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Wo hat Effi Briest gewohnt, als sie in Berlin lebte? Wo Leutnant Botho von Rienäcker Dienst getan? Und in welcher Gastwirtschaft hat Leopold Treibel statt einer zweiten Tasse Kaffee nur ein Glas Milch serviert bekommen, weil seine Mutter den Kellner dafür bezahlte? Fontanes Berlin begibt sich auf unterhaltsame Weise auf Spurensuche zu den Berliner Schauplätzen von Fontanes Romanen. Der Band besticht durch fast 200 Fotografien und Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, und selbst Fontane-Kenner werden überrascht sein, was es da alles zu entdecken gibt. Weil sich aber so vieles seither verändert…mehr

Produktbeschreibung
Wo hat Effi Briest gewohnt, als sie in Berlin lebte? Wo Leutnant Botho von Rienäcker Dienst getan? Und in welcher Gastwirtschaft hat Leopold Treibel statt einer zweiten Tasse Kaffee nur ein Glas Milch serviert bekommen, weil seine Mutter den Kellner dafür bezahlte? Fontanes Berlin begibt sich auf unterhaltsame Weise auf Spurensuche zu den Berliner Schauplätzen von Fontanes Romanen. Der Band besticht durch fast 200 Fotografien und Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, und selbst Fontane-Kenner werden überrascht sein, was es da alles zu entdecken gibt. Weil sich aber so vieles seither verändert hat, stehen den Bildern von damals jeweils aktuelle Fotos von heute gegenüber. So ist dieses Buch auf zweierlei Weise unterhaltend. Anhand der Schauplätze werden - von L'Adultera über Effi Briest bis zum Stechlin - alle Romane Fontanes, die ganz oder teilweise in Berlin spielen, in ihrem Inhalt nacherzählt. Und im nebeneinander der Bilder von damals und heute öffnet sich zugleich der Blick für den geschichtlichen Wandel, lässt sich mal melancholisch, mal mit Erleichterung verfolgen, wie die Stadt sich verändert hat und wie sie auch dieselbe geblieben ist. Wer beides miteinander verbindet, dem werden Fontanes Gestalten fortan wie gute Bekannte an vielen Stellen Berlins immer wieder begegnen.
Autorenporträt
Prof. Dr. Bernd W. Seiler lehrte bis zu seiner Pensionierung 2005 Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entstehungsund ihrer historischen Wirkungsbedingungen.Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. "Die historischen Dichtungen Georg Heyms" (1972), "Die leidigen Tatsachen" (1983), "Es begann in Lesmona" (1993), CDRoms zu Goethes "Werther" (2002), Fontanes "Effi Briest" (2004) und "Novellen von Kleist bis Kafka" (2007).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2010

Die leidigen Tatsachen
Bernd W. Seilers Kommentar zu Fontanes Berliner Romanen
Als Waldemar von Haldern, dem jungen, etwas kraftlosen Helden in Fontanes Roman „Stine“, klar wird, dass er das heißgeliebte Nähmädchen Ernestine nicht wird heiraten können – zu dramatisch ist der Standesunterschied –, unternimmt er einen Spaziergang an der Spree in Berlin-Mitte. Eigentlich hatte er noch Bankangelegenheiten an der Ecke Friedrichstraße-Unter den Linden erledigen wollen, „aber in der Nähe der Weidendammer Brücke fiel ihm ein, dass die Bureaus sehr wahrscheinlich schon geschlossen seien, weshalb er seinen Stadtgang aufgab, um sich in seine dicht hinter dem Generalstabsgebäude gelegene Wohnung zurückzubegeben. Er war durch ebendiese Wohnung Nachbar von Moltke, welche Nachbarschaft er gern hervorhob . . . “
Friedrichstraße, Weidendammer Brücke – das sind Orte, die heute noch jeder kennt, und wenn es gleich danach heißt, „von der Dorotheenstädtischen Kirche her schlug es fünf, als unser zur Betrachtungen derart nur zu geneigter Freund in den Schiffbauerdamm einbog“, dann könnten wir seinen Weg sogar auf Google Maps mitverfolgen. Aber wo lag der Preußische Generalstab, dessen Nachbarschaft dem im Krieg von 1870 schwer verwundeten Waldemar so viel bedeutet? Wer das wissen will, muss einen Kommentar oder, besser, Bernd W. Seilers Buch „Fontanes Berlin“ konsultieren: Ausgerechnet auf dem Boden des heutigen Bundeskanzleramtes residierte die oberste Planungsbehörde von Graf Moltkes dreifach siegreicher Armee.
„Stine“ entstand seit 1881, zehn Jahre nach dem letzten deutschen Einigungskrieg. Alles, was Fontane darin von Berlin einfließen ließ, war aktuell, präzise und nachprüfbar. Er erwähnt sogar, dass die bronzenen Kandelaber auf der Unterbaumbrücke noch keine Patina haben, also neu sind, sodass sie „in der schrägstehenden Sonne prächtig blitzten und flimmerten“. Dass die Spree an dieser Stelle damals noch ein von der borsigschen Maschinenbauanstalt geprägter Industriebezirk war, erfahren wir beiläufig, Seilers Buch kann sie mit einem Foto von 1879 abbilden und daneben den heutigen Blick aufs Bundesinnenministerium stellen.
So wird aus diesem Band ein opulenter visueller Kommentar zu Fontanes Berliner Romanen, die er auf der Grundlage des Stadtplans von 1889, der in zahlreichen Ausschnitten präsent ist, in ihre räumliche Dimension übersetzt. Nicht überall hat sich in Berlin der Stadtgrundriss so radikal verändert wie in der 1945 weitgehend zerstörten Mitte. Wer den Pfaden von Fontanes Helden aus „Frau Jenny Treibel“, „L’Adultera“ und „Stechlin“ spreeaufwärts nach Treptow und Stralau folgt, wird heute nicht nur mit fast identischen Blicken belohnt, sondern er kann sich teilweise an denselben Orten zum Kaffee niederlassen, etwas beim Wirtshaus Zenner. Sogar das „Eierhäuschen“, ein prachtvolles wilhelminisches Ausflugslokal, dämmert noch halbzerstört vor sich hin und wartet auf einen mutigen Investor. Dass man am „Schlesischen Busch“, da wo zwischen „Arena“ und „Badeschiff“ heute das junge Partyvolk feiert, zu Jenny Treibels Zeiten noch von Dieben ausgeraubt werden konnte, vermerken wir mit Interesse.
Seilers mit liebevoller Akribie gearbeitetes Buch – es zieht nicht nur die alten Stadtpläne, Fotos, Gravüren und Postkarten heran, sondern vertieft sich auch in die Geschichte einzelner Baukomplexe, ja sogar in die Details des Straßenlebens wie die Blumenmädchen – wird so zum Adressbuch dieses großen realistischen Autors; unnötig zu erwähnen, dass Seiler die alten Adressbücher, die die Wohnungsbelegungen aller Berliner Häuser Jahr für Jahr minutiös mit Namen und Berufen festhielten, häufig heranzieht, was übrigens auch als Kommentar zur Aufregung um Google Street View verstanden werden mag.
Hinter dieser literarischen Heimatkunde steht nun ein allgemeineres literaturwissenschaftliches Thema, für das Fontanes Präzision nur ein allerdings hervorragendes Beispiel darstellt. Es ist der im Lauf des 18. und 19. Jahrhunderts immer stärkere „Referenzdruck“, also der steigende Zwang zu empirischer Genauigkeit auf allen Feldern – bei Zeit, Raum, Gegenständen, Markenprodukten und so weiter –, dem sich eine Literatur ausgesetzt sah, die auf ihre Leser wahrscheinlich, also glaubhaft wirken wollte. Das Wort „Referenzdruck“ stammt aus der Bielefelder Habilitationsschrift, die Bernd W. Seiler 1983 unter dem Titel „Die leidigen Tatsachen“ vorgelegt hat.
Dieses heute leider vergriffene Buch ist eines der wenigen haltbaren Grundlagenwerke zur neueren Literaturgeschichte, die in der sonst so unseligen Epoche von Dekonstruktivismus und anderer pseudosemiotischer Literaturtheorien überhaupt entstanden – in einer Arbeit entschlossenen Widerstands gegen den wissenschaftlichen Zeitgeist, der bezeichnenderweise vor allem der große Historiker Reinhart Koselleck hohe Anerkennung zollte. Dass Fiktion unter den Bedingungen einer immer feineren Informationserschließung der Welt sich nicht mehr mit generischen Angaben – „Residenzstadt“ oder „Reichsstadt“ – begnügen konnte, sondern dass sie ihre Orte namhaft machen und damit auch nachprüfbar ausgestalten musste, ist ein wichtiger Befund im großen Feld von Fiktion und Referenzialität, in dem sich auch die Geschichtsschreibung bewegt.
Umso wichtiger ist, wie Seiler seine Topographien von „Fontanopolis“ einrahmt: Am Anfang steht eine Geschichte von Fontanes Berliner Wohnungen (nicht selten musste er, weil es billig war, Neubauten „trockenwohnen“), am Ende die Feststellung, was bei Fontane nicht vorkommt: beispielsweise Baustellen, überhaupt alle Zeichen des Übergangs, die es in der damals rasant wachsenden Großstadt gegeben haben muss, nicht zuletzt Baulärm, Krach des Verkehrs, gar den Gestank der Kloakengewässer im Landwehrkanal. So entwerfen Fontanes Romane, anders etwa als Émile Zolas „Rom“-Roman oder Döblins „Berlin Alexanderplatz“, die Momentaufnahmen bieten, ein genaues, aber stehendes Bild.
Viele der Häuser, die Fontane mit Straße und Hausnummer nennt, sind verschwunden, andere stehen noch. Geblieben sind auch einige der Probleme in diesen rasch emporgezogenen Mietshäusern. Der „Baron Papageno“, den Waldemar in „Stine“ besucht, um Rat zu finden, wohnt „von alter Zeit drei Treppen hoch“. Warum? Der besseren Luft wegen, aber auch, „weil er einen Widerwillen hatte, bei jeder über ihm stattfindenden Mahlzeit ein halbes Dutzend Menschen und Stühle herumpoltern zu hören“. Hier kann auch der heutige Berliner nur schmerzlich wissend nicken.
GUSTAV SEIBT
BERND W. SEILER: Fontanes Berlin. Die Hauptstadt in seinen Romanen. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010. 192 Seiten, zahlr. Abb., 26,90 Euro.
„Er war Nachbar von
Moltke, welche Nachbarschaft
er gern hervorhob . . .“
Der Baulärm, der Krach des
Verkehrs, die Kloaken – all das
kommt bei Fontane nicht vor
Theodor Fontanes Welt wird jetzt doppelt vermessen: als Lebens-Chronik und im Blick auf das Berlin seiner Romane. Foto: Sammlung Rauch / Interfoto
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht nur vom Leiden Fontane'scher Figuren an dem Getrampel und Möbelgerücke bei den Hausbewohnern "von oben drüber" kann auch Gustav Seibt ein Liedchen singen. Mit Fontanes Romanen in der Hand und neuerdings eben mit diesem, wie er findet, philologisch vorzüglich gemachten Buch von Bernd W. Seiler, spaziert der Rezensent durch die alte Berliner Mitte bis runter nach Treptow und zurück und findet so manches wieder, was hier wie dort beschrieben ist: Weidendammr Brücke, Wirtshaus Zenner, "Eierhäuschen". Das Übertragen der Texte Fontanes in die räumliche Dimension mittels historischer Stadtpläne, Fotos, Postkarten und Adressbücher zeigt Seibt, wie genau Fontane arbeitete, und außerdem die literaturhistorische Tatsache des "Referenzdrucks" in einer immer mehr sich diversifizierenden Welt. Für Seibt eine Art Google Street View avant la lettre.

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