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Die ungewöhnliche und extraordinäre Geschichte des Lev Nussimbaum, Autor des Bestsellers Ali und Nino, eines Mannes, der, an der Grenze zwischen Ost und West geboren, sich ein Leben lang mit der (geliebten) arabischen Welt auseinandersetzen wird.

Produktbeschreibung
Die ungewöhnliche und extraordinäre Geschichte des Lev Nussimbaum, Autor des Bestsellers Ali und Nino, eines Mannes, der, an der Grenze zwischen Ost und West geboren, sich ein Leben lang mit der (geliebten) arabischen Welt auseinandersetzen wird.
Autorenporträt
Tom Reiss, geb. 1964, lebt als Autor und Journalist in New York. Er schreibt unter anderem für "The New Yorker", "The Wall Street Journal" und "The New York Times".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Der reiche Osten ist der gebende Teil
Er träumte von der Verschmelzung zwischen Orient und Abendland. Tom Reiss rekonstruiert das abenteuerliche Leben des Öl-Erben und deutschsprachigen Schriftstellers Lev Nussimbaum alias Essad Bey Von Rudolph Chimelli
Als ihn ein amerikanischer Interviewer 1934 in Wien fragte, wer er sei, nannte er selber sich einen „Muslim, Monarchisten und Orientalen”. Essad Bey stand damals, erst 29 Jahre alt, auf der Höhe seines Ruhms. Er hatte Biographien von Zar Nikolaus II., Lenin, Stalin, Mohammed und anderen historischen Figuren geschrieben oder im Kopf. Sie wurden aus dem Deutschen in alle gängigen Sprache übersetzt und zu Bestsellern. Für die „Literarische Welt”, die führende einschlägige Zeitschrift der Weimarer Republik, hatte er 144 Beiträge verfasst. Er galt als einer der besten Kenner „des Ostens”, zu dem nach damaligem Verständnis sowohl Sowjet-Russland als auch die islamische Welt gehörten.
„Aber wer ist dieser Essad Bey?”, so erbat Trotzki Auskunft von seinem Sohn. Der Journalist Tom Reiss (New Yorker, New York Times, Wall Street Journal) stellte sich ebenfalls diese Frage und ging ihr jahrelang mit detektivischer Geduld auf den Grund. Er rekonstruiert eine phantastische Biographie, die keine Überhöhung durch selbsterfundene Legenden gebraucht hätte wie der Geschilderte sie von Anfang an betrieb.
Er war in Baku – oder in einem Zug dorthin – im Jahre 1906 unter dem Namen Lev Nussimbaum geboren. Sein Vater, der im Ölgeschäft Millionär geworden war, mutierte in der Legende zum kaukasisch-persischen Feudalherren. Seine Mutter, die durch einen grässlichen Selbstmord ums Leben kam, als er noch ein Kind war, beförderte er zur russischen Aristokratin. Tatsächlich stammte sie aus einem jüdischen „Schtetl” des großen Zarenreiches, war Kommunistin und half Stalin im Untergrund. Authentisch war hingegen die Liebe, die Lev schon als Jugendlicher zum Orient entwickelte, wenn er durch die Gassen der Altstadt von Baku strich, während draußen die reiche, dynamische Erdölmetropole emporwuchs, in der Russen, Armenier, Juden, Westeuropäer, Perser, Türken und Kaukasier aller Völkerschaften zusammenlebten. Als „Kurban Said” beschrieb Lev diese verschwundene Welt in seinem multikulturellen Liebesroman „Ali und Nino”, der glücklichen Romanze eines jungen Muslims und eines christlichen Mädchens, die durch die Oktoberrevolution zerstört wurde. „Ali und Nino”, auf deutsch zuletzt 2002 aufgelegt, gilt heute als eine Art Nationaldichtung des unabhängigen Aserbaidschan. Tom Reiss wurde der Roman als Landeskunde empfohlen, besser als jeder Reiseführer.
Gegen die Kommunisten bewahrte sich Lev lebenslangen Hass. Als zwölfjähriger Tagträumer, der – so Reiss – für türkische Krieger und persische Prinzessinen schwärmte, beobachtete er aus dem Kellerfenster des Vaterhauses die Greuel des Bürgerkrieges: Vorlage für das Buch „Öl und Blut im Orient”. Der für Kapitalisten lebensbedrohenden Revolution entkamen Vater und Sohn knapp durch Flucht über das Kaspische Meer nach Turkmenien und weiter nach Persien, dann durch das noch unabhängige Georgien nach Istanbul, Paris und schließlich Berlin.
Perfektes Deutsch hatte Lev schon von seiner deutschen Erzieherin gelernt, die ihm die Mutter ersetzte. Unter dem Namen „Essad Bey Noussimbaoum” schrieb er sich am Seminar für orientalische Sprachen der Berliner Universität ein, um Türkisch und Arabisch zu studieren, freilich nur vormittags. Um 15 Uhr musste er im russischen Gymnasium sein, denn er hatte noch kein Abitur – und dann wieder zurück zur Universität für die Abendvorlesung. Sein geistiges Zuhause waren in jener Zeit russische Emigrantenzirkel und später das „Café Größenwahn” am Kurfürstendamm. Zum Islam trat er im Beisein eines Imams in der türkischen Botschaft über, als diese gerade noch dem Sultan/Kalifen unterstand.
Es ging Essad Bey gut, er war ein Medienstar, im Abendlicht der Weimarer Republik heiratete er die Tochter eines steinreichen Partners des Schuh-Industriellen Bata. Wegen seines zuverlässigen Anti-Bolschewismus sahen die Nazis auf Anordnung von Propagandaminister Goebbels zunächst über seine Abstammung hinweg. Er hatte noch 1932 ein Enthüllungswerk über die OGPU, den Vorläufer des KGB, geschrieben. Erst 1935, als er schon in Wien lebte, wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Dann kam die Ära Kurban Said, formell als Pseudonym der österreichischen Baronin Elfriede von Ehrenfels registriert. Ob sie ihm als Strohfrau diente, damit er weiter publizieren konnte, ob sie Mitautorin war, ob Lev sie sogar heiratete, als ihn seine erste Frau verlassen hatte, konnte Reiss nicht klären.
Sein Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich über Personen und Verhältnisse der Welt Lev Nussimbaums informieren wollen. Reiss beschreibt ein Essen bei Nachbarn in New York, bei dem er mit Ertugrul Osman zusammentraf, dem Erben jener Dynastie, nach deren Toleranz sich Lev immer sehnte. Der Thronprätendent verglich die einzelnen Sultane wie Baseballspieler. „Er wusste wie gross ihr Harem war, wie viel Prozent des königlichen Haushalts ihre Frauen für Kleider ausgaben, wie sie sich dem Westen gegenüber verhielten.”
Reiss erzählt wie „Putzi” Hanfstaengl, Hitlers erster Pressechef als ehemaliger Cheer Leader von Harvard aus dem Chor „Harvard rah, rah, rah” für die braune Bewegung „Sieg heil, Sieg heil, Sieg heil! machte. Und wer weiß schon, dass Theodor Herzl die Idee zum „Judenstaat” kam, während er dem „Tannhäuser” lauschte? Dass Reiss meint, Kurt Eisner, der Chef der Münchner Räterepublik, sei von „einem halbjüdischen Antisemiten” erschossen worden, oder dass Österreich-Ungarn durch den Vertrag von Versailles zerschlagen worden sei und ähnliche Schnitzer wiegen dagegen nicht allzu schwer.
Essad Beys „Mohammed” ist auf Deutsch zuletzt im Jahre 2007 neu aufgelegt worden. Sein Traum war die Verschmelzung von Orient und Abendland, wobei für ihn der Osten der reichere, gebende Teil war. Mit dieser Idee stand er in der Tradition jüdischer Orientalisten, einer in der Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts häufigen Spezies. Der spätere britische Premierminister Benjamin Disraeli etwa sah in seiner Jugend die Juden als „mosaische Araber” und die Araber als „Blutsbrüder, Juden hoch zu Ross”. Er hatte es gern, wenn er auf einem Diwan saß, Wasserpfeife rauchte und für einen Türken gehalten wurde.
Aus Wien rettete sich Essad Bey nach dem Anschluss nach Italien, wo für ihn Hoffnung bestand, er werde den Auftrag zu einer Mussolini-Biographie erhalten. Doch daraus wurde nichts mehr. Verarmt und krank starb er 1942 als 36jähriger in Positano. Ein italienischer Geheimagent, der zum Islam und zu den Algeriern desertiert war, setzte ihm eine Grabstele mit Turban wie es in den Friedhöfen über dem Goldenen Horn tausende gibt. In einem seiner letzten Briefe schrieb Lev Nussimbaum: „Ich hätte so gern noch den Sieg erlebt.” Er meinte den deutschen Sieg.
Tom Reiss
Der Orientalist
Auf den Spuren von Essad Bey.
Osburg Verlag, Berlin 2008. 470 Seiten, 25,90 Euro.
Bis zum Schluss hoffte er auf den Sieg der Deutschen
In Baku geboren – und ein Medienstar der Weimarer Republik: Essad Bey Abbildung aus dem besprochenen Band
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sehr anregend fand David Motadel die Lektüre der Biografie des Essad Bey von Tom Reiss, die nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Bey, entnimmt der Rezensent dem Buch, war ein in der Weimarer Republik sehr populärer Schriftsteller und Orient-Experte, der sich als türkisch-persischer Prinz ausgab, in Wahrheit aber im kaukasischen Baku als Kind jüdischer Eltern aufgewachsen war. Stilistisch gewandt und sehr kurzweilig zeichnet der amerikanische Autor dessen bewegtes Leben nach, das allerdings schon mit 36 Jahren tragisch endete, und er kann dabei nicht nur mit spektakulären Quellenfunden glänzen, sondern gewährt auch kuriose Einblicke in seine eigene Recherchearbeit, stellt der Rezensent anerkennend fest. Allerdings hätten dem Buch einige Kürzungen gut getan, denn mitunter verliere sich Reiss allzu verliebt in sein Thema und übertreibe es dann mit den Informationen zum historischen Kontext oder mit den anekdotischen Einsprengseln, so Motadel etwas kritisch. Insgesamt aber zeigt er sich von dieser Lebensbeschreibung fasziniert und gefesselt.

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