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Die Frühe Neuzeit war das Zeitalter des Geheimnisses. Selten zuvor und niemals danach hat es in der europäischen Geschichte eine solche Faszination für Geheimnisse und Geheimhaltung gegeben. Dennoch ist dieser Bereich der Wissenschafts- und Kulturgeschichte bisher nur wenig erforscht. Ausgehend von der jüdischen Geschichte entwirft Daniel Jütte eine Geschichte des Geheimnisses. Er rekonstruiert den Markt für Geheimnisse und zeigt, dass die jüdische Minderheit auf diesem Feld eine überragende Rolle spielte. Die Studie bringt nicht nur neue Erkenntnisse für die jüdische Geschichte, sondern auch für die allgemeine Wissenschafts- und Kulturgeschichte.…mehr

Produktbeschreibung
Die Frühe Neuzeit war das Zeitalter des Geheimnisses. Selten zuvor und niemals danach hat es in der europäischen Geschichte eine solche Faszination für Geheimnisse und Geheimhaltung gegeben. Dennoch ist dieser Bereich der Wissenschafts- und Kulturgeschichte bisher nur wenig erforscht. Ausgehend von der jüdischen Geschichte entwirft Daniel Jütte eine Geschichte des Geheimnisses. Er rekonstruiert den Markt für Geheimnisse und zeigt, dass die jüdische Minderheit auf diesem Feld eine überragende Rolle spielte. Die Studie bringt nicht nur neue Erkenntnisse für die jüdische Geschichte, sondern auch für die allgemeine Wissenschafts- und Kulturgeschichte.
Autorenporträt
Dr. Daniel Jütte, Historiker, ist Junior Fellow der Harvard Society of Fellows. Für die seinem Buch über die Geschichte des Geheimnisses zugrunde liegende Dissertation wurde er mit dem Bruno-Heck-Wissenschaftspreis 2010/2011 der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie mit dem Promotionspreis der European Society for the Study of Western Esotericism ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2012

Geschäfte mit dem
Geheimen
Frühe Neuzeit: Daniel Jütte
erkundet den Markt für das Arkane
Geheimniskrämerei war einst ein florierender Wirtschaftszweig. In der Frühen Neuzeit war der Handel mit geheimem Wissen ein großes Geschäft. Der Markt für geheime Produkte und Rezepte umfasste fast alles, Porzellan, Glas, Metalle, Geschütze und Schießpulver, Arzneien, Parfüm und Gifte. Kostbares Wissen war arkan und musste gehütet werden – sonst war es nichts wert. Naturforscher, Alchemisten, Mediziner und Ingenieure warben für ihr Wissen mit dem Hinweis auf dessen geheimen Charakter.
In einem wunderbaren Buch erkundet der Harvard-Historiker Daniel Jütte nun
den frühneuzeitlichen Markt für das Arkane. Jütte zeigt, dass vor allem die jüdische Minderheit, gemessen an ihrem geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung, eine herausragende Bedeutung auf diesem Markt hatte.
Tatsächlich sei der Handel mit Geheimnissen ein wichtiger und bisher weitgehend ignorierter Zweig des jüdischen Wirtschaftslebens der Vormoderne gewesen. Grund dafür waren nicht zuletzt Vorurteile innerhalb der Mehrheitsgesellschaft. Seit dem Mittelalter wurden Juden von der christlichen Mehrheit mit der Sphäre des Geheimen assoziiert. Sie galten als Hüter eines geheimen Wissens. Der Vorwurf der Geheimhaltung war zudem häufig ein wichtiger Teil antijüdische Agitation. Hinzu kam die weit verbreitete Vorstellung, dass jüdische Kaufleute selbst die exotischsten Güter beschaffen könnten. Jütte weist darauf hin, dass jüdische Geschäftsleute tatsächlich häufig um Diskretion und Geheimhaltung bemüht waren, da sie stets die Überwachung und Eingriffe der christlichen Obrigkeit fürchten mussten. Jüdische Akteure auf dem Markt des Geheimen konnten also von der christlichen Vorstellung, dass sie Experten auf diesem Gebiet seinen, profitieren. Der Handel mit dem Geheimen versprach nicht nur Wohlstand, sondern auch sozialen Aufstieg und Kontakt zu den Herrschenden.
Daniel Jütte veranschaulicht dies exemplarisch anhand verschiedener Biographien. Im Mittelpunkt des Buches steht dabei das Leben von Abramo Colorni, einer schillernden Figur im Italien der Renaissance. 1544 in Mantua in eine jüdische Familie mit deutschen Wurzeln geboren, genoss er bereits in jungen Jahren hohes Ansehen. Colorni hatte viele Betätigungsfelder. Er war Ingenieur, Mathematiker, Kryptograph, Alchemist, Magus und Händler, Waffen- und Pulverhersteller. Sein Wirkungsfeld waren nicht Gelehrtenkammern und Bibliotheken, sondern die Höfe und Paläste seiner Zeit. Zunächst in Diensten des Herzogs von Ferrara, riefen ihn bald die bedeutendsten Herrscher seiner Zeit an ihre Höfe. Für den Herzog von Savoyen-Nemours entwarf er eine Art Rollstuhl. Auch Zauberstücke beherrschte er. Besonderes Interesse hatten frühneuzeitliche Potentaten an Colornis Wissen auf militärtechnischem Gebiet. Er soll eine Flinte entwickelt haben, die mehrere Schüsse hintereinander abgeben konnte, eine Art Maschinengewehr. Sein Ruf brachte Colorni schließlich an den Prager Kaiserhof.
Kaum ein Jude pflegte in diesen Jahren so engen Kontakt zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wie Colorni. Am Prager Hof führte er Kartenspiele und Kunststücke vor, entwickelte eine Sonnenuhr und erörterte mit Kaiser Rudolf II. die Herstellung von Flinten.
Auch dieser war besonders an Colornis Expertise im Bereich der Militärtechnologie interessiert. Rudolf II. selbst experimentierte mit explosiven Stoffen, wobei er sich einmal sogar seinen kaiserlichen Bart und die Augenbrauen versengte. Die Munitionsherstellung entwickelte sich während der Türkenkriege zu einem einträglichen Geschäft für Geheimniskrämer wie Colorni. Von Prag aus handelte dieser mit Salpeter, einer der wichtigsten Substanzen zur Herstellung von Schwarzpulver. Es verwundert kaum, dass sich noch zu Lebzeiten zahlreiche Legenden um Colorni rankten. Geschichten über den „großen Juden Künstler“, der Gold herstellen könne, Wasser in Wein, Steine in Brote und Schlangen in wertvolle Perlenketten verwandeln könne, machten die Runde. In die Gerüchte mischten sich jedoch auch antijüdische Ressentiments. Colornis Aufenthalt in Württemberg führte in der Bevölkerung zu wilden antijüdischen Unruhen. Der Mob erhob den Vorwurf des Ritualmords, und der Herzog ließ den Gelehrten schließlich sogar unter Arrest stellen. Ihm drohte der Strang, kein seltenes Schicksal für Männer seiner Profession. Colorni gelang jedoch eine spektakuläre Flucht in seine italienische Heimat, wo er 1599 starb.
In den folgenden zwei Jahrhunderten, so beobachtet Jütte, lassen sich viele ähnliche Karrieren nachweisen. Das Geschäft mit dem Geheimnis überstand sogar die Aufklärung und verschwand erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts.
„Das Zeitalter des Geheimnisses“ ist ein facettenreiches Portrait einer längst vergessenen Zunft. Es ist ein sehr gelehrtes und zugleich elegant geschriebenes Werk und bietet mit seinen spannenden Geschichten eine durchweg lohnende Lektüre.
DAVID MOTADEL
DANIEL JÜTTE: Das Zeitalter des Geheimnisses. Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen. 1400-1800. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 420 Seiten, 54,95 Euro.
Abramo Colorni verstand sich auf
Kunststücke, Kartenspiel
und die Herstellung von Flinten
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Gefesselt und genussvoll hat Urs Hafner Daniel Jüttes Erkundungen über den Handel mit Geheimnissen in der frühen Neuzeit goutiert. Die Dissertation schöpft vor allem aus italienischen und venezianischen Quellen und belegt nicht nur den wirtschaftlichen und sozialen hohen Rang, den das Wissen um Geheimnisse in der Zeit hatte, sondern auch welche herausragende Stellung die Juden im Geheimnishandel innehatten. Dabei betont der Rezensent, dass die nach einem "antisemitischen Stereotyp" klingende These in der frühen Neuzeit durchaus den Realitäten entsprach, was der Autor anhand ausgewählter Biografien zu untermauern weiß. Am konzentriertesten blickt er dabei auf den "Hofingenieur, Mathematiker, Alchemisten, Pulverhersteller, Kryptologen, Magus und Händler von Luxusgütern" Abramo Colorni, einem legendären "professore de'secreti" im 16. Jahrhundert, erfahren wir. Hafner zeigt sich höchst angetan vom Schreibstil und der originellen Argumentation des Autors und findet darin einen spannenden Ansatz zur "Neubewertung des Verhältnisses von christlichen und jüdischen "Wissenskulturen", wie er lobt. Und auch wenn der Rezensent spürt, dass Jütte selbst für den Reiz des Arkanen empfänglich ist, so muss er nirgends das kritische Urteilsvermögen des Historikers vermissen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2012

Vom Magus durfte sich der Fürst einiges erwarten
Forschen nach den okkulten Kräften der Natur: Daniel Jütte untersucht die Ökonomie des Geheimen in der frühen Neuzeit aus einer biographischen Perspektive

Die Austreibung des esoterischen Wissens und der Methoden seiner Gewinnung aus dem Kanon der modernen Wissenschaften war seit dem ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Vorwurf der Geheimniskrämerei verbunden. Ein Experiment musste wiederholbar und deswegen auch beobachtbar sein. Bis dahin waren die Grenzen zwischen Wissen und Geheimnis anders gezogen. Die Hervorbringung von Wissen war, soweit es sich nicht um die scholastische Reproduktion von schon Gewusstem handelte, immer als Aufdeckung von Geheimnissen beschrieben. Noch die neue Naturerkenntnis, deren Methoden Francis Bacon kanonisiert, fußte darauf, der Natur ihre Geheimnisse zu entreißen. Wie auch immer gewonnen, war dieses Wissen, soweit es sich um technische Kenntnisse handelte oder solche, denen man unterstellte, das finanzielle oder militärische Potential von Herrschern zu mehren, nicht zur allgemeinen Zirkulation gedacht.

Diese Zusammenhänge sind in der Geschichte der Wissenschaften bekannt und weithin unstrittig. Daniel Jütte nimmt sie in seiner ursprünglich als Heidelberger Dissertation verfassten Untersuchung zum Anlass, um der besonderen Rolle der Juden in dieser Ökonomie des Geheimen zwischen 1400 und 1800 nachzugehen. Es ist auffällig, dass Juden auf allen Feldern des arkanen Wissens - von der Alchemie über die Kryptographie bis hin zur Militär- und Waffentechnik - sich in der Formierung und Zirkulation der Wissensbestände besonders hervortaten. Sie handelten mit Rezepturen, schrieben astrologische Abhandlungen, konstruierten Waffen, beschafften seltene Materialien und Stoffe, denen mächtige Wirkungen nachgesagt wurden, und betrieben im fürstlichen Auftrag alchemische Labore. Jütte arrangiert eine Vielzahl von zum großen Teil bereits bekannten Fällen zu einem facettenreichen Bild.

Ein zweiter, fast ebenso umfänglicher Teil der Untersuchung ist dann der Biographie des 1544 als Sohn eines jüdischen Seidenproduzenten in Mantua geborenen Abramo Colorni gewidmet. Er nutzte seine universitäre Ausbildung in verschiedenen Wissenschaften, seine Sprachkenntnisse und seine geschliffenen Umgangsformen, um sich zunächst an verschiedenen italienischen Höfen, dann auch an deutschen Fürstenresidenzen und schließlich in Prag bei Rudolf II. als Magus, Alchemist, Fortifikationsingenieur und Waffentechniker berühmt zu machen. Die Ergebnisse seiner Bemühungen rechtfertigten nicht immer den Ruf und die Versprechungen, so dass gelegentlich nur die überstürzte Flucht blieb. Das Selbstbewusstsein Colornis hat das kaum erreicht. Er verstand sein Tun in der Nachfolge Salomons und inszenierte sich in Schriften und Auftreten als ein professore de' secreti.

Jütte bindet seine biographischen Beobachtungen geschickt in einer Auseinandersetzung mit der Forschung zur Rolle der Juden in der frühneuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte zusammen. Man muss den jüdischen Anteil nicht auf einen "Beitrag" reduzieren, weil die Ökonomie des Geheimnisses konstitutiv für die gesamte frühneuzeitliche Wissensproduktion war. Das ist eine deutliche Abgrenzung gegenüber der Forschung, aber gleichzeitig wird das Buch an dieser Stelle tautologisch. Man sieht, was man sieht. Weder wird klar, ob sich Gründe dafür anführen lassen, dass die Juden diese Rolle in der Ökonomie des Wissens spielen konnten, weil sie Juden waren (und was das dann heißen soll), noch wird die Frage nach den möglichen Zusammenhängen zwischen der Beschaffenheit von Wissensbeständen, den medialen und institutionellen Bedingungen ihrer Hervorbringung und Zirkulation sowie ihrer Funktion gestellt.

Wer die Geschichte des jüdischen Lebens in der Vormoderne mit aggregativer Biographik korrigieren will, von dem möchte der Leser wissen, inwiefern die beleuchteten Aspekte einer Biographie etwas mit der sozialen Verfasstheit des jüdischen Lebens im Allgemeinen und im Besonderen zu tun haben. Der Verweis auf die auffallende Affinität jüdischer Religiosität zum Geheimnis genügt da keineswegs. Und wer das Geheimnis in der frühneuzeitlichen Wissensgeschichte beschreiben will, der muss Wissensgeschichte auf der Höhe der Zeit betreiben. Die Geschichte der Juden in der Ökonomie des Geheimen kann also noch geschrieben werden.

RUDOLF SCHLÖGL.

Daniel Jütte: "Das Zeitalter des Geheimnisses". Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen (1400-1800).

Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011. 420 S., geb., 54,95 [Euro].

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