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8 Kundenbewertungen

Ein Vater und sein Sohn wandern durch ein verbranntes Amerika. Nichts bewegt sich in der zerstörten Landschaft, nur die Asche im Wind. Es ist eiskalt, der Schnee grau. Ihr Ziel ist die Küste, obwohl sie nicht wissen, was sie dort erwartet. Sie haben nichts als einen Revolver mit zwei Schuss Munition, ihre Kleider am Leib, eine Einkaufskarre mit der nötigsten Habe - und einander.
'Die Straße' ist die bewegende Geschichte einer Reise, die keine Hoffnung lässt, nur die verzweifelte Liebe des Vaters zu seinem kränkelnden Sohn. Von der US-amerikanischen Kritik als 'Meisterwerk' (Booklist) und
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Produktbeschreibung
Ein Vater und sein Sohn wandern durch ein verbranntes Amerika. Nichts bewegt sich in der zerstörten Landschaft, nur die Asche im Wind. Es ist eiskalt, der Schnee grau. Ihr Ziel ist die Küste, obwohl sie nicht wissen, was sie dort erwartet. Sie haben nichts als einen Revolver mit zwei Schuss Munition, ihre Kleider am Leib, eine Einkaufskarre mit der nötigsten Habe - und einander.

'Die Straße' ist die bewegende Geschichte einer Reise, die keine Hoffnung lässt, nur die verzweifelte Liebe des Vaters zu seinem kränkelnden Sohn. Von der US-amerikanischen Kritik als 'Meisterwerk' (Booklist) und als 'das dem Alten Testament am nächsten kommende Buch der Literaturgeschichte' (Publishers Weekly) apostrophiert, ist dies der Höhepunkt von McCarthys außergewöhnlichem literarischem Werk. Es ist ein Roman über die letzten Dinge, über das Schlimmste und Beste, zu dem die Menschheit fähig ist: ultimative Zerstörung, verzweifeltes Durchhaltevermögen und, nicht zuletzt, die Zärtlichkeit und Zuneigung, die Menschen im Angesicht der Vernichtung Kraft zum Überleben geben.

Autorenporträt
Cormac McCarthy, geboren 1933 in Rhodes Island, wuchs in Knoxville/Tennessee, auf. Für seine Bücher wurde er u.a. mit dem William Faulkner Award, dem American Academy Award, dem National Book Award und dem National Book Crities Circle Award ausgezeichnet. McCarthy lebt heute in El Paso, Texas. 2009 erhielt er den PEN/Saul Bellow Award for Achievement in American Fiction.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alex Rühle gibt sich als langjähriger Cormac-McCarthy-Bewunderer zu erkennen, findet es aber dann doch ärgerlich, dass der amerikanische Autor ausgerechnet für "Die Straße" nun den Pulitzer-Preis erhalten hat, wo er doch schon so viel Besseres geschrieben habe. Immerhin erweist sich der Autor auch bei der völlig verwüsteten, verkohlten Landschaft, durch die ein Vater und sein Sohn nach einem nicht näher beschriebenen Krieg irren, noch als virtuoser Beschwörer der - in diesem Fall zerstörten - Natur, so der Rezensent bewundernd. Allerdings findet er den alles durchziehenden Ernst und die stets auf existentiellem Niveau schwingenden Dialoge auf die Dauer ziemlich anstrengend. Im Roman geht es stets ums nackte Überleben und um die Frage, angesichts der Katastrophe noch moralisch integer zu bleiben, meint Rühle, der einen kleinen Scherz hin und wieder zu schätzen gewusst hätte. Die Versatzstücke aus dem Horrorgenre kratzen zudem am Niveau des Romans, und am Ende hat der Rezensent gar den Eindruck, bei einem Hollywoodschinken a la "Conan, der Barbar" gelandet zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2007

Zeit der Asche und der wandelnden Toten
In seinem großen Roman "Die Straße" fragt Cormac McCarthy, was der Mensch sei in einer entmenschlichten Welt

Wer diesen Roman liest, versteht, was Kleist meinte mit den "abgeschnittenen Augenlidern".

Wir werden untergehen, sagen jetzt wieder viele. Der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle hat es gerade in einem Essay in der "Zeit" gesagt. Das Ende der Natur stehe bevor und damit unseres, es gebe keine Hoffnung mehr, weshalb Boyle den Schriftsteller von heute (und den Philosophen, den Automobilarbeiter, Umweltschützer, Komponisten und jeden, der über den nächsten Ausschlag im Aktienmarkt hinausdenkt) vor ein Rätsel gestellt sieht: "Wenn schon die Existenzialisten der fünfziger und sechziger Jahre der Meinung waren, es sei lächerlich, Sinn in einer Existenz zu sehen, die sich auf nichts gründet und mit dem Tod endet, was" - fragt Boyle - "ist dann erst mit uns? Warum Zähne putzen oder zur Schule gehen, warum Kinder großziehen, Miete zahlen, überhaupt einen Finger rühren, wenn alles bedeutungslos und nur der Tod gewiss ist?"

T. C. Boyle wüsste, warum er sich die Zähne putzen muss, würde es mit aller Wahrscheinlichkeit sogar sehr gerne tun, gar nicht erst fragen, hätte er den neuen Roman von Cormac McCarthy gelesen: "Die Straße". Dieser Roman ist eine Endzeitvision, für die McCarthy in der vergangenen Woche den Pulitzer-Preis bekommen hat. Die Welt droht nicht unterzugehen in diesem Roman, sie ist bereits untergegangen, am Ende, ausgebrannt, düster, ohne jede Farbe; ein einziger, ressourcenloser Müllhaufen, überzogen mit einem Schleier aus graudreckiger Asche, ein totes, ausgeplündertes Land, auf dem bloß noch vereinzelt Subjekte herumkriechen, kannibalistische Horden, die sich gegenseitig grillen, weil sonst nichts Essbares mehr da ist, keine Tiere, nichts, nur zwei letzte Menschen: ein Mann und sein etwa zehn Jahre alter Sohn. Auf einer Straße gehen sie Richtung Süden. Sie hoffen, dass es dort wärmer sein könnte und heller. Sie versuchen, mit den letzten Überresten, die sie in leerstehenden Häusern finden, zu überleben, verständigen sich in knappen Dialogen: "Ich habe ein paar komische Träume gehabt. - Wovon denn? - Das will ich dir nicht sagen. - Das ist schon okay. Ich möchte, dass du dir die Zähne putzt. - Mit richtiger Zahnpasta. - Ja. - Okay."

Wenn alles verloren ist, erscheint jede noch so kleine menschliche Handlung kostbar und sinnvoll. Denn darum geht es bei McCarthy: um den Versuch, in einer entmenschlichten, lebensfeindlichen Umwelt in irgendeiner Weise noch Mensch zu bleiben.

In den letzten Jahren waren Visionen der Apokalypse vor allem eine Angelegenheit des Science-Fiction-Genres. McCarthys Roman ist aber keine Science-Fiction. "Die Straße" erinnert, vor allem dort, wo gesprochen wird, eher an Samuel Beckett, an die "Steinöde" aus "Krapp's last tape" etwa. Denn wie Beckett ist McCarthy ein großer Sprachverknapper. Er entfernt alles Nebensächliche, Zufällige, um zum Wesentlichen vorzudringen. Und zwischen diesen Dialogen zeichnet er Bilder des toten Lands, die von einer solchen poetischen Kraft sind, dass sie einen tatsächlich treffen wie der Schlag. Man kann gar nicht anders, als sich mit McCarthy hineinzubegeben in das absolute Dunkel, man ist mit dem Mann und dem Sohn dort, wo es nicht mehr wärmer und auch nicht mehr heller wird. Auch nicht im Süden. Die Finsternis wird zum Sog.

Dabei bleibt im Verborgenen, wie genau alles angefangen hat. Nur einmal gibt es in der Erinnerung des Mannes einen Hinweis: "Die Uhren blieben um 1 Uhr 17 stehen. Eine lange Lichtklinge, gefolgt von einer Reihe leiser Erschütterungen. Er stand auf und trat ans Fenster. Was ist das?, fragte sie. Er gab keine Antwort. Er ging ins Bad und betätigte den Lichtschalter, aber der Strom war bereits ausgefallen." Sie sind, als der Welt die Sicherungen durchbrannten, noch zu dritt. Die Mutter begeht kurz darauf Selbstmord, weil sie es nicht ertragen kann, zu einer "wandelnden Toten in einem Horrorfilm" zu werden. Und der Sohn wird gewissermaßen in den Untergang hineingeboren. Er hat die alte Welt nie gesehen, kennt den Geschmack von Coca-Cola nicht und hat nur davon gehört, dass das Meer blau ist: "ein Geschöpf", so heißt es im Roman, "perfekt darauf hinentwickelt, seinen eigenen Untergang zu erleben". Mit einer zerfledderten Straßenkarte der Ölgesellschaft in der Tasche bewegen sich der Mann und der Junge - lange nach dem Ende der Ölgesellschaften - also die Straße entlang. Kein Tag weist über sich hinaus. Die entmenschlichte Umgebung erlaubt nur noch archaische Unterscheidungen. Was zählt, ist Gut oder Böse: "Ich wünschte, wir könnten hierbleiben", sagt der Junge, als sie einen Atombunker entdecken, sich für kurze Zeit in Sicherheit wähnen, sich waschen und etwas essen können. "Ich weiß", antwortet der Vater. - "Wir könnten doch aufpassen." - "Wir passen auf." - "Und wenn ein paar Gute kämen?" - "Also, ich glaube nicht, dass wir auf der Straße unbedingt irgendwelche Guten treffen." - "Wir sind doch auch auf der Straße." - "Ich weiß."

Bei Cormac McCarthy folgt ein poetisches Schreckensbild auf das andere. Der Roman gleicht einem Panorama des Grauens. Und plötzlich versteht man, was Heinrich von Kleist mit den "abgeschnittenen Augenlidern" gemeint hat in seinen "Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft". Da steht Kleist vor Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer", auf dem winzig klein ein Kapuzinermönch von hinten zu sehen ist - "der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes" -, und er hat das Gefühl, selbst zu diesem Mönch zu werden: "Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnisvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit nichts als den Rahmen zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider abgeschnitten wären."

Schrecken und Grauen sorgen beim bildbetrachtenden Kleist nicht für erhabene Gefühle, weil das Erhabene voraussetzt, dass der Betrachter Distanz hat und sich in Sicherheit wähnt. Diese Distanz aber ist mit den Augenlidern, die das Blickfeld begrenzen und die Augen schützen, entrissen. Und sie ist es auch bei McCarthy. Beim Lesen der "Straße" bleibt einem die Zuschauerrolle verwehrt. Man selbst wird mit Vater und Sohn zum letzten Menschen, empfindet keine Lust am Schrecken, nur blankes Entsetzen: "Sie traten auf die kleine Lichtung, der Junge an seine Hand geklammert. Bis auf das schwarze Ding, das über der Glut auf einem Spieß steckte, hatten die Leute alles mitgenommen. Er stand da und schaute prüfend in die Runde, als der Junge sich zu ihm umdrehte und das Gesicht an seinem Körper vergrub. Mit raschem Blick versuchte er festzustellen, was passiert war. Was ist denn?, fragte er. Was ist denn? Der Junge schüttelte den Kopf. O Papa, sagte er. Der Mann sah genauer hin. Was der Junge gesehen hatte, war der verkohlte Leib eines Kleinkindes, ohne Kopf, ausgeweidet und auf dem Spieß langsam schwärzer werdend. Er bückte sich, nahm den Jungen auf den Arm und lief, während er ihn fest an sich drückte, in Richtung Straße los. Es tut mir leid, flüsterte er. Es tut mir leid."

Cormac McCarthy verliert sich in seinem Roman nicht in wehmütig-nostalgischen Schilderungen, wie schön es doch war, damals, als die Welt noch in Ordnung schien. Das unterläuft ihm nicht. Seine kunstvolle Konstruktion beruht vielmehr darauf, genau das auszublenden. Der Mann erinnert sich zwar gelegentlich. Doch ist diese Erinnerung beiläufig und das Vergangene nie ein Lichtblick. Und genau darin liegt die ungeheure Kraft seines Romans: McCarthy begibt sich kompromisslos in die absolute Finsternis hinein, an einen Punkt, an dem es schlimmer nicht mehr geht, in eine Sphäre der völligen Entmenschlichung - und was in dieser Sphäre an letzten Resten der Menschlichkeit noch vorhanden ist, vor allem die messianische Figur des Sohnes, scheint auf diese Weise in seiner vollkommenen Größe auf. Wie das kurze Licht einer aus einer Leuchtpistole abgeschossenen Patrone funkelt der Mensch hier noch einmal hell und schön. Und so trauert man beim Lesen mit den letzten Überlebenden und sehnt sich mit dem Sohn ganz einfach nach irgendwelchen Leuten: "Irgendwo anders könnten doch noch Leute am Leben sein. - Wo denn? - Ich weiß nicht. Irgendwo. - Du meinst, außer auf der Erde? - Ja. - Das glaube ich nicht. Woanders könnten sie nicht leben. - Nicht einmal, wenn sie irgendwie dorthin kämen? - Nein. - Der Junge wandte den Blick ab. - Was ist denn?, fragte der Mann. Der Junge schüttelte den Kopf. - Ich weiß nicht, was wir hier machen, sagte er. Der Mann setzte zu einer Antwort an. Doch er blieb stumm. Nach einer Weile sagte er: Es gibt noch Leute, und wir werden sie finden. Du wirst schon sehen." Es wird noch Leute geben am Ende des Romans. Sie stehen morgens auf, weil sie versuchen, das zu bleiben, was nur sie sein können: Menschen. Was das bedeutet, hat schon sehr lange niemand so begreiflich gemacht wie der zurückgezogen lebende Mann aus El Paso, Cormac McCarthy.

JULIA ENCKE

Cormac McCarthy: "Die Straße". Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Sting. Rowohlt-Verlag. 256 Seiten, 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2007

Überleben, ohne töten zu müssen
In Cormac McCarthys mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Roman „Die Straße” trauert das ganze Sonnensystem
Vögel, Fische, Säugetiere – alles ausgestorben. Kein Baum trägt mehr Früchte, die Felder sind leerer als Nordkoreas Äcker, es fällt aschgrauer Schnee, „und jeder Tag grauer als der vorangegangene, wie das Wachstum eines kalten Glaukoms, das die Welt verdüsterte.” Einige Banden ziehen noch durchs Land, auf der Suche nach Essbarem, also anderen Menschen. Durch dieses apokalyptische Szenario irren ein Vater und sein Sohn, „jeder die ganze Welt des anderen”. Tag um Tag, Monat um Monat stolpern sie durch die Gegend, versuchen, nach Süden zu kommen, frierend, hungernd, einen Einkaufswagen mit Decken und Konservendosen vor sich her schiebend. Sie haben einen Revolver mit zwei Kugeln, ab Seite 62 ist es nur noch eine und man weiß, der Mann will sie aufheben für den zarten Sohn, um ihm im Notfall Schlimmeres zu ersparen als den Tod.
Cormac McCarthy hat sich vom Literaturbetrieb sein Leben lang so fern gehalten wie der Pluto von der Sonne, er ist neben Thomas Pynchon und J.D. Salinger der große Unbekannte der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Seine Fans verehren ihn für seine karge Mystik, seinen nackten Existenzialismus, seine Landschaftsbeschreibungen mindestens genauso wie für seine „granithafte Indifferenz seinen Lesern gegenüber” (New Yorker). Nie gab er Lesungen, zweimal nur Interviews, aus denen man weiß, dass er sich selbst die Haare schneidet und seine Wäsche im Waschsalon wäscht; dass er Faulkner, Melville, Dostojewski verehrt, Autoren, deren Epen um Leben und Tod kreisen.
Soeben wurde dem 73-jährigen Cormac McCarthy der Pulitzer-Preis für seinen neuen Roman „Die Straße” verliehen. Als treuen McCarthy-Leser kann einen ob des Preises derselbe leise Ärger überkommen wie im Februar, als Martin Scorsese für „The Departed” endlich den Oscar bekam, den er eigentlich für noch bessere Filme verdient hätte.
Cormac McCarthy ist ein großer Naturschriftsteller, es gibt in seinem Werk herrliche Verlorenheitssituationen, Lichtnuancen, Windmetaphern, der Südwesten der USA ist in seinen Romanen so weit und rein und sandgefüllt wie eine biblische Landschaft. Dementsprechend elementar sind seine Dialoge, sie ähneln Wüstenpflanzen, nur das Nötigste, von der Sonne gegerbt, aber jedes harte Blatt strotzend voll lebendigen Wassers.
Bei der Lektüre von „Die Straße” beschleicht einen nun streckenweise das Gefühl, McCarthy habe Vater und Sohn auf diese endlose Wanderung durch ein verwüstetes Amerika geschickt, weil er sehen wollte, wie viel er schriftstellerisch rauszuholen vermag aus der Natur, wenn es diese nur mehr in grauschwarzen Reststümpfen gibt. Als wenn ein Maler farbfastet und ein Panorama nur in Grau und Schwarz herstellt. So laufen die beiden Seite um Seite durch „seidig schwarze Verwehungen”, durch „grau zerkrümelndes Farngestrüpp” und „weiches schwarzes Puder”, das durch die Straßen weht „wie die sich wölkende Tinte eines Kalmars am Meeresboden”.
Ab und zu tauchen Erinnerungsfetzen des Mannes auf, das Leben vor der Katastrophe, Farben, Alltag, Tiere. Beim Lesen geht es einem mit diesen Absätzen tatsächlich wie einem Fastenden, der den feinen Geruch von Essbarem in die Nase bekommt: Nie zuvor roch es so lecker, so kostbar. Noch Tage nach der Lektüre sind diese zwischen das nukleare Nieselgrau gestreuten Polaroids frisch im Gedächtnis: Forellen in bernsteingelber Strömung, Magnolienblüten, ein See im Herbst, „glatt wie dunkles Glas”.
Nahezu alle Referenzpunkte sind verschwunden. Die Gegend trägt keinen Namen, die beiden heißen nur Vater und Sohn, und wenn sie alte Häuser durchstöbern, wirken all die Relikte der Zivilisation, die Lehnstühle, Kreditkarten, Fernsehgeräte, sinnlos wie außerirdische Schriftzeichen. Man erfährt auch nie, was eigentlich passiert ist, aber die Katastrophe muss so schrecklich gewesen sein, dass das ganze Sonnensystem zu trauern scheint: „Am Tag umkreist die verbannte Sonne die Erde wie eine trauernde Mutter mit ihrer Lampe.”
Ein alleinerziehender Joseph
Tatsächlich gelingt es McCarthy einige Male, jäh das Wunder aufscheinen zu lassen, das Wunder des Lebens, das Wunder der Liebe: Dass sich inmitten des dunkelkalten Alls um unsere Erde ein blauschimmernder Lebensfilm gelegt hat, dünn wie eine Membran; dass inmitten der Einsamkeit diese beiden Überlebenden die Liebe umgibt. Während einer seiner Nachtwachen wirkt die matt leuchtende Plane, unter der sein schlafender Sohn kauert, auf den Vater wie „der Standort eines letzten Unternehmens am Rande der Welt. Wie etwas fast Unerklärliches. Was es auch war.”
Aber man fragt sich doch, ob man nicht auch am Rand der Welt ab und an einen Witz erzählt oder banal daherredet. Die Dialoge sind immer hochexistentiell aufgeladen, es geht ums Überleben, den Sinn des Weitermachens, die bange Frage: „Sind wir noch die Guten?”
McCarthys treuer Übersetzer Nikolaus Stingl trifft genau die Mischung aus hohem Ton und lakonischen Stummelsätzen, eine so phantastische wie bizarre Mischung aus verknappten Lyrismen, letzten Fragen und hartem Slang. Meist enden diese Dialoge mit einem doppelten Okay, das wie ein tiefes Einverständnis, ein Amen in Zeiten metaphysischer Unbehaustheit klingt.
„Was war das Tapferste, das Du je getan hast?” fragt der Junge einmal. „Dass ich heute morgen aufgestanden bin”, antwortet der Mann. Das humanistische Projekt schrumpft zusammen auf den Willen zu überleben, ohne töten zu müssen. Der Mann will die Reinheit des Jungen bewahren, dabei ist es längst der Junge, der durch sein Entsetzen den Vater davor bewahrt, im Kampf ums Überleben selbst zu verrohen. Einmal treffen sie einen uralten Mann namens Ely und geben ihm auf Wunsch des Jungen etwas zu essen. Nach alttestamentarischer Vorstellung sollte der Prophet Elias wiederkommen, um vor dem Ende der Welt als Letzter zur Umkehr zu rufen. In christlicher Deutung wird er als Vorbereiter des Messias angesehen. „Du bist nicht derjenige, der sich um uns Gedanken machen muss”, herrscht der Vater den Sohn kurz darauf an. „Der Junge blickte auf, sein Gesicht feucht und schmutzig. Doch, das bin ich, sagte er. Ich bin derjenige.”
Vater und Sohn, eine heilige Familie – mit alleinerziehendem Joseph . . . Da in McCarthys Werken Frauen noch nie eine Rolle gespielt haben, bringt sich die Mutter des Jungen bald nach dessen Geburt um. Bevor sie sich das Leben nimmt, sagt sie, sie seien nur noch „die wandelnden Toten in einem Horrorfilm”, als wolle sie, wenn McCarthy sie schon so früh aus dem Weg räumt, wenigstens noch beanstanden, bei welchem Genre er für seine Beschreibungen dieser endlos langen Reise in die Nacht die meisten Anleihen nimmt: Vater und Sohn kommen an gegrillten Kleinkindern und aufgespießten Köpfen vorbei. Einmal verstecken sie sich vor einer marodierenden Horde: „Keine hundert Meter weit entfernt zogen sie vorbei, so dass der Boden leicht bebte, mit schwerem Schritt. Hinter ihnen kamen Karren, gezogen von angeschirrten Sklaven, beladen mit Kriegsbeute, danach die Frauen, zuletzt ein Reservekontingent von Lustknaben, für die Kälte zu dünn angezogen und um den Hals Hundehalsbänder, über die sie miteinander verbunden waren.” Da ist die Erzählung dann plötzlich in Hollywood angekommen, auf dem Set von „Conan, der Barbar”. ALEX RÜHLE
CORMAC MCCARTHY: Die Straße. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007. 253 Seiten, 19,90 Euro.
Leer, kahl, tot – und nicht mal mehr Krähen am Himmel: Cormac McCarthy hat alle Farbe aus seinem Erzählen verbannt. Foto: Regina Schmeken
Cormac McCarthy Foto: epa
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Die Zärtlichkeit, die angesichts der unwiderruflichen Zerstörungen ihre ganze Kraft entfaltet, erhebt McCarthys neuen Roman bisweilen in himmlische Höhen ... Ein soghaft faszinierendes Werk! Der Spiegel