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Alexandria - Stadt voller Mythen, Phantasmen und Geheimnisse. Von Alexander dem Großen gegründet, zu Zeiten der Ptolemäer ein zweites Athen, wuchs Alexandria im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu neuer Größe und wurde zum Fluchtpunkt ganzer Schriftstellergenerationen.
Der sagenhafte Leuchtturm, die Große Bibliothek, die Liebeswirren von Caesar und Cleopatra - wenige Städte haben so viele Phantasmen von Größe und Ruhm hervorgebracht wie Alexandria, um dann über Jahrhunderte im Nichts der Geschichte zu versinken. Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhundert erlebte die Stadt eine ungeheure…mehr

Produktbeschreibung
Alexandria - Stadt voller Mythen, Phantasmen und Geheimnisse. Von Alexander dem Großen gegründet, zu Zeiten der Ptolemäer ein zweites Athen, wuchs Alexandria im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu neuer Größe und wurde zum Fluchtpunkt ganzer Schriftstellergenerationen.

Der sagenhafte Leuchtturm, die Große Bibliothek, die Liebeswirren von Caesar und Cleopatra - wenige Städte haben so viele Phantasmen von Größe und Ruhm hervorgebracht wie Alexandria, um dann über Jahrhunderte im Nichts der Geschichte zu versinken. Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhundert erlebte die Stadt eine ungeheure Renaissance - 2000 Jahre nach ihrer Gründung wurde sie erneut Symbol für ein offenes, kosmopolitisches Mittelmeer. In jahrelanger Sammlertätigkeit hat Joachim Sartorius literarische Zeugnisse zu Alexandria zusammengetragen - Reiseberichte, Erzähltes, Autobiographisches, Lyrik; von Flaubert, Kavafis, Ungaretti, Marinetti, Forster, Durrell, al-Kharrat; sie werden ergänzt durch poetische Rekonstruktionen von Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Perikles Monioudis, Armin Senser, Raoul Schrott und abgerundet durch Karten und illustrative Fundstücke.
Autorenporträt
Joachim Sartorius, geboren 1946, wuchs in Tunis auf und lebt heute - nach langen Aufenthalten in New York, Istanbul und Nicosia - in Berlin. Seit 2001 leitet er die Berliner Festspiele. Sein lyrisches Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er veröffentlichte mehrere, in Zusammenarbeit mit Künstlern entstandene Bücher und ist Herausgeber der Werkausgaben von Malcolm Lowry und William Carlos Williams sowie verschiedener Anthologien. Auszeichnung 1998 für seine Übersetzung amerikanischer Lyrik von John Ashbery und Wallace Stevens mit dem Paul-Scheerbart-Preis sowie mit zahlreichen Stipendien ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2001

Allegorie der sekundären Welt
Joachim Sartorius setzt Alexandria ein Denkmal

Das schönste Gedicht ist keins. Es ist 130 Jahre alt und ein Fahrplan, nichts als Abfahrtszeiten, angelaufene Häfen und Preise für die drei Klassen. Ausgangspunkt ist immer Alexandria. Die Ziele heißen Beirut, Jaffa, Smyrna, Dardanellen, Gallipoli, Konstantinopel, Odessa. Oder Livorno, Neapel, Genua. Oder Suez und Bombay mit Halt in Aden. Entfernung 2972 Seemeilen, Dauer 313 Stunden (diese Linie geht wöchentlich). Kein Schiff läuft mehr Jaffa an, kaum jemand weiß noch, wie Smyrna heute heißt, und Konstantinopel, hat es das je gegeben? Aber die Fahrpläne, entnommen François Levernays "Führer und Jahrbuch Ägypten" von 1872, lassen sich durch die Wirklichkeit nicht erschüttern. Pech für die Welt, daß sie nicht mehr gültig sind, daß ihrer Herrlichkeit nichts mehr entspricht.

Es gibt auch richtige Gedichte in diesem Gedenkband für die älteste und früher einmal prächtigste multikulturelle Stadt der Welt, darunter originäre sowohl als auch "poetische Rekonstruktionen", wie Joachim Sartorius, der das alles zusammengestellt hat, sie nennt. In den echten besingt Kavafis, der Klassiker der modernen griechischen Lyrik, seine Strichjungen, den "Ruhm der Ptolemäer" oder die "Alexandrinischen Könige". In den nachgeahmten besingen Sartorius, Gerhard Falkner und Armin Senser Kavafis, der seine Strichjungen, den "Ruhm der Ptolomäer" oder die "Alexandrinischen Könige" besingt. Und alle Gedichte, die echten und die nachgeahmten, trauern immer der Vergangenheit, der Lust und der Jugend nach. Selbst Durs Grünbein und Raoul Schrott, die zu den Jüngsten zählen, trauern der Vergangenheit, der Lust und der Jugend nach, wenn sie über Alexandria schreiben. Das ist ein auffälliges Phänomen, und es hat einen Namen: Alexandrismus.

Alexandria ist und war immer schon ein Mythos. Selbst wo die Realität im Spiel war, wurde im Laufe der Zeit ein Mythos daraus, wie aus Alexander dem Großen, der es 332 vor Christus gegründet hat, aus Antonius und Kleopatra, zu deren Zeit die Stadt 600000 Einwohner gezählt haben soll, oder, zwei Jahrtausende später, aus Konstantinos Kavafis, dem bedeutendsten und, recht besehen, einzig bedeutenden Dichter, den die Stadt hervorgebracht hat.

Für den literarischen Mythos "Alexandria" sind aber zwei Phänomene noch wichtiger als diese historisch-legendären Figuren: die sagenumwobene Bibliothek und der sagenumwobene Sex. Letzterer, man glaubt es leicht, hat die modernen Literaten naturgemäß stärker interessiert als das verbrannte Papier. Der Sex lebte von der speziellen levantinischen Mischung, die in Alexandria so ausgeprägt war wie nirgends sonst im Mittelmeerraum und der Stadt nicht nur eine phantastische Sprachen-, sondern auch eine phantastische Mädchen- und Knabenvielfalt beschert hat: "Sie sind unvergleichlich schöner als in Athen oder Paris; die Mischung aus Koptisch, Jüdisch, Syrisch, Ägyptisch, Marokkanisch, Spanisch ergibt schräge dunkle Augen, einen olivfarbenen Teint, geschwungene Lippen und Nasen und ein Temperament wie eine Bombe. Sexualproviant von Qualität", so faßt es Lawrence Durrell am 23. Mai 1944 in einem Brief an Henry Miller zusammen.

Edwar al-Charrat, der einzige ägyptische Schriftsteller, den Sartorius aufgenommen hat, sagt dasselbe, obwohl er in seinen Essays die orientalistischen Klischees, die Durrell über Alexandria verbreitet, vehement bekämpft.

Die Namen der Mädchen, die al-Charrat aufzählt (und dann näher beschreibt), sprechen für sich: Silvana, Suad, Despina, Sisi, Sitt Wahiba, Iskandara, Yvette Sasun, Gamalat, Sumaja, Janine, Nagija, Laila al-Akhjilija, Nafisa, Rana, Stifo, Odette, Arlette.

Spätestens 1956 war die Herrlichkeit vorbei. Der Militär Gamal Abdel Nasser herrschte seit zwei Jahren am Nil, und die vielen Fremden, die Juden und Europäer zumal, waren ihm suspekt. Wer das Land nicht freiwillig verließ, dem trocknete Nassers Verstaatlichungspolitik die wirtschaftliche Existenzgrundlage aus. André Aciman, amerikanischer Literaturwissenschaftler jüdisch-ägyptischer Abstammung, schildert in einem Auszug aus seinem autobiographischen Roman "Damals in Alexandria" wehmütig einen solchen Abschiedstag der Zwangsvertriebenen.

Man wundert sich, daß diese Stadt auch Heimat sein kann, nicht nur Mythos oder eine Leerstelle für das Begehren, die je nach Geschmack mit Büchern, schönen arabischen Männern oder Mädchennamen gefüllt wird. Selbst in dieser heterogenen Anthologie ist der von Phantasmen und Klischees freie Blick auf Alexandria eine Rarität. Von all den Jüngeren (in dem Kapitel "Poetische Rekonstruktionen") hat ihn allein Perikles Monioudis, vielleicht weil er selbst beinahe in Alexandria geboren worden wäre. Seine knappen, oft nur einzeiligen Notate kommen ohne Kavafis und Bibliothek aus. Statt dessen sieht er Dinge, die jeder im Nahen Osten sehen könnte - und doch nicht sieht: "Niemand trägt Sehhilfen" oder "Die Verkehrsschilder sind handgemalt." Oder die so wenig in die gängige Rede vom Niedergang Alexandrias passende Feststellung, daß die Sprachenvielfalt sich gehalten hat: "Er kommt mit Griechisch durch - die Alten haben die fremde Sprache in ihrer Kindheit gelernt, die Jüngeren von den Touristen, vom Verdingen auf Inseln und Schiffen." Und wenn Monioudis schwärmt, schwärmt er nicht von Körpern, sondern von den orientalischen Süßigkeiten in den allgegenwärtigen Patisserien.

Lawrence Durrell hingegen, der dank seiner Alexandria gewidmeten Romantetralogie als der bedeutendste Epiker der Stadt durchgeht, fügt in seinem Brief an Miller nach der Schwärmerei eiligst hinzu: "Aber die Atmosphäre ist dumpf, hysterisch, sandig, und der Wind aus der Wüste treibt alles zur Raserei. Liebe, Haschisch und Knaben sind für jeden, der hier länger als einige Jahre steckenbleibt, die einzige Lösung." Die Gleichsetzung von Alexandria und Dekadenz, die sich auch durch Durrells Roman zieht, ist kein modernes Phänomen, sondern ein Topos schon seit der Antike. Dion Chrysostomos, "Goldmund", schalt um die Wende zum ersten Jahrhundert die Alexandriner wegen ihrer Kunstversessenheit: "Ein Sänger braucht bloß einmal drauszukommen und den Ton nicht zu treffen, so merkt ihr es; wenn ihr selbst aber aus der natürlichen Harmonie kommt und euch äußerst mißtönend verhaltet, macht euch das nichts."

Diese Dekadenz, die mit der höchsten ästhetischen Bildung und sinnlichen Empfänglichkeit in eins fällt, hat sich mit dem Namen der Stadt zur Rede vom "Alexandrismus" verbunden: Kompilation statt Innovation, Kommentar statt Original. Das Museion von Alexandria mit seiner riesigen Bibliothek war die Geburtsstätte der Philologie. Kritische Ausgaben von Homer entstanden hier schon im zweiten Jahrhundert vor Christus, ein Jahrhundert zuvor erstellte Kallimachos den Katalog für die riesige Bibliothek, und alexandrinische Juden waren es, die die hebräische Bibel ins Griechische übersetzten und so die Septuaginta schufen.

Die Vorherrschaft des Sekundären prägt die hier versammelten Texte aus fast zweieinhalb Jahrtausenden bis heute. Man blättert mit Freuden darin, wird manches Mal überrascht, ja entzückt, und doch scheut man sich, es eine Fundgrube zu nennen. Die ganz großen Texte, die ganz großen Überraschungen fehlen. Gerne liest man viele der hier versammelten Gedichte, sei es zum ersten Mal, sei es noch einmal - zum Beispiel "Afrikanische Erinnerung" von Ungaretti: "Die Sonne entrückt die Stadt / Man sieht nicht mehr / Nicht einmal die Gräber widerstehen lange". Oder das Gedicht "Die Stadt" von Kavafis, das zu lang ist, um es hier zu zitieren, aber wunderschön und wahrhaftig. Dennoch wird man Sartorius nicht in der Behauptung folgen wollen, Kavafis' Gedichte hätten "mehr als die Verse T. S. Eliots oder Saint-John Perses die moderne Poesie revolutioniert". Alexandria und seine Texte bleiben eine "Fata Morgana" (wie der Untertitel des Buches lautet), ein ewiges "Es war einmal", das die "poetischen Rekonstruktionen" auch nicht mehr zu beleben vermöchten.

Genau das jedoch qualifiziert dieses Alexandria zur großen Allegorie für unsere Gegenwart. Die sekundäre Welt, die Aufhebung des Schaffensimpulses im Kommentar, für die der Alexandrismus in späthellenistischer Zeit stand, sie ist, so faßt es Czeslaw Milosz zusammen, das Kennzeichen unserer Epoche, "in der das Wort sich nicht mehr auf das Ding, zum Beispiel den Baum, bezieht, sondern auf den Text über einen Baum, einen Text, der zurückgeführt werden kann auf einen anderen Text über einen Baum und so weiter".

Und genauso ist es mit den Texten über Alexandria, die mit wenigen Ausnahmen Texte über Texte über Alexandria sind, seit jeher. "Museen, Bibliotheken, Fotografien, Reproduktionen, Filmarchive. Und in all diesem Überfluß einzelne Menschen, die nicht merken, daß um sie herum ein allgegenwärtiges Gedächtnis die Herrschaft über sie gewinnt, sie umzingelt und das bißchen Bewußtsein, was sie haben, noch weiter angreift." Czeslaw Milosz sagt es. Alexandria steht dafür. Und den Aufstand gegen die sekundäre Welt proben nur noch die Fahrpläne.

STEFAN WEIDNER

Joachim Sartorius (Hrsg.): "Alexandria Fata Morgana". Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2001. 316 S., geb., 58,- DM

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hoch interessant dieser Band über das immer schon mythische Alexandria, so könnte man das Urteil von Stefan Weidner, zusammenfassen, aber die wirklich spannenden Momente fehlen. Was daran liegen könnte, meint der Rezensent, dass Alexandria selbst, das hier in echten und unter anderem von Joachim Sartorius selbst "rekonstruierten" Gedichten besungen wird, nur einen einzigen großen Dichter hervorgebracht hat: Kavafis. Der doppelte Mythos vor dem Hintergrund der "sagenumwobenen Bibliothek" einerseits, des "sagenumwobenen Sex" andererseits wird aber, findet Weidner, schön deutlich. "Phantasmen und Klischees" jedoch finden sich in den Texten von Durrell und Grünbein und allen anderen auf Schritt und Tritt, einzige Ausnahme: Perikles Monioudis. Sehr tauglich als "Allegorie" auf die Jetztzeit ist Alexandria nach Ansicht des Rezensenten aber allemal: als Ort der "Kompilation statt Innovation", des grundsätzlich Sekundären, vom ausufernden Gedächtnis Umlagerten.

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