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Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monatennah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort "Falschbeschuldigung" in der Luft. Jonas' und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt.Der Roman »nichts, was uns passiert« thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.…mehr

Produktbeschreibung
Leipzig. Sommer. Universität, Fußball-WM und Volksküche. Gute Freunde. Eine Geburtstagsfeier. Anna sagt, sie wurde vergewaltigt. Jonas sagt, es war einvernehmlicher Geschlechtsverkehr. Aussage steht gegen Aussage. Nach zwei Monatennah an der Verzweiflung zeigt Anna Jonas schließlich an, doch im Freundeskreis hängt bald das Wort "Falschbeschuldigung" in der Luft. Jonas' und Annas Glaubwürdigkeit und ihre Freundschaften werden aufs Spiel gesetzt.Der Roman »nichts, was uns passiert« thematisiert, welchen Einfluss eine Vergewaltigung auf Opfer, Täter und das Umfeld hat und wie eine Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2018

#MeToo im Elfenbeinturm
Hat er sie vergewaltigt? Oder nicht? Bettina Wilperts Debütroman "nichts, was uns passiert" hält die Dinge in der Schwebe

Etwas Furchtbares ist geschehen: Jonas hat Anna vergewaltigt. Beziehungsweise: Anna beschuldigt Jonas, das getan zu haben. Dabei waren sie davor doch Freunde, schliefen sogar miteinander, "Friends with Benefits" eben, wie man die Konstellation auf Englisch nennt.

Die Geschichte des Debütromans von Bettina Wilpert beginnt harmlos: Es ist Sommer in Leipzig, die Fußball-WM des Jahres 2014 läuft, überall Public Viewings und fröhliche Menschen. Anna und Jonas sind Studenten, man lernt sich über einen gemeinsamen Freund kennen. Man raucht und diskutiert. Man trinkt und diskutiert noch mehr. Vor der Bibliothek. Auf Brücken, auf Partys. Studentengespräche, zwischen Flirt und intellektuellem Kreuzverhör, leicht und gefährlich zugleich. So werden anhand von Literaturvorlieben gleich Charakterschwächen ausgemacht: Jonas liebt Sorokin, den Anna "pornografisch, vulgär und eklig" findet.

Eigentlich sind die beiden einander suspekt, sie wissen noch nicht einmal so recht, ob sie einander überhaupt anziehend finden:

"Ja, sie dachte, dass er gut aussah, doch sie fand ihn nicht attraktiv. Sie mochte den Bart - und die Brille. Er war einer dieser Möchtegern-Intellektuellen; und auch wenn sie diesen Style mochte, stieß er sie gleichzeitig ab, dieses Vor-Sich-Hintragen: Ich habe studiert, ich bin sehr schlau. Sie war nicht hässlich. Aber keine, bei der er dachte: Wow."

Trotz dieser Unentschlossenheit landet man im Bett. Er ist nicht gut, der betrunkene Sex, aber auch nicht schlimm. Bei der nächsten Party ist Anna wieder blau, dieses Mal aber passiert das Unverzeihliche, das eigentlich Unmögliche: Die beiden haben Sex, Anna fühlt sich danach vergewaltigt. Was ist daran unmöglich? Na ja, Anna und Jonas haben immerhin studiert. Jonas ist kein Chauvi. Er hat die richtigen Bücher gelesen, seine Mutter ist Feministin. Vergewaltigung - das ist nichts, was einer wie Anna und einem wie Jonas passiert, meinen Anna, Jonas und deren Umfeld.

Und ja, in "nichts, was uns passiert" scheint die Vergewaltigung tatsächlich auch Jonas zu passieren. Der mögliche Täter ist auch ein mögliches Opfer, denn so klar Anna fühlt, dass Jonas gegen ihren Willen mit ihr schlief, so sicher ist sich Jonas, dass der Sex einvernehmlich war. Beiden Perspektiven wird in dem Buch gleiches Gewicht gegeben. Das ist durchaus interessant, weil der Leser pingponghaft Sympathie mit Anna und Jonas empfindet und dadurch eine gewisse Ambivalenz ertragen lernen muss.

Der Roman erreicht das durch eine eigenwillige Erzählform. Viele Sätze beginnen zum Beispiel mit "Dass", wie schon der allererste: "Dass es im Mai war und er sich mit Joni vorstellte, obwohl sie ihn nie so nennen würde und auch niemand sonst ihn so nannte."

Dem Leser wird bald klar, was hier elliptisch ausgelassen wird: "Anna beziehungsweise Jonas erzählt oder berichtet, dass . . ." Empfänger dieser Berichte ist ein unbekannter Ich-Erzähler, einer, der alles erfährt und theoretisch ein gerechtes Urteil fällen kann. Vielleicht ist dieser Erzähler aus dem Off ein engagierter Freund der beiden. Oder ein Privatdetektiv. Oder vielleicht ist er sogar der Leser selbst.

Das Buch entscheidet sich nämlich nicht für eine der beiden Versionen. Es fällt kein Urteil. Geht es hier also um die berühmte Unmöglichkeit von objektiver Realität, um die gleichberechtigte Existenz verschiedener subjektiver Realitäten wie in Kurosawas Film "Rashomon"?

Nein - oder jedenfalls nicht nur. Es geht Wilpert mindestens genauso um die sozialen Konsequenzen einer solchen Anklage. Die Details der Nacht, in der Anna sich von Jonas missbraucht fühlt, werden jedenfalls schon im ersten Drittel des Romans abgehandelt. Ausführlicher geht es um die Freunde, die sich abwenden oder distanzieren, demütigende Polizeiverhöre, Campus-Tratsch. Um eine Stigmatisierung von Opfer und Täter, die über diese geteilte Erfahrung beinahe wieder zueinanderfinden.

Es geht außerdem um die Tatsache, dass sich die Opfer von Sexualverbrechen danach selten so logisch nachvollziehbar und vernünftig verhalten, wie das später für ein klares juristisches Urteil wünschenswert erscheinen mag. Anna zum Beispiel hat nach der besagten Nacht noch SMS-Kontakt zu Jonas, schlägt ihm vor, sich zu treffen, erstattet erst Monate danach Anzeige. Dieses offenbar so seltsame Verhalten irritiert und schwächt Annas Glaubwürdigkeit.

Im Februar 2018 also erscheint ein Roman, in dem es um die peinliche Grauzone geht zwischen "einvernehmlichem Sex" und Vergewaltigung, darum, wie die Gesellschaft sich um Opfer und Täter arrangiert. Das Buch passt genau in die #MeToo-Debatte, bei der den Anklägerinnen ja anfänglich auch vorgehalten wurde, ihr langes Schweigen lasse die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen zweifelhaft erscheinen. Punktlandung für Bettina Wilpert und ihren Verlag.

Anna fühlt sich vergewaltigt. Ihr Kampf um Gerechtigkeit scheitert an ihrem uneindeutigen Verhalten zum Tatzeitpunkt - sie habe sich nicht genug gewehrt, sie sei Jonas nicht ausgeliefert gewesen, schließlich hätte sie dessen Zimmer ja jederzeit verlassen können. Im Wortlaut der Juristen klingt das so: "Das Ausüben des Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des anderen ist grob anstößig und geschmacklos, aber ohne den Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels nicht strafbar." Nach juristischen Maßstäben ist kein Verbrechen vorgefallen. Vielleicht sind das ja aber nicht die einzig relevanten Maßstäbe, wenn es um Recht und Unrecht geht?

Und so sucht Anna - wie viele Frauen in letzter Zeit - Genugtuung vor einem anderen Gericht: der sozialen Öffentlichkeit. Anna hofft, dass sich ihr Umfeld, die Freunde, die Uni auf ihre Seite schlagen. Zu dieser eindeutigen Solidarisierung mit Annas Anliegen kommt es aber nicht. So bleibt nur noch der Leser übrig, um dessen Wohlwollen sowohl Anna als auch Jonas zu ringen scheinen.

Eignet sich der Umstand einer Vergewaltigung wirklich für ein moralphilosophisches Gedankenexperiment, bei dem der Leser wie auf einem Vexierbild mal Annas, mal Jonas' Unschuld zu erkennen glaubt? Die anhaltende Neutralität der Autorin macht einen bisweilen wütend. Es mag zwar sein, dass Wilpert selbst sehr wohl der Auffassung ist, dass es sich um eine Vergewaltigung handele und Jonas eine Strafe verdiene. Aber sie lässt den Leser allein mit der Frage, wie denn nun was in dieser Geschichte zu bewerten sei.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Autorin sich am Ende hinter der sorgfältig arrangierten Faktenlage versteckt und sich mit dem eigenen Urteil deswegen zurückhält, weil sie sich nicht traut, dieses Urteil auszusprechen. Und so liest sich der Text bisweilen wie eine Apologie all jener Männer, die sich letztlich auf Ahnungslosigkeit oder eine untergehende Kultur von Macht und Unterwerfung berufen.

Wohlwollend ausgelegt lässt sich in dieser hartnäckigen Zurückhaltung natürlich auch der Versuch sehen, die Leser zum eigenständigen Denken zu zwingen. Das ist vielleicht ein bisschen schulmeisterlich, zugleich aber ist die Aufforderung, sich in Anbetracht unterschiedlicher Versionen Gedanken machen zu müssen und dabei zu reflektieren, wie schwierig es ist, sich eine Meinung zu bilden, im Zeitalter "alternativer Fakten" kein schlechtes Projekt.

SHOU AZIZ

Bettina Wilpert: "nichts, was uns passiert". Verbrecher-Verlag, 170 Seiten, 19 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2018

Sie sagt, er sagt
Bettina Wilpert erzählt in ihrem Roman „Nichts, was uns passiert“ die Geschichte einer mutmaßlichen Vergewaltigung im
kunstvollen Protokollstil. Vor allem geht es der Autorin um die Frage, wie die Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht
VON BERNHARD BLÖCHL
Dass es im Sommer 2016 war und dass sie mehrere Monate lang recherchierte, um sich dem schwierigen Thema zu nähern. Dass sie den Prozess um das Fernseh-Model Gina-Lisa Lohfink aufmerksam verfolgte, die zwei Männer der Vergewaltigung beschuldigt hatte – und wegen falscher Verdächtigung verurteilt wurde. Dass sie sich mit feministischen Phänomenen wie „Slutwalk“ und Täter-Opfer-Umkehr auseinandersetzte. All das erzählt Bettina Wilpert, wenn sie über die Entstehung ihres Romans „Nichts, was uns passiert“ spricht, der vor Kurzem im Verbrecher-Verlag erschienen ist.
In dem Buch geht es um Anna und Jonas, zwei kluge junge Menschen im Leipziger Universitäts-Milieu, die sich kennenlernen und näherkommen, bevor das Drama über sie hereinbricht. Nach einer Geburtstagsfeier behauptet Anna, dass sie vergewaltigt worden sei. Jonas sagt, es sei einvernehmlicher Geschlechtsverkehr gewesen. So einvernehmlich wie auch der Sex der beiden vor ein paar Wochen gewesen war. Im Roman geht es nun nicht vorrangig darum, wer von beiden Recht hat. Es geht um die Frage, was „die Sache“, wie Anna die mutmaßliche Vergewaltigung nennt, mit Freunden und Bekannten macht. Und: wie eine aufgeklärte demokratische Gesellschaft mit sexueller Gewalt umgeht.
Um sich diesen Fragen zu nähern, hat sich die Schriftstellerin für einen Erzählstil entschieden, den der erste Absatz dieses Textes verdeutlichen soll. Viele ihrer Sätze beginnen mit „dass“, um Gesagtes wiederzugeben. Als Leser taucht man – nach einer gewissen Eingewöhnungszeit freilich, das bringt das sperrige Wagnis mit sich – in ein kunstvoll gebautes Protokoll ein. Das literarische Ich tritt nicht in Erscheinung. Er/sie gibt sich lediglich als jemand zu erkennen, dem alle Geschichten erzählt wurden; ohne bei der Wiedergabe selbst zu urteilen. „Dass es im Mai war und dass er sich als Joni vorstellte, obwohl sie ihn nie so nennen würde und auch niemand sonst ihn so nannte.“ So beginnt der Roman, der seine Form auf 165 Seiten hält.
„Auf diese Weise schaffe ich Distanz“, erklärt Wilpert, die sich als Fan von True-Crime-Storys bezeichnet, von Geschichten, bei denen Personen von außen auf die Ereignisse blicken, wie zum Beispiel bei der Netflix-Serie „Making A Murderer“. Sie sagt: „Das Gute an der Literatur ist, dass man sich nicht für die eine oder andere Seite entscheiden muss.“ Ein dialektisches Denken, keine Schwarz-Weiß-Malerei. „Es soll zum Nachdenken anregen.“ Ein kluger Ansatz, wenn es um ein hochsensibles Thema wie dieses geht. Gerade in Zeiten der „Me Too“-Debatte, die die Autorin beim Schreiben freilich noch nicht erahnen konnte, in deren Umfeld ihre Veröffentlichung jetzt aber gut zu passen scheint, ist ein wertfreier Text eine wertvolle Seltenheit. Einer, der differenziert, alle zu Wort kommen lässt, nicht impulsiv beurteilt und schon gar nicht hetzt.
Bettina Wilpert wurde 1989 in Eggenfelden geboren und ist in Erlbach bei Altötting aufgewachsen. In einer Gegend, „wo es nicht so viel zu tun gab und ich deswegen immer viel gelesen habe“, wie sie sagt. Die Mutter Buchhändlerin, der Vater Deutschlehrer, beste Voraussetzungen. Schon als Siebenjährige habe sie gewusst, dass sie Schriftstellerin werden will. Mit acht schrieb sie erste Geschichten, mit 14 Theaterstücke. Dass sie die Geschichte ihres Romans in Leipzig ansiedelte, in den Sommer der glorreichen Fußball-WM 2014, liegt daran, dass sie nach dem Abitur nach Berlin zog und später nach Sachsen. „Ein Studenten-Milieu, wie ich es beschreibe, gibt es in Altötting nicht“, sagt die 28-Jährige, die Kulturwissenschaft, Anglistik und Literarisches Schreiben studiert hat. „Nichts, was uns passiert“ ist Wilperts offizielles Debüt, einen ersten (unveröffentlichten) Roman und mehrere (veröffentlichte) Kurzgeschichten hat sie aber bereits geschrieben. Stipendien in Klagenfurt und Berlin sowie die Referenz als „Artist in Residence“ beim Festival „Prosanova“ 2017 in Hildesheim unterstreichen ihre Ambitionen.
„Persönliche Nähe“ zum Vergewaltigungs-Stoff habe sie nicht, das betont Wilpert im Gespräch am Telefon deutlich; „moralisch wäre das sonst eher schwierig“, sagt sie. „Ich habe auf Distanz recherchiert, in Foren im Internet.“ Außerdem habe sie Interviews geführt mit einer Sozialpädagogin, einer Rechtsanwältin, einer Psychologin und einer Kriminalhauptkommissarin. Wie es auf dem Polizeirevier zugeht, wie so ein nüchterner Ort auf eine Frau wirken muss, die lange mit sich gerungen hat, mit ihrer Geschichte überhaupt dorthin zu gehen, beschreibt Bettina Wilpert sehr ausführlich. Es gibt da eine Seite in ihrem Buch, die besteht ausschließlich aus Fragen. Fragen, die Anna bei der Vernehmung gestellt werden: Wie alt sind Sie? Wie viel wiegen Sie? Was haben Sie am 4. Juli gegessen? Was haben Sie getrunken? Das geht lange so weiter bis zu Fragen wie diesen: Welche Stellung hatten Sie? In welcher Position war er? Haben Sie sich gewehrt? Haben Sie nein gesagt? Mit welcher Hand hat er Sie angefasst? Warum haben Sie erst jetzt Anzeige erstattet? Zwei Monate später?
Eine große Stärke dieses inhaltlich wichtigen und stilistisch bemerkenswerten Romans ist denn auch seine schonungslose Detailfülle. Mit Sätzen, die lange nachwirken: „Dann erst begriff sie: Er war stärker als sie. Sie konnte sich nicht wehren. Sie gab auf. Versuchte, sich zu entspannen. Dann tat es weniger weh. Fing an zu zählen. Seitdem wusste sie, dass 1380 Sekunden 23 Minuten sind.“ Die Autorin lässt kaum etwas aus. Weder die Suchbegriffe, die ihr beim Googeln vorgeschlagen wurden: „Ich bin vergewaltigt worden / Ich bin vergewaltigt worden und schwanger / Ich bin vergewaltigt worden was soll ich tun / Ich bin vergewaltigt worden und es hat mir gefallen“; noch die komplexen Gedanken zur Opferrolle; noch die Aussagen der Familien, der Freunde, der Ex.
Kürzlich war der Roman Thema auf der Leipziger Buchmesse. Auf ihrer Facebook-Seite schrieb Wilpert hinterher: „Das Gute: Fremde Frauen öffnen sich mir gegenüber. Eine Frau hat erzählt, dass sie darüber nachdenkt, wie sie ihre Kinder erziehen kann, so dass ihr Sohn kein Sexist wird und wie sie ihrer Tochter beibringen kann, sich zu wehren. Eine andere, dass sie und ihre Freundinnen alle schon einmal sexistisch angemacht und angefasst wurden.“
Bettina Wilpert: Nichts, was uns passiert, Lesung am Montag, 26. März, 20 Uhr, Lost Weekend, Schellingstr. 3; außerdem: Do., 10. Mai, 20 Uhr, Bamberg
Eine Stärke des Romans ist seine
schonungslose Detailfülle.
Mit Sätzen, die lange nachwirken
Um gegen sexuelle Gewalt und Diskriminierung zu protestieren, versammeln sich seit einigen Jahren Frauen zu sogenannten Slutwalks (im Bild Teilnehmerinnen im Mai 2014 in São Paulo). Feministische Phänomene wie dieses haben die junge Autorin Bettina Wilpert zu ihrem Roman inspiriert.
Foto: NELSON ALMEIDA/afp
Bettina Wilpert, geboren 1989 in Eggenfelden, aufgewachsen bei Altötting, arbeitet als Trainerin für Deutsch als Fremdrache
in Leipzig. „Nichts,
was uns passiert“
ist ihr Debütroman.
Foto: Linonono
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension

Shou Aziz fühlt sich von Bettina Wilperts Debüt "nichts, was uns passiert" als Richterin darüber eingesetzt, ob der Protagonist ihres Romans tatsächlich die Protagonistin vergewaltigt hat. Der Roman lasse die Frage unbeantwortet - Anna bleibt bei ihrer Beschuldigung, Jonas streitet sie ab. Die Rezensentin glaubt allerdings nicht, dass es der Autorin dabei um die berühmte Suspendierung der objektiven Realität geht. Eher stelle Wilperts die sozialen Konsequenzen einer solchen Anklage in einem Umfeld aus, in dem Vergewaltigungen als fast undenkbar gelten - denn Jonas und Anna sind Studenten. Die scheinbar erhabenen Bildungskinder werden dann nach Aziz dennoch von ihrem ebenso lupenreinen Umfeld solange stigmatisiert, dass diese leidvolle Erfahrung sie einander fast wieder annähert. Obwohl die Rezensentin bemerkt, dass ein solches Buch genau in die aktuelle #MeToo-Debatte passt, hat es sie bisweilen geärgert, dass die Autorin ihrer Figur Anna nicht mit einer klaren Verurteilung von Jonas beispringt. Vergewaltigung scheint ihr nicht ganz das richtige Thema für ein moralphilosophisches Gedankenexperiment zu sein.

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