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6 Kundenbewertungen

Hier hat eine große Erzählerin aus einer grimmigen Geschichte einen grandiosen Roman gemacht. Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen - mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen können wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist. Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr…mehr

Produktbeschreibung
Hier hat eine große Erzählerin aus einer grimmigen Geschichte einen grandiosen Roman gemacht. Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen - mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen können wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist. Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr ausgeliefert zu sein scheinen. In diesem unwiderstehlichen Roman entpuppt sich eine geheime Welt als die unsere, in der die Natur ihre Freundschaft aufkündigt und wir ihrer Aggression und Düsternis gegenüberstehen. Das ist nicht die übliche Jung und Jung Literatur, werden manche denken. Beim Lesen und vor allem Weiterlesen fragt man sich, warum man das Buch nicht aus der Hand legen kann, zumal hier nicht mit altertümlichen Spannungselementen gearbeitet wird.
Autorenporträt
geboren 1953 in Darmstadt, studierte Romanistik und Germanistik in Berlin und Paris, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (Paula Fox, Antonia S. Byatt, Irène Némirovsky, Joyce Carol Oates u.a.) in München. Zahlreiche Auszeichnungen, u.¿a. Mara-Cassens-Preis 1998, Tukan-Preis 1999.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Es waren einmal drei Kinder, Thedor, Lorenz und Dora. Die hatten ungleiche Träume - und einen gemeinsamen Alb. Der ward gespeist durch des Vaters Leidenschaft: präparierte Raubvögel, die, furchtbaren Richtern gleich, auf die Kleinen herabstarrten. Im Erwachsenenalter gerät das unselige Trio, jeder auf seine Weise, in den Bann jener dunklen Macht, die schon den Vater streifte. Sein Versuch, einen mythischen Riesenvogel zu fangen, schlug fehl. Die Trophäenjagd in Afrika scheiterte, und mit ihr die wissenschaftliche Entzauberung eines schaurigen Götzenkultes. Hinter dem "Vogelgott" steckt eine Sekte, die durchaus kultiviert auf Seelenfang geht und ihre Opfer bei deren Berufung "abholt": Dora bei ihrer kunstgeschichtlichen Arbeit, Lorenz bei seinen journalistischen Recherchen und Thedor bei seinem vermeintlich humanitären Einsatz. Alle drei stoßen auf historische Gräuel, die sich mit erlebtem Schrecken verbinden. Apokalyptische Visionen zehren an ihrer Lebensenergie. Susanne Röckel fährt mit dem ganzen Arsenal der Schauerliteratur auf, um durchzuspielen, wie Sekten entstehen, ihre zynischen Heilsversprechen zu antizivilisatorischen Übeltaten verführen - und wer heute in ihr Beuteschema passt: Es sind die Verlierer und Verlorenen der säkularen, materialistischen Moderne.

© BÜCHERmagazin, Ingeborg Waldinger (wal)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018

Im leeren Himmel kreist der Vogelgott

Was geschieht mit uns, wenn wir den Rändern der Zivilisation zu nahe kommen? Im Roman von Susanne Röckel trägt das Unheil ein Federkleid.

Von Tilman Spreckelsen

Ein Mann strandet auf einem Provinzbahnhof, er läuft auf schlechten Wegen immer weiter der Zivilisation davon, schleppt seinen Koffer eine Anhöhe hinauf und landet in einem bröckelnden Dorf namens "Z.", wo ihn niemand haben will und niemand mit ihm spricht, am wenigsten im verfallenen "Hotel International". Weil aber aufzugeben, wie er sich sagt, nicht in Frage kommt und weil der begeisterte Hobbyornithologe zudem hier einem Greifvogel hinterhersteigen will, wie ihn die Wissenschaft noch nicht beschrieben hat, nimmt er alles in Kauf: Das quietschende Bettgestell ohne Matratze, den Hunger, die Feindschaft der Dorfbewohner und schließlich auch, dass man ihm die halbe Ausrüstung stiehlt.

Dann steht er in der Wildnis dem riesigen Vogel gegenüber, er wird ihn, wie er aus der Rückschau berichtet, später tatsächlich erlegen, ausstopfen und in der Heimat stolz vorzeigen. In diesem Moment aber, Aug' in Aug' mit dem gigantischen, nach Aas stinkenden Geier, fühlt er sich einen Moment lang als Person wie ausgelöscht. Als ob sein Wille gegen den des Geiers rein gar nichts wäre, als ob er sich einreihte in die Gruppe der Dorfbewohner, die den Greif als Vogelgott verehren. Und selbst einige Ähnlichkeit mit Vögeln haben.

So steht es in einem ausdrücklich als Fragment bezeichneten Manuskript, verfasst von einem Lehrer namens Konrad Weyde, womit Susanne Röckels Roman "Der Vogelgott" beginnt. Es folgen drei weitere Teile, erzählt jeweils aus der Perspektive eines der drei Kinder Konrad Weydes, und jedes von ihnen wird Erfahrungen machen, die das, was der Vater beschrieben hatte, auf ihre Weise ergänzen.

Vier Wege zum "Vogelgott" beschreibt Susanne Röckel also: den des rationalistischen Vaters, der es aufs Jagen und Ausstopfen abgesehen hat; den des verträumten Thedor, der seinem Leben einen Sinn geben möchte und in der Irrenanstalt endet; den der Kunsthistorikerin Dora, für die ein Altarbild zum Zeugnis eines Jahrhunderte zurückliegenden Massakers im Namen des Kults wird; und schließlich den des skeptischen Journalisten Lorenz, der aufdeckt, welche Macht die Anhänger des Vogelgottes in unserer Zeit besitzen.

Die Ausgangslage ist eine Situation, wie man sie aus manchen Werken der 1953 geborenen Röckel kennt, allen voran der Erzählungensammlung "Vergessene Museen", die vor zehn Jahren in der Anderen Bibliothek erschienen ist. Dort geraten Forscher, die stolz auf ihren rationalen Zugang zur Welt sind, unter Menschen, die offensichtlich etwas vor ihnen verbergen und deren Umgang dann den aufgeklärten Wissenschaftler schleichend verändert. Sie nehmen unter den Inuit an Kulthandlungen teil oder stehen ratlos vor Gewaltausbrüchen in einem osteuropäischen Dorf, die sich, wie es scheint, wie ein Bazillus von einem auf den anderen übertragen, ohne dass klar wäre, warum einer eigentlich die Kontrolle über sich verliert und zuschlägt.

Die Autorin ist klug genug, ihre Landschaften, Dörfer und Menschen, aber auch die Zeiten, in denen sie ihre Geschichten ansiedelt, eher atmosphärisch hinzutuschen, als klar zu verorten - über den Lehrer Weyde erfahren wir, dass er sich als Erster im Kollegium einen Fernseher angeschafft habe, und von seinen Kindern, dass sie am Computer arbeiten und E-Mails verschicken. Aber kein Ereignis der Zeitgeschichte lässt eine genauere Datierung zu, und es ist zwar vom Rhein die Rede, in dessen Nähe die Kinder Weydes aufwachsen, nicht aber davon, in welcher Stadt.

Was aber hält nun die unterschiedlichen Geschichten von der jeweiligen Begegnung mit dem Vogelgott zusammen? Zum einen sind es inhaltliche Überschneidungen; bestimmte Ereignisse, die der eine länger berichtet, erfahren im nächsten Teil einen Widerschein aus der Perspektive eines anderen, und auch die Familiengeschichte insgesamt gewinnt im Verlauf des Romans an Konturen, die wiederum das früher geschilderte Geschehen in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Gemeinsam ist all diesen Begegnungen das irritierende Moment, dass die Repräsentanten des Vogelkults alles über diejenigen zu wissen scheinen, die ihnen begegnen, oder der Aasgeruch, den sie verströmen. Und während Vater Weyde, "entschlossen, dem Zauber trügerischer Mythen zu widerstehen", lieber die Augen davor verschließt, was mit ihm geschieht, wirft sich sein Sohn Thedor dem Kult nur umso entschlossener in die Arme. Er schreibt seinen Bericht im Sanatorium seiner Heimatstadt, nach der Rückkehr aus einem gottverlassenen Camp, das wohl irgendwo in Afrika liegt, im Land einer Ethnie namens Aza, die einst Teil des englischen Kolonialreichs war. Thedor kam mit einer Organisation namens "Save the world" dorthin, angeblich um zu helfen, in Wirklichkeit aber wird er von allem ferngehalten. Bis sich die lang angespannte Situation in einem Blutrausch entlädt.

"Was ich gesehen habe, habe ich gesehen", verteidigt er seine Perspektive, allerdings mit dem impliziten Eingeständnis, dass das Gesehene deshalb noch lange nicht wahr sein oder Gültigkeit für andere Menschen haben muss.

"Wir sehen nichts mehr, wenn wir zum Himmel aufschauen", heißt es in einem Kassiber, auf den Thedor in Aza-Town stößt: "Aber wenn Gott nicht mehr da ist, übernimmt die Natur die Macht." Die Gottesferne drückt sich bereits in Thedors Name aus, dem so auffällig das erste "o" fehlt. Der Blick zum Himmel aber, so mag man sich das deuten, offenbart eben nicht die große Leere, sondern einen nach Aas stinkenden Geier als Repräsentanten der Natur, der dem Menschen, der so stolz auf sein Selbstdenkertum ist, nachdrücklich seine Grenzen aufzeigt.

Susan Röckel: "Der Vogelgott". Roman.

Jung und Jung, Salzburg 2018. 272 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2018

Von Flug und Fluch
Susanne Röckels vieldeutiger neuer Roman „Der Vogelgott“
München – Mit ausgebreiteten Schwingen taucht ein großer Vogel über einer Felskette auf. Und was für ein Vogel! „Die Schönheit seiner Gestalt, die Leichtigkeit und Eleganz seines schwebenden Fluges schlugen mich sofort in den Bann“, notiert Konrad Weyde. Der Lehrer und passionierte Vogelkundler hat sich in ein entlegenes Bergdorf aufgemacht, um eines der majestätischen Tiere zu erlegen. Grimmige Dorfbewohner wollen ihn davon abhalten, drohen ihm Strafe an. Der Forscher jedoch will jagen, besitzen, Trophäen heimtragen. Und obwohl ihm dies gelingt, verfolgt ihn fortan doch ein düsterer Traum. Ein Traum, in dem er sich auf einmal mit den Augen des Vogels sieht – und die Lächerlichkeit seines Tuns erkennt, seine Schwäche, seine grundsätzliche Unterlegenheit.
Der zivilisationskritische Ton, den Susanne Röckel mit dieser Szenerie gleich im Prolog ihres neuen Romans „Der Vogelgott“ (Verlag Jung und Jung, 267 Seiten) anschlägt, ist unüberhörbar. Doch es wäre zu vereinfachend, ihren fein gesponnenen, hochsymbolisch an Mythen und Märchen angebundenen Roman auf diese eine Lesart zu reduzieren. Bereits in einigen ihrer Erzählungen und Romane, unter anderem dem Erzählband „Vergessene Museen“ von 2009, hat sich die vielfach ausgezeichnete Münchner Schriftstellerin und Übersetzerin unheimlichen, rätselhaften Zwischenreichen angenähert. Nun wählt sie das Symbol des göttlichen wie auch furchteinflößenden Vogels, um die Grenzen zwischen Tier und Mensch auszuloten – und die Grenzen menschlicher Hybris.
Damit ist sie beileibe nicht allein. Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch ist nicht erst in jüngster Zeit ein großes Thema, gesellschaftlich wie literarisch. Insbesondere das Vogelreich hat die Menschen immer schon besonders fasziniert. Davon zeugen Sagen wie die von Prometheus, dessen Leber von einem Adler gefressen wird; beide verschmelzen damit, so legt Röckels Roman nahe, „zu einem einzigen Wesen“. Davon erzählen auch Märchen wie die – von Röckel mit ihrem Roman geradezu paraphrasierte – Geschichte vom Vogel Greif, der alle umbringt, die sich ihm zu sehr nähern. Bis heute träumen Autorinnen wie die Britin Helen Macdonald in „H wie Habicht“ davon, wie Vögel auf die Welt hinunterzublicken und als Beobachter „unverwundbar, unbeteiligt, ungeteilt“ zu sein. Und die Berliner Schriftstellerin Monika Maron zeigte sich jüngst nicht nur in ihrem wegen mancher Aussagen unheimlich wirkenden Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ von Krähen fasziniert. Sie huldigte bereits zuvor im Büchlein „Krähengekrächz“ den klugen Vögeln, die für sie alles verkörpern, „was uns schön und edel erscheint: Grazie, Zartheit, Eleganz, Kraft, Eigensinn, Kühnheit, Skurriles wie Erhabenes. Vor allem aber Freiheit.“
Ganz so positiv gegenüber den Vögeln fällt das Urteil in Röckels „Vogelgott“ nicht aus. Vielmehr zieht sie ihre Leser nach dem Prolog in eine düstere Familien- und zugleich Fantasy-Geschichte hinein, in der die Vogelgötter, die auch menschliche Gestalt annehmen, überwiegend bedrohlich erscheinen. In drei Teilen fächert der Roman die Geschichte der drei Kinder des Jägers Weyde auf. Sie alle werden in ihren Leben auf unterschiedliche Weise unheilvoll mit den verfolgten Vögeln des Vaters konfrontiert: Der jüngste Sohn Thedor lässt sich auf eine gefährliche Reise als Helfer bei einem Volk der Aza ein, gerät in ein undurchsichtiges Reich von Vogelmenschen und endet nach einer katastrophalen Entwicklung im Krankenhaus. Die Tochter Dora verschreibt sich einer Kunst-Promotion über einen Kirchenmaler namens Johannes Wolmuth, stößt bei der Recherche auf Bilder von geflügelten Wesen, die einst vom Volk wie böse Engel angebetet wurden – und beginnt selbst rauschhaft allerlei Mischwesen zu malen. Der älteste Sohn Lorenz recherchiert als Journalist über die Vogelmenschen und gerät schließlich ebenfalls immer tiefer in deren Bann.
Eindeutige Erklärungen bietet Röckels Roman nicht an, für all die seltsamen Auflösungserscheinungen zwischen Himmel und Erde, Mensch und Tier, Wirklichkeit und Wahn. Vielleicht ist auch alles nur ein Traum, tiefenpsychologisch zu deuten. Röckel spricht einmal vom „Schauder der unauflösbaren Ambivalenz“ – sie liebt das Verwischen von Spuren, das Verschwimmen von Konturen und Grenzen. Da ihr Roman durch die Perspektivwechsel immer neue Richtungen einschlägt und die Motive dabei sorgsam und subtil verschränkt, folgt man den ausgelegten Fährten gerne. Eine Grund-Irritation jedoch bleibt, ja soll wohl bleiben. Befördert wird sie nicht zuletzt durch Sätze wie diese: „Wir sehen nichts mehr, wenn wir zum Himmel aufschauen. Aber wenn Gott nicht mehr da ist, übernimmt die Natur die Macht.“ Vielleicht als Riesenvogel.
ANTJE WEBER
Susanne Röckel, 1953 geboren, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in München. 1999 erhielt sie den Tukan-Preis, 2017 ein Arbeitsstipendium der Stadt München.
Foto: Gerald von Foris
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Von Flug und Fluch

Susanne Röckels vieldeutiger neuer Roman „Der Vogelgott“

München – Mit ausgebreiteten Schwingen taucht ein großer Vogel über einer Felskette auf. Und was für ein Vogel! „Die Schönheit seiner Gestalt, die Leichtigkeit und Eleganz seines schwebenden Fluges schlugen mich sofort in den Bann“, notiert Konrad Weyde. Der Lehrer und passionierte Vogelkundler hat sich in ein entlegenes Bergdorf aufgemacht, um eines der majestätischen Tiere zu erlegen. Grimmige Dorfbewohner wollen ihn davon abhalten, drohen ihm Strafe an. Der Forscher jedoch will jagen, besitzen, Trophäen heimtragen. Und obwohl ihm dies gelingt, verfolgt ihn fortan doch ein düsterer Traum. Ein Traum, in dem er sich auf einmal mit den Augen des Vogels sieht – und die Lächerlichkeit seines Tuns erkennt, seine Schwäche, seine grundsätzliche Unterlegenheit.

Der zivilisationskritische Ton, den Susanne Röckel mit dieser Szenerie gleich im Prolog ihres neuen Romans „Der Vogelgott“ (Verlag Jung und Jung, 267 Seiten) anschlägt, ist unüberhörbar. Doch es wäre zu vereinfachend, ihren fein gesponnenen, hochsymbolisch an Mythen und Märchen angebundenen Roman auf diese eine Lesart zu reduzieren. Bereits in einigen ihrer Erzählungen und Romane, unter anderem dem Erzählband „Vergessene Museen“ von 2009, hat sich die vielfach ausgezeichnete Münchner Schriftstellerin und Übersetzerin unheimlichen, rätselhaften Zwischenreichen angenähert. Nun wählt sie das Symbol des göttlichen wie auch furchteinflößenden Vogels, um die Grenzen zwischen Tier und Mensch auszuloten – und die Grenzen menschlicher Hybris.

Damit ist sie beileibe nicht allein. Das Verhältnis zwischen Tier und Mensch ist nicht erst in jüngster Zeit ein großes Thema, gesellschaftlich wie literarisch. Insbesondere das Vogelreich hat die Menschen immer schon besonders fasziniert. Davon zeugen Sagen wie die von Prometheus, dessen Leber von einem Adler gefressen wird; beide verschmelzen damit, so legt Röckels Roman nahe, „zu einem einzigen Wesen“. Davon erzählen auch Märchen wie die – von Röckel mit ihrem Roman geradezu paraphrasierte – Geschichte vom Vogel Greif, der alle umbringt, die sich ihm zu sehr nähern. Bis heute träumen Autorinnen wie die Britin Helen Macdonald in „H wie Habicht“ davon, wie Vögel auf die Welt hinunterzublicken und als Beobachter „unverwundbar, unbeteiligt, ungeteilt“ zu sein. Und die Berliner Schriftstellerin Monika Maron zeigte sich jüngst nicht nur in ihrem wegen mancher Aussagen unheimlich wirkenden Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ von Krähen fasziniert. Sie huldigte bereits zuvor im Büchlein „Krähengekrächz“ den klugen Vögeln, die für sie alles verkörpern, „was uns schön und edel erscheint: Grazie, Zartheit, Eleganz, Kraft, Eigensinn, Kühnheit, Skurriles wie Erhabenes. Vor allem aber Freiheit.“

Ganz so positiv gegenüber den Vögeln fällt das Urteil in Röckels „Vogelgott“ nicht aus. Vielmehr zieht sie ihre Leser nach dem Prolog in eine düstere Familien- und zugleich Fantasy-Geschichte hinein, in der die Vogelgötter, die auch menschliche Gestalt annehmen, überwiegend bedrohlich erscheinen. In drei Teilen fächert der Roman die Geschichte der drei Kinder des Jägers Weyde auf. Sie alle werden in ihren Leben auf unterschiedliche Weise unheilvoll mit den verfolgten Vögeln des Vaters konfrontiert: Der jüngste Sohn Thedor lässt sich auf eine gefährliche Reise als Helfer bei einem Volk der Aza ein, gerät in ein undurchsichtiges Reich von Vogelmenschen und endet nach einer katastrophalen Entwicklung im Krankenhaus. Die Tochter Dora verschreibt sich einer Kunst-Promotion über einen Kirchenmaler namens Johannes Wolmuth, stößt bei der Recherche auf Bilder von geflügelten Wesen, die einst vom Volk wie böse Engel angebetet wurden – und beginnt selbst rauschhaft allerlei Mischwesen zu malen. Der älteste Sohn Lorenz recherchiert als Journalist über die Vogelmenschen und gerät schließlich ebenfalls immer tiefer in deren Bann.

Eindeutige Erklärungen bietet Röckels Roman nicht an, für all die seltsamen Auflösungserscheinungen zwischen Himmel und Erde, Mensch und Tier, Wirklichkeit und Wahn. Vielleicht ist auch alles nur ein Traum, tiefenpsychologisch zu deuten. Röckel spricht einmal vom „Schauder der unauflösbaren Ambivalenz“ – sie liebt das Verwischen von Spuren, das Verschwimmen von Konturen und Grenzen. Da ihr Roman durch die Perspektivwechsel immer neue Richtungen einschlägt und die Motive dabei sorgsam und subtil verschränkt, folgt man den ausgelegten Fährten gerne. Eine Grund-Irritation jedoch bleibt, ja soll wohl bleiben. Befördert wird sie nicht zuletzt durch Sätze wie diese: „Wir sehen nichts mehr, wenn wir zum Himmel aufschauen. Aber wenn Gott nicht mehr da ist, übernimmt die Natur die Macht.“ Vielleicht als Riesenvogel.

ANTJE WEBER

Susanne Röckel, 1953 geboren, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in München. 1999 erhielt sie den Tukan-Preis, 2017 ein Arbeitsstipendium der Stadt München.
Foto: Gerald von Foris

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