung sein – bis die Hinrichtung alle Illusionen zerstört, seine, unsere, die einer ganzen Generation libyscher Studenten, die von mehr Demokratie träumen.
Zugleich verstört diese Perspektive, denn sie zeigt eine irritierende Parallelität der Grausamkeiten. Während Libyen unter der Gewalt der Revolutionsgarden erzittert, erschrickt Sluma über die eigene Grausamkeit: die Bedenkenlosigkeit, mit der er den verwaisten Nachbarsjungen verhöhnt, den Steinwurf auf einen behinderten Freund, seine Gleichgültigkeit einem ertrinkenden Bettler gegenüber. Gewiss, dies ist die Grausamkeit von Kindern. Und doch verstört sie, zeigt sie doch, dass die Grausamkeit der Folterer sich nur graduell von der des Alltags unterscheidet.
Matar zeigt uns einen Jungen, innerlich zerrissen wie sein Land. Wenn dieser, anders etwa als Salman Rushdies Saleem Sinai in „Mitternachtskinder”, dennoch nicht recht zum Symbol seines Landes taugt, dann liegt das daran, dass Matar sich sowohl dem grand récit als auch der flamboyanten Metaphorik, die Einzel- und Gemeinschaftsschicksal in eins setzt, verweigert. Matar, der selbst im Tripolis der Siebziger aufgewachsen ist und es mit diesem Buch auf die Shortlist des Man-Booker-Preises geschafft hat, ist kein schillernder Fabulierer wie Rushdie, eher ein zurückhaltender Chronist des Privaten wie J. M. Coetzee, der uns jedoch gerade durch die intime, unschuldige Perspektive die Schrecknisse eines Terrorregimes nachempfinden lässt, von dem wir so wenig wissen. Noch heute ist Libyen ein weißer – oder schwarzer – Fleck auf der Landkarte des öffentlichen Bewusstseins, ein Land, das man mit dem Lockerbie-Anschlag in Verbindung bringt und willkürlich verhängten Todesstrafen an bulgarischen Krankenschwestern. Dass dieses Libyen, das Libyen Gaddafis, nicht das Land der Libyer ist, ist eine einfache Wahrheit, an die Matars Roman ebenso nachdrücklich wie still erinnert.RALF HERTEL
HISHAM MATAR: Im Land der Männer. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Luchterhand, München 2007. 256 Seiten, 19,95 Euro.
Hisham Matar, 2006 nominiert für den Booker Prize Foto: AFP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Angela Schader zeigt sich fasziniert von Hisham Matars Debütroman über Libyens Regime des Muammar Gaddafi. Ungewöhnlich scheint ihr die Perspektive des Romans, in dem ein neunjähriger Junge im Mittelpunkt steht, der die Ereignisse des Jahres 1979 in Tripolis verfolgt. Problematisch wird das Ganze für Suleimann, als er entdeckt, dass sein Vater, offiziell auf Geschäftsreise, etwas mit der Verhaftung seines Nachbarn zu tun hat, während ihm seine Mutter, eine Alkoholikerin, im Suff immer wieder die Verantwortung aufbürdet, sie zu retten. Die Beschreibungen der blutigen Spur der Staatsgewalt, aber auch der Schikanierungen und Spitzelei unter Nachbarn wirken auf Schader überaus eindringlich. Besonders hebt sie hervor, wie Matar seine Hauptfigur führt. So erscheine Suleiman keineswegs nur hilf- und wehrlos dem Entsetzlichen ausgesetzt. In diesem Zusammenhang verweist sie auch auf eine "subtile Variation" des Sündenfallmotivs, das den Roman durchzieht. Matars Roman zeigt für sie in "schockierenden" Einblendungen nicht nur die malträtierten Leiber, sondern auch die "seelischen Entstellungen", die das System den Menschen zufügt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein meisterhafter politischer Roman. Ein Ausnahmeroman. Bewegend bis zum Herzzerreissen." Neue Zürcher Zeitung