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Der digitale Wandel der Gesellschaft wird von konzeptlosen Politikern und gewinnorientierten Unternehmern diskussionslos durchgewunken und vorangetrieben. Die gelegentliche Kritik an Fake News, Filterblasen und dem Verlust der Privatsphäre trifft nur die Symptome einer viel grundsätzlicheren Gefahr für das Fortbestehen unserer Demokratie. Auch die Schulen und Universitäten entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn sie nur vermitteln, wie man die neuen Medien sicher nutzen und effektiv in der Forschung einsetzen kann, statt auch die kulturstiftende Funktion des Computers zu…mehr

Produktbeschreibung
Der digitale Wandel der Gesellschaft wird von konzeptlosen Politikern und gewinnorientierten Unternehmern diskussionslos durchgewunken und vorangetrieben. Die gelegentliche Kritik an Fake News, Filterblasen und dem Verlust der Privatsphäre trifft nur die Symptome einer viel grundsätzlicheren Gefahr für das Fortbestehen unserer Demokratie. Auch die Schulen und Universitäten entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn sie nur vermitteln, wie man die neuen Medien sicher nutzen und effektiv in der Forschung einsetzen kann, statt auch die kulturstiftende Funktion des Computers zu betrachten. Roberto Simanowski plädiert in seiner Streitschrift für eine neue Medienbildung, die kritisch operiert statt affirmativ. Nicht allein die Anwendungskompetenz muss im Zentrum der Bildung stehen, sondern die Frage, wie die neuen Medien unser Leben und unsere Weltwahrnehmung ändern.
Autorenporträt
Simanowski, RobertoRoberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschafter und lebt, nach Professuren in Providence, Basel und Hongkong, in Berlin und Rio de Janeiro. Seine jüngsten Bücher zur Kultur der digitalen Medien erscheinen bei Matthes & Seitz, MIT Press und Columbia University Press.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2018

Information ist nicht alles
Roberto Simanowski über die digitalisierte Bildung

Es stimmt schon: Die Computer verschwinden aus unserer Wahrnehmung. Wie allgegenwärtig und dabei unauffällig sie geworden sind, sieht man nicht nur, wenn Jugendliche bei den alljährlichen Mediennutzungsumfragen zur Überraschung der Älteren inzwischen angeben, eigentlich ständig online zu sein. Wir stehen am Anfang einer Entwicklung namens "Internet der Dinge", die selbst unsere Haushaltsgeräte zum autonomen Datenaustausch bringen will: Smarte Kühlschränke sollen selbständig die Getränkereserven erkennen und notfalls nachbestellen können, womöglich in Abstimmung mit unserem Fitness-Tracker und den Vorsätzen, die wir in irgendeiner App hinterlegt haben. Der digitale Assistent, der uns mittels Künstlicher Intelligenz und genauester Datenkenntnis vermeintlich unliebsame Entscheidungen abnimmt, ist noch Zukunftsmusik - ob schön oder schrill, obliegt dem Hörer.

"Stumme Medien", das neue Buch des Medienwissenschaftlers Roberto Simanowski, hätte anstelle des Untertitels "Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft" auch "Ausgänge aus der digitalen Unmündigkeit" heißen können. Oder könnte gleich den Titel "Verstummte Vermittler" tragen. Das jedenfalls entspräche den beiden wichtigsten Punkten, die dieses sorgfältig argumentierende Buch macht: Erstens die Analyse, wie sich die Moden, Haltungen und Interessen hinter der Rede von "Medienkompetenz" oder "Bildung 4.0" zu einem Bildungsbegriff verhalten, in dem es um Werte wie Freiheit, Mündigkeit, Verantwortungs- und Selbstbewusstsein geht. Und zweitens das Plädoyer für eine Gruppe, die - "Digitalisierung first, Bedenken second" - in der gegenwärtigen Mischung aus Euphorie und Angst vor dem Abgehängtwerden, Geschäftssinn und Sorglosigkeit schnell als Uninformierte, Überforderte, als Apokalyptiker oder schlicht als Spaßbremsen dastehen: die Lehrer, die Vermittler, mehr noch Geisteswissenschaftler, grundsätzlich Experten, deren Macht durch Wissen in der geläufigen Like-Kultur der sozialen Netzwerke durch die Macht der Masse übertrumpft wird.

Das Bedenken kultureller und sozialer Verhältnisse, angestammte Aufgabe der Geisteswissenschaften, habe den Geruch der Schwerfälligkeit bekommen, stellt Simanowski heraus, Informiertheit ist an die Stelle von Gebildetsein getreten. In der Diskussion um gesellschaftliche Brauchbarkeit als Bildungsziel belässt er es nicht beim flüchtigen Rückgriff auf Humboldt, sondern er arbeitet, von Überlegungen Moses Mendelssohns, Hölderlins oder des Pädagogen Peter Villaume ausgehend, heraus, wie Lehrer zu "Anpassungsagenten" und Schüler zu "evaluiertem Humankapital" werden konnten. Oder werden könnten, schließlich wird der Lehrertypus alten Schlags zwar als Gestalt der "Kreidezeit" beschrieben, als stünde sein Aussterben unmittelbar bevor, aber gänzlich sind die datengestützten Bildungsbegleiter doch noch nicht an seine Stelle getreten.

Simanowskis Analysen widmen sich insbesondere der Schule und der Hochschule. Auch wenn es sich der Autor nicht nehmen lässt, Problemstellungen immer wieder in konkrete Aufgabenstellungen für den Einsatz im Unterricht zu übersetzen: "Stumme Medien" richtet sich keineswegs ausschließlich an Lehrer. Vielmehr nutzt das Buch den Umstand, dass sich ideelle wie auch ideologische Verschiebungen mit gesamtgesellschaftlichem Gewicht oft genug an Bildungsdiskussionen zeigen lassen.

Disruption, zeigt Roberto Simanowski, wird nicht länger wegen der Gefahr der Rücksichtlosigkeit oder Voreiligkeit beargwöhnt, sondern gefeiert und gefordert. Dabei wird die allgemeine Ratlosigkeit angesichts der Schäden, die Unternehmen wie Facebook auf dem Feld demokratisch relevanter Meinungsbildung verursachen, längst selbst von den Verantwortlichen geteilt - allerdings ohne Innehalten oder Umdenken. Die wachsenden Möglichkeiten der Datenerfassung und -auswertung, so Simanowski, machten aus einer Gesellschaft, die auf Disziplin und Disziplinierung fußt, eine Kontrollgesellschaft, wobei der Schule die Funktion zukomme, bereits die Schüler zur Akzeptanz ihrer Vermessungs- und Regulationsprozeduren zu erziehen.

Simanowskis Beobachtungen sind so bitter wie kenntnisreich. Dabei lehnt der Autor die Digitalisierung nicht etwa rundweg ab, im Gegenteil, er versteht mehr von ihr, als vielen ihrer vorschnellen Fürsprecher lieb sein wird. Aber er versteht sie nicht nur von innen heraus. Mit Rückgriff auf Ernst Cassirer fordert Simanowski nicht mehr und nicht weniger, als den Verfahren des Erfinders (als "Erfüllungsgehilfe des Möglichen") die des Künstlers (als "Kommentator des Wirklichen") wieder zur Seite zu stellen. In den Geisteswissenschaften sieht Roberto Simanowski nicht zuletzt den "Ort, der Auskunft über das Verhältnis der Menschen zur Technik geben kann: über die Hoffnungen, Ängste, Freuden und Irrtümer, die das Technische dem Menschen brachte". Mit "Stumme Medien" hat er dafür ein tragfähiges Fundament geschaffen.

FRIDTJOF KÜCHEMANN

Roberto Simanowski: "Stumme Medien". Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2018. 304 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.05.2018

Ethik der Glasfaserkabel
Im postfaktischen Zeitalter wird Bildung zur wichtigsten Ressource. Roberto Simanowski plädiert für eine neue Aufklärung
In der digitalen Spätmoderne den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe. Umso wichtiger erscheinen „Gatekeeper“, die dabei helfen, Informationen zu filtern. Doch wer soll diese Funktionen noch erfüllen? Wer ist objektiv genug und verfügt zudem über die nötigen Ressourcen? Mit seinem neuen Buch „Stumme Medien“ trifft der 1963 geborene Medien- und Literaturwissenschaftler Roberto Simanowski ins schutzlose Mark der Internet-gesellschaft, deren Mitglieder den Rausch im Cyberspace genießen. Wer zu viel von der virtuellen Droge, einem Gemisch aus Infotainment, Sensationsgier und Überkommunikation, konsumiert, kann einen Schock erleben: wenn die Persönlichkeit zu einem transparenten Datenhaufen verkommen ist, an dem sich Google, Facebook und Amazon bereichern. Klingt kulturpessimistisch, ist es wohl auch, wenn man der in weiten Teilen stichhaltigen Einleitung des Autors Glauben schenken mag.
Sein Gegenrezept mutet so banal wie überzeugend an: Bildung in einem umfassenden Sinne sowie eine neue Aufklärung scheinen mehr denn je von Nöten. Derweil könnte man meinen, dass das Stichwort „Medienpädagogik“ längst an allen Schulen mit großen Computerräumen angekommen sein muss. Zum Teil mag das zutreffend sein. Doch nicht die technische Ausstattung birgt aus Simanowskis Sicht das wesentliche Problem, sondern der bisherige Umgang damit. Er setzt dabei nachdrücklich auf institutionelle und methodische Erneuerungen. Da der Qualitätsjournalismus durch die Filterblasen und die Politik von Facebook längst an Stärke verloren hat und Expertentum als Ausprägung der sogenannten „Meinungselite“ von der Internetcommunity verworfen wird, entpuppen sich Schulen und Universitäten möglicherweise tatsächlich als die wirkmächtigsten Bastionen gegenüber der Allmacht von Datenkonzernen.
Allerdings läuft dort einiges schief. Vor allem die Beschränkung des Unterrichts auf die Vermittlung von Kenntnissen zur Software-Anwendung und zum Programmieren steht im Zeichen einer hilflosen Pädagogik, die sich selbst inzwischen in die Arme der Ökonomie begeben hat. Skills und Kompetenzen von Industrie und Web 4.0 bereiten zwar unmittelbar auf die Arbeitswelt vor. Gilt das aber auch für das Leben in einer Netzwerkumgebung voller Risiken? Wie verändert das „dualistische Bewertungsmodell“ aus „Like“ und „Dislike“ unser Denken? Worin besteht ein adäquater Umgang mit vermeintlichen Fakten in einer postfaktischen Ära? Welchen Quellen sollte man vertrauen?
Um den „Homo algorithmicus“ auf diese Fragen hin zu sensibilisieren, bedarf es umfassender Reformen, wobei sich sowohl in der Didaktik als auch in der Wissenschaft neue Grundsätze etablieren müssen: Statt „Mediennutzungskompetenz“ braucht es eine „Medienreflexionskompetenz“, statt einer „Ethik des Machens“ eine „Ethik der Kritik“. Zu lange haben sich, so der durchaus berechtigte Vorwurf des Hochschullehrers, gerade die geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen hinter deskriptiven und zunehmend empirischen Betrachtungen versteckt und dabei den Ingenieuren und Technikern die Diskurshoheit über die digitalen Umwälzungen unseres Daseins überlassen. Scharf geißelt er das fehlende Problembewusstsein der digital humanities.
Warum, fragt Simanowski, der zur Zeit in Hongkong lehrt, spielen Philosophie, Literaturwissenschaft, Soziologie eine so geringe Rolle für die kritische Begleitung des Medienwandels? Er sieht die Ursache im „methodischen Skeptizismus“ der Postmoderne begründet, der eine genügsame Weltabstinenz befördert habe. Er wünscht statt dessen mehr Reflexivität, mehr medienethisch geschulte Lehrkräfte, universitäre Schwerpunktcluster, Implementierung der neuen Medien als Thema in unterschiedliche Fächer. Mit Repolitisierung und Deemotionalisierung will er dem sich anbahnenden Google-„Feudalismus“ des Wissens die Stirn bieten.
Die Studie „Stumme Medien“ überzeugt als Weckruf. Sie setzt Simanowskis Analysen „Data Love“ (2014) oder „Abfall – Das alternative ABC der neuen Medien“ (2017) fort. Hellsichtig trägt der Autor seine Befunde zur Facebook-Gesellschaft zusammen und zeichnet das Bild eines gefährdeten Gesamtorganismus. Dabei bedient er sich allerdings oft allzu plakativer Oppositionen.
Wer von Digitalisierung spricht, sollte mehr darunter verstehen als nur den Ausbau von Glasfaserkabeln. Digitalisierung setzt Reife voraus. Simanowski sinnt auf die Rückkehr des autonomen Subjekts. Im Gegensatz zum angepassten Homo Cyber besitzt es die Fähigkeit zum Widerstand sowie zur Mündigkeit. Ihm ist der Zweifel eine Tugend.
BJÖRN HAYER
Statt Mediennutzungskompetenz
bräuchte es eine
Medienreflexionskompetenz
Roberto Simanowski: Stumme Medien. Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018.
300 Seiten, 24 Euro.
E-Book 19,99 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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