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Halloween, Tag der lebenden Leichen. Die Geister dreier toter Teenager kehren aus dem Zwischenreich zurück nach Avon, Connecticut. Vor genau einem Jahr sind sie hier gestorben: eine rasende Tour über den Highway, die Smashing Pumpkins laut aus den Boxen, ein Joint, hinter ihnen ein Polizeiwagen mit heulender Sirene. Eine scharfe Kurve. Ein Baum. Nun sehen sie nach den Freunden, die den Unfall überlebt haben: Kyle, entstellt und debil, und Tim, völlig unverletzt, aber innerlich "längst tot". So etwas merken Geister, und sie merken auch, dass Tim etwas Schreckliches vorhat. Doch sie können es…mehr

Produktbeschreibung
Halloween, Tag der lebenden Leichen. Die Geister dreier toter Teenager kehren aus dem Zwischenreich zurück nach Avon, Connecticut. Vor genau einem Jahr sind sie hier gestorben: eine rasende Tour über den Highway, die Smashing Pumpkins laut aus den Boxen, ein Joint, hinter ihnen ein Polizeiwagen mit heulender Sirene. Eine scharfe Kurve. Ein Baum. Nun sehen sie nach den Freunden, die den Unfall überlebt haben: Kyle, entstellt und debil, und Tim, völlig unverletzt, aber innerlich "längst tot". So etwas merken Geister, und sie merken auch, dass Tim etwas Schreckliches vorhat. Doch sie können es nicht verhindern, gegen den Willen der Lebenden kommen sie nicht an.
Autorenporträt
Stewart O'Nan wurde 1961 in Pittsburgh/Pennsylvania geboren und wuchs in Boston auf. Bevor er Schriftsteller wurde, arbeitete er als Flugzeugingenieur und studierte an der Cornell University Literaturwissenschaft. Für seinen Erstlingsroman «Engel im Schnee» erhielt er 1993 den William-Faulkner-Preis. Er veröffentlichte zahlreiche von der Kritik gefeierte Romane, darunter «Emily, allein» und «Die Chance», und eroberte sich eine große Leserschaft. Stewart O'Nan lebt in Pittsburgh.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2004

Speed Kings
Vollgas voraus: Stewart O'Nan zeigt Stärke und Schwäche

Gespenster schnattern nicht. Sie rasseln höchstens mit ihren Ketten oder lassen Vorhänge flattern und Kerzen erlöschen. So jedenfalls jene Untoten, die der Horrorfilm von seinen literarischen Vorbildern aus vergangenen Jahrhunderten ererbt hat. Deshalb spielen solche Geschichten gern in alten Gemäuern, die irgendeine Durchschnittsfamilie nichtsahnend gekauft hat. Noch Stanley Kubricks "Shining" variierte dieses Muster. Eine zeitgemäße Gespenstergeschichte aber würde heute mitten im Alltag spielen, in the heart of the country, und nicht in einem verlassenen Adelssitz oder einem einsamen Waldhotel. Denn die tragischen, ungesühnten Tode, die die Gestorbenen nicht zur Ruhe kommen lassen, geschehen nicht mehr in Kerkerlöchern, sondern auf den Landstraßen und Autobahnen: Horrorunfälle, Schreckensnachrichten, Geisterfahrer.

Bei Stewart O'Nan plappern die Gespenster, sie plappern ein ganzes Buch heraus, denn sie erzählen diese Geschichte, die ebenso alltäglich wie grauenhaft ist: Fünf Jugendliche auf dem Weg zu einer Halloweenparty, ein Polizeiwagen will sie kontrollieren, sie versuchen ihn abzuhängen. Überhöhte Geschwindigkeit, kurvenreiche Strecke, nasses Laub auf der Fahrbahn, ein Baum. Verkehrsfunkroutine. Drei von ihnen - Danielle, Toe und Marco - sterben, Danielles Freund Tim überlebt fast unverletzt, sein Kumpel Kyle erleidet so schwere Kopfverletzungen, daß ihn nach der Rehabilitation selbst die eigene Mutter nicht mehr wiedererkennt: Auch die Überlebenden sind zu Untoten geworden, die unerlöst in einem Zwischenreich schweben und den Crash immer wieder durchleben. Tim, der Danielle auf dem Schoß hatte, bevor sie aus dem Wagen geschleudert wurde, faßt den Entschluß, am Jahrestag des Unfalls gegen denselben Baum zu rasen, um sich und Kyle zu töten.

Die Geister der toten Freunde begleiten ihn durch diesen Tag als merkwürdig verzerrte Wiedergänger der alten Clique. Ihre frühere Coolness verbindet sich mit dem zynischen Humor der Toten, die ihren Wissensvorsprung vor den Lebenden für böse Scherze nutzen. Wenn sie sich gegenseitig anpflaumen und zugleich um Anerkennung buhlen, führen sie sich fast wie ganz normale Teenager auf: "Sei nicht so derb, sagt Danielle. Mein Gott, du bist echt herzlos, weißt du das - Immer noch besser als kopflos. - Ich bin nicht kopflos, sagt Danielle. - Genaugenommen fehlt ein Stück von deinem Kopf, stimmt's?" Flachsend und flirtend folgen sie den Figuren auf Schritt und Tritt, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie ins Totenreich hinüberzuziehen, und menschlichem Restmitleid, Neid auf die Lebenden und Rachegedanken.

Denn nicht nur Tim unterliegt einem unheimlichen Wiederholungszwang. Auch Brooks, der sie verfolgende Polizist, der als erster die entstellten Toten sah und Tim aus dem Wagen zog, kann die Bilder jener Nacht nicht vergessen. Sein Leben ist zerstört; besessen studiert er Nacht um Nacht die Akten des Unfalls, als könne er darin ein bisher übersehenes Detail finden, das seine Schuld mindert. Nach seiner Frau, die das seelische Wrack nicht mehr aushielt, droht er auch seinen Job zu verlieren. Aus der Konfrontation zwischen Tim und Brooks, die sich gegenseitig belauern und beide wie magnetisch zum Ort des Unfalls zurückgezogen werden, gewinnt der Roman seine enorme Spannung. Als nähme er selbst an der Verfolgungsjagd teil, wird der Leser in den erzählerischen Sog gerissen, der durch den festgelegten Ablauf den Charakter eines Countdowns, nein Showdowns bekommt: High Moon - um Mitternacht treffen wir uns bei der alten Platane.

Der Roman beruht auf einer ebenso schlichten wie großartigen Operation: Er nimmt das abgegriffene Bild von den ghosts of the past wörtlich und führt die Lebenden und die Toten am Jahrestag ihrer Trennung wieder zusammen. Weil wir nichts über das Jenseits wissen, kann O'Nan so zwanglos eine allwissende Erzählstimme legitimieren: Die Geister sind an jenem Tag immer dort, wo ihre Schatten in der Erinnerung von Klassenkameraden, Freunden und Angehörigen heraufbeschworen werden - und so wechseln die Schauplätze buchstäblich im Flug.

Schon einmal hatte sich O'Nan eines ähnlichen Kunstgriffs bedient: Die Hauptfigur seines rasanten Road-Novel-Schockers "Speed Queen" sprach ihre Geschichte im Todestrakt auf Tonband. Schon hier kam die Stimme aus dem Jenseits: Denn zu dem Zeitpunkt, als der atemlose Leser ihre im brutalen Massaker endende Lebensgeschichte verfolgte, war sie schon hingerichtet worden - die Erzählerin hatte die Kassetten übrigens Stephen King zugedacht, der aus diesem Stoff einen echten Roman fertigen sollte. Die Konstruktion von "Halloween" ist gar nicht so weit davon entfernt, denn auch hier wird, detektivisch-analytisch, der wahre Ablauf jenes Unglückstages erst nach und nach deutlich - mit der Pointe, daß auch die Geister sich darüber täuschen. Überdies vermögen sie zwar allerhand, können aber nicht hellsehen. Zudem kommt ihnen plötzlich der merkwürdige Halbgeist Kyles in die Quere, der offenbar über stärkere Kräfte verfügt und das Geschehen direkt beeinflussen kann. Trotz des mit fataler Zwangsläufigkeit ablaufenden Geschehens hält O'Nan bis zum Schluß noch Überraschungen parat. Der Sieg der Vergangenheit über die Gegenwart bleibt unvollständig.

Kein anderer Autor schildert so obsessiv die Versuche, den Erinnerungen zu entfliehen. Und kein anderer schildert so unerbittlich, wie vergeblich solche Bemühungen sind. In der amerikanischen Literatur und Populärkultur ist das Modell dafür der heimgekehrte Soldat, der nicht mehr in die Normalität zurückfindet. Dieses "Rambo"-Motiv hatte O'Nan in seinem besten und merkwürdigerweise noch immer nicht übersetzten Roman "The Names of the Dead" (1996) aufgenommen. Hier zerbricht die Ehe eines Vietnam-Veteranen, der sich in einer Therapiegruppe unter seinesgleichen an seinen Erinnerungen abarbeitet. Auch hier taucht in der Figur eines auf Rache sinnenden, psychisch kranken Kameraden eine gespenstisch-untote Figur auf, ein Front-Zombie als personifiziertes Trauma. Kein Zufall, daß auch Brooks in "Halloween" ein ehemaliger Marine ist.

Es ist sicher verlegerisch nicht ganz glücklich, daß zwei Romane von O'Nan gleichzeitig übersetzt wurden: "Halloween" erschien im Original im vergangenen Jahr; drei Jahre alt ist "Ganz alltägliche Leute", der nun als Paperback erscheint. Es sei gleich vorweg gesagt: Der Leser braucht nur das gebundene Buch zu kaufen. Wer "Halloween" - oder auch das frühe Meisterwerk "Engel im Schnee" - gelesen hat, dem wird "Ganz alltägliche Leute" wie ein schwacher Abklatsch vorkommen, gerade weil O'Nan auch hier ganz typische Motive verwendet und sich Stoffe der Populärkultur aneignet. Doch krankt der ältere Roman daran, daß nicht jedes Genre bei dieser Prozedur den gleichen Gewinn abwirft. Was für "Halloween" die Gespenstergeschichte und der Horrorthriller, das ist für "Ganz alltägliche Leute" der Videoclip der Gangsta-Rapper. In einem Schwarzenviertel von Pittsburgh sind es nämlich nicht die schnellen Autos, die töten, sondern die langsamen Schlitten, die mit heruntergekurbelten Fenstern durch die Straßen schleichen und aus denen heraus das Feuer auf rivalisierende Jugendbanden eröffnet wird.

Die durchaus bedrückende Schilderung dieses nicht zu stoppenden Kreislaufs der Gewalt verbindet O'Nan hier mit einer detailreichen Milieustudie. Das Problem ist dabei nicht, daß O'Nan im Gegensatz zum weißen Kleinstadtbürgertum in "Halloween" sich hier die Anschaulichkeit mühsam zusammenrecherchieren mußte. Denn das ist ihm wie üblich bis in die Songs, den Slang und die Lieblingsshows der Jugendlichen denkbar authentisch geraten - wie auch dem Übersetzer Thomas Gunkel.

Man wird aber das Gefühl nie los, daß hier ein Weißer partout einmal einen Roman aus schwarzer Perspektive schreiben wollte und sich dazu allerlei Topoi der afro-amerikanischen Literatur bedient. Doch verbietet es die politische Korrektheit, diese dann zu brechen oder gar satirisch aufs Korn zu nehmen. So ackert sich die alleinerziehende junge Mutter an der Uni durch den schwarzen Gegenkanon und sucht in der Nachbarschaft mit dem Aufnahmegerät nach authentischer mündlicher Überlieferung: "Miss Fisk erzählte genau das, worüber sie im Kurs gesprochen hatten - daß die Farm ihrer Urgroßeltern vom Klan niedergebrannt worden war und sie nach Norden zogen, . . . daß ihr Großvater der erste Mann in der Familie war, der lesen konnte. Alles, was sie getan hatten, kam Vanessa heldenhaft vor, wie ein endloser Kampf . . ."

Das Verständnis und die Empathie, die O'Nan seinen Figuren stets entgegenbringt, kippt in einen wohlmeinenden Einfühlungskitsch um: überall Tragik, böse Vibes und fatale Umstände, die man mit der richtigen Einstellung aber überwinden kann. Der Knastbruder, den die Bibelstunde zur Umkehr bewegt, der kaputte Dealer, der seinen eigenen Stoff verraucht und schließlich von den Gläubigern kaltgemacht wird, die alte Jungfer, deren Hund stirbt - das Leid der Welt ist grenzenlos. Der Roman will selbst ein Gedächtniskunstwerk sein, wie es der behinderte Sprayer an die Wand sprühen will - ein piece für jedes Opfer. Doch der härteste Realismus wird vom Vorschein der Erlösung in mildes Licht getaucht.

Stewart O'Nan ist ein Autor mit einem ganz eigenen Ton und einem großen Thema, dem allerdings nicht jeder Stoff und jeder Plot gut bekommt. Er ist ein Vielschreiber, ähnlich wie John Updike, der einmal in den Sechzigern beschloß, jedes Jahr ein Buch zu schreiben, und sich bis heute daran gehalten hat. Nicht jeder Roman kann gelingen, auch muß nicht jeder übersetzt werden. Doch wenn dabei alle paar Jahre ein Buch wie "Halloween" entsteht, eine rasante und sichere Geisterfahrt auf gefährlicher Strecke, eine Abkürzung zur great American novel durch den Thrillerwald, dann will man nicht kleinlich sein - O'Nan ist im doppelten Sinne ein phantastischer Autor.

Stewart O'Nan: "Halloween". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 256 S., geb., 19,90 [Euro].

Stewart O'Nan: "Ganz alltägliche Leute". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 320 S., br., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ebenso schlicht wie großartig findet Rezensent Richard Kämmerlings die Konstruktion, auf der er diesen Roman beruhen sieht: Am Jahrestag eines Unfalls, der eine Clique junger Leute auseinander riss, da er für drei von ihnen tödlich verlief, lasse er sie alle wieder zusammentreffen - Überlebende und Tote gleichermaßen. Zwanglos sieht er dabei Stewart O'Nans allwissende Erzählerstimme, einen der Toten, über das Jenseits fabulieren und ein großartiges Buch herausplappern. Bewegt hat den Rezensenten auch die Schilderung der Überlebenden, die er als unerlöste Untote in einem Zwischenreich beschrieben findet. Aber auch die Coolness der Toten, mit der sie zynisch ihren Wissensvorsprung über den Tod vor den Überlebenden ausspielen ebenso wie ihr Versuch, die Lebenden ins Totenreich herüber zu ziehen, haben Kämmerlings tief beeindruckt. Er hat das Buch insgesamt als ebenso rasante wie sichere Geisterfahrt auf gefährlicher Strecke, als "Abkürzung zur Great American Novel durch den Thrillerwald" gelesen.

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