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Was hat den berühmten Filmemacher Goro in den Freitod getrieben? Die Suche nach einer Antwort führt Cogito von Tokio nach Berlin. In einem fiktiven Gespräch mit seinem toten Freund erinnert er die gemeinsame Jugend zur Zeit der amerikanischen Besatzung, streift Fragen zur Bedrohung durch die japanische Mafia und zur gemeinsamen Obsession für Film und Sex. In seinem entrückend schönem Buch ertastet Oe einmal mehr den erschreckenden Übergang zwischen Tod und Leben.
Es beginnt mit dem Selbstmord von Goro, einem berühmten Filmregisseur, Schwager und langjähriger Freund von Kogito. Und mit dem
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Produktbeschreibung
Was hat den berühmten Filmemacher Goro in den Freitod getrieben? Die Suche nach einer Antwort führt Cogito von Tokio nach Berlin. In einem fiktiven Gespräch mit seinem toten Freund erinnert er die gemeinsame Jugend zur Zeit der amerikanischen Besatzung, streift Fragen zur Bedrohung durch die japanische Mafia und zur gemeinsamen Obsession für Film und Sex. In seinem entrückend schönem Buch ertastet Oe einmal mehr den erschreckenden Übergang zwischen Tod und Leben.
Es beginnt mit dem Selbstmord von Goro, einem berühmten Filmregisseur, Schwager und langjähriger Freund von Kogito.
Und mit dem Selbstmord beginnt Kogitos langes Gespräch mit dem Toten. Das Gespräch stützt sich auf Kassetten, die Goro kurz vor seinem Tod für Kogito besprochen hat. Um Abstand zu den Ereignissen zu bekommen, nimmt Kogito die Samuel Fischer Gastprofessur in Berlin an. In Berlin setzt er das Gespräch mit seinem Schwager und Freund fort, Erinnerungen an gemeinsam Erlebnisse verbinden sich mit Fragen zum Selbstmord, zur Literatur, Journalismus, zur japanischen Mafia, der Yakuza, zum Film und Sex. Durch die Erinnerung an einen rechtsradikalen Angriff auf ihn, Kogito, taucht die Erinnerung an eine anderes Ereignis auf, das vor vielen Jahren Coro und Kogito zusammen erlebt haben. Der rechtsgesinnte Vater Kogitos wurde zur Zeit der amerikanischen Besatzung im Zuge eines Banküberfalls erschossen. Daraufhin gründete Daio, ein Freund des Vaters, eine ökologische Hofgemeinschaft, wo sich Kogito und Goro viel aufhielten. Dort plante Daio auch eine Attacke gegen die amerikanischen Besatzer und wollte auch die beiden Jungen dafür begeistern, aber vergeblich. Die werden daraufhin zum Gespött der Hofgemeinschaft.
Kogito erfährt, von Berlin nach Japan zurückgekehrt, dass Goro zu dieser Geschichte ein Drehbuch geschrieben hat. Parallel zu dem Erzählstrang kommt eine Liebesgeschichte Goros dazu, die ebenfalls in Berlin stattgefunden hatte. In Berlin lernt Kogito Ulla, Goros Geliebte, eine in Berlin lebende Japanerin, kennen. Auch sei weiß keine Antwort auf Goros Selbstmord.
Am Ende kommt noch Goros Schwester ins Spiel, auch sie hat keine Erklärung, nur die, dass Goro seit den Ereignissen in der Hofgemeinschaft ein ausgewechseltes (Changeling) Kind gewesen sei. Die Frage nach Goros Selbstmord bleibt unbeantwortet.

Hintergrund ist natürlich Oes Leben: Goro ist Juzo Itami, der berühmte japanische Regisseur (Tampopo). Nach einem Film zur Yakuza wurde er von dieser überfallen und schwer verletzt. Er beging 1997 Selbstmord. Auch der wirkliche Itami gibt keine Antworten auf seinen Selbstmord.

Autorenporträt
Kenzaburo Oe, geboren 1935 auf der Insel Shikoku, Studium der Romanistik an der Universität von Tokio, Veröffentlichungen von Essays, Erzählungen und Romanen. Studienaufenthalte in Frankreich und den USA, 1999/2000 Gastprofessur in Berlin. Auszeichnung1994 mit dem Nobelpreis für Literatur. Der Autor lebt in Tokio.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2005

Trunken von Sake und Rimbaud
Gedächtniskamera: Kenzaburô Ôes virtuoser Künstlerroman

Der neue Roman des 1935 geborenen japanischen Nobelpreisträgers Kenzaburô Ôe ist zugleich eine Weiterentwicklung und Retrospektive seiner vorherigen Werke, Themen, Ausdrucksmittel und Motive. Sein Ansatzpunkt ist die Rekonstruktion des Lebens und vor allem des Lebensendes des bekannten Regisseurs Jûzô Itami (1933 bis 1997). Der Jugendfreund und spätere Schwager Ôes, dessen schwarzhumorige Kinofilme wie "Das Begräbnis" oder das Nudelsuppen-Drama "Tampopo" auch in Deutschland berühmt wurden, stürzte sich im Dezember 1997 von einem Hochhausdach.

"Tagame", zu deutsch Schildkäfer, nennt Gorô, das Alter ego Itamis, den Rekorder, den er Kogito alias Ôe zusammen mit fünfzig von ihm mit Jugenderinnerungen und biographischen Botschaften besprochenen Kassetten kurz vor seinem Tod vermacht. Nach strikt kodierten "Regeln" beginnt Kogito, der Gorôs Ausführungen immer wieder kommentiert und später die beiden Bänder zu einem dritten zusammenschneidet, ein "intellektuelles Spiel" und fiktives Zwiegespräch über den Tod hinaus: "Gorô hat ein spezielles System angefertigt. Allerdings befindet sich seine Seele in einem anderen Raum als dem, in dem wir leben. Der Stromkreis des Schildkäfers verbindet zufällig die Räume dort und hier."

Gorôs posthume Bekenntnisse über die geteilten Liebschaften und Leidenschaften für romantische Gedichte, Frauen und Filme führen den Erzähler direkt nach Berlin, wo er sich eine Auszeit von seinen Séancen oder, wie er es nennt, "Hundert Tage Quarantäne" gönnt. Im kalten Berliner Winter, als der Erzähler wie Ôe 1999 die Samuel-Fischer-Gastprofessur annimmt, verfolgt er die Spuren Gorôs. Meisterhaft und mit spielerischer Eleganz verwebt Ôe die Beziehungsgeflechte und Erinnerungsfäden zwischen der westlichen und östlichen Metropole, wechselt Kulturkreise und Schauplätze, die von den Berliner Filmfestspielen bis zum Tokioter Untergrund führen, und ergründet in immer neuen Begegnungen, Gesprächen und Zeugenaussagen von Schauspielkollegen, Weggefährten, Dolmetscherinnen und Geliebten die Motive einer inneren Zerrüttung.

Was aber Gorô alias Itami letztlich in den Abgrund führte, waren nicht die ihm teils angedichteten Frauenaffären und die Machenschaften der Regenbogenpresse allein, wie eine damals verbreitete These war: "Denn an diesen Vor- und Nachmittagen, und auch in den alle zwei bis drei Tage ausgestrahlten Kultursondersendungen hatte er begriffen, daß Gorôs Tod in der Sprache des heutigen Fernsehens nicht erklärt und von der Gesellschaft folglich auch nicht verstanden werden konnte."

Beim Versuch, die Bruchstellen in der Biographie zu rekonstruieren, verwendet Ôe neben den besagten Kassettenbändern auch Abschiedsbriefe, Drehbücher und Storyboards und entwickelt so aus dem hinterlassenen Erinnerungskonvolut das Psychogramm eines Selbstmörders. In filmisch anmutenden Sequenzen und Reminiszenzen spiegelt sich die japanische Nachkriegszeit schlaglichtartig wider: die Verwirrung ob der Menschlichkeit des Kaisers nach dessen Kapitulationserklärung, die Jugend unter der amerikanischen Besatzung, die Orientierungslosigkeit gegenüber den importierten Werten von Freiheit und Demokratie, die Proteste gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag, Gewalt und Einschüchterung durch nationalistische Netzwerke oder organisierte Kriminalität, die der mafiakritische Regisseur wiederholt zu spüren bekam.

Der Erzähler kontrastiert die Lebensphasen und Depressionszustände seines Freundes mit Momentaufnahmen der Umbrüche, Traumata und Illusionen der modernen japanischen Geschichte, mit dem komplexen Spannungsfeld fortschrittlicher, revolutionärer und reaktionärer Ideologien. Etwa geraten die beiden angehenden Studenten kurzzeitig in den Bann eines radikalen Anführers einer antiamerikanischen Aktivistengruppe.

Ôe arbeitet in seinen psychoanalytisch grundierten Annäherungen an den Suizid mit Bibelstellen, buddhistischen Klassikern oder - in Form eines Bilderbuchs von Maurice Sendak - mit der Symbolik europäischer Märchen, die sich in parallelen Lektüren mit dem Lebensweg Itamis überlagern. Ôes metaphernreicher, zwischen verschiedenen Perspektiven, Sichtweisen und Zeitebenen oszillierender Stil macht "Tagame" zu einer streckenweise sperrigen Lektüre, die aber in unerwarteten gedanklichen Eckensprüngen und raffinierten Erzählbewegungen stets zu den zentralen Fragestellungen zurückfindet. Einmal mehr überzeugt der Autor von "Eine persönliche Erfahrung" durch seine introspektive Beobachtungsgabe und mit hoher Auflösung arbeitende "Gedächtniskamera", wenn er etwa gemeinsame Überlandfahrten durch die Trümmerlandschaften Nachkriegsjapans und die von Rimbaud und Sake trunkenen Jugendtage einfängt.

Was Ôe in seinem experimentellen und dichten Spätwerk anstrebt, ist eine ambitionierte Synthese der Künste, Kulturen und Kulturtechniken, eine Vereinigung der Literatur mit Kompositionselementen des Films oder der surrealen Malerei: "Er saß vor den vielen Büchern, und in seinem Schädel sah man ein rotes Herz. Mehrere feine Blutgefäße waren direkt mit einer Herzklappe verbunden und traten aus dem Kopf aus. Wenn er genau hinsah, reichte jedes einzelne zu jeweils einem Buch im Regal hinüber. In dieser durch die Blutgefäße vermittelten Verbindung zwischen ihm und den Büchern spürte er eine große Geborgenheit, begleitet von einem melancholischen Gefühl des Verlusts."

Wie nebenbei ergeht sich der Autor in essayistischen Exkursen und Theorien über Japans Kunst und Kulturgeschichte zwischen Epigonentum und Kreativität. Ôe selbst begreift seine stark autobiographisch gefärbte Schreibtechnik als eine werkimmanente "Wiederholung mit Verschiebungen": Da wären das in fast allen seiner Bücher wiederkehrende Motiv des behinderten Kindes (sein Sohn kam mit einer Gehirnanomalie zur Welt), die Analyse und Demontage einer charismatisch begabten Führerfigur oder die Mythen der Walddörfer seiner Heimatinsel Shikoku - etwa Überlieferungen über Seelenwanderungen, die in seine Gedanken zum Tod seines Freundes hineinspielen.

Perfekt beherrscht Kenzaburô Ôe die Kunst, das scheinbar Private und Periphere ins Politische zu übertragen. In "Tagame" erweist er sich so als ein genauer Chronist individueller wie kollektiver Bewußtseinsveränderungen und Irrwege; überdies ist das Buch eine abgründige Satire auf das Startum des Filmbusiness, auf die Medien als Generatoren moderner Mythen, auf das Kritikwesen und die Kulturindustrie. "Tagame" ist zugleich Bewältigungsliteratur privater und nationaler Krisen, Familienmelodram und Künstlerroman und auch ein schillerndes Kaleidoskop japanischer Zeit- und Kulturgeschichte. Auf jeden Fall ist Ôes Epitaph auf seinen Jugendfreund sein bislang leisestes und vielleicht auch persönlichstes Werk.

STEFFEN GNAM

Kenzaburô Ôe: "Tagame. Berlin - Tokyo". Roman. Aus dem Japanischen übersetzt von Nora Bierich. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Marion Löhndorf ist von diesem Roman des japanischen Autors Kenzaburo Oe sehr beeindruckt, weist aber darauf hin, dass sich die Leser auf eine "labyrinthische" und deshalb anstrengende Lektüre gefasst machen müssen. In dem Buch geht es um den Selbstmord des Schauspielers und Filmregisseurs Goro, über dessen Gründe sein Freund Kogito nachgrübelt. Viele Themen werden angeschnitten und es braucht lange, bis man die Zusammenhänge der zahlreichen Details versteht, betont die Rezensentin. Dabei sei "Tagame" unschwer als "kaum verhüllter Schlüsselroman" zu erkennen, mit Goro ist der Filmemacher Juzo Itami beschrieben, bei Kogito handelt es sich um Oe selbst, weiß Löhndorf. Durch die Genauigkeit der vielen Details wird der Geschichte die "Authentizität eines dokumentarischen Werks" verliehen, findet sie, und wenn durch die zahllosen "Querverweise", das Springen zwischen verschiedenen Zeitebenen und das Verknüpfen von Politik, Film, Kunst und Biografie ein äußerst "komplexes" Gebilde entsteht, so macht die "Unmittelbarkeit und Dringlichkeit des Schreibens" die Mühsal der Lektüre wieder wett, so Löhndorf überzeugt. Am Ende allerdings sind bei allem Streben, der "Wahrheit" näher zu kommen, nicht alle Fragen geklärt und die "größten Rätsel" bleiben ungelöst, stellt die Rezensentin abschließend fest.

© Perlentaucher Medien GmbH
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