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Die Vorstellungen vom Ende der Welt sind so vielfältig und zahlreich wie ihre Kulturen. Von der Sintflut über nukleare Katastrophen bis zur Vernichtung der Menschheit durch ein Supervirus reichen die Fantasien, die nicht nur die Science-Fiction durchziehen, sondern auch ganze Philosophien und Religionen begründen. Die Philosophin Deborah Danowski und der Ethnologe Eduardo Viveiros de Castro beleuchten in diesem Buch die wichtigsten und verbreitetsten Variationen des Themas vom Ende der Welt vor dem Hintergrund der globalen Umweltkrisen im Anthropozän. Die gegenwärtigen Katastrophenszenarien…mehr

Produktbeschreibung
Die Vorstellungen vom Ende der Welt sind so vielfältig und zahlreich wie ihre Kulturen. Von der Sintflut über nukleare Katastrophen bis zur Vernichtung der Menschheit durch ein Supervirus reichen die Fantasien, die nicht nur die Science-Fiction durchziehen, sondern auch ganze Philosophien und Religionen begründen. Die Philosophin Deborah Danowski und der Ethnologe Eduardo Viveiros de Castro beleuchten in diesem Buch die wichtigsten und verbreitetsten Variationen des Themas vom Ende der Welt vor dem Hintergrund der globalen Umweltkrisen im Anthropozän. Die gegenwärtigen Katastrophenszenarien sind zumeist auch Gedankenexperimente über den drohenden Niedergang der westlichen Zivilisation. Es wird klar: Das Ende der Welt muss nicht gleich das Ende aller Zeiten bedeuten. In diesem in viele Sprachen übersetzten Essay ziehen die beiden Autoren eine Bilanz aus den Enden der Welt, um aus ihnen weitreichende philosophische, ökologische und anthropologische Schlussfolgerungen für die politische Praxis zu schöpfen. Ein wichtiges Buch für unsere Zeit, ein Buch, das Hoffnung macht.
Autorenporträt
Eduardo Viveiros de Castro lebt in Rio de Janeiro. Als Professor für Anthropologie lehrte er an der University of Chicago und an der University of Cambridge. Mit seiner Theorie des amerindischen Perspektivismus zählt er zu den bedeutendsten zeitgenössischen Anthropologen. Deborah Danowski war nach ihrer Promotion zur Philosophie David Humes u. a. an der Universitat Paris-Sorbonne tätig, bevor sie Professorin für Philosophie an der Päpstlich Katholischen Universität von Rio de Janeiro wurde. Ulrich van Loyen, 1978 in Dresden geboren, ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet nach mehreren Stationen in Italien und Deutschland am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität Siegen. Clemens van Loyen, geboren 1982, ist Lateinamerikanist und arbeitet in und über Rio de Janeiro.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2019

Auswege für uns Post-Apokalyptiker

Soll die Menschheit das Weltall besiedeln oder doch lieber versuchen, die Erde zu retten? Zwei ganz unterschiedliche Bücher wägen Szenarien des Untergangs ab.

Das Ende der Welt ist nah: Evangelikale in den Vereinigten Staaten gehen davon aus, dass es bald so weit sein wird. Doch wie genau sich so ein Weltende vollziehen würde, darüber gehen die Vorstellungen der Gemeinden auseinander. Konkreter - weil naturwissenschaftlich prognostizierbar oder zumindest modellierbar - sind dagegen die Vorstellungen von einem vom Menschen herbeigeführten Weltuntergang. Die Szenarien der Klimaforscher, die im Monatstakt von der Wirklichkeit bestätigt oder überholt werden, sorgen für Beunruhigung. Nimmt man die wieder gestiegene Gefahr nuklearer Kriege hinzu sowie das Risiko von bakteriellen oder viralen Pandemien in einer hypervernetzten Welt, so kann einem durchaus bange werden.

Der Physiker Michio Kaku beginnt sein Buch mit solchen Horrorszenarien: "An irgendeinem Punkt könnten wir die Tragfähigkeitsgrenzen der Erde überschreiten und uns in einem ökologischen Armageddon wiederfinden, in dem wir um die letzten verbliebenen Vorräte des Planeten konkurrieren." Kaku, Theoretischer Physiker an der Universität von New York City, bietet als Lösung eine säkulare Variante christlicher Eschatologie. Aus der Aufnahme der Auserwählten in das Reich Gottes beim Jüngsten Gericht wird bei ihm eine technologisch getriebene Himmelfahrt: Die Menschheit müsse die Erde verlassen, das Weltall besiedeln, solle sich ausbreiten und diversifizieren, so wie es Tierarten machten, wenn der Lauf der Evolution sie auf verschiedene Inseln verschlage.

Im Folgenden breitet der Autor ein Spektrum an technischen Möglichkeiten und Szenarien aus. Im neuen "Goldenen Zeitalter der Raumfahrt" sieht er die Chance, im Weltraum Rohstoffe zu gewinnen, aus denen sich dann Maschinen selbst zusammenbauen. Menschliche Siedlungen auf dem Mond oder dem Mars sind für ihn quasi schon eine Selbstverständlichkeit. "Terraforming", also die Erzeugung erdähnlicher Lebensbedingungen mit technischer Hilfe, sieht er als Gebot der Stunde, um kosmische Rettungsinseln für die Menschheit aufzubauen.

Man könne die Atmosphäre des Mars mit Methan und Wasserdampf impfen, um einen künstlichen Treibhauseffekt dort auszulösen, meint Kaku. Dafür ließe sich etwa am Titan Methan abbauen und zum Mars zu bringen oder eine Armada von Satelliten rund um den Mars installieren, die Sonnenlicht konzentriert und dafür einsetzt, die Polkappen abzuschmelzen. Sollte das nicht gelingen, käme auch noch die Idee des Tesla-Gründers Elon Musk in Frage, über den Polkappen des Mars Wasserstoffbomben zu zünden. Gelinge das, werde der ganze Planet von einem bis zu neun Meter hohen Ozean bedeckt.

Technikbegeisterung der ziemlich naiven Art

Die Marsbesiedlung ist in den Augen Kakus aber nur so etwas wie ein Ausflug in die unmittelbare Nachbarschaft. Immer gewagter werden die möglichen Fluchtrouten Kapitel um Kapitel, immer verstiegener die technischen Neuerungen, die dazu nötig wären. Von Raketen mit Atombombenantrieb, die Flugkörper auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen könnten, geht es schnurstracks zum Warp-Antrieb, der sich die Krümmung von Zeit und Raum zunutze macht. Der Autor bietet eine für ihn typische Mischung aus fundierter Naturwissenschaft, Anleihen bei meist amerikanischen Science-Fiction-Filmen und Spekulation. Das ist durchaus unterhaltsam, doch über eine einfältige Technikbegeisterung geht es letztlich nicht hinaus.

Die Frage nämlich, was die Triebkraft dafür ist, dass wir unseren Heimatplaneten zugrunde richten - und wie wir das in den Weiten des Kosmos anders machen könnten -, wird erst gar nicht gestellt. Stattdessen wird der koloniale Geist der amerikanischen Siedler ins Endlose erweitert, nachdem auf Erden alle Grenzen erreicht sind. Solche Ideen gibt es schon lange, in der Sowjetunion waren sie ebenso populär wie im Westen.

Wirkt Kakus Buch deshalb etwas abgestanden, liest sich ein anderes manchmal geradezu wie eine Replik auf dessen Technophantasien. Die Sprache von "In welcher Welt leben? Ein Versuch über die Angst vor dem Ende" des brasilianischen Autorenduos Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro ist zwar schwergängig. Das Buch kommt eher als akademische Studie daher denn als Versuch, ein breites Publikum zu erreichen. Doch dahinter wartet ein erfrischender Gedanken- und Ideenreichtum. Während der Technikfreak Kaku der Erde aus dem Raketenrückspiegel zuwinkt, erzählen Danowski und Viveiros de Castro ihre Geschichte vom drohenden Weltuntergang aus der Perspektive von Erdbewohnern, die auf ihrem Planeten bleiben wollen.

Die Argumentation der Philosophin und des renommierten Anthropologen setzt dort an, wo der "humanistische Optimismus" endet, der für die Autoren die Geschichte des Westens in den letzten drei oder vier Jahrhunderten dominiert habe. Die Geschichte sei nicht länger ein "Epos des Geistes", sondern drohe in den Untergang einer Zivilisation zu münden, in die von Isabelle Stengers beschriebene "kommende Barbarei", die umso brutaler ausfallen werde, je schonungsloser das dominierende techno-ökonomische System zur Flucht nach vorne forciert werde. Es wirkt wie eine Antwort auf Kaku, wenn die Autoren die ökologische Krise als "gewaltsamen Wiedereintritt der westlichen Noosphäre in die Erdatmosphäre" beschreiben.

Anknüpfen an indigene Vorstellungen vom Ende der Welt

Die erste Hälfte des Buchs bietet einen Überblick zeitgenössischer Ideen zur drohenden Selbstzerstörung der Zivilisation - von Vorstellungen, die Erde werde nach dem Verschwinden des Menschen wieder heil, bis zu Szenarien einer vollkommenen technischen Überformung der Menschheit, von nüchternen Beschreibungen einer leblosen Erde bis zu Autoren, die den Untergang geradezu leidenschaftlich herbeisehnen. Das Anthropozän, also die Idee einer vom Menschen geprägten geologischen Erdepoche, darf dabei nicht fehlen. Danowski und Viveiros de Castro gehen nüchtern und sachlich an diese Ideen heran und fällen kein vorschnelles Urteil - wie überhaupt eine tiefes Verständnis demonstrierende Analysekraft zu den Stärken ihres Buches zählt.

Doch im zweiten Teil wird es dann doch programmatisch. Die Autoren kommen, ausgehend von den anthropologischen und ethnographischen Arbeit von Viveiros de Castro, auf indigene Vorstellungen vom Ende der Welt. Der berühmte, in esoterischen Kreisen beliebte Maya-Kalender spielt dabei nur eine Nebenrolle, und auch eine romantische Verklärung indigener Völker liegt den Autoren fern.

Vielmehr führt das Buch in eine Welt, die bereits postapokalyptisch ist, nämlich in unsere Welt, die Welt mehr als fünfhundert Jahre nach der Eroberung Amerikas durch die Europäer, bei der Millionen Indigene getötet wurden, ob durch Waffen oder eingeschleppte Krankheiten. Bis heute wirke dieser Schock nach, und bis heute gehe die Zerstörung weiter, argumentieren die Autoren. Das geht so weit, dass etwa zeitgenössische Ideen einer Welt-Erlösung beim Volk der Mbyá-Guarini davon handelten, dass die Welt von der steinern-giftigen Schicht der Zivilisation samt ihren Verursachern gereinigt werde.

Zugleich stellen die Autoren Denkfiguren aus der Welt der Indigenen vor, die aus ihrer Sicht für unseren ziemlich technokratischen Umweltdiskurs interessant sein sollten: In der Vorstellungswelt vieler indigener Völker Südamerikas gibt es das westliche Gegensatzpaar von Mensch versus Natur, das Humboldt vom "ewig unversöhnten Geschlecht" sprechen ließ, überhaupt nicht. Vielmehr ist ein wiederkehrendes Thema von Schöpfungsmythen, dass es am Anfang nur Menschen gegeben habe und die Tiere und Pflanzen deren Nachfahren seien.

Das ist biologisch natürlich falsch. Danowski und Viveiros de Castro sehen darin aber eine Empfehlung, wie ein Untergang unserer westlichen Zivilisation sich vermeiden lässt: durch Anthropomorphismus statt Anthropozentrismus. Indem wir lernten, in Tieren Subjekte zu sehen statt Objekte, könnten wir die ökologische Situation grundlegend verbessern.

Die Autoren erweisen sich mit ihren Betrachtungen als würdige und produktive Nachfolger auf den Spuren der Apokalypsephilosophie eines Günther Anders, den sie mehrfach zitieren - mit dem Unterschied und großen Vorteil, dass sie auch Denkfiguren anbieten, die einen Ausweg aus dem Desaster bedeuten könnten.

CHRISTIAN SCHWÄGERL

Eduardo Viveiros de Castro und Deborah Danowski: "In welcher Welt leben?" Ein Versuch über die Angst vor dem Ende. Aus dem Portugiesischen von Ulrich und Clemens van Loyen. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019. 186 S., geb., 25,- [Euro].

Michio Kaku: "Abschied von der Erde". Die Zukunft der Menschheit.

Aus dem Englischen von Monika Niehaus und Bernd Schuh. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 480 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.07.2019

Der bevorstehende Kollaps
Einige wenige haben zu viel Welt und viel zu viele haben zu wenige Welten: Die Philosophin Deborah Danowski und der Anthropologe
Eduardo Viveiros de Castro haben eine beeindruckende Phänomenologie der angekündigten Untergänge entwickelt
VON THOMAS STEINFELD
Am Ende des Films „Melancholia“ (2011), als der umherschweifende Planet, der die Erde zerstören wird, schon in gewaltiger Größe am Horizont steht, verlassen die letzten Menschen ihre Wohnung. Aus einigen eilig gesammelten Stöcken errichten sie ein primitives Obdach auf einer Wiese über dem Meer. Darin sitzen eine von Weinkrämpfen geschüttelte Frau, ihre Schwester, die nervös, aber gefasst dem Ende entgegensieht, und ein Kind mit geschlossenen Augen. Das Kind vertraut auf das Versprechen der Erwachsenen, es handele sich bei den Stöcken um ein „magisches Zelt“. Aber das Versprechen ist Betrug. Am Ende, meint Lars von Trier, der Autor und Regisseur des Films, gebe es keinen Ausweg, keine Rettung und keine Vorbehalte. Alle, die Reichen, die Armen und die Guten, die Hässlichen, die Habgierigen und die Hoffnungsvollen, werden als Asche durch den Weltraum segeln, nach einem ultimativen Akt der Zerstörung, der äußerste Gewalt und äußerste Befreiung zugleich sein wird.
Der Weltuntergang, wie Lars von Trier ihn entwirft, ist nur eine von etlichen Varianten der finalen Katastrophe, denen sich die brasilianische Philosophin Deborah Danowski und der Ethnologe Eduardo Viveiros de Castro in ihrem Buch „In welcher Welt leben?“ widmen. Dabei fällt ihnen auf, dass die Apokalypse des dänischen Regisseurs aus einer Perspektive beschrieben ist, die „außerhalb der Erde“ liegen muss: Denn am Ende ist nichts mehr da, die Menschen nicht, die Welt nicht, und es wird auch niemanden mehr geben, der das Fehlen der Erde samt ihren Menschen in irgendeiner Weise bemerken könnte. Dennoch gibt es den Film, und das Leben geht weiter. Der Filmautor, der ein Blutopfer als Erlösung des Universums von einer verworfenen Spezies inszeniert, scheint sich, so lässt sich daraus schließen, für eine Art Gesandten des Jüngsten Gerichts zu halten. Er bezieht eine Genugtuung aus dem Debakel, ähnlich wie die radikalen Pietisten, die auch immer schon glaubten, das letzte Strafgericht stehe unmittelbar bevor, und mit diesem Glauben ihre Zeitgenossen plagten.
Die Geschichte des Films hat oft ein kurzes Gedächtnis. Wenn „Melancholia“ dennoch nicht aus der Erinnerung verschwunden ist, so liegt das daran, dass der Weltuntergang für viele Menschen aktuelle Gestalt angenommen zu haben scheint, und zwar in der Erwärmung des Klimas. Der „Ruin unserer globalen Zivilisation“, sagen Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro, sei „aufgrund ihrer eigenen unwidersprochenen Hegemonie“ zu erwarten, wobei dieser Untergang „beträchtliche Teile der menschlichen Bevölkerung mit sich ziehen könnte“. An diesem Satz ist zumindest so viel richtig, dass die Klimakatastrophe seit Jahren schon im öffentlichen Bewusstsein alle anderen Gründe für einen Weltuntergang in sich aufnimmt. Über den Konjunktiv „könnte“ wäre indessen eine Weile nachzudenken, genauso wie über die Kategorie „Zivilisation“. Denn wer oder was ist das eigentlich? Eine Antwort geben die beiden Autoren nicht.
Was Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro hingegen bieten, in einer Weise, die in den vielen Schriften über die nahende Klimakatastrophe nicht ihresgleichen hat, ist eine Phänomenologie der angekündigten Weltuntergänge. Sie werden zum Beispiel danach unterschieden, wie die Welt nach dem Ende der Menschheit aussehen soll: Wie ein zurückgekehrtes Paradies? Ausgestorben und vereist, also „unglaublich tot“? Oder wie im Film „Mad Max“ (1980), der eine Restwelt zeigt, in der nur noch wenige gewalttätige Menschen leben, und das auch nur noch für kurze Zeit? Ferner gibt es eine Vision des Weltuntergangs namens „Akzelerationismus“, betrieben von Menschen, die glauben, der Weltuntergang lasse sich durch eine technische Perfektionierung des Kapitalismus verhindern. Und es gibt die gewöhnlichen Anhänger des ökologischen Denkens, die glauben, man könne den Weltuntergang aufhalten, indem man sich etlichen (echten oder auch nur vermeintlichen) Errungenschaften der technisierten Demokratie verschließt: dem Fliegen zum Beispiel, der Klimatisierung von Räumen oder dem Verzehr von Fleisch. In allen diesen Vorstellungen, so Danowski und Viveiros de Castro, walte eine Illusion, nämlich die Annahme, es gebe noch so etwas wie eine „Natur“, die als etwas für sich Existierendes, dem Menschen als das Andere seiner selbst entgegentritt und also wiederherzustellen wäre.
Vielmehr liege es in der „Natur des bevorstehenden Kollapses“, dass er „in der einen oder anderen Weise alle erreichen wird“. Und nicht nur „alle“, sondern auch „alles“. Dem französischen Wissenschaftshistoriker Bruno Latour und der Lehre vom „Anthropozän“ (eine problematische Kategorie, weil es sich aus der Perspektive der Erdzeitalter allenfalls um einen katastrophischen Augenblick handeln kann) folgend, erklären die beiden Apokalyptiker, die Gegenübersetzung von „Mensch“ und „Natur“, so wie sie mit der Entstehung der modernen Wissenschaften im 17. Jahrhundert begonnen habe, sei bereits der Anfang vom Ende der Welt gewesen. Dieser Gedanke mündet folgerichtig in einen Antikapitalismus, den die beiden Autoren zu teilen scheinen: Kein Zweifel herrscht daran, dass und in welchem Maße Kapitalinteressen, Machtpolitik und internationale Konkurrenz an der Zerstörung von Lebensgrundlagen mitgewirkt haben und es immer noch tun. Doch wenn die „kommende Barbarei“ (Isabelle Stengers) längst gegenwärtig ist und unauslöschliche Folgen gezeitigt hat – was würde selbst etwas so Unwahrscheinliches wie eine Revolution daran ändern? Was immer noch an Positivem sich ereignen mag, werde vermutlich zu wenig sein und zu spät eintreffen, weshalb „Nachhaltigkeit“ eine Idee sei, die im Einzelnen und Kleinen vielleicht nützlich sein könne, „im Weltmaßstab aber eine Fiktion“ bleiben müsse.
Die Verkörperung der Erkenntnis, die Menschheit gehe ihrem Ende entgegen, ist gegenwärtig die sechzehnjährige Schülerin Greta Thunberg, eine Jeanne d’Arc des ökologischen Bewusstseins. Wenn sie vor den Vereinten Nationen, vor dem Papst oder vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos auftritt, tut sie es mit dem erklärten Vorsatz, in ihren Zuhörern dieselbe „Panik“ zu wecken, die sie selbst empfindet.
Dabei bemerkt sie, dass sich unter diesen Zuhörern etliche der Menschen befinden, die den katastrophalen Zustand der Welt zu verantworten haben. Dass sie mit Absicht so handeln und deswegen allerhand Weltuntergänge in Kauf nehmen, will ihr nicht in den Kopf, während die versammelten Machthaber sich gern öffentlich daran erinnern lassen, dass auch sie eigentlich besten Willens sind. Greta Thunberg redet ihnen ins Gewissen, und sie lassen sich ins Gewissen reden, weil ein bisschen jugendlicher Idealismus bei der Bewältigung der üblichen Geschäfte eher schmückt als schadet. Es dürfte in modernen Gesellschaften kein politisches Interesse geben, das nicht im Namen des allgemeinen Besten auftritt, so partikular es jenseits der Rhetorik auch sein mag. Den praktischen Gang der Dinge verhindert Greta Thunberg deswegen nicht. Sie hält ihn nicht einmal auf, so unbeirrbar, wie sie in Kategorien des Gemeinwohls und nicht in denen des Interesses denkt.
Solchen Vorspiegelungen von Einigkeit und Einheit widersetzen sich Danowski und Viveiros de Castro, und sie tun es gründlich. Zwar benutzen auch sie gelegentlich das fatale Personalpronomen „wir“, in dem sich just das vorgebliche Gegenüber von Mensch und Natur immer wieder neu reproduziert, dem sie andererseits mit ihrer Phänomenologie der Weltuntergänge entgegentreten wollen. Denn wie immer diese Katastrophen auch ausgehen: Sie treffen das Ineinander von Mensch und Natur, womit auch die Vorstellung von einer „gemeinsamen Welt“ zur Disposition steht: Denn am Klimawandel wird, soviel ist vorauszusehen, die Trennung der reichen von den armen Erdteilen neu vollzogen werden. Es ist bekannt, dass es fünf Welten bräuchte, sollten alle Menschen so leben, wie es die Bürger der Vereinigten Staaten tun. Folglich gibt es „einige wenige, die zu viel Welt haben, und viel zu viele Menschen, die zu wenige Welten haben“. Wie aber sollte sich diese Verteilung ändern, da sich doch die Machtverhältnisse nicht ändern? Viel wahrscheinlicher ist, dass sich die Ungleichheiten verschärfen, mit oder ohne „Melancholia“. Solche Konsequenzen zu benennen, kalt und genau, darin liegt das wichtigste Verdienst dieser Phänomenologie der Weltuntergänge.
Am Ende des Buches sehen sich die Autoren indessen genötigt, etwas Positives vorzutragen, und propagieren einen „Anthropomorphismus“, den sie bei den indigenen Völkern Brasiliens gefunden zu haben meinen. Hoffnung gebe es, wenn sich die Menschen insgesamt der Welt gegenüber so verhielten, als wäre sie menschlich verfasst – und also das fatale Gegenüber von Mensch und Natur aufhöben. Die so empfohlene „Erdverbundenheit“ erweist sich indessen als eine neue ethnologische Lehre, die den Moralismus der alten Ethnologie einfach umkehrt. Denn war diese Disziplin nicht im 19. Jahrhundert erfunden worden, um der Herrschaft der Kolonialstaaten über Stämme und Völker, die sie als zurückgeblieben, ja als von Grund auf ahistorisch lebend definierten, ein scheinbar wissenschaftliches Fundament zu liefern? Im frühen 21. Jahrhundert scheint der Moralismus der Ethnologie unter entgegengesetzten Voraussetzungen zurückzukehren: als Lehre von der Überlegenheit der „ahistorisch Lebenden“ über alles, was man als „Zivilisation“ bezeichnen könnte.
Welchen Sinn aber sollte es haben, mit einer parteiischen Wissenschaft auf eine andere parteiische Wissenschaft zu reagieren – ganz abgesehen davon, dass es zur Rettung der Welt womöglich ganz anderer Mittel bedürfte als der Renovierung einer problematischen geisteswissenschaftlichen Disziplin?
Deborah Danowski / Eduardo Viveiros de Castro: In welcher Welt leben? Ein Versuch über die Angst vor dem Ende. Aus dem Portugiesischen von Clemens und Ulrich van Loyen. Verlag Matthes und Seitz, Berlin 2019. 190 Seiten, 25 Euro.
Kann die Vervollkommnung
des Kapitalismus den
Weltuntergang verhindern?
Durch den Kimawandel wird die
Trennung von reichen und
armen Erdteilen neu vollzogen
Am Ende propagieren die Autoren
den „Anthropomorphismus“
der indigenen Völker Brasiliens
Im öffentlichen Bewusstsein nimmt die Klimakatastrophe alle anderen Gründe für einen Weltuntergang in sich auf. In der einen oder anderen Weise wird er alle erreichen und alles. – Blick auf die Reste eines ausgebrannten Hauses nach verheerenden Waldbränden, Paradise, Kalifornien, November 2018.
Foto: John Locher / dpa
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Die Autoren erweisen sich mit ihren Betrachtungen als würdige und produktive Nachfolger auf den Spuren der Apokalypsenphilosophie eines Günther Anders. Christian Schwägerl FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20190504