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  • Buch

Produktdetails
  • Verlag: edition vulpes
  • ISBN-13: 9783939112730
  • ISBN-10: 3939112739
  • Artikelnr.: 36796570
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bier - wichtige Sache, klar. Wie wichtig im sozialen Zusammenhang, geht Rudolf Neumaier auf beim Lesen dieses schon durch seinen kuriosen Titel bestechenden Jahrbuchs der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft, kompiliert vom Polizeihauptkommissar a. D. Siegfried Rübensaal, kein Witz. Rübensaal hat Schmellers Wörterbuch über Bier, Bierkrawalle, Wirte und Stadien des Rausches ausgewertet und so schöne Begriffe, wie "Wichser" (leichte Trunkenheit) und "Fozbeißer" (missratenes Bier) entdeckt. Dass dabei mehr herauskommt als Folklore, kann Neumaier bestätigen, der die soziale Bedeutung des Gerstenstoffs schon an der Fülle der lexikalischen Einträge erkennt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.02.2013

Hundssuff und Kapuziner-Räuschlein
Was Johann Andreas Schmellers Bayerisches Wörterbuch über Trinksitten und Bräuche verrät
Wie ihm die Gesellschaft der Adeligen und Scheinaristokraten zuwider war, so liebte der Sprachwissenschaftler Johann Andreas Schmeller (1785-1852) das Wirtshaus. Den Ort, an dem der gemeine Mann aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit heraustrat – wenn auch mit reichlich Aufputschmittel. Für den Kantianer und Romantik-Verächter Schmeller war das Wirtshaus ein Hort der Aufklärung. Selbstverständlich suchte er es nicht nur zum Trinken auf, vielmehr nahm er dort die Gelegenheit zu forschen wahr. Wo sonst bekommt man die Sprache des Volkes so authentisch dargeboten wie an einem Biertisch?
Und dass den Bayern offenbar schon immer Bier half, ihre Unmündigkeit und damit nach Kant das Unvermögen wegzuspülen, sich selbständig ihres Verstandes zu bedienen, das deutet die neue Ausgabe des „Jahrbuchs der Johann-Andreas-Schmeller-Gesellschaft“ an. Der in seinem Schwulst fast schon kuriose Titel „Zur Steinzeugproduktion im vorindustriellen Bayern im Werk von Johann Andreas Schmeller“ führt in die Irre: Trinkgefäße spielen eine Nebenrolle, es geht um Bier, um Bierkonsumenten, um ihre Sprache und um gute und schlechte Wirte.
Sogar politische Geschichte streift das Jahrbuch, denn die Bierkrawalle spart Siegfried Rübensaal, der Autor dieser Studie, nicht aus. Der pensionierte Polizeihauptkommissar Rübensaal beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit Maßkrügen und hat in seiner Garage ein Bierkrugmuseum eingerichtet. Nun ist er auf die glänzende Idee gekommen, Schmellers „Bayerisches Wörterbuch“ nach Begriffen aus der Bierkrugbranche und aus der Welt des Bieres im Allgemeinen zu durchsuchen. Glänzend ist die Idee wegen des Ertrags.
Schon die Prolegomena, die Rübensaal als „Grundsätzliche Überlegungen zum Entstehen einer Steinzeug-Produktionsstätte im vorindustriellen Bayern“ bezeichnet, fallen kurzweiliger aus, als der Titel vermuten lässt. Rübensaal leert hier seinen gigantischen Zettelkasten aus. Dass die Bieraffinität des Bajuwarenstammes genetisch bedingt sein muss, geht schon aus Erlassen wie dem Reinheitsgebot und aus Wiguläus Kreittmayrs Diktum vom „fünften Element der Bayern“ hervor. Die soziale Bedeutung des Bieres kann man demnach gar nicht hoch genug ansetzen. Dieses Grundnahrungsmittel erweise sich, schreibt Rübensaal, als „bruchsichere Klammer, und zwar sowohl im politisch-wirtschaftlichen Zusammenspiel der einzelnen Herrschaftsbereiche als auch im Zusammenleben der unterschiedlichen sozialen Schichten“. Das ist ernst gemeint – und sollte nicht als Folklore missverstanden werden.
Um welch wichtigen Stoff es sich beim Bier handelt, kommt in Schmellers Wörterbuch zum Ausdruck – allein durch die Fülle an Einträgen. Die Hinweise auf das Bierwesen sind nicht einfach zu finden, weil Schmeller die Wörter und Redewendungen nicht alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben sortiert hat, sondern in einem überaus gewöhnungsbedürftigen System nach Vokalen in Stammsilben. Rübensaal muss Zeile für Zeile des vierbändigen und enger als ein Telefonbuch gedruckten Werkes untersucht haben, wie allein die Differenzierung der Folgen von Alkoholabusus beweist. Derzufolge galt ein „Affal“, die Diminutivform von Affe, ebenso als kleiner Rausch wie ein „Hundssuff“ und ein „Zinkinker“, wohingegen ein ganzer „Aff“ (Affe) ungefähr einem „Sumperer“ oder auch „Zusperl“ gleichkam, bei dem der Magen einem sogenannten „Platzregen“ unterzogen worden war. Man darf hier wohl einen Wert weit jenseits der 0,8-Promille-Grenze veranschlagen.
Freilich, solche Exempel können leicht als Musikantenstadl-Folklore abgetan werden. Doch sogar in einigen dieser Rauschnamen steckt für den heutigen Leser mehr als Bierdimpfl-Romantik: Wie der Volksmund den durch Bierkonsum bedingten Zustand nach katholischen Ordensgemeinschaften klassifizierte, lässt Rückschlüsse auf die Reputation der jeweiligen Patres zu. Schmeller, der den Klerus nicht hochschätzte, gefiel das. Ein „Jesuwiter-Räuschlein“ sei ein „kleiner Rausch, der Einen noch wohl bey Verstande lässt“, notierte er. Was Mediziner heute als bedenkliches Delirium einstufen, hieß laut Schmeller „Kapuziner-Räuschlein“ – seine Definition, wonach der Betroffene von mehreren Personen geführt werde. Kapuziner galten wohl eher als grobschlächtige Gesellen, Jesuiten als wieselhaarig.
Viele Begriffe aus Schmellers Wörterbuch sind ausgestorben oder sie haben ihre Bedeutung verändert. Man denke nur an den „Wichser“. Zu Schmellers Zeiten konnte es sich dabei sowohl um einen „Anflug von Trunkenheit“ handeln als auch um einen Mann, der es „(im Wirthshaus) aufgehen läßt“. Inzwischen ist es semantisch so übel um den Wichser bestellt, dass sein Tun aus Kinderbüchern gestrichen wird. Bei anderen Vokabeln fragt sich, ob sie nicht eine Renaissance verdienten. Es sei an den „Fozbeißer“ erinnert, einen Ausdruck, mit dem die alten Bayern missratenes Bier bedachten. Wie Rübensaal darlegt, glich die Bierproduktion wegen der technischen Möglichkeiten einer Art Lotterie. „Fozbeißer“ gibt es heute noch, dann aber gebricht es an braumeisterlichem Fleiß oder an Begabung.
Schmeller nennt stets seine Quellen, oft verweist er auf eigenes Erleben. Seine Wirtshausbesuche fördern die Validität seiner Dialektforschung zweifelsohne. Zwei Jahre nach Schmellers Tod, 1854, preist sein Zeitgenosse Jakob Grimm das Wörterbuch: „Meisterhaft ist hier die sprache selbst und ihr lebendiger zusammenhang mit sitten und bräuchen dargestellt.“ Im Übrigen rühmt Grimm nicht nur den Inhalt, sondern auch die Tatsache, dass neben den Bayern „kein andrer unsrer stämme ein wörterbuch“ aufweise, welches dem von Schmeller „irgend gleichkäme“. So viel zur germanistischen Pionierleistung des oberpfälzischen Korbmachersohnes und königlichen Bibliothekars. Was Siegfried Rübensaal daraus destilliert, gerinnt zu einem lexikalischen Kleinod.
RUDOLF NEUMAIER
Siegfried Rübensaal: Zur Steinzeugproduktion im vorindustriellen Bayern im Werk von Johann Andreas Schmeller. Edition Vulpes, Regensburg 2012. 303 Seiten, 25 Euro.
Die soziale Bedeutung des
Bieres kann man gar nicht
hoch genug ansetzen
Johann Andreas Schmeller (1785-1852): Sein „Bayerisches Wörterbuch“ erschien von 1827-1837 in vier Bänden.
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