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Ein alter Mann wacht auf: Owen Mackenzie, ein Computeringenieur der ersten Generation, der mit einem Partner eine kleine Software-Firma gegründet und rechtzeitig an Apple verkauft hat. Seither hat er keine Geldsorgen mehr. Der Unruhestand seiner 70 Jahre lässt uns teilnehmen an seiner erotischen Biographie. Sie beginnt mit einem dem Knaben unverständlichen Graffito an der Wand der Schule, mit Blicken in den Umkleideraum der Mädchen, der merkwürdigen Reaktion der Mutter, als er bei einem Sonntagsspaziergang ein Kondom findet. Dann: Petting der Teenager in Vaters Auto, Studium am MIT,…mehr

Produktbeschreibung
Ein alter Mann wacht auf: Owen Mackenzie, ein Computeringenieur der ersten Generation, der mit einem Partner eine kleine Software-Firma gegründet und rechtzeitig an Apple verkauft hat. Seither hat er keine Geldsorgen mehr. Der Unruhestand seiner 70 Jahre lässt uns teilnehmen an seiner erotischen Biographie. Sie beginnt mit einem dem Knaben unverständlichen Graffito an der Wand der Schule, mit Blicken in den Umkleideraum der Mädchen, der merkwürdigen Reaktion der Mutter, als er bei einem Sonntagsspaziergang ein Kondom findet. Dann: Petting der Teenager in Vaters Auto, Studium am MIT, Verliebtsein, frühe Heirat mit Kommilitonin Phyllis, die Hochzeitsnacht, Kinder, Seitensprünge - ernsthafte und beiläufige -, Geliebte, Scheidung, neue Ehe mit Julia, der Geschiedenen des Geistlichen.
Autorenporträt
John Updike, geboren 1932 in Shillington/Pennsylvania; Kindheit in materieller Bedrücktheit; 1950 Stipendium zum Studium am Harvard College, Hauptfach Anglistik; Abschluss des Untergraduiertenstudiums 1954 mit summa cum laude. 1953 Heirat mit der Kunststudentin Mary Entwistle Pennington, mit ihr zusammen - nach dem Studium - ein Jahr an die Ruskin School of Drawing and Fine Art in Oxford/England. Rückkehr in die USA. 1955 - 57 fest angestellt beim Magazin 'The New Yorker', danach freier Mitarbeiter mit Veröffentlichung von Kurzgeschichten sowie einflussreicher literarischer Kritiken. 1957 Umzug nach Ipswich im neuenglischen Massachusetts. 1964 Vortragsreisen durch die UdSSR, Rumänien, Bulgarien und Tschechien. Seit 1964 Mitglied des National Institute of Arts and Letters. 1973 Fulbright-Lektor in Afrika. 1976 Mitglied der American Academy of Arts and Letters. Auszeichnungen: 1983 Lincoln Literary Award und Distinguished Pennsylvania Artist Award, 1988 St. Louis Literary Award, 1989 National Medal of Arts, 1991 Premio Scanno, 1993 Common Wealth Award und Conch Republic Prize for Literature, 1995 Commandeur de l'ordre des arts et des lettres und The Howells Medal from the Adademy of Arts and Letters. John Updike verstarb 2009.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.01.2006

Zucker, Wasser, Eis und Bourbon
Kleinstadt, Ehe und Betrug: In seinem neuen Roman "Landleben" kehrt John Updike zu seinen großen Themen zurück

Schon wieder ein neuer Updike? Manchmal fragt man sich tatsächlich, wie das überhaupt sein kann. Da sitzt der große alte Mann in seinem Haus in Beverly Farms, an der Küste von Massachusetts, in dieser Sommervilla, die er vor mehr als zwanzig Jahren mit seiner Frau gekauft hat, wechselt zwischen vier verschiedenen Arbeitszimmern hin und her und schreibt: von Montag bis Samstag, ohne Blockaden, einen Roman nach dem anderen. Wenn er einmal nicht schreibt, sondern zum Beispiel zu einer Geburtstagsfeier eines seiner Kinder nach New York fährt, hat er sogleich das Gefühl, seine chemische Zusammensetzung würde sich ändern. Dann liegt er nachts wach im Hotelbett und macht sich Vorwürfe: "Johnny, statt Parties zu feiern, solltest du zu Hause an deinem Roman weiterarbeiten!" Er kann nicht anders.

Und es wäre übertrieben, zu sagen, daß John Updike sich mit dieser Schreibwut nur Freunde gemacht hätte. David Foster Wallace hat einmal gefragt, ob Updike eigentlich überhaupt je einen Gedanken gehabt habe, den er nicht umgehend publiziert habe, was Updike natürlich wenig beeindruckte: "Das ist vorgekommen", entgegnete er fein ironisch, "aber ich habe ja noch ein wenig Zeit, es nachzuholen. Hätte ich weniger veröffentlicht, wäre ich sicherlich beliebter. Aber ich glaube, meinen Koffer noch nicht ganz ausgepackt zu haben. Und dieses Jucken ist immer noch da, sich Menschen auszudenken und durch deren Augen zu leben. Man schreibt doch, um nicht dauernd man selbst sein zu müssen."

Als er im letzten Jahr seinen Koffer noch weiter auspackte und den Roman "Sucht mein Angesicht" herausbrachte, dachte man für einen Moment, die Updike-Lichter seien endgültig ausgegangen. "Sucht mein Angesicht", sein vierundfünfzigstes Buch, war nervtötend. Es war, auf dreihundert Seiten, das Protokoll eines Interviews, das eine verklemmte, "klappmessergleiche" Kunstjournalistin namens Kathryn in Kampfstiefeln und mit "Pferdegesicht" mit der Witwe eines berühmten Malers führte, die Lee Krasner, der Lebensgefährtin von Jackson Pollock, nachgebildet war. Die Frauen redeten und redeten. Sie redeten in einem seltsam anmutenden Altherrenton über Kunst, über Männer und Frauen und darüber, daß Malen wie Sex sei. Und man sehnte sich zurück nach Harry "Rabbit" Angstrom, den "Blumentopfstädten" der amerikanischen Provinz und nach den alten Ehebruchsgeschichten.

Jetzt gibt es gute Nachrichten: John Updike ist wieder da angekommen, wo er herkommt, wo er sich auskennt wie kein anderer: in der Kleinstadt. In dieser Woche erscheint bei Rowohlt sein neuer Roman "Villages" unter dem Titel "Landleben"; ein fast wehmütiger Rückblick auf das Leben in kleinen Orten, auf diesen engen Kosmos, deren Bewohner, so fernab sie von großen Städten auch leben mögen, sich über Generationen hinweg immer im Zentrum des Universums glauben werden. Wie schon vor zwanzig Jahren, in "Der weite Weg zu zweit", ist es auch diesmal die Geschichte einer allmählich zerbrechenden Ehe, mit diesem ganzen Updikeschen Betrugswahnsinn (Alissa, Vanessa, Karen, Faye und wie sie alle heißen), eine Geschichte der Befreiung: "Daß eine Ehe zu Ende geht, ist alles andere als ideal. Aber alle Dinge unter dem Himmel gehen zu Ende, und wenn zeitliche Begrenztheit einer Sache ihren Wert nähme, dann könnte nichts im Leben wirklich gelingen", hieß es so groß in "Der lange Weg zu zweit". "Landleben" sagt es noch einmal, eingebettet in eine Kleinstadtchronik vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute: "Kleinstadt-Sex 1" bis "Kleinstadt-Sex 6" heißen lustig und lapidar die Kapitel.

Es beginnt, glücklich, an einem Morgen. Der alte Owen Mackenzie, Computeringenieur der ersten Generation, der mit seinem Partner Ed einst eine kleine Software-Firma gründete und sie rechtzeitig an Apple verkaufte, wacht auf. Gerade hat er von seiner zweiten Ehefrau Julia geträumt, der großen Liebe: Von gesichtslosen Amtspersonen war er in einen Raum geführt worden, in dem sie auf einem Bett tot und nackt dalag. Hätte ich mich nicht in ihr Leben eingemischt, wäre sie noch am Leben, hatte er im Traum gedacht. Doch ist sie nicht tot. Er hört sie unten in der Küche. Er hört ihre Gummi-Flip-Flops, die zu tragen sie nicht aufgibt, als wäre sie noch immer jung. Sie klatschen hin und her, vom Kühlschrank zur Arbeitsfläche zum Frühstückstisch und weiter ins Eßzimmer, wo sie die Pflanzen gießt. Allmählich vermischen sich die vertrauten Geräusche mit Erinnerungen. Und so läßt Updike Owen Mackenzie erwachend sein Leben Revue passieren.

Schon immer war es John Updikes Stärke, das private Erleben seiner Figuren mit historischen Ereignissen zu verschränken, die individuelle Geschichte vor der kollektiven aufscheinen zu lassen. Wenn Owen also an seine Kindheit in Willow, Pennsylvania, zurückdenkt: an das für ihn damals unverständliche Graffito einer nackten Frau in komischer m-förmiger Stellung an der Wand der Schule, die ersten sexuellen Erlebnisse im Auto des Vaters, das Studium am MIT, frühe Heirat, Ehe, Betrug, Scheidung, dann sind diese Bilder von Generationen- und Zeitgeschichte nie losgelöst.

Updike überblendet in "Landleben" erotische Biographie, Kleinstadtchronik und Computergeschichte. Noch einmal seziert er die amerikanische Mittelschicht des zwanzigsten Jahrhunderts, ironisch immer, aber nie verächtlich: Da wird ein Old-Fashioned nach Anleitung des Kollegen gemixt ("man verrührt den Zucker in ein bißchen Wasser, bevor man Eis und Bourbon dazugibt"), Kaminholz gestapelt und Müll sortiert; es werden Hobbykeller angelegt, Autos angeschafft, Kinder gezeugt und - vor allem - die Ehefrauen der Nachbarn verführt. "Es ist eine verrückte Sache, am Leben zu sein", heißt es einmal. "Kleinstädte sind dazu da, diese Verrücktheit zu mäßigen - sie vor Kindern zu verbergen, sie zum privaten Gebrauch in Flaschen abzufüllen, ihre Imperative sanft in Gewohnheiten umzumodeln, uns vor dem Dunkel draußen und dem Dunkel drinnen zu schützen."

Er habe eine ganze Weile nicht über Ehebruch geschrieben, hat Updike letztes Jahr noch gesagt, weil Ehebruch heute überhaupt nicht mehr die Bedeutung habe, die er für seine Generation gehabt habe. "Für uns war das geradezu eine betörende Sache - die Reichen haben es ja immer schon getan. Für die Mittelklasse aber war es neu, genug Polster zu haben, um sich den Luxus erlauben zu können, eine andere Person als den eigenen Ehepartner zu begehren." Heute dagegen sei die Institution Ehe doch so provisorisch, daß der Ehebruch nicht mehr diesen Kitzel der Schändung von etwas Heiligem auslöse. Für ihn sei das Ehegelöbnis noch ewig gewesen und das Auseinanderbrechen einer Familie eine Tragödie. Als eine Art Vermächtnis hat er diese Mittelstandstragödie, deren unvergleichlicher Experte er ist, jetzt noch einmal aufgeschrieben. Und das ist beklemmend und toll.

JULIA ENCKE

John Updike: "Landleben". Roman. Deutsch von Helmut Frielinghaus und Susanne Höbel. Rowohlt, 414 Seiten, 19,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2006

Befreiung der Gummikanten
Aus den Bruchrechnungen eines Verführers: John Updikes neuer Roman „Landleben”
Das kann nur John Updike: Den Leser seufzen lassen, weil es wieder die alte Updike-Geschichte ist, wieder der Ehebruch in den gehobenen Kreisen an der amerikanischen Ostküste, wieder die mit weißen Schindeln gedeckten Häuser in immer größer werdenden Gärten und dazu die ewige Frage, die den Leser auch in dieses Buch hineinzieht: Warum lassen sich Frauen mit Männern ein? Das Personal ist älter geworden: Die Kinder sind aus dem Haus, die Firma verkauft, es gibt nicht mehr viel mehr zu tun als zu essen, zu trinken und nach dem Geplänkel übers Wetter vielleicht ein paar Schönheitsreparaturen am Dach.
Owen Mackenzie ist aber noch der alte Adam, der vertraute Updike-Held, der mit einem Zwinkern in Richtung von Monsieur Proust statt die Madeleine in den Tee zu stippen, um weiter zu träumen, „seinen schlaftrunkenen Schwanz” umfasst. Owen denkt dann, während er von unten seine Ehefrau in der Küche bei den Frühstücksvorbereitungen flippfloppen hört, an all die vergangenen Frauen seines Lebens, an Alissa und Vanessa und Karen und Faye, „und er erlebt wieder, wie er eine von ihnen unter sich, neben sich, über sich hat, wie sie sich das Haar zurückstreicht und das Gesicht über seinen geschwollenen Mittelpunkt beugt, dessen Nerven sich allesamt nach feuchter, wissender Berührung drängen”. Da weiß der Leser, und er müsste nicht einmal Updikes „Gottesprogramm” oder „Bessere Verhältnisse” kennen, dass er sich in vertrautem Gelände befindet, im beinah unveränderten Updike-Country.
Das ist eine seltsam unwirkliche und dennoch vertraute Märchenwunderwelt: die Welt der frühen Updike-Romane, das Personal seiner mittleren Kurzgeschichten und vor allem der „Ehepaare”. Wieder finden sich Sätze, die keiner sonst findet: „Sie fielen sich in die Arme, als wollten sie sich vor den Blicken des anderen verstecken.” Und wieder finden sich die etwas überdehnten Metaphern, die bei diesem Musterschüler Nabokovs leicht zu ikebanischen Steckbildern werden, wenn Owen bei Alissas Reizen das Gefühl hat, „dass sie sich um ihre Unzufriedenheit legten wie die Federn eines plumpen nistenden Vogels”. Auch da weiß der Leser, was er an seinem Autor hat.
In der so genannten Rahmenhandlung wird Owen Mackenzie leicht senil vorgeführt, ein etwas unordentlicher Greis, den seine jüngere Frau wegen seiner Schlampigkeit tadelt, während er ihr doch sagen will, wie schön und begehrenswert er sie findet. Er ist glücklich bis auf vielleicht ein Kribbeln in der Handfläche, „was auf eine Abnutzung der Wirbelsäule oder auf einen drohenden Herzinfarkt hinweist”.
Was der Fortschritt bringt
Amerika, das seit Walt Whitman keinen so gewaltigen Sänger seiner Einzigartigkeit mehr erlebt hat, entwickelt sich hier mit seinen Computern. Ihre erst mühselige, dann immer schneller voranschreitende Verkleinerung bestimmt auch die Gesichte von Owen, der (wie Updike) aus einer Kleinstadt in Pennsylvanien an die intellektuelle Ostküste nach Boston kommt, dort (anders als Updike) Elektrotechnik studiert und sich zum Software-Entwickler fortbildet. Im Hintergrund rauscht, mit dem geringst möglichen statischen Geräusch, Korea, Kennedy, Vietnam, Watergate und zuletzt der beginnende Irak-Krieg des zweiten Bush.
Updikes frühere Romane, vor allem die „Rabbit”-Bücher, waren haargenau eingepasst in die Zeit, und wer es wissen wollte, konnte den Beginn der Globalisierung, die die amerikanischen Städte kaum weniger verheert als inzwischen die deutschen, bereits im Aufstieg des Toyota-Händlers Harry Angstrom beobachten. Owen Mackenzie arbeitet in der weisen, allerdings fünfzig Jahre später nachgetragenen Voraussicht seines Autors schon als Student nach dem Krieg am MIT in Cambridge mit Computerprogrammen. Owen und sein Kompagnon Ed sehen deshalb allzu genau voraus, was der technologische Fortschritt bringen und was man dem willigen Konsumenten alles wird verkaufen können. 1964 gab es aber weder eine „Gegenkultur” noch konnte schon jemand damit kalkulieren, dass „die Japaner” sowieso bald alles kleiner und billiger nachbauen würden. Verlässlicher sind da die Frauen, die von der Zeit, als „die Stelle zwischen ihren Beinen von den scharfen Gummikanten bewacht” wurde, bis zu jener illusionären Gegenwart beobachtet wird, wo die Sekretärin überraschend ins abseits gelegene Büro ihres Chefs kommt, ihm lächelnd ihren Slip überreicht und sich ihm für fünf Minuten auf der Couch darbietet. Eine herrliche Männerphantasie, und man kann sich Owens Hand an der Madeleine dabei vorstellen, aber trotzdem von einer Unschuld, die ihm sogar die Frauen verzeihen müssten, so wie sie in „Landleben” Owen alles nachsehen, weil er ein Sonntagskind ist.
Nur seine Frau Phyllis hat es nicht begriffen. Sie ist in dem bunten Ringelreihen der Fayes und Vanessas und Karens die rätselhafteste Figur. Phyllis, die am MIT selber der Mittelpunkt war, gibt zögernd alles Licht an Owen ab, überlässt sich ihm, dem schwächeren Denker, dem stärkeren Narziss. Jungfräulich gehen beide in die Ehe, in der Phyllis alle weiblichen Pflichten erfüllt: Ihrem Mann ist sie jederzeit gehorsam und bringt in wohlbemessenem Abstand vier wohl geratene Kinder zur Welt. Owen ist bei jeder Geburt unterwegs: im Krieg, im Einsatz, bei einer Tagung. Sie duldet seine Paarungssucht und wundert sich erst, als längst alles zu spät ist, warum sie so wenig miteinander schlafen.
Doch nicht er verschwindet aus der Familie, sondern seine Frau. Sie ist eine unfertige, eine auf jeden Fall ganz unbegreifliche Figur: zu intelligent für Owen, zu groß - und sie hat ihn zu wenig geliebt. Dafür muss sie büßen. Das Kind in diesem Mann will nicht bloß spielen, es will erst gar nicht erwachsen werden. Als Schüler sah er an einer Wand die grobe Zeichnung einer aufgespreizten Frau, und dieser zunächst noch utopische Graffito wird, was keinen Updike-Leser überraschen wird, sein Lebenszweck. Owen darf das. Owen wurde Zeuge, wie sein Vater im Beruf scheiterte und ähnlich verbittert war wie seine ewig unzufriedene Mutter, aber er, das einzige Kind, sammelt soviel Aufmerksamkeit auf sich, dass er nur erfolgreich sein kann.
Elsie bringt eine kleine Irritation, Elsie, mit der er in ihres Vaters Wagen in den Wald ihres Vaters fährt, die sich ihm unverhofft in ihrer ganzen teenagersüßen Nacktheit anbietet, überfordert ihn. Das Dunkel draußen, die Geräusche, die Angst vor dem Vater, die Angst vor der fordernden Frau. Sonst sind es fast ungetrübte Kindertage, und sie setzen sich fort in einem beinah unübersichtlichen Reigen von mageren, rundlichen, groß- und kleinbrüstigen, von maskulinen und Alkoholikerfrauen, und jede wird mit einem Eigenwert erinnert: ihrem Geruch, ihrem Geschlecht, ihrer Brust, natürlich ihrem Mann, der begreiflicherweise draußen bleiben muss, weil Owen, sobald er einmal initiiert ist, beschlossen hat, ein Verführer zu werden. Das ist leicht in den sechziger Jahren, als der steigende Wohlstand jedem Ehepaar mehrere Autos erlaubt, die durch die heftig zersiedelten Vororte zu Kindergeburtstagen, Golfturnieren, Dinnerpartys und Wohltätigkeitstombolas fahren, auf denen man die vertrauten Geliebten trifft und immer neue findet.
Diese Welt in den Vororten von Boston ist nicht mehr ländlich, aber erfreulich wenig urban, kleinstädtisch eben. „Eine Kleinstadt ist gewoben aus Geheimnissen, aus Wahrheiten, die besser unausgesprochen bleiben, mit Häusern, die weniger Fenster als undurchsichtige Mauern haben.” Eine Welt, die in diesem nostalgischen Werk mit einem Zeit-Raumgleiter noch einmal überflogen wird: Wie klein und putzig alles ist, die Häuser, die Swimmingpools, die Country Clubs, die Golf-Samstage, die verstohlenen Treffen in Motels oder auf Lichtungen im Naturschutzgebiet.
Es war eine märchenhafte Pause in der Weltgeschichte, denn es gab die Pille, und kurz bevor das Updike-Personal die Geschlechtstätigkeit ohnehin eingestellt hätte, brach Aids aus. Nur einmal sorgt (vermutlich) Owen für eine unverhoffte Schwangerschaft, ein Ehemann droht ihm mit einer Klage, aber auf diesem gepflegten Abenteuerspielplatz wird es niemals ernst. In den mehr als fünfzig Jahren, die „Landleben” beschreibt, kommen beinah mehr Autos um als Menschen.
Wie man Freud elektrifiziert
Zuletzt lernt Owen Julia kennen, kann sie ihrem Mann, der auch noch Pastor ist, entwinden, sorgt für einen Skandal und den alles bereinigenden Tod seiner ersten Frau. Für eine Lolita ist das Feuer seiner Lenden nicht mehr stark genug, aber diese arme Charlotte Haze muss sterben, damit er frei wird für Julia. Zu seinem Seelenheil stellt er sich vor, „dass Phyllis, die schöne Mathematikstudentin, sich weggekürzt hatte, so wie ein redundanter Terminus aus dem Nenner oder dem Zähler eines komplexen Bruchs herausfällt”. (Das Bruchrechnen liegt zwar länger zurück, aber mir scheint, dass hier ein Bild ganz besonders falsch angewandt oder doch ungenau übersetzt worden ist.)
Die Übersetzung ist bis auf zwei, drei heftige Patzer schmiegsam und elegant. Kokett löst der Techniker Owen das Welträtsel, warum sich Frauen mit Männern einlassen: „Vielleicht war es eine schlichte Frage der Elektrotechnik: in einer Welt, wo es so viele Stecker gab, musste die Natur auch Steckdosen bereithalten.” Selbst im Sigmund-Freud-Jubeljahr ist das doch etwas überdeterminiert.
Diese Bekenntnisse eines Witwers weißer Rasse sind kein Meister-, aber doch ein solides Alterswerk. Eine herbstzeitlose Melancholie liegt über diesem „Landleben”. Wie anders als wehmütig kann ein solcher Rückblick sein, wenn Owen, sonst sicher versorgt in seiner zweiten Ehe, die offenbar alle Fremdbestäubungsgelüste abgetötet hat, die halbverjährten Ausflüge mit der Weisheit, dass „Sex wie Ferien ist” und, richtig eingesetzt, ungeheuer effizient sein kann, einer schlichten Kosten-Nutzen-Analyse unterzieht: „Der untreue Mann und die untreue Frau treffen sich zu einem klaren Zweck, gefährlich und skandalös, der Blutdruck erhöht, die Pupillen vergrößert, und der Liebesrausch färbt die Haut rot: Liegt darin nicht eine lobenswerte Wirtschaftlichkeit, im Vergleich zu Sex, der dünn verteilt ist über das endlose Einander-ausgesetzt-Sein in der Ehe?” Rot, ein durchsichtiges Rot, war die Haut von Phyllis, seine Sünde, sein Leben. WILLI WINKLER
JOHN UPDIKE: Landleben. Roman. Aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel und Helmut Frielinghaus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006. 416 S., 19,80 Euro.
„Das Rad des Tages dreht sich und nimmt die Sonne mit. Doch die Nachtseite bleibt stets gegenwärtig”, schrieb John Updike über die Bilder des Malers Edward Hopper - hier „Second Story Sunlight” von 1960 (Ausschnitt).
Foto: Corbis
Männer-Erforscher: John Updike
Foto: Brian Snyder/Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Christian Thomas sieht in John Updikes jüngstem Roman einmal mehr den "VIP der Leporellokunst" am Werk, der seinen Protagonisten Owen Mackenzie, einen 70-jährigen ehemaligen Computeringenieur an der Schwelle zur Senilität, in Tagträumen und Rückblicken sein erotisches Leben Revue passieren lässt. Mackenzie stellt sich dabei als "Erotomane" heraus, der vom "Impuls einer fieberhaften Promiskuität" angetrieben wird, erklärt der Rezensent. Der amerikanische Autor, der in seinem gesamten Oeuvre stets den "American Way of Sex" beschworen habe, nehme in "Landleben" kein Blatt vor den Mund und lasse "kaum etwas unausgesprochen", wobei diese Erzählhaltung eine "unzweideutige Illusionslosigkeit" zeitigen würde, so Thomas weiter. Der "reißende Bewusstseinsstrom" des Protagonisten lässt aus einer Entdeckungsreise eine "Pilgerfahrt" werden, in der Sex zum bannenden Mittel gegen den Tod wird, meint der Rezensent, der in dieser "metaphysischen Ahnung", die den Helden befällt, auch das Melancholische des Romans ausmacht. Immerhin, Mackenzie leidet in diesem Lebens- und Libidorückblick, der auch offen legt, dass er "zwei Familien zerstört" und für einen Tod verantwortlich ist, keineswegs an einem "unglücklichen Bewusstsein", stellt Thomas fest, denn seine erotischen Erlebnisse belegen zumindest, dass er "wahrhaftig gelebt hat".

© Perlentaucher Medien GmbH
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Updike ist mit «Landleben» zu seinem erzählerischen Glanz zurückgekehrt. Er erzählt so frisch und anschaulich wie immer, vielleicht noch etwas unangestrengter. Neue Zürcher Zeitung