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Eine literarische Sensation: Der Komponist Sergej Prokofjev als begnadeter Erzähler!
In der Wohnung Sergej Eisensteins fand der Gitarrist Lucian Plessner in einer vergilbten Zeitschrift Erzählungen des großen Komponisten Sergej Prokofjev und landete damit eine literarische Sensation: Lange war nicht bekannt, dass der Komponist auch schriftstellerisch tätig war. Auf seinen unzähligen Reisen schrieb er humorvoll-skurrile Geschichten, die die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit aufs Korn nehmen: Da begibt sich der Eiffelturm aus Sehnsucht nach dem Turm der Türme auf Wanderschaft nach…mehr

Produktbeschreibung
Eine literarische Sensation: Der Komponist Sergej Prokofjev als begnadeter Erzähler!

In der Wohnung Sergej Eisensteins fand der Gitarrist Lucian Plessner in einer vergilbten Zeitschrift Erzählungen des großen Komponisten Sergej Prokofjev und landete damit eine literarische Sensation: Lange war nicht bekannt, dass der Komponist auch schriftstellerisch tätig war. Auf seinen unzähligen Reisen schrieb er humorvoll-skurrile Geschichten, die die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit aufs Korn nehmen: Da begibt sich der Eiffelturm aus Sehnsucht nach dem Turm der Türme auf Wanderschaft nach Babylon, ein eitler Offizier und ein verliebter Maler wetteifern um eine Frau und legen sich dafür mit Schopenhauer an, oder ein Ingenieur verliert seine Frau und den Verstand. In seinem erzählerischen Werk, das hier vollständig vorliegt, spiegeln sich Prokofjevs Vorliebe für märchenhafte Stoffe, Zeiteinflüsse wie Dada und Surrealismus, aber auch die russische Erzähltradition eines Dostojewski, Gogol oder Tschechow.

Ausstattung: Mit 11 Illustrationen
Autorenporträt
Sergej Prokofjew, geboren 1891 in der Ukraine. Sergei Sergejewitsch Prokofjew schrieb bereits als Fünfjähriger erste Kompositionen. Mit zwölf Jahren trat er ins St. Petersburger Konservatorium ein und machte sich als Komponist und Pianist bald einen Namen. Sergei Sergejewitsch Prokofjew war zwei Mal verheiratet; seine zweite Ehefrau war Mira Mendelson. Am 5. März 1953 starb er in Moskau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2012

Adele. Oder Lili. Oder Marie

Der Komponist Sergej Prokofjew hat in der Mitte seines Lebens plötzlich damit begonnen, Novellen zu schreiben. Warum?

Von Boris Pasternak ist bekannt, dass er nebenbei auch Sonaten komponiert hat. Sehr russische Sonaten, viel Skrjabin darin. Es ist aber eine echte Überraschung, zu hören, dass Sergej Prokofjew, fast gleich alt, eine Zeitlang nebenbei auch Novellen verfasst hat. Prokofjew studierte am Petersburger Konservatorium und Pasternak, wenn auch nur kurz, im Moskauer. Wer einmal das Glück hatte, eine seiner Kompositionen zu hören, beispielsweise die frei durch alle möglichen entfernten Tonarten vagabundierende h-Moll-Sonate, wird es vielleicht bedauern, dass dieser junge Dichter die Musik so früh wieder an den Nagel gehängt hat. Etwas ganz anderes ist es mit den elf jetzt ans Licht getretenen Erzählungen von Prokofjew.

Es sind sehr russische Geschichten. Grotesken, Parabeln, Albtraumgeschichten. Lehnen sich frech und direkt an die bekannten, breiten russischen Dichterschultern an, Gogol, Tschechow, Puschkin, überall blitzen Vorbilder durch bei diesen literarischen, nun, nennen wir sie, Jugendsünden, obwohl: Als er diese Geschichten aufschrieb, war Sergej Prokofjew schon um die dreißig, also kein ganz junger Mann mehr.

Entstanden sind sie zwischen 1917 und 1921, sie liegen jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vor. Etliche, darunter die drei Fragmente, werden hiermit überhaupt zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, allein dies sei, meint der Verlag, eine Sensation. Ist es sicher auch, nämlich für Prokofjews Biographen. Schon der Bericht im Nachwort darüber, wie diese Geschichten wiederentdeckt wurden, von denen doch vorher niemand etwas ahnte und worüber Prokofjew selbst in seinen Erinnerungen nichts mitteilt, klingt wie schlecht erfunden. Es kann sich deshalb eigentlich nur um eine nackte Wahrheit handeln.

Und die geht so: Ein junger Konzertgitarrist aus Köln (Prokofjew, der im Fach Instrumentation sonst glänzte, hat im Übrigen nie etwas für Gitarre geschrieben) erhält Mitte der Neunziger durch gute Bekannte freien Zutritt zu der als Museum hergerichteten Wohnung von Sergej Eisenstein (Prokofjew komponierte, allerdings erst in den Vierzigern, die Musik zu Eisensteins nationalen Filmepen "Iwan der Schreckliche" und "Alexander Newski"). Dieser Konzertgitarrist, er heißt Lucian Plessner, feiert also gemeinsam mit seinen Bekannten nachts eine After-Concert-Party in Eisensteins Wohnzimmer und findet dort, gleich an der richtigen Stelle aufgeschlagen, eine "vergilbte Musikzeitschrift aus der Sowjetzeit", mit drei der Prokofjewschen Erzählungen. Wie diese Zeitschrift heißt, welche Erzählungen es im Einzelnen waren, teilt Plessner nicht mit, nur so viel: Sie hätten ihn "nachhaltig beeindruckt". Trug dann zusammen, was sonst noch an belletristischen Erzeugnissen von Prokofjew zu finden war, übersetzte und veröffentlichte es.

Geschrieben habe Prokofjew die Novellen, mutmaßt Plessner, wohl auf tagelangen Eisenbahnfahrten, manche stünden auch deutlich unter dem Einfluss der Reiselektüre, die er mit sich führte. Zum Beispiel habe er, auf der achtzehntägigen Fahrt von Petersburg nach Wladiwostok im Mai 1918, ein Archäologiebuch dabeigehabt, das über Ausgrabungen in Babylonien berichtet, was sich niederschlug in der Titelgeschichte dieser Edition.

Da will der Tour Eiffel in Paris plötzlich, von einem Altertumskundler mit einem magischen Zauber belegt, einen Ausflug machen nach Mesopotamien, um dort seinen berühmten alten Kumpel zu besuchen, den Turm von Babel. Warum der Eiffelturm das tut, warum er am Ende, nachdem ihn erst das Mittelmeer, dann die Alpen, schließlich die deutsche Artillerie unter dem Kommando eines gewissen "General von Magenschmerzen" aufzuhalten versucht hatten, doch wieder gedankenpfeilschnell nach Paris zurückkehrt, das bleibt im Dunkeln.

Andere Geschichten warten mit bekanntem Personal auf: Die kleine Tanja, die von der Erwachsenenwelt, speziell vom großen Bruder, veralbert wird, davonläuft und im Wald einen freundlichen Fliegenpilz kennenlernt, der sie dann durch ein Erdloch schleust und einlädt in sein unterirdisches Reich, ist natürlich eine russische Kusine der Wunderland-Alice von Lewis Carroll. Überzeichnete Spießer-Karikaturen wie die der Kleinstadt-Honoratioren in der unvollendet gebliebenen Novelle "Verwerfliche Leidenschaft" kennt man von Wilhelm Hauff, spielsüchtige Grafen, die sich zu Tode duellieren, oder wichtige Menschen, die eines Morgens feststellen, dass ihnen ein Teil der Welt fehlt, von Gogol. In einer Story spielt der Pudel Schopenhauers eine ziemlich laute Rolle, eine andere Geschichte, mehr kafkaesk, paraphrasiert die tägliche Hölle der Bespitzelungen und Beförderungen, wieder eine andere, ebenfalls unvollendet, erzählt von der Käuflichkeit alles Schönen, insbesondere schöner Frauen, die "furchtbar süß" sind und rätselhaft lächeln und Adele heißen oder Marie oder Lili. Ja, so flach hält Prokofjew den Ball seiner dichterischen Einfälle, dass er oftmals an der finalen Pointe glatt vorbeischießt. Warum hat er diese Geschichten dann überhaupt geschrieben? Ausgerechnet in dieser Zeit! Zum Zeitvertreib? Zur Selbstverständigung? Als eine Art sublimes Tagebuch?

Zwischen 1917 und 1921 saß Prokofjew, wie übrigens öfters in seinem Leben, zwischen den Stühlen. Er verließ seine revolutionäre Heimat, wo die Bolschewiki sich mit den Menschewiki bekriegten, er wollte Fuß fassen in New York oder Paris. Es gibt eine Zeichnung von Henri Matisse, die ihn 1919 zeigt als einen schmalen Menschen, dandyhaft, elegant, mit glühendem Blick und messerscharfen Zügen. Später wird sein Gesicht dann wieder breiter, weicher. Aber streng, ja, eisern, schaut er immer.

Prokofjew war ein ernsthafter und ungeheuer produktiver, aber kein witziger Mensch. Sofern es so etwas gibt wie musikalische Ironie, etwa im Sinne überraschender Volten (wie bei Mozart) oder doppelte Böden (wie bei Mahler), muss man klar festhalten: Die Musik Prokofjews ist, bei all ihren lyrischen Schönheiten und in all ihrer Wucht, eine entschieden ironiefreie Zone. Warum sollte er also plötzlich witzig werden ausgerechnet in der Gastrolle als Dichter?

Fotos, auf denen dieser stets hervorragend organisierte und diszipliniert arbeitende Komponist, der akribisch Tagebuch führte, sich ein Lächeln gestattet oder sonst wie in Bewegung gerät, haben Seltenheitswert. Nur mit der Sängerin Carolina Codina, genannt Lina, die er 1918 in New York kennenlernt und drei Jahre später im bayerischen Ettal heiratet, muss Prokofjew viel gelacht haben. Und das Verrückte ist: Er hat dieser fröhlichen Frau, an der so gar nichts Rätselhaftes zu sein scheint, offenbar schon ein literarisches Denkmal gesetzt, bevor er sie zum ersten Mal sah.

"Missverständnisse kommen vor" heißt diese Erzählung, die zwar auch schon wieder eine etwas lahme Pointe hat, aber sprachlich doch zu den besseren gehört. Die Frau, um die es geht, heißt nicht Lina oder Lulu, sondern Lili. Sie tut lange gar nichts, außer, dass sie "furchtbar süß" ist und fröhlich ihren blauen Schal wehen lässt. Am Ende verlässt sie ihren krankhaft eifersüchtigen Mann, der ihr im Traum einen Seitensprung andichtete und sie infolgedessen auch im Wachsein schlecht behandelt. Das ist schon alles.

Im wahren Leben verlässt dann nicht sie ihn, sondern er sie. 1936 geht Prokofjew zurück nach Russland, mit ihm Frau und Söhne. Im selben Jahr erscheint in der Prawda der Artikel "Chaos statt Musik", womit die Hetze gegen Schostakowitsch beginnt. Und wieder sitzt er, äußerlich gut sortiert, zwischen allen Stühlen. Auch Prokofjew wird fortan abwechselnd geehrt für seine Kompositionen oder abgestraft unter Formalismusverdacht. 1941 nimmt er sich eine jüngere Frau. 1947 wird Lina Prokofjew verhaftet und unter dem Vorwurf der Spionage zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt. Ihr Ex-Mann ist machtlos, er kann ihr nicht helfen.

Auch in anderen Details dieser Erzählungen spiegelt sich Biographisches. Zum Beispiel: Der amerikanische Ölmagnat Charles H. McIntosh, der sich mit einer echten Pharao-Mumie über Sanskrit-Legenden verständigen muss, die er, gute Idee, sofort käuflich erwerben und einem Museum spenden will. Mit dieser Figur bedankt sich Prokofjew bei seinem Förderer, dem Landmaschinenmillionär McCormick, der ihm mit großzügigen Geldspenden die Entstehung der Oper "Die Liebe zu den Drei Orangen" ermöglicht hat. Es gibt gewiss noch viel mehr solcher Schlüsselstellen, die interessant sein mögen oder vielleicht sogar aufschlussreich in biographischer Hinsicht, und zwar für diejenigen, die den Schlüssel dazu haben: die Prokofjew-Experten. Immerhin.

ELEONORE BÜNING

Sergej Prokofjew: "Der wandernde Turm. Die Erzählungen". Hrsg. und mit einem Nachwort von Lucian Plessner. Aus dem Russischen von Lucien Plessner und A. Kravtsova. Edition Elke Heidenreich bei Bertelsmann, 192 Seiten, 19,99 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Hingerissen folgt Rezensent Daniel Jurjew in Prokofjevs Erzählungen nicht nur einem wanderlustigen Eiffelturm nach Mesopotamien, er lauscht auch den Gesprächen zwischen einem Fliegenpilz und einem Mädchen. Es sind fantasievolle, witzige und zum Glück nicht durcherklärte Geschichten, notiert der Rezensent, in denen Traum und Realität nicht immer ohne weiteres zu trennen sind, was wohl auch, so Jurjew, mit ihrer Entstehungszeit, den Jahren 1917 bis 1921 und ihrer "existenziellen Unsicherheit" zusammenhängen mag. Glück war auch bei der Hebung dieses Schatzes der russischen Phantastik im Spiel: Nur durch Zufall wurde er im Archiv von Sergej Eisenstein entdeckt, weiß der Rezensent zu berichten.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Mit seinen frühen Erzählungen wird ein kleiner Schatz gehoben, trefflich übersetzt von Lucian Plessner und vignettenhaft illustriert von Babette Klingenberg. Schöne Bizarrerien." Die Welt