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Erhellend, ernüchternd, irritierend: Navid Kermanis brillante Reportagen machen das scheinbar Irrationale des Orients verständlich, das Fremde beängstigend vertraut. Sie führen uns zwischen Ägypten und Indonesien in all jene Regionen der islamischen Welt, die heute im Brennpunkt stehen: der Nahe Osten ebenso wie Zentralasien, Iran ebenso wie Pakistan. So präzise er einzelne Situationen und Menschen schildert, so weisen doch die Schlüsse, die er zieht, immer über den Gegenstand seiner Reportage hinaus. Es sind Analysen auch unserer Welt, die aus der konkreten Erfahrung erwachsen. Der Krieg als…mehr

Produktbeschreibung
Erhellend, ernüchternd, irritierend: Navid Kermanis brillante Reportagen machen das scheinbar Irrationale des Orients verständlich, das Fremde beängstigend vertraut. Sie führen uns zwischen Ägypten und Indonesien in all jene Regionen der islamischen Welt, die heute im Brennpunkt stehen: der Nahe Osten ebenso wie Zentralasien, Iran ebenso wie Pakistan. So präzise er einzelne Situationen und Menschen schildert, so weisen doch die Schlüsse, die er zieht, immer über den Gegenstand seiner Reportage hinaus. Es sind Analysen auch unserer Welt, die aus der konkreten Erfahrung erwachsen.
Der Krieg als Wirtschaftsunternehmen, Städte, die ihren Zerfall organisieren, die Hauptstadt des größten muslimischen Landes als Tempel des Konsums, der religiöse Extremismus als die perfideste Form der Globalisierung - der Orient, den Navid Kermani bereist, hat mit den hübschen Märchen aus tausendundeiner Nacht so wenig zu tun wie mit den finsteren Klischees von Allahs bärtigen Kriegern. Die Welt, die sich in seinen Reportagen auftut, ist modern, erschreckend modern sogar: In vielen Aspekten nimmt sie vorweg, was auch unseren Wohlstandsgesellschaften droht, wenn ihre Fliehkräfte übermächtig werden sollten. Immer umfassendere Ordnungsstrukturen regulieren unser Leben wirtschaftlich, technologisch und politisch und führen zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse und Werte. Zugleich wächst die Kluft zu jenen Ländern, Regionen oder Stadtvierteln, die mit der Entwicklung nicht mehr mithalten, bis sie gänzlich von unserer Realität abgekoppelt sind - um am Ende um so gewaltsamer in unser Bewußtsein zurückzukehren.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967, promovierter Islamwissenschaftler und Publizist, gilt als führender Iran-Experte in Deutschland und hat zwischen 1995 und 2000 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung in Iran verfolgt. Für das Studienjahr 2000/2001 ist er an das Wissenschaftskolleg in Berlin berufen worden. 2010 wurde Navid Kermani mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille 2011" ausgezeichnet und 2011 erhielt er den "Hannah-Arendt-Preis" für seine "lagerüberwindenden, religionswissenschaftlichen und politischen Analysen". Im Jahr 2012 wurde er für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen mit dem "Kölner Kulturpreis" ausgezeichnet, im Oktober erhielt er den "Cicero Rednerpreis" für "herausragende rhetorische Leistungen". Im November desselben Jahres wurde ihm der "Kleist-Preis" verliehen. 2014 erhielt er den "Joseph-Breitbach-Preis" für sein Gesamtwerk, 2015 wurde ihm der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2003

Das Villenviertel und der Orient

Die Vorstellung, die Welt ließe sich durch gezielte militärische Interventionen mittelfristig bessern, ist nicht voraussetzungslos. Sie beruht auf einer Aufteilung der Realität in zwei Zonen, die durch eine hohe Mauer voneinander getrennt sind und daher nichts miteinander zu tun haben: dem Villenviertel der westlichen Zivilisation, in dem das Leben durch immer vollkommenere Institutionen gesichert und verwaltet wird, und den mehr oder weniger verwahrlosten Slums ringsum, die durch eigentümliche Sitten, undurchsichtige Religionen, unberechenbare Herrscher, kurz: durch Gefahren jedweder Art gekennzeichnet sind. Der Islamwissenschaftler Navid Kermani leitet seine jetzt als Buch erschienenen Reportagen aus islamischen Ländern ("Schöner neuer Orient". Berichte von Städten und Kriegen. Verlag C. H. Beck, München 2003. 240 S., geb., 19,90 [Euro]) mit der Beobachtung ein, die Segregation der Dritte-Welt-Metropolen, in denen sich die Parklandschaften der Reichen durch hochtechnisierte Sicherheitssysteme vom Wildwuchs draußen abschirmen, bestimme längst auch den Blick, den selbst die Gutwilligsten in den Metropolen des Westens auf die internationale Nachrichtenlage werfen.

Nach dem 11. September 2001 hat diese Zweiteilung auch den letzten Anschein von Harmlosigkeit verloren. Wenn die Welt vornehmlich von der Warte eines bedrohten Paradieses her wahrgenommen wird, engt sich das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten erheblich ein. Eine fatale Eigendynamik kommt in Gang. Das Verfahren, am anderen nur die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit sich selbst zu erkennen, provoziert oft erst die Bildung jener rigiden ausschließenden Identitäten, die dann am Ende keine andere Wahl als kriegerische Eindämmung zu lassen scheinen.

Kermanis Reportagen zeichnet das Gegenteil aus. Als in Deutschland aufgewachsener Iraner gelingt es ihm, die von ihm bereisten Gesellschaften von innen und außen zugleich zu beobachten. Von außen, da er den westlichen Erwartungshorizont kennt und die Erfahrung einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Von innen, da ihm nichtwestliche Verhaltensweisen in dieser Region nicht weniger vertraut, natürlich und menschlich vorkommen als westliche. Das betrifft nicht nur prinzipielle Dinge wie die Religion, sondern schon einfachste Gesten. So identifiziert er das gleichzeitige Glucksen und Poltern, das er im palästinensischen Akko bei einem Mann hört, der seine kleine Tochter in die Höhe wirft, als jene "clownesk-burschikose Zärtlichkeit", die er schon bei so vielen Arabern im Spiel mit ihren Kindern wahrgenommen hat und die deshalb für ihn mitten in Israel wie ein Ortsschild wirkte. Oder er erkennt das verzweifelte Lachen des afghanischen Widerstandskämpfers wieder, den er im Fernsehen vor den Trümmern seines von den Taliban zerstörten Hauses stehen sieht: Es ist das gleiche Lachen, wie er es in tadschikischen Familien erlebt hat, wo man gar nicht mehr herauskam aus dem Lachen, weil das Leben "so schrecklich ist, aber auch so absurd". Er kam gar nicht umhin, das verzweifelte Lachen des Afghanen sofort zu begreifen, schreibt Kermani - um so mehr fühlte er sich davon getroffen, daß dieser Mann am 9. September 2001 ermordet worden war.

Aufgrund dieser Vertrautheit kann Kermani auf Stilisierungen und Zuschreibungen verzichten, die jegliche Verschiedenheit politisch, kulturell oder religiös aufladen. Im Dankwort findet sich ein Schlüssel für die Herangehensweise dieser Berichte. Jedesmal, schreibt der Autor dort, zucke er zusammen, wenn er Formulierungen höre wie "die Araber sind", "die Pakistanis denken", "die Muslime kennen nicht": "Die Menschen, die ich kennengelernt habe, die sind, haben, denken, müssen nicht, was über sie gesagt wird, und Güte und Toleranz kennen sie sehr wohl." Wer den Bewohnern der unheimlichen Gefahrenzone die gleiche Individualität zuerkennen kann wie der Bevölkerung des Villenviertels, ist zu einer viel präziseren Unterscheidung der Ebenen in der Lage, als wer nur die immer gleichen abstrakten Denkbausteine wie "Moderne", "Islam" und "Identität" gegeneinander verschiebt.

Schon in einer früher veröffentlichten Interpretation des "11. September" ("Dynamit des Geistes". Martyrium, Islam und Nihilismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2002. 72 S., br., 14,- [Euro]) hatte sich Kermani dagegen gewendet, die Anschläge umstandslos aus der islamischen Tradition herzuleiten, und diese statt dessen als Akt eines modernen Nihilismus gedeutet. Ähnlich zeigt er nun in den Reportagen, wie das neue Hervorkehren muslimischer "Identität" etwa in Ägypten durchaus Folge und Teil der Globalisierung sein kann. Die jungen Frauen der Mittelschicht, die jetzt wieder Kopftuch tragen, "kennen sich in Hollywood aus, lieben Meryl Streep und lesen Arundatha Roy, wünschen sich aber, daß der eigene Staat islamischer werde, ohne deswegen an die Herrschaft der Rechtsgelehrten oder die Rückfahrt zum Kalifat zu denken".

Die Länder, die Navid Kermani bereist hat - außer Ägypten sind es Pakistan, Tadschikistan, Indonesien, Palästina und Iran - gehören alle zu dem Szenario der Angst, dem sich das Villenviertel ausgesetzt sieht. Der Autor beschreibt im Detail das Versagen der Eliten, der Politik, ja der gesamten Kultur des Islam in dieser Region. Aber er zeigt auch, weshalb die Menschen, die Opfer dieses Versagens sind, durch die Abstraktionen des sich bedroht fühlenden Westens ein weiteres Mal zu Opfern werden.

MARK SIEMONS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Navid Kermanis Reportagenband "Schöner neuer Orient" hat Rezensent Gennaro Ghirardelli vollauf begeistert. Nicht nur als "genau beobachtet und fein unterschieden" sondern auch als "ebenso präzise und brillant geschrieben" lobt er den Band. Die einleitenden Betrachtungen zur Weltinnenpolitik, zu globalisierter Gegenwart und dem Nährboden für Terror und Gewalt findet er "scharfsichtig". Die Reportagen selbst, die den Leser mit Bildern aus Städten, Einschätzungen und Analysen der Politiken und des kriegerischen Geschehens und Einzelschicksalen von Ägypten über Pakistan, Tadschikistan, Indonesien, Israel, Palästina in den Iran führen, zeichnen sich nach Ansicht Ghirardellis durch ihre feine Differenziertheit aus. Anders als manch vollmundiger Orientexperte spreche Kermani nicht von "den Arabern", "den Muslimen" oder "den Islamisten". "Gestochen scharf" zeichne Kermani Situationsbilder und Lebensverhältnisse von Menschen, die in einer Welt überleben wollten, in der widersprüchliche Werte aufeinanderprallen und ökonomische Ungleichheit, Krieg, Bürgerkrieg und Repressionen herrschen. "Dieses Buch über die Städte und die Kriege", resümiert der Rezensent, "ist neben seiner intelligenten Wachheit und Lebendigkeit auch das Buch einer klugen Menschlichkeit."

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2003

Tausendundeine Welterfahrung
Navid Kermani reist durch den modernen Orient
Einen schönen neuen Orient führt Navid Kermani mit seinen Reportagen da vor! Deren literarische Qualitäten freilich treten in der Zusammenstellung zu einem Buch so richtig zu Tage. Nach einer scharfsichtigen einleitenden Betrachtung der Weltinnenpolitik, von Provinzialismus, bornierter Rechthaberei allenthalben und der globalisierten Gegenwart jener Zustände, die guten Nährboden für terroristischen Hass hergeben, wenden sich diese Berichte Ländern und Städten der sog. islamischen Welt zu, in denen sich solche Probleme auf unterschiedlichste Weise verdichtet haben und exemplifizieren lassen. Es ist dies kein undifferenzierter „Orient”. Kermani spricht nicht von „den Arabern”, „den Muslimen” oder „den Islamisten” wie manche vollmundigen Orientexperten, Prognostiker oder sonstige Eingeweideschauer. Hier wird genau beobachtet und fein unterschieden – und ebenso präzise und brillant geschrieben.
Diese islamische Welt ist nicht die Welt irgendwelcher Menschenmassen mit einer opaken, mehr oder weniger bedrohlichen Befindlichkeit, sondern eine von Menschen, die beim Aufeinanderprallen widersprüchlicher Wertvorgaben, in Verhältnissen extremer ökonomischer Differenzierung bei gleichzeitiger sozialer Entdifferenzierung, in implodierenden Staatsgebilden, in Krieg, Bürgerkrieg und Repression, überleben wollen. Situationsbilder und Lebensverhältnisse werden von Kermani gestochen scharf gezeichnet – mitunter bis an die Schmerzgrenze.
Die Reportagen gehen den Weg von Ägypten über Pakistan, Tadschikistan, Indonesien, Israel und Palästina nach Iran; es gibt Bilder aus Städten, Einschätzungen und Analysen der Politiken und kriegerischen Geschehens, ausgeleuchtete oder ins Hell-Dunkel gesetzte Einzelschicksale. Trockenes Zahlenmaterial wird dabei so geschickt eingebettet und mit den beobachteten Lebensverhältnissen verbunden, dass der Leser nirgends schutzlos im statistischen Regen steht.
Die Reisen beginnen in Ägypten mit einer lebendigen Beschreibung Kairos, dass dem Rezensenten, der selbst längere Zeit in dieser Stadt verbracht hat, die Bilder mancher Straßenecken, Gerüche und Geräusche wieder in Erinnerung traten. Jeder Satz über das soziale und politische Leben, über Toleranz und Bigotterie, über Widersprüche, die dort keine sind, über Alltag und Fest, trifft ins Schwarze. Im Klappentext steht zwar, Kermanis Buch habe mit den Märchen aus 1001 Nacht wenig zu tun. Das trifft insofern nicht zu, als diese Berichte wie die Märchen pralles Leben vorführen, Komisches und Todtrauriges, Erfreuliches und Erschreckendes, Liebenswertes und Verachtungswürdiges, Leben und Tod – Menschen eben, mitunter auch Gnome und Geister; alles, was das Leben und die Welt so bietet. Auch die Märchen aus 1001 Nacht sind modern, sonst würden sie ja nicht mehr gehört.
Importierte Frömmigkeit
Den politischen Umständen zufolge stehen in „Israel und Palästina” weniger ein Land oder eine einzelne Stadt im Mittelpunkt, sondern eine paradoxe Wirklichkeit von Städten und Stätten – mithin von Menschen, deren Zugehörigkeit zu einem Land mehrfach definiert und dementsprechend politisch, ideologisch oder religiös umstritten und blutig umkämpft ist. In einem solchen terrain vague voller lokaler und mentaler Kontrollposten geht es nur noch um die Sicherung der eigenen Macht.
Durch die dunkle Stadt Karatschi findet der Journalist seinen Weg in ein obskures Nationalmuseum, schließlich Eingang zu den befremdlich uneindeutig anmutenden Prozesssitzungen gegen den früheren Premierminister Nawaz Sharif. In der grünen, ländlichen Hauptstadt Tadschikistans, in Duschanbe, geht ein kunstbegeistertes Publikum nach gerade überstandenem Krieg der Clans und Kriegsgewinnler wegen der immer noch bestehenden abendlichen Ausgangssperre zur Mittagszeit im Abendkleid ins Theater oder in die Oper; es profitiert nach einem unerklärlichen Krieg vorläufig von einem ebenso unerklärlichen Frieden. Djakarta wiederum hält für wohlhabendere und reiche Kreise, für jung und alt, jeweils passende Shopping malls bereit. Selbst die neue Frömmigkeit des konservativen Bürgertums mutet eher wie ein importiertes Produkt aus der „Boutique Islam” an. In Aceh hingegen, fernab der Hauptstadt, bewährt sich das Militär weniger im Kampf gegen terroristische Banden als um die Erhaltung seiner Macht und Privilegien.
Nach Hause kommt der Autor in Iran, in Isfahan. Hier herrscht ein anderer Ton vor. In diesem Kapitel fehlt der scharfe Blick des fremden Beobachters; der Autor ist in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Ihn holt dort sowohl die multireligiöse Geschichte der Stadt als auch die Wirklichkeit der „Islamischen Republik Iran” mit den Problemen der modernen Gesellschaft ein. Auch hier gilt: „Ein Staat, der sich durch seine Religion definiert, scheint in allen Fällen das zuverlässigste Mittel zu sein, deren heiligste Werte zu vernichten.”
Dieses Buch über die Städte und die Kriege ist neben seiner intelligenten Wachheit und Lebendigkeit auch das Buch einer klugen Menschlichkeit. Gründe genug, es zu lesen!
GENNARO GHIRARDELLI
NAVID KERMANI: Schöner neuer Orient. Berichte von Städten und Kriegen. C.H. Beck Verlag, München 2003. 240 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Journalismus im besten Sinne." (Elisabeth Kiderlen, Badische Zeitung)
"Kermani tut mehr, als bloß zu berichten. Er inszeniert seine Berichte, verwandelt die Recherche in ein Minidrama, mit Guten und Bösen, Häschern und Märtyrern und den abenteuerlichsten Peripetien. Shakespeare hätte seine Freude daran gehabt." (Stefan Weidner, DIE ZEIT)