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Anschließend an "Karl Kraus - Satiriker der Apokalypse: Leben und Werk 1874-1918" stellt Edward Timms in diesem Band anhand präziser Detailanalysen, pointierter Zitate und weitblickender Kontextualisierungen dar, wie der Satiriker den turbulenten Entwicklungen der Zwischenkriegszeit begegnet ist. Kraus' Zeitschrift Die Fackel dient dabei als unentbehrlicher Führer durch die Kulturpolitik dieser Zeit. Seine größten Polemiken der 1920er Jahre werden in einem zentralen Abschnitt mit dem Kapitel 'Verteidigung der Republik' analysiert, der seine zwiespältige Allianz mit den Sozialdemokraten wie…mehr

Produktbeschreibung
Anschließend an "Karl Kraus - Satiriker der Apokalypse: Leben und Werk 1874-1918" stellt Edward Timms in diesem Band anhand präziser Detailanalysen, pointierter Zitate und weitblickender Kontextualisierungen dar, wie der Satiriker den turbulenten Entwicklungen der Zwischenkriegszeit begegnet ist.
Kraus' Zeitschrift Die Fackel dient dabei als unentbehrlicher Führer durch die Kulturpolitik dieser Zeit. Seine größten Polemiken der 1920er Jahre werden in einem zentralen Abschnitt mit dem Kapitel 'Verteidigung der Republik' analysiert, der seine zwiespältige Allianz mit den Sozialdemokraten wie auch seine Konfrontationen mit dem konservativen Kanzler Ignaz Seipel und dem Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober hervorhebt. Die Legende, dass Kraus Hitlers Machtergreifung mit Schweigen beantwortet habe, wird abschließend definitiv widerlegt. Schon wesentlich früher hatte er vor dem Aufstieg des Hakenkreuzes gewarnt, und mit der 1933 entworfenen Polemik "Dritte Walpurgisnacht" hinterließ Kraus eine stichhaltige Analyse des heraufziehenden Nationalsozialismus.
Autorenporträt
Edward Timms: britischer Germanist, Kulturwissenschaftler u. Hochschullehrer, 1937-2018Forschungsprofessor für Geschichte an der Universität Sussex, gründete dort im Jahre 1994 das Centre for German-Jewish Studies. Als Mitherausgeber von "Austrian Studies" hat er jahrelang die Forschung auf diesem Gebiet gefördert, mit besonderem Augenmerk auf dei Frühgeschichte des Zionismus und der Psychoanalyse, das Lebenswerk von Karl Kraus, die Errungenschaften des "Roten Wien" und die Exilforschung.Zu seinen wichtigsten Buchpublikationen gehören "Karl Kraus - Apocalyptic Satirist" (in zwei Bänden) und "Romantic Communist: The Life and Work of Nazim Hikmet" (mit seiner Frau Saime Göksu). In deutscher Übersetzung erschienen auch "Karl Kraus: Satiriker der Apokalypse" und "Freud und das Kindweib: Die Erinnerungen von Fritz Wittels".Für wissenschaftliche Verdienste bekam er den Österreichischen Staatspreis für die Geschichte der Gesellschaftswissenschaften und das Österreichische Ehrenkreuz für

Wissenschaften und Künste, und er wurde auch zum Fellow of the British Academy und Officer of the Order of the Britisch Empire ernannt. Seine Lebenserinnerungen erschienen 2011 unter dem von Karl Kraus inspirierten Titel "Taking up the Torch: Englisch Institutions, German Dialectics and Multicultural Commitments".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Helmut Mayer ist dankbar, dass der bereits 2005 im Original erschienene zweite Band von Edward Timms' monumentaler Karl Kraus-Studie nun endlich auch auf Deutsch erschienen ist. Dass der private Kraus auf den insgesamt über tausendzweihundert Seiten kaum Platz findet, stört den Kritiker nicht. Vielmehr liest er mit großem Interesse, wie der englische Germanist und Kulturwissenschaftler sich auf Kraus' Texte konzentriert, diese kurz wiedergibt, sorgfältig kommentiert und schließlich ausführlich in die politischen und kulturellen Verhältnisse einordnet. Gerade im zweiten Band der Studie, der die letzten Lebensjahre von Karl Kraus analysiert, kann ihm der Autor nachvollziehbar vermitteln, weshalb Kraus die Sozialdemokratie immer heftiger kritisierte. Dass Timms Ausführungen bisweilen akademisch "behäbig" und "bieder" geraten, nimmt der Kritiker dem Autor nicht übel: Stattdessen findet er hier präzise Erläuterungen und kluge Verknüpfungen, darüber hinaus den Verzicht auf jegliche Heiligsprechung. Mit der deutschen Übersetzung ist Mayer hingegen weniger zufrieden: Mit Blick auf einige Schludrigkeiten wünscht er der zweiten Auflage ein sorgfältigeres Lektorat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2016

Der im Haus der Sprache wohnte

Dem Satiriker der Apokalypse fiel zu Hitler ziemlich viel ein: Der zweite Band von Edward Timms' großer Studie zu Karl Kraus liegt nun endlich auch auf Deutsch vor.

Einer der bedeutendsten Texte zur Machtergreifung der Nationalsozialisten trägt den Titel "Dritte Walpurgisnacht". Geschrieben hat ihn Karl Kraus in Wien zwischen Mai und September 1933. Er war zum großen Teil bereits gesetzt, als Kraus sich entschloss, dieses über dreihundert Seiten umfassende Heft der "Fackel" nicht zu veröffentlichen. Stattdessen erschien im Oktober ein schmales "Fackel"-Heft, das lediglich die Rede am Grab des Freundes Adolf Loos enthielt sowie ein zehnzeiliges Gedicht. Als einziges von Kraus' Gedichten trägt es keinen Titel. "Man frage nicht, was all die Zeit ich machte. / Ich bleibe stumm", so hebt es an, und es schließt: "Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte."

Bert Brecht, bereits im Exil in Dänemark, wusste diese Zeilen von Kraus, den er noch im März in Wien getroffen hatte, zu lesen: als Zeugnis in extremis des Satirikers, der sich Hitler und seiner Bewegung als Produkt einer vergifteten Nachkriegsgesellschaft seit den frühen zwanziger Jahren in der "Fackel" immer wieder gewidmet hatte. Der Tenor linker Verehrer der "Fackel" nahm sich anders aus. Sein Schweigen wurde Kraus als Verrat am gerade jetzt notwendigen Kampf, wenn nicht gleich als Eingeständnis der Feigheit ausgelegt. Kraus reagierte darauf erst Juli 1934.

Mitte Juli erschien noch einmal ein schmales "Fackel"-Heft, das die Vor- und Anwürfe unter dem Titel "Nachrufe auf Karl Kraus" versammelte, Ende des Monats eine Ausgabe von mehr als dreihundert Seiten - nicht weniger furios als die der Nachwelt aufbehaltene "Walpurgisnacht" -, in der Kraus unter dem Titel "Warum die Fackel nicht erscheint" mit allen hochtönendenlinken Forderungen abrechnet, sich für den "Kampf" politisch einzureihen, und sein heftig kritisiertes Eintreten für den österreichischen Ständestaat als letzte Bastion gegen Hitler rechtfertigt, als Rettung "vor dem entsetzlichsten Verhängnis, das jemals über der Menschheit gelastet hat". Bitterer noch tat er es dann im letzten Text des letzten Hefts der "Fackel" vom Februar 1936, wenige Monate vor seinem Tod, in der er den enttäuschten, Kampfparolen und Stellungnahmen fordernden linken Verehrern vorhält, von seinem Lebenswerk offensichtlich nichts verstanden zu haben: "Größer als der Schmerz, den Anhang verloren zu haben, ist die Scham, ihn besessen zu haben."

Wer sich von Verlauf und Hintergrund dieser Auseinandersetzungen ein halbwegs detailliertes Bild machen will, der kann seit einigen Jahren zum zweiten Band der großen Darstellung greifen, die der englische Germanist und Kulturwissenschaftler Edward Timms Karl Kraus gewidmet hat (F.A.Z. vom 17. Juni). 1986 war ihr erster Band auf Englisch erschienen, der neun Jahre später auch auf Deutsch herauskam. 2005 legte Timms dann den zweiten stattlichen Band vor, der vom Ende des Weltkriegs und den noch im ersten Band behandelten "Letzten Tagen der Menschheit" bis zum letzten "Fackel"-Heft reicht. Jetzt konnte auch er auf Deutsch erscheinen, weil die darob sehr zu lobende Kulturabteilung der Stadt Wien Sukkurs gab, um endlich den Missstand zu beheben, dass die einzige umfassende Darstellung des Autors Kraus im Kontext seiner Zeit zur Hälfte unübersetzt geblieben war.

Timms hat mit den insgesamt über tausendzweihundert Seiten von "Karl Kraus - Apocalyptic Satirist" (der deutsche Titel tilgt den Apokalyptiker) keine Biographie üblichen Zuschnitts geschrieben, denn der private Kraus ist weitgehend beiseitegelassen. Alles ist konzentriert auf die Texte von Kraus, die Timms in Grundzügen referiert und mit einer überaus reichhaltigen, oft weit in die allgemeinen politischen und kulturellen Verhältnisse ausgreifenden Kommentierung versieht.

Mit Blick auf die letzten Lebensjahre von Kraus bedeutet das für den Leser unter anderem, gründliche Erläuterungen zu den politischen Bewegungen sowohl in Deutschland wie in Österreich zu erhalten, um vor diesem Hintergrund Kraus' Eintreten für Dollfuß' autoritären Staat und sein hartes Gericht über die Sozialdemokratie als Partei des falschen Taktierens und der Phrasen einschätzen zu können. Wobei dieses Gericht nicht bedeutete, wie immer noch manchmal zu lesen ist, dass der späte Kraus politisch einfach die Seiten gewechselt hätte und nach seiner Annäherung an die Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren zum Reaktionär geworden wäre. Schließlich störte Kraus nicht, dass die Sozialdemokratie klassenkämpferisch die Sache der Arbeiter vertrat, sondern dass sie diese Sache verraten habe, indem sie gegen Hitler nicht zur Stelle war.

Auch mit dem Schreckgespenst des Kommunismus war Kraus nicht in Verlegenheit zu bringen. "Der Teufel hole seine Praxis", schrieb er Anfang der zwanziger Jahre, "aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle anderen zu deren Bewahrung und mit dem Trost, dass das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten."

Bei Timms kann man über die großen und kleinen Attacken der "Fackel" hinweg gut verfolgen, wie das immer zwiespältig bleibende Verhältnis von Kraus zur Sozialdemokratie sich einspielte, gestützt von seinen Angriffen auf Christlichsoziale wie Schober und Seipel, bevor es mit Furor als Missverständnis aufgekündigt wurde. Nicht ohne Erinnerung von Kraus' Seite (in der letzten seiner zahlreichen Prozessvorlagen), dass er schließlich nie ein Anhänger der Demokratie als oberstem politischen Wert gewesen sei und - das zielte auf das gern emphatisch geschwungene Banner der "Freiheit" - "den liberalen Standpunkt in der Politik, im Wirtschaftsleben und in der Meinungsäußerung ablehne".

Es war einedie Erinnerung daran, dass er mit seiner Kritik immer an tiefer liegende Wurzeln gegriffen hatte, als parteipolitische Vereinnahmung einräumen konnte, sichtbar gemacht in den Sprachregimes, die er ihrer gar nicht verborgenen Wahrheiten überführte.

Der am häufigsten zitierte Satz der "Walpurgisnacht", der zusammen mit anderen Abschnitten auch in das zweite "Fackel"-Heft vom Juli 1934 einging, ist wohl immer noch dieser: "Mir fällt zu Hitler nichts ein." Auf den ersten Blick scheint er eine Variante dessen, was der von Kraus nicht geschätzte Tucholsky im Sinn hatte, als er mit Blick auf Hitler schrieb, so tief könne man, also der Satiriker, gar nicht schießen. Doch bei Kraus ist dieser Satz, der darauf zielt, dass angesichts der hemmungslos gewordenen Gewalt, die keine offene Lüge mehr scheut, die Appellationsinstanzen des Satirikers zerfallen, gerade der Auftakt zu einem furiosen Pandämonium, das lesen sollte, wer darüber urteilen möchte, was sich 1933 alles wissen ließ, wenn man es nur wissen wollte. Oder der etwa die satirische Kunst kennenlernen möchte, Literaten und Intellektuelle in Aufbruchsstimmung zu überführen, sei's Gottfried Benn oder Martin Heidegger.

Auch das kann man bei Timms nachlesen, der sich sogar unerschrocken an eine Inhaltsangabe der "Walpurgisnacht", dieses "Irrgartens tausendfacher Antithetik" (Kraus), macht. Das gerät zwar bieder, wie überhaupt festzuhalten ist, dass man bei Timms nicht mit sprühendem Geist rechnen darf, dafür aber mit nüchtern präsentierten Erläuterungen, Synopsen und Verknüpfungen. Von einer gewissen akademischen Behäbigkeit reißt er sich dabei nicht los, und es gibt Sätze und Passagen, bei denen die Geduld geprüft wird - aber dann doch einen Absatz weiter meist die Belohnung durch Hinweise und Zitate, die man sich aus der zerstreuten Kraus-Literatur mühsam heraussuchen müsste, wenn man sie dort denn überhaupt fände.

Als Kraus-Leser kann man an dem nüchternen Timms, der trotz jahrelanger Beschäftigung mit Kraus der Hagiographie absolut unverdächtig ist - so sehr, dass es passionierte Leser von Kraus vielleicht sogar irritiert -, nicht vorbeigehen. Selbst wenn seine Darstellung den Sprachkünstler Kraus notgedrungen eher umkreist als zu erkennen gibt. Die Lektüre von Kraus soll sie ja auch nicht ersetzen, zumindest nicht bei deutschsprachigen Lesern, und für sie muss man die Realien der Zeitkritik, so aufschlussreich sie auch sind, auch wieder vergessen können, so wie das Kraus selbst für seinen Nachruhm in Anspruch nahm.

Die Übersetzung hat selbstredend den großen Vorteil, die Zitate von Kraus, aber auch von vielen anderen Autoren im originalen Wortlaut zu geben. Doch sie leistet sich Patzer. Das beginnt schon im ersten Absatz des Vorworts, wo man erstaunt liest, der Autor habe einmal versucht, Kraus' Philosophie der Sprache "zu definieren". Man schlägt im Original nach und ist beruhigt: "to come to terms with Kraus's philosophy of language" steht da. Ein paar Seiten weiter ist es dann schwer, die faschistische Bedrohung "zu definieren", im Original wieder durchaus solide "difficult to pin down". Aus der Feststellung, Kraus "formulated a new psychological insight" wird ein gestelztes "entwarf Kraus eine neue psychologische Erkenntnis". Da wird "appelliert um", Robert Musil bekommt nach dem Sprachstand des achtzehnten Jahrhunderts "kritische Verstandeskraft" attestiert, aus dem Hinweis, dass Benn in seinen Radio-Essays "blends heroic myth with pseudo-scientific jargon", wird die hübsche Bemerkung, dass Benn "heroisch Mythisches mit pseudowissenschaftlicher Terminologie" vermenge.

Da steht die reizende Feststellung, dass Kraus' letzte Jahre "überschattet waren von wechselseitigen Beschuldigungen der Sozialdemokraten" ("overshadowed by recriminations against the Social Democrats"), während er sich doch tatsächlich damit beschäftigte, Gerichtsverfahren "einzuleiten" ("initiated"), was ihm zwar vor dem Gerichtshof der Sprache, aber sicher nicht am Wiener Landesgericht für Strafsachen möglich war.

Weil das nur das Ergebnis einiger Stichproben ist, sollte man für eine vielleicht zustande kommende zweite Auflage den Text noch einmal durchgehen. Der erste Band ist übrigens mittlerweile auch als Taschenbuch vergriffen, ihn gemeinsam mit dem nun erschienenen zweiten in absehbarer Zukunft wieder aufzulegen wäre eine angemessene Wiedergutmachung für die nicht gerade glücklich gelaufene Geschichte der Eindeutschung des umfassendsten Werks über den größten Satiriker deutscher Sprache.

HELMUT MAYER

Edward Timms:

"Karl Kraus". Die Krise der Nachkriegszeit und der Aufstieg des Hakenkreuzes. Aus dem Englischen von Brigitte Stocker.

Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2016.

697 S., Abb., geb., 48,- [Euro].

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