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In seinen Tagebuchaufzeichungen hält der Schriftsteller Begebenheiten aus seinem Alltag fest und setzt sich gewohnt kritisch und hinterfragend mit Geschehnissen der lokalen wie der Weltpolitik auseinander. Hier wird ein wacher Geist sichtbar, der Lust hat am Mitmachen, am Mitgestalten der Gesellschaft. Etwas, das ihm mit der Zeit aus gesundheitlichen Gründen immer schwerer fällt. Im Juni 2013 notiert der inzwischen 87-Jährige konsterniert: "Der Abfall zwischen dem 85. und dem 90. Jahr ist enorm. Widerstand zwecklos." Drei Monate später wählt er den Freitod. Zurück lässt er neben Familie und…mehr

Produktbeschreibung
In seinen Tagebuchaufzeichungen hält der Schriftsteller Begebenheiten aus seinem Alltag fest und setzt sich gewohnt kritisch und hinterfragend mit Geschehnissen der lokalen wie der Weltpolitik auseinander. Hier wird ein wacher Geist sichtbar, der Lust hat am Mitmachen, am Mitgestalten der Gesellschaft. Etwas, das ihm mit der Zeit aus gesundheitlichen Gründen immer schwerer fällt. Im Juni 2013 notiert der inzwischen 87-Jährige konsterniert: "Der Abfall zwischen dem 85. und dem 90. Jahr ist enorm. Widerstand zwecklos." Drei Monate später wählt er den Freitod. Zurück lässt er neben Familie und Freunden ein umfangreiches, viel gelobtes und gelesenes literarisches OEuvre, das ihn auf Dauer lebendig halten wird. Erich Loest, der 1950 mit dem Antikriegsroman "Jungen die übrigblieben" debütierte, kam bereits zwei Jahre später zum Mitteldeutschen Verlag, wo er bis zu seiner Zuchthaus-Verurteilung 1957 regelmäßig veröffentlichte. Auch später publizierte er hier z. T. unter Pseudonym , bis er 1981 die DDR verließ. Seit 2012 ist das Werk von Erich Loest wieder zum Mitteldeutschen Verlag zurückgekehrt. Nachdem er 2011 einen ersten Band mit Tagebucheinträgen von 2009 bis 2010 in Göttingen veröffentlich hatte, bestimmte er den Mitteldeutschen Verlag als Publikationsort seiner weiteren Aufzeichnungen ab Ende 2010, die nun zusammen mit z. T. erstmals veröffentlichten privaten Fotos posthum publiziert werden.
Autorenporträt
ERICH LOEST (1926-2013); 1947-1950 bei der Leipziger Volkszeitung, ab 1950 freischaffender Schriftsteller, 1957 Ausschluss aus der SED, Verurteilung zu Zuchthaus aus politischen Gründen, nach Entlassung wieder als Schriftsteller tätig, 1979 Austritt aus dem Schriftstellerverband, 1981 Ausreise in die Bundesrepublik, 1990 Rückkehr nach Leipzig. Loest erhielt u. a. den Hans-Fallada-Preis, den Marburger Literaturpreis und den Deutschen Nationalpreis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Sabine Brandt verneigt sich vor dem großen Schriftsteller Erich Loest, aus dessen umfangreichem Werk sie viel gelernt hat. Und so ist die Kritikerin glücklich, dass acht Monate nach dem Tod des Autors nun unter dem Titel "Gelindes Grausen" auch seine Tagebuch-Aufzeichnungen aus den Jahren 2011-2013 erschienen sind. Bewegt liest Brandt, wie sehr Loest, der sich in Leben und Werk insbesondere durch seine Tapferkeit und Kraft auszeichnete, immer stärker unter den zunehmenden Krankheiten und Beschwerden des Alters und dem damit verbundenen Verlust an Selbstbestimmung litt, bis er sich schließlich für den Freitod entschied. Darüber hinaus findet die Kritikerin hier einmal mehr wertvolle und kritische Gedanken zum politischen deutschen Alltag, so dass ihr der große Verlust des außerordentlichen Schriftstellers noch deutlicher wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2014

Das Alter ist die Schlacht, die niemand gewinnen kann
Zeit der Rückschläge: Erich Loests letztes Buch versammelt die späten Tagebuchaufzeichnungen des Autors

Acht Monate nach dem Tod des Schriftstellers Erich Loest erreicht uns noch einmal ein Buch aus seiner Feder. Es enthält, wie der Untertitel verkündet, Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2011 bis 2013, dargeboten unter dem aussagekräftigen Gesamttitel "Gelindes Grausen". Diese beiden Wörter lösen, noch bevor man die erste Textseite vor Augen hat, Bedrückung aus, denn wir wissen ja, auf welche Weise Loest am 12. September 2013 die Welt verließ: Er stürzte sich aus einem Fenster der Klinik, in der er vergebens auf Heilung oder wenigstens auf entscheidende Minderung seiner schweren Altersleiden gewartet hatte.

Seinen Lesern wollte ein solches Ende schwer einleuchten, hatte Loest ihnen doch jahrzehntelang durch Leben wie Schreiben ein Vorbild an Tapferkeit und Durchhaltevermögen geliefert. Was war ihm nun geschehen? Nicht mehr, als vielen von uns geschieht, wenn die Kraft des Körpers uns verlässt und die Seele mit solchen Verlusten und den damit verbundenen Beschwerden nicht länger fertig wird.

In seinen Aufzeichnungen tauchen immer wieder Passagen auf, die sich zunächst als Seufzer deuten lassen, die wir aber, je länger der Autor zu uns spricht, mehr und mehr als Verzagen, schließlich als Verzweiflung deuten müssen. Im Februar 2011, Loest beging gerade seinen 85. Geburtstag, notierte der Autor den Satz: "Gelindes Grausen, nun geht es auf die neunzig zu." Loest verfügte über genügend Phantasie, um sich vorzustellen, welches Maß an Leiden die kommenden Jahre ihm aufladen könnten. Und er stellte fest: "Über Freitod wird wenig diskutiert. Das Wort ,Selbstmord' gilt für mich nicht, es ist religiös belastet, angeblich fährt der Selbstmörder stracks in die Hölle. Wer aus schwerer Krankheit keinen Ausweg sieht, wer Schmerzen oder Einsamkeit nicht mehr zu ertragen vermag, sollte stärker als bisher die Möglichkeit haben, sich aus eigenem Entschluss zu verabschieden."

Loests Lebensgefährtin Linde Rotta, die mit einem ausführlichen Nachtrag die Mitteilungen des Tagebuchautors vervollständigt hat, erzählt von seinen letzten Tagen im September 2013: "Erichs Befinden gleicht den Gezeiten, gute und schlechte Tage wechseln einander in bestürzender Regelmäßigkeit ab. An schlechten, die ich für mich als ,dunkle' bezeichne, reicht seine Kraft gerade für das Notwendigste. Das Unmaß an Antibiotika zeigt nicht nur heilende Wirkung. Als grausamen Rückschlag empfindet er seinen derzeitigen Zustand, der Abbau seiner physischen Kräfte ist ihm schmerzhaft bewusst, nachdem es ein halbes Jahr nach seiner Bypass-OP schon so hoffnungsvoll aufwärtsgegangen ist. Das Alter, hatte er vor nicht allzu langer Zeit in seinen Aufzeichnungen vermerkt, sei ein Massaker, eine von vornherein verlorene Schlacht, eine Strafe."

Von der nach der 1981 vollzogenen Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik unter Schmerzen erlernten Fähigkeit, die Welt mit kritischen Augen zu sehen, ließ Loest sich fortan leiten, auch dann, wenn es um die nach 1989 wiedergewonnene ostdeutsche Heimat ging. Er gewahrte durchaus, dass die dortige Entwicklung nicht so feierlich-positiv verlief, wie es die Ergriffenheit während der Vereinigungsfeiern hatte glauben lassen. Er erkannte die Schwierigkeiten der Umwandlung, die in Ost wie West begangenen Fehler, die Versuche politischer Personen und Gruppierungen, Chancen zum Widerstand zu nutzen oder unrechtmäßige Vorteile für die eigene Person herauszuschlagen. Er schrieb darüber, wieder und wieder.

Kein Zweifel, dass unser Land mit seiner zweifach fatalen Vergangenheit einen Mahner solcher Art brauchte und weiter brauchen wird. Erich Loest hat uns im Spiegel seiner Bücher und seiner außerliterarischen Äußerungen vorgeführt, welche Fehler das deutsche Volk im zwanzigsten und im beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert beging, welche Folgen das hatte und weiter haben könnte.

Auch in seinem letzten Buch, dem jetzt vorliegenden Tagebuch, kümmert sich Loest um die Gegebenheiten des deutschen politischen Alltags, und er tut dies wie immer ohne den Hochmut eines Besserwissers. Nie ließ er einen Zweifel daran, dass er ein Mensch des Volkes sei wie Millionen andere Deutsche auch. Er habe nur ein paar wichtige Erfahrungen mehr durchgemacht als viele sonst und daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Wie aber sollte er das künftig zur Sprache bringen, wenn sein Körper ihm mehr und mehr den Dienst versagte?

Erich Loest hat in seinen aktiven Jahrzehnten eine solche Fülle von Büchern geschrieben, dass man, um sie aufzuzählen, einige Lexikonseiten brauchte. Und jede Geschichte, die der Quelle seines Lebens entsprang, ist auf ihre Weise auch eine Darstellung unseres Lebens, unserer Taten. Alles, was er selbst je gelernt hat, ist Lehrstoff auch für uns. Dass er sein Publikum auf keiner Buchseite mit Moralpredigten langweilte, sondern jede seiner Botschaften in interessanter Form an uns weitergab, das ist ein kostbares Erbe. So etwas zu hinterlassen, gelingt nicht jedem Schriftsteller.

SABINE BRANDT.

Erich Loest: "Gelindes Grausen". Tagebuch 2011-2013. Mit einer Nachbemerkung von Linde Rotta.

Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014. 336 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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