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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einfach großartig, wie überheblich und größenwahnsinnig Stefanie Sargnagel in ihrem zweiten Roman "Fitness" auftritt, meint Rezensent Lars Weisbrod. Zwar möchte der Kritiker das Buch angesichts allzu selbstgefällig wehleidiger Schimpftiraden auf die Kunstwelt gelegentlich gegen die Wand schmeißen, kann dann aber doch nicht mit der Lektüre aufhören, weil es schlicht zu gut ist. Und so liest der Rezensent gebannt die kurzen Tagebucheinträge, in denen die österreichische Kunststudentin von "verranzten Beisln", Treffen mit Daniel Richter, Menschenhass und Körperflüssigkeiten erzählt, begegnet diversen verkrachten Existenzen und ist begeistert von Sargnagels grotesken Tagträumen. Ein brillanter Künstlerroman, kombiniert mit einer äußerst witzigen Portion Ekelfeminismus, meint der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2016

Schreiben für den Feind
Stefanie Sargnagel liest im Kulturpalast Wiesbaden

"Karriere ist was für Leute ohne Phantasie." Stefanie Sargnagel hält inne und wartet auf die Reaktion des Publikums. "Der Spruch funktionierte besser, als ich noch keine Karriere hatte." Sargnagel ist das schreckliche Kind der deutschen Literatur. Und genießt es. Die 30 Jahre alte Wienerin trägt eine rote Baskenmütze und einen schwarzen Schmuddelpulli. Im Kulturpalast Wiesbaden liest sie aus ihren Büchern "Binge Living" und "Fitness". Wie immer wirkt sie gelangweilt von ihren eigenen Pointen. Kurzweilige Prosa, manchmal nur einzeilige Gedanken oder Rap-Texte. Zynisch, obszön, abstoßend, ziemlich witzig.

"In meinem Buch stehen auch intellektuelle Essays, Adorno und so", sagt Sargnagel. "Aber das niveaulose Zeug kommt beim Publikum besser an." Früher hat Sargnagel bei Daniel Richter in Wien studiert. Nebenbei jobbte sie im Callcenter. Die dort geführten Gespräche hat sie in ihrem Blog aufgeschrieben. Später entstand daraus ein Buch. Mittlerweile hat sie tatsächlich eine Karriere: erfolgreiche Buchautorin, tätig für verschiedene Zeitungen. Für eine deutsche Wochenzeitung rezensierte sie die Festspiele in Bayreuth, ohne über die Aufführungen ein Wort zu verlieren. Im Juli erhielt sie den Bachmann-Preis.

Sargnagel ist eine Kunstfigur, sie spielt mit ihrem asozialen Auftreten. Gerade sorgte sie in Österreich mit "Hysteria" für Aufsehen, einer Parodie auf Burschenschaften. Nur Frauen dürfen Mitglied sein. Sie fordern die Vollverschleierung von Männern in der Öffentlichkeit. Männer, die im Bett nicht überzeugen, sollen zwangskastriert werden. Sargnagel verbietet es sich, das Ganze eine Parodie zu nennen. Aber Burschenschaften sind nur eines ihrer Hass-Objekte. Noch viel schlimmer: die Yuppies. In Wien nennt man sie "Bobos", eine Mischung aus Boheme und Bourgeoisie. Die Leute, die mit teuren Dachgeschosswohnungen die Mietpreise in die Höhe treiben, die jede Woche eine Bio-Gemüsekiste geliefert bekommen, die in hippen Cafés "anal gepressten Holundersaft" trinken, wie Sargnagel es nennt.

Menschen, die auch bei ihrer Lesung im Publikum sitzen. Junge Mädchen, alternativ-modisch angezogen, potentielle Veganerinnen: "Bobos" halt. Sie unterhalten sich über ihre Besuche bei Starbucks und die intellektuellen Romane, an denen sie arbeiten. Sargnagel verachtet die Mitglieder dieser Generation Selbstoptimierung. Menschen mit Glasvitrinen-Schränken im Wohnzimmer, gefüllt mit Muscheln aus dem All-Inclusive-Urlaub in Ägypten, wie sie es ausdrückt. Eine Zuschauerin flüstert: "Die haben wir auch zu Hause stehen." Und lacht.

Sargnagel sagt, sie selbst komme aus einer konformistischen, bodenständigen Arbeiterfamilie. Nur sie sei mit dem Künstler-Gendefekt geboren worden. Die Spießer, die Konformen und die Braven, sie alle sind der Kunstfigur Sargnagel zuwider. Und doch baut ihre Karriere auf eben diesen Leuten auf. Sie schreibt und liest für ein Publikum, das sie selbst verachtet. Was dagegen hilft? Noch eine schnelle Pointe. Das kommt an beim Publikum.

FREDERIK SEELER

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