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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Verlag der Kunst Dresden
  • Seitenzahl: 295
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 698g
  • ISBN-13: 9789057051715
  • ISBN-10: 9057051710
  • Artikelnr.: 09144651
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Oja! Auch ich war in Parih! Oja! Ich sah den Luver!
Aber wer besucht schon die Berliner Gemäldegalerie? Das moderne Museum als Endlager der großen Kunst / Von Henning Ritter

Es gibt eine einfache Erzählung der Geschichte des Museums. Sie zeichnet den Weg von den fürstlichen Sammlungen der Barockzeit zum Museum alter und weiter zum Museum zeitgenössischer Kunst nach als Emanzipation aus alten Bindungen und als Weg in die moderne Öffentlichkeit. Das Museum ist eine Leitinstitution der modernen Gesellschaft. Als Tendenz zeichnete es sich schon vor der Französischen Revolution in der Gesellschaft des Ancien régime ab. Wenn man Museen und Museumspläne in Europa vor 1789 ins Auge faßt, so sieht man in ihnen schon alles angelegt, was die Revolution als ihre eigene Neuerung reklamieren sollte: Öffnung für das Publikum, Konservierung und Restaurierung der Werke, Neuordnung der Sammlungen und neue Formen der Präsentation nach Gesichtspunkten der damals entstehenden modernen Kunstgeschichte und schließlich Absichten von Belehrung, Bildung und Unterhaltung. Das Museum, das sich über viele Jahrzehnte vorbereitete, war auf eine erstaunliche Weise fertig, als es in vielen Ländern Europas nahezu gleichzeitig ans Licht trat, in Paris, Berlin, London und bald in allen Hauptstädten, wenig später auch in Amerika. Kaum eine andere an der Schwelle zur modernen Welt entstandene Institution hat sich bis heute in einer so direkten Kontinuität zu ihren Anfängen behauptet wie das Museum.

Nach zweihundert Jahren einer höchst vitalen Entwicklung der Museen, die noch nicht abgeschlossen ist, wie die amerikanischen Museen, der neue Louvre oder die Berliner Museumsinsel eindrucksvoll belegen, zeichnet sich ein neues museumsgeschichtliches Interesse ab. Eine rasch gewachsene Forschungsliteratur geht einer Fülle von Aspekten des Museums- und Ausstellungswesens nach. Die Archive der Museen werden durchforstet, um Aufschlüsse über die Geschichte des Umgangs mit Kunstwerken zu gewinnen. Eine Geschichte des Verhaltens zum Kunstwerk zeichnet sich ab, angetrieben durch die neuen Medien und die an sie gehefteten Erwartungen einer Veränderung des Sehens.

Heute beginnt man Museen, ihre Sammlungsgeschichte, ihre Präsentationsformen in einem weiteren Zusammenhang und als Indikatoren für komplexe Veränderungen des Verhältnisses zur Kunst der Vergangenheit und der Gegenwart zu untersuchen. Der Pionier der neuen geschmacksgeschichtlichen Betrachtungsweise war der unlängst verstorbene englische Kunsthistoriker Francis Haskell, der in seinem letzten nachgelassenen Buch den Wegen nachgegangen ist, die zu den heutigen sogenannten "block buster"-Ausstellungen alter Meister führten, die neben dem Museum den Geschmack breiter Schichten an alter Kunst am nachhaltigsten geprägt haben. Eine Geschichte der öffentlichen Museen alter Kunst, das zeigen auch frühere Untersuchungen von Francis Haskell, ist nicht möglich, ohne das private Sammeln, die Museen und den Ausstellungsbetrieb, die Kunstgeschichtsschreibung und die spannungsreichen Beziehungen von alter und zeitgenössischer Kunst ins Auge zu fassen. So wird sich die Museumsgeschichte von einer Lokalgeschichte einzelner Institutionen zu einer umfassenden Geschmacksgeschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte erweitern müssen.

Da sind wir in Deutschland noch nicht. Es fehlt allenthalben an Studien, die ihren Blick von den Kunstmuseen zu den Geschichts- und Kunstgewerbemuseen, zu den Industrie- und Gewerbeausstellungen hinübergleiten lassen, die das private wie das öffentliche Sammeln im weitesten Sinne ins Auge fassen würden. Gleichwohl sind einzelne Museen und Museumskomplexe so reich an historischem Stoff, daß ihre Genese durchleuchtet werden muß, ehe man sich an vergleichende Studien machen kann. So ist der Louvre in den vergangenen Jahren Gegenstand vieler Untersuchungen gewesen, die Neues gebracht haben. Auch die Berliner Gemäldegalerie, von der Museumsinsel als Ganzes zu schweigen, ist trotz vieler Einzelstudien noch nicht hinreichend ausgeleuchtet. Vieles glänzt und vieles liegt im dunkeln.

Kaum begreiflich ist es, daß beispielsweise die Geschichte der Erwerbungspolitik der Berliner Gemäldegalerie jetzt zum ersten Mal dargestellt worden ist, auch dies leider nur teilweise: Tilmann von Stockhausen dokumentiert die Berliner Erwerbungspolitik von der Gründung des Alten Museums 1830 bis zur Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums im Jahre 1904. Der Katalog der Erwerbungen, der hier mit knapp 750 Einträgen vorgelegt wird, ist ein unschätzbares Hilfsmittel der Orientierung in einer Galerie, zu deren auffallendsten Versäumnissen ihrer jüngsten Geschichte es gehört, daß sie den Besucher über die Geschichte der Sammlung weitgehend im unklaren läßt. Das ist um so unbegreiflicher, als die Galerie schon unter ihrem ersten Direktor Gustav Friedrich Waagen und dann, noch spektakulärer, unter dem legendären Wilhelm von Bode ihren internationalen Ruf durch ihre Erwerbungspolitik erwarb: durch die Erschließung neuer Sammlungsgebiete, durch die Früherkennung von Kunstregionen, Gattungen und Künstlern zu einem Zeitpunkt, als sie noch nicht allgemein geschätzt waren, also durch ihren Beitrag zur Formung des europäischen Kunstgeschmacks. Solche Erwerbungen sind bedeutsame Dokumente der Geschmacksgeschichte. So war das Berliner Museum ein Zentrum sowohl der Entdeckung der frühen flämischen, holländischen und deutschen Malerei wie auch jener Renaissancemode, die nach 1860 ihren Aufschwung nahm, die den Dekorationsstil der Epoche für einige Jahrzehnte bestimmte und Wilhelm von Bode lange Jahre ein Renaissancemuseum planen ließ.

Museen, die auf ihre Besucher wie Verkörperungen eines unwandelbaren Kanons wirken, nehmen, vor allem in ihren Gründungsphasen, intensiv teil an der Geschmacksgeschichte, am Auf und Ab der Schätzung von Künstlern und Werken. So hat die Rembrandt-Mode des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts in Berlin bedeutende Spuren hinterlassen, und ein Gemälde wie der "Mann mit dem Goldhelm", der einmal im Zentrum von Rembrandts Werk stand, bleibt deswegen auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil der Berliner Galerie, obwohl er nicht mehr für eigenhändig gehalten wird. Einen Zugang zu solchen geschmacksgeschichtlichen Zusammenhängen gibt die Geschichte der Erwerbungspolitik: Sie ist auch eine Anleitung zum Sehen der Kunstwerke und trägt zu einer lebendigen Wahrnehmung einer Galerie bei. Manches würde sich allerdings erst erschließen, wenn andere europäische Museen in die Betrachtung einbezogen würden oder wenn auch nur der zeitgenössische Kunstbetrieb Berlins, der Kunsthandel, die Ausstellungen, Beachtung fände.

Sowenig entwickelt dieser Kunstbetrieb in Berlin im Vergleich zu London oder Paris gewesen sein mag, so haben die dort erkennbaren Vorlieben zweifellos ihre Auswirkungen auf die Erwerbungspolitik gehabt. Daß die Berliner Museen in der Literatur ihrer Zeit kaum Spuren hinterlassen haben, ist ein rätselhaftes und erklärungsbedürftiges Phänomen. Das Kapitel, das Tilmann von Stockhausen den zeitgenössischen Stimmen von Museumsbesuchern widmet, ist von irritierender Kargheit. Blickt man dagegen nach Paris, trifft man auf einen schier nicht enden wollenden Strom von Äußerungen von Touristen, von Künstlern und Schriftstellern über die Sammlungen des Louvre.

Auch dies ist eine Tatsache der Geschmacksgeschichte. Um so mehr wird man den Mut von Waagen, Bode, Max J. Friedländer bewundern müssen, die sich zutrauten, mit den europäischen Kunstmetropolen zu konkurrieren. Die Geschichte der Berliner Erwerbungspolitik zeigt, welch ungeheure Anstrengungen in Berlin im neunzehnten Jahrhundert unternommen wurden, um die Sammlung in die Reihe der großen Galerien der Welt einzureihen. Unter Wilhelm von Bode ist dies zweifellos gelungen. Schon seinem Vorgänger Waagen ging der Ruf voraus, der erste Kunstkenner Europas zu sein. Durch ihn gelangten bedeutendste Werke der holländischen und flämischen Malerei nach Berlin, er sammelte frühe deutsche Kunst und italienische Renaissanceskulptur, als es noch wenige taten. Vielleicht noch größer war Bodes Einfluß auf die Festlegung des Kanons der abendländischen Kunst, wie sie durch Museen und Ausstellungen, durch die Kunstgeschichte und Privatsammler energisch vorangetrieben wurde.

Darüber hinaus hatte Bode die erstaunliche Fähigkeit, sich in fremden Gebieten, etwa der islamischen Kunst, fast ohne Vorbereitung eine Kennerschaft zu erwerben, die ihresgleichen suchte. Mit ihr stand er in seiner Zeit einzig da, da konnte auch sein "Feind" Morelli nicht mithalten. Und schließlich verband sich seine kennerschaftliche Virtuosität mit einer ebenso großen bürokratischen Virtuosität: Es gelang ihm, das komplizierte System der kaiserlichen Kunstbürokratie in den Dienst seiner Museumspläne zu stellen, die bürokratischen Hemmnisse souverän zu überspringen und die Kunstkommissionen und sogar den Kaiser souverän zu lenken. Dazu half auch die intime Vertrautheit mit dem europäischen Kunsthandel, mit Sammlern überall in Europa, mit Berliner Freunden alter Kunst, für die er erstmals eine Organisation schuf.

So ist es nicht verwunderlich, daß die Zeitgenossen Bode wegen seiner Operationsweise eher als einen General gesehen haben. Auch die Schattenseiten dieser souveränen Führung eines Museumsbetriebs treten bei Stockhausen deutlich hervor, auch wenn sie nicht im Detail ausgeleuchtet werden. Das Ausmaß von Bodes Verwicklung in den Kunsthandel, seine undurchsichtige Rolle als Kunstagent und Vermittler, die Art und Weise, wie er seinen Einfluß nutzte, um seine, nicht immer zutreffenden, Kunsturteile durchzusetzen, all dies hat schon die Zeitgenossen, die Einblick in die inneren Verhältnisse des Berliner Museums hatten, beunruhigt. Stockhausen bemerkt dazu: "Aller Wahrscheinlichkeit nach verschaffte ihm sein Wirken als Kunstagent jedoch so erhebliche Vorteile, daß nach einem modernen Begriff der ,political correctness', aber auch nach dem Beamtenverständnis Preußens, von Bestechung, Betrug und Korruption gesprochen werden muß." Damit ist wohl nur ein Teil der Wahrheit ausgesprochen. Wilhelm von Bode war ein Condottiere im hocherhitzten Kunstbetrieb seiner Zeit. Vor allem die Praktiken, mit denen er und sein Restaurator Hauser Bilder "fertigten" - schon Ludwig Justi und Max Liebermann wußten von hochkarätigen Gemälden zu berichten, in die ein Pferd oder ein Schleier hineingemalt wurden, um sie für die Käufer zurechtzumachen -, liegen jenseits dessen, was heute in einem Museum denkbar wäre.

Die Beweglichkeit der Kunstwerke, die die entscheidende Voraussetzung für eine Eroberungspolitik war, wie sie in Berlin und anderen europäischen Metropolen betrieben wurde, macht erst bewußt, wie täuschend der Eindruck der Museen als zeitlose Gefäße für kanonische Werke ist. Jede Bilderwand verbirgt ein vielschichtiges Drama. Die Ansicht, daß die Museen der endgültige Bestimmungsort großer Kunst sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Es handelt sich um Werke, die aus ihrer ursprünglichen oder historisch gewachsenen Umgebung gelöst und für eine neue Aufgabe präpariert wurden. Sie müssen im Museum neu verwurzelt werden. Das wirksamste Mittel war die Chronologie, die Zuordnung zu Schulen und Künstlern in ihrer historischen Abfolge. Dadurch wurden die Museen zu Ausschnitten aus einem einzigen Kontinuum der Kunst, das sie repräsentierten. Frühzeitig ist ein Ungenügen daran bekundet worden. Man wollte die Kunstwerke in einer Umgebung sehen, die der ihrer Herkunft zwar nicht entsprechen mochte, aber doch ein Äquivalent zu ihr bot.

Die Geschichte der Museen ist auch eine Geschichte des Museums als Interieur und als eines Raums für Kunstinszenierungen. Ein großes Kapitel dieser Geschichte schildert Alexis Joachimides in seinem Buch "Die Museumsreformbewegung in Deutschland". Der Zeitraum von 1880 bis 1940 und die Einschränkung auf das moderne Museum ist insofern nicht ganz zutreffend, als der Verfasser weit in die Museumsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts zurückgreift und europäische und amerikanische Entwicklungen einbezieht. Vor allem sieht er einen ersten Ansatz der Museumsreform in den Plänen Wilhelm von Bodes für das Kaiser-Friedrich-Museum. Bodes Einrichtung von Umgebungsräumen, in denen neben Gemälden auch Skulpturen und Kunstgewerbe vereint waren, entstanden aus der Not der Neuverwurzelung der Kunstwerke in der musealen Umgebung.

Bode hat, wie Joachimides zeigt, immer wieder neue Varianten solcher Räume entwickelt und mit ihnen experimentiert. Er folgte damit Zeitströmungen, die sich außerhalb des Kunstmuseums in den historischen und Kunstgewerbemuseen deutlicher artikulierten, vor allem näherte er sich damit dem Geschmack der Privatsammler und ihrer Interieurs an - eine für die Geschmacksgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts höchst wichtige Tatsache. Nimmt man hinzu, daß die Impressionisten, wie Joachimides zeigt, die erste Künstlergruppe waren, die ihre Bilder in simulierten Privaträumen ausstellten, so werden alte und zeitgenössische Kunst in ähnliche Präsentationsformen gebracht, wie auch die Wechselwirkungen zwischen Museen alter und moderner Kunst weit lebhafter sind, als man bisher annehmen konnte. Das Museum moderner Kunst, das zunächst ein Nachzügler der Galerie alter Meister ist, wird sich bald als führend in der musealen Geschmacksbildung erweisen und auf die Präsentation alter Kunst zurückwirken.

So hat die wohl zuerst von der Wiener Sezession eingeführte weiße Galeriewand eine einzigartige Karriere gehabt und sogar die Präsentation alter Meister revolutioniert. Der Geschichte der Museumsreform, über die Joachimides berichtet, ist reich an solchen Wechselwirkungen, zwischen neuer und alter Kunst und zwischen den verschiedenen Museumstypen. Sie führt, mit vielen Seitenwegen, zu dem weißen Galerieraum, der mittlerweile in die Verlegenheit versetzt, weder über ihn hinaus- noch hinter ihn zurückgehen zu können. Die heutigen Rückwege zu älteren Dekorationsformen, auch in den Galerien alter Meister, sind Rückgriffe auf Lösungen des neunzehnten Jahrhunderts, denen aber inzwischen ein Rückhalt etwa in den Interieurs der Privatleute fehlt. Der Mangel eines verbindlichen Dekorationssystems, der im öffentlichen und privaten Leben offenbar mühelos verschmerzt wird, zwingt die Museen alter Kunst zu halbherzigen Rückgriffen auf vergangene Lösungen und zu einer Selbsthistorisierung, die ihren kanonischen Anspruch untergräbt.

Alexis Joachimides: "Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880-1940". Verlag der Kunst, Dresden 2001. 295 S., 100 Abb., br., 64,- DM.

Tilmann von Stockhausen: "Gemäldegalerie Berlin". Die Geschichte ihrer Erwerbungspolitik 1830-1904. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 2000. 372 S., 98 Abb., geb., 128,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2002

Dreißig Zentimeter Abstand
Die deutsche Museumsreform und die moderne Ausstellungspraxis
Wer glaubt, die deutsche Museumsreform von der Gründerzeit bis zum Nationalsozialismus sei allenfalls für Spezialisten interessant, kann sich von Alexis Joachimides eines Besseren belehren lassen. Denn sein Buch liefert zugleich ein entscheidendes Kapitel in der Vorgeschichte des „white cube”, deren Rekonstruktion eine ganze Generation von Doktoranden der Kunstwissenschaft seit 1976 schuldig geblieben ist, als Brian O’Doherty seinen wegweisenden Essay über den modernen Kultraum der Kunst veröffentlicht hat.
Joachimides datiert die Anfänge der modernen Entwicklung in das Museumswesen des 18.Jahrhunderts, als die Malerei von Skulptur und angewandter Kunst isoliert wurde und die Gemäldegalerie eigene Präsentationsmuster entwickeln konnte. Mit farbigen Wandbespannungen und lebhaften Tapeten orientierte sie sich noch lange an höfischen Vorbildern, aber schließlich auch am großbürgerlichen Interieur: Sammler der Gründerzeit wurden mit wohnraumähnlichen Arrangements umworben, in denen die getrennten Gattungen wieder zusammenfanden, nunmehr zum Epochenzimmer.
Während sich die Kunsthändler noch bis weit ins 20. Jahrhundert an den häuslichen Arrangements ihrer Kunden orientierten, orientierten sich die Künstler in ihren Verkaufsausstellungen um 1870 an einem neuen Vorbild, dem Atelier, und forderten einen größeren Abstand der Bilder. Degas gab sich mit 30 Zentimeter zufrieden, aber Paul Signac bestand schon 1888 auf einer einreihigen Hängung. Die Wände waren freilich auch in den frühen Salons der Moderne noch farbig, allerdings zunehmend monochrom.
Im Buch von Joachimides geraten alle Elemente der weiteren Entwicklung ins Blickfeld, freilich stets mit dem Schwerpunkt auf die deutsche Museumsreform, in der sich jedoch vieles bündelte. Damit ist die eigentliche Überraschung umrissen, dass es neben den Sezessionsbewegungen gerade auch führende deutsche Museen waren, in denen die radikale Ausstellungspraxis des „white cube” maßgeblich vorbereitet wurde.
Joachimides belegt die Übergänge mit zahlreichen historischen Installationsaufnahmen, die natürlich einen Schönheitsfehler haben, denn es handelt sich um Schwarz-Weiß-Fotografien, die voreilige Schlüsse nahelegen, aber keine Sicherheit stiften können. Ein helles Grau kann hier ebenso eine weiße Wandfarbe suggerieren wie sich Gelbtöne und Pastellfarben nie ausschließen lassen. Schriftliche Zeugnisse von Zeitgenossen sind verstreut und kaum erschlossen; die bekannten gehen nur sehr selten explizit auf Raumfarbigkeit und Hängung ein.
Doch gelingt es Joachimides ebenso überzeugend wie verblüffend, die Bedeutung von Wohnraum und Atelier, aber auch von Improvisationen und Sparmaßnahmen für die moderne museale Ausstellungspraxis zu entwickeln. Die Schwerpunktsetzung auf Berlin, München und Dresden vernachlässigt allerdings die gleichzeitige Entwicklung im Rhein- und Ruhrgebiet, einer damals den Metropolen ebenbürtigen Region der Rezeption moderner Kunst. So fehlt Karl Ernst Osthaus, der um die Jahrhundertwende das erste Museum Folkwang in Hagen modern einrichtete, ebenso wie sein Innenarchitekt Henry van de Velde.
Dafür hat Joachimides gleich mehrere plausible Erklärungen für den überraschenden Befund parat, dass die Nationalsozialisten neben der einreihigen Bilderhängung auch die weiße Ausstellungswand als entscheidende Errungenschaften der Moderne für das „Haus der deutschen Kunst” und anderswo übernahmen. Das lässt die Charakterisierung der Ausstellung „Entartete Kunst” als Veranstaltung mit „dunkelfarbigen Wänden” als einzige erkennbare Fehleinschätzung verschmerzen. Als aufwändige Recherche der Vorgeschichte der modernen Ausstellungspraxis ist das Buch allemal aktueller als manche Installation der Kontextkunst.
WALTER GRASSKAMP
ALEXIS JOACHIMIDES: Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums 1880-1940. Verlag der Kunst, Dresden 2001. 295 Seiten, 32 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wer glaubt, die deutsche Museumsreform von der Gründerzeit bis zum Nationalsozialismus sei allenfalls für Spezialisten interessant, kann sich nach Ansicht Walter Grasskamps von Alexis Joachimides eines Besseren belehren lassen. Wie der Rezensent ausführt, zeichnet Joachimides den Weg zur modernen Austellungspraxis nach, wobei er den Schwerpunkt auf die deutsche Museumsreform setzt, in der sich jedoch vieles bündele. Als "eigentliche Überraschung" der Darstellung erachtet Grasskamp, "dass es neben den Sezessionsbewegungen gerade auch führende deutsche Museen waren, in denen die radikale Ausstellungspraxis des 'white cube' maßgeblich vorbereitet wurde." Er hebt hervor, dass Joachimides die Übergange mit zahlreichen historischen Aufnahmen belegt. Bedauerlich findet der Rezensent allerdings, dass es sich dabei um Schwarz-Weiß-Fotos handelt. Als aufwändige Recherche der Vorgeschichte der modernen Ausstellungspraxis, lobt er abschließend, ist das Buch jedoch "allemal aktueller als manche Installation der Kontextkunst."

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