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György Spiró beschreibt in seinen Novellen seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Alltag in Ungarn. Dieser herausragende Schriftsteller formuliert präzise und unbarmherzig in kurzen Geschichten, zuweilen mit Selbstironie und Sarkasmus, tragische Erinnerungen auch aus seiner eigenen Familie, vor dem Hintergrund der ungebrochenen Kraft der Intoleranz und des Hasses in der ungarischen Gesellschaft. Der Nischen Verlag gab 2012 seinen Roman "Der Verruf" in deutscher Sprache heraus.

Produktbeschreibung
György Spiró beschreibt in seinen Novellen seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Alltag in Ungarn. Dieser herausragende Schriftsteller formuliert präzise und unbarmherzig in kurzen Geschichten, zuweilen mit Selbstironie und Sarkasmus, tragische Erinnerungen auch aus seiner eigenen Familie, vor dem Hintergrund der ungebrochenen Kraft der Intoleranz und des Hasses in der ungarischen Gesellschaft. Der Nischen Verlag gab 2012 seinen Roman "Der Verruf" in deutscher Sprache heraus.
Autorenporträt
György Spiró, geb. 1946 in Budapest, ist Autor von sieben Romanen und dreißig Theaterstücken. Er war Universitätsprofessor und Theaterdirektor, ist ein Spezialist für die Sprachen und Literatur Osteuropas. Seine Dramen sind bis heute auf dem Spielplan zahlreicher ungarischer Theater.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Schrecken in diesen Erzählungen des Ungarn György Spiro kommt auf leisen Sohlen, schreibt Andreas Platthaus und meint damit, dass der Autor nie direkt und abschließend von dem Schicksal seiner Familie zu Zeiten des ungarischen Stalinismus zwischen 1949 und 1956 erzählt, sondern bruchstückhaft und so, dass der Leser es selbst vollenden muss. Für Platthaus eine eindringliche Erfahrung und "große Kunst", wie er erklärt. Dass der Autor dabei sachlich präzise schreibt und seine Geschichten durch gemeinsame Momente der ungarischen Historie untereinander verbindet, gefällt Platthaus außerdem. So wird der Band für ihn zu mehr als zu einer prägnanten Prosasammlung - zu einem Erzählkranz, in dem die ungarische Nachkriegsgeschichte aufscheint, zu lesen fast wie ein Roman.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2014

Der Junge mit dem Stück von Stalins Ohr
Heimatlos im eigenen Land: György Spiró erzählt in seiner Geschichtensammlung "Träume und Spuren" über sein Leben im Nachkriegsungarn

Geboren ist er 1946, und das ist wichtig für das Verständnis der Erzählungen des ungarischen Schriftstellers György Spiró. Denn es gibt darin nur selten konkrete Jahreszahlen, meist muss man den historischen Kontext der Handlung aus den Ereignissen erschließen, so etwa aus der gescheiterten Qualifikation einer ungarischen Fußballnationalmannschaft für eine Weltmeisterschaft, die man nur durch die Namen der Spieler und den Gegner auf 1974 datieren kann.

Manchmal aber führt Spiró uns auch lustvoll in die Irre: "Ich wurde in friedlichen Straßen spazieren gefahren - und da knatterten jetzt Maschinenpistolen, so als ob man Puffmais röstet. Wenn wir früher unsere Fenster schlossen, waren immer alle Flügel zu, jetzt nur die äußeren, damit die Scheiben der Innenfenster auch bei starkem Luftdruck heil blieben. Früher schliefen wir in unseren Pyjamas, jetzt liegen wir in Trainingsanzügen auf dem Boden mit einem Bündel neben uns, damit wir im Fall eines Bombardements oder eines Einschusses gleich in den Keller stürzen können." Diese Budapester Szene aus der Sicht eines Kindes spielt aber nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern zur Zeit des ungarischen Aufstands von 1956, und man weiß dies zunächst nur deshalb, weil der Ich-Erzähler in allen Erzählungen von Spiró die Biographie mit seinem Autor teilt, nicht zuletzt dessen jüdische Herkunft.

Dadurch ist die Geschichtenauswahl "Träume und Spuren", die Spiró persönlich aus seinem umfangreichen Erzählungswerk für die deutsche Publikation im auf ungarische Literatur spezialisierten Nischen Verlag vorgenommen hat, viel mehr als nur ein Kompendium sehr prägnanter Prosa. Sie ist auch eine aus diesen Bruchstücken rekonstruierbare ungarische Nachkriegsgeschichte, die sich im Erzählungskranz fast wie ein Roman liest - aus der Sicht eben eines 1946 geborenen Mannes, der all diese Ereignisse begleitet hat. Dass dabei ein kleiner Schwerpunkt, der aus chronologischen Gründen auch den Auftakt des Buches bildet, auf den Jahren von 1949 bis 1956 liegt, ist angesichts der Bedeutung jener Zeit für das Land klar. Dass es aber György Spiró so gut gelingt, die Perspektive des Kindes, das er damals war, bei der Betrachtung einzunehmen, ohne es dabei an erzählerischer Virtuosität oder auch Reflexion fehlen zu lassen, das ist alles andere als selbstverständlich.

"Träume und Spuren" sind keinem Genre zugeordnet, doch im Klappentext spricht der Autor von "Novellen". Das ist eine schwer nachvollziehbare Klassifizierung, denn das Kernelement der im Deutschen üblichen Gattungsdefinition, die "unerhörte Begebenheit", ist hier meist nur in der Betrachtung des Erzählers zu finden, dem etliche Dinge wie die Konfrontation mit dem Sterben seines Vaters, eine Reise in einem Schmugglerzug oder jene Geschehnisse der Straßenschlachten von 1956 natürlich höchst bedeutsam erscheinen. Doch eine wirklich atemraubende Begebenheit gibt es, in einer der mit nur anderthalb Seiten kürzesten Erzählungen des Buchs. Der Ich-Ezähler fährt mit der Straßenbahn am Donau-Ufer entlang und hört einem jungen Mädchen zu, das ihrem Freund sagt: "Jetzt kommt gleich das, wovon der Lehrer gesagt hat, was man am besten mit ihnen machen soll." Und dann beschreibt Spiró das Denkmal für ein Massaker, das die Tram passiert: "Von hier - aber nicht nur von hier - wurden vor vierundsechzig Jahren Juden in die Donau geschossen."

Unerhört ist auch die Lakonie, mit der Spiró diese Szene erzählt, viel eindrucksvoller als eine später noch folgende weitere Straßenbahnfahrt, dann in Gesellschaft eines tumben Antisemiten. Gegenüber der Tatsache, dass ein etwa siebzehnjähriges Mädchen im Jahr 2008 von seinem Lehrer zum Hass erzogen wird, ist Spirós Protagonist sprachlos, während er sich bei der anderen Begegnung als schlagfertig erweist. Es sind solche Vergleichsmöglichkeiten über die einzelnen Geschichten hinweg, die den Zusammenhalt des Ganzen erst ausmachen.

Und es gibt Details, die das auch leisten. Stalins Ohr etwa, dessen Bronzenachbildung die Großmutter des Erzählers erbeutet hatte, als die Statue des sowjetischen Diktators 1956 gestürzt wurde. Dieser Akt gilt heute symbolpolitisch als der wichtigste des Ungarn-Aufstands, doch der Enkel verschlampt das sorgsam eingesammelte Trümmerstück später wieder. Erst im Alter denkt er daran zurück, das aber immerhin in drei verschiedenen Erzählungen des Buches.

Dessen Titel ließe vermuten, dass man es hier mit assoziationsreicher Prosa zu tun hat, doch das Gegenteil ist der Fall: Spiró schreibt sachlich präzise, und Erno Zeltner, der Stammübersetzer des Nischen Verlags, hat diese Sprache sehr gut ins Deutsche gebracht - immerhin ein Idiom, das auch Spirós Protagonist (und somit wohl auch er selbst) auf Wunsch der Mutter als Kind erlernen sollte, damit er "so vielleicht den Dritten Weltkrieg überleben würde". Später, als schließlich auch die Mutter im Sterben liegt, sind ihr als einzige Kommunikationsform nur noch die deutschen Brocken geblieben, die ihr früher einmal geholfen haben, als es als Jüdin um ihr Leben ging. Doch diesen Zusammenhang lässt Spiró in der zweiten Erzählung unausgesprochen; man muss sich an die erste erinnern, um die Brisanz zu verstehen.

Hier wird von tiefem Leid erzählt, von einer zerrütteten Familie, doch der Schrecken kommt im Alltag auf leisen Sohlen daher. Das macht ihn bösartiger, als wenn Spiró vom Horror der Lager erzählte, in dem etliche seiner Angehörigen gestorben sind, oder von den eigentlichen Todesstunden seiner Eltern. Er erzählt darauf zu und lässt es uns vollenden. Eine große Kunst.

ANDREAS PLATTHAUS

György Spiró: "Träume und Spuren".

Aus dem Ungarischen von Erno Zeltner. Nischen Verlag, Wien 2013. 165 S., geb., 19,80 [Euro].

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