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Elf Italiener hat es in ein fremdes Land verschlagen und das Schicksal meint es nicht besonders gut mit ihnen. Es ist kalt und sie kennen niemanden. In der Mystic Avenue, einer Straße voller Merkwürdigkeiten und verwirrender Verknüpfungen, laufen die Fäden der Handlung zusammen. Hier wohnen die Helden des Romans. Wollen sie ihre Wohnstatt betreten, so führt sie ihr Weg durch ein McDonalds-Restaurant über eine riesige Abortanlage in eine Universität und von dort über eine Wendeltreppe in ihre Behausungen. Dort warten sie auf die Begegnung mit ihrer Muse, auf ihre Geliebte oder einen Anruf, aber…mehr

Produktbeschreibung
Elf Italiener hat es in ein fremdes Land verschlagen und das Schicksal meint es nicht besonders gut mit ihnen. Es ist kalt und sie kennen niemanden. In der Mystic Avenue, einer Straße voller Merkwürdigkeiten und verwirrender Verknüpfungen, laufen die Fäden der Handlung zusammen. Hier wohnen die Helden des Romans. Wollen sie ihre Wohnstatt betreten, so führt sie ihr Weg durch ein McDonalds-Restaurant über eine riesige Abortanlage in eine Universität und von dort über eine Wendeltreppe in ihre Behausungen. Dort warten sie auf die Begegnung mit ihrer Muse, auf ihre Geliebte oder einen Anruf, aber sie finden weder Anschluss noch etwas zu tun. Ihre Ausflüge in die Außenwelt werfen Fragen auf, auf die es keine Antwort gibt.
Benati verrät seinen Lesern nicht, warum seine Helden in der Fremde leben müssen: Wurden sie zwangsweise expatriiert oder bewegen sie sich als Botschafter ihres Heimatlandes, gewissermaßen in diplomatischer Mission, auf unbekanntem Terrain? Bewegen sie sich überhaupt? Oder treten sie eigentlich nur auf der Stelle? Gibt es eine Instanz im Hintergrund wie den Gerichtshof in Kafkas Prozess oder sind sie selbst, die Helden des Romans, die Ursache der Befremdlichkeit der sie umgebenden Welt sind?
Autorenporträt
Marianne Schneider, geboren in München, ist seit 1980 Übersetzerin literarischer Texte aus dem Italienischen und gelegentlich aus dem Französischen. Neben sprachschöpferischen Gegenwartsautoren hat sie Renaissance-Klassiker und essayistische Werke übersetzt und sich als Herausgeberin u.a. von Leonardo da Vinci betätigt. Sie lehrte an der Europäischen Schule für literarische Übersetzung in Bozen und Florenz. 2009 erhielt sie den "Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis" für ihr Lebenswerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2005

Elf Personen suchen keinen Autor
Poetische Gehirnwäsche: Daniele Benatis psychedelischer Roman

Amnesie ist die Erbkrankheit aller erfundenen Charaktere. Wer bin ich? Wo komme ich her? Was zum Teufel mache ich hier? Für Romanfiguren stellen sich die vermeintlichen Grundfragen der Existenz, über die Philosophiestudenten gerne am Lagerfeuer grübeln, mit anderer Dringlichkeit. Sie werden ja tatsächlich ohne jede Vorbereitung auf der ersten Buchseite ausgesetzt. Und wenn ihr Schöpfer ihnen den Sinn und Zweck ihres Daseins vorenthält, dann erfahren sie ihn auch bis zur letzten Seite nicht.

Um diese mißliche Lage aufzulösen, hat sich unter Schriftstellern die Konvention eingebürgert, ihre Figuren mit einem prallgefüllten Gedächtnis auszustatten. Denn so bemerken die possierlichen Gesellen nicht, daß sie aus dem Nichts kommen und genaugenommen auch nichts über sich wissen. Allerdings gibt es seit den Anfängen der literarischen Moderne immer wieder Autoren, die mit dieser Gepflogenheit brechen und Wesen ohne Erinnerung und Orientierung in ihren Büchern aussetzen. Wie in einem Tierversuch sollte so die wahre Beschaffenheit der Fiktion zum Vorschein kommen.

Für die elf Figuren in Daniele Benatis Roman "Amerika gibt es nicht", jetzt im jungen Kölner Verlag "Tisch 7" erschienen, gehört ein zugespitztes Gefühl von Verlorenheit zur Grundbefindlichkeit. "Was mache ich eigentlich hier?" fragt jemand gegen Anfang. "Wo bin ich?" heißt es in der Mitte. "Wo war ich denn stehengeblieben?" forscht die Erzählstimme am Ende. Als Übersetzer von James Joyce und Flann O'Brien ist der 1953 geborene Italiener, der an verschiedenen amerikanischen Universitäten lehrte, mit den Laborbedingungen der experimentellen Literatur bestens vertraut.

Die Deplaziertheit von Benatis Helden, die oft nicht einmal den eigenen Namen kennen und auch über ihren Beruf meist nur rätseln können, versteht sich im Wortsinn. Denn alle elf Charaktere - jedem ist ein Kapitel gewidmet - sind ohne ersichtlichen Grund aus der italienischen Heimat in ein seltsames Amerika versetzt worden, das wie eine schwere Halluzination wirkt. Alle Figuren wohnen in einem Komplex namens Mystic Avenue 3847 - einem labyrinthischen Unort, in dem sich ein Hotel, die Toiletten eines Schnellrestaurants und das Audimax einer Universität verknoten. Fluchtwege gibt es nicht, denn alle Seitenstraßen sind durch Baustellen versperrt. Womöglich ein Getto für unerlöste Romanfiguren, die zu Demonstrationszwecken in einem einzigen Buch zusammengepfercht werden?

Am Anfang zieht "Amerika gibt es nicht" das Register des Kafkaesken eine Spur zu penetrant und gibt dem Leser durch zahlreiche Dante-Verweise das mulmige Gefühl, er müsse sich auf ein binnenliterarisches Spiegelkabinett im Stile von Italo Calvinos Lehrstück "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" einstellen. Doch Benatis vielstimmiger (weniger wohlmeinend könnte man auch sagen: verworrener) Roman ist zum Glück mehr als eine schulmäßige Fabel über die Fabel. Von Kapitel zu Kapitel zeigt sich klarer, daß Benati - in Deutschland bislang nur in der 1997 bei Wagenbach herausgekommenen Anthologie "Italia fantastica!" erschienen - ein hochtalentierter Erzähler ist, der in den bizarren Kulissen verblüffende und in ihrem Hang zum Lächerlichen oft auch tieftraurige Porträts ansiedelt.

Benatis elf Personen suchen keinen Autor. Sie suchen lediglich nach Zusammenhängen in einer Welt, die sich ihnen trotz aller Denkanstrengung entzieht. Sie verfassen ominöse Traktate, schreiben an Dramen und korrespondieren mit Verlegern - aber wie in einem zähen Albtraum will nichts gelingen, stellt sich alles am Ende als Verwechslung oder Betrug heraus. Die Helden holen den Informationsvorsprung ihrer Umwelt niemals auf. Während sie selbst an ihren verfremdeten "Kastratenstimmen" leiden, werden sie von Phantomstimmen heimgesucht - wie überhaupt das fieberhafte Amerika des Romans allmählich von einem mythischen Mittelmeer samt Sirenengesängen und Höllenhunden überflutet wird.

"Amerika gibt es nicht" ist ein psychedelischer Roman, der nichts Rauschhaftes an sich hat. Häuser und Straßen ändern ihre Plätze "wie bei der Theorie von der Tektonik der Erdplatten oder der Kontinentalverschiebung". Erinnerte Erlebnisse sind nur eingebildet, bekannte Gesichter plötzlich wildfremd. Existenzen werden gegen Eindringlinge verteidigt wie Potemkinsche Dörfer - und fallen unter den Augen des Lesers in sich zusammen wie im Fall jenes trunksüchtigen Theaterschreibers, dessen erfolgreiche Schauspielerfreundin so lange nicht in der gemeinsamen Wohnung aufkreuzt, bis diese sich als trostlose Brutstätte einsamer Gedanken entpuppt. Wie überhaupt all die kleinen Göttinnen, die in Gestalt von Zimmermädchen oder Nachbarinnen die erotischen Tagträume der Helden bevölkern, am Ende meist als Bestandteile unzuverlässiger Illusionsmaschinen erscheinen.

Auf die Frage nach dem Warum des chaotischen Daseins in Mystic Avenue 3847, die sich der Leser manchmal auch zusammen mit den Figuren stellt, bietet der Roman nur widersprüchliche Scheinantworten an. Mal sind es Deportationsprogramme der italienischen Regierung, mal berufliche Versetzungen, mal Verschickungen durch das "Institut für Kultur Kunst Literatur Philosophie Undsoweiter". Ein wirklicher Migrantenroman ist es jedenfalls nicht geworden, obwohl Ansätze zu einer Psychographie der Ausgewanderten vorhanden sind. Letztlich gibt es nur eine Rechtfertigung für die offenbar mit einer Gehirnwäsche verbundene Umsiedlungsaktion - nämlich das Erzählen. "Manchmal ist es schöner als das Leben, weil einer da sitzt und was erzählt, und im Notfall kann er erfinden, was er will." Dieser Satz gilt nicht immer, auch nicht in Daniele Benatis Roman, der die literarische Selbstreflexion zum Teil übertreibt. Aber ohne Frage gibt es diese mystischen Momente, und sie machen das mitunter Quälerische an Benatis poetischem Menschenexperiment verschmerzbar.

ANDREAS ROSENFELDER.

Daniele Benati: "Amerika gibt es nicht". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Marianne Schneider. Tisch 7 Verlag, Köln 2005. 292 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Daniele Benati versetzt in einem "poetischen Menschenexperiment" elf Figuren aus Italien in ein merkwürdiges Amerika, wo sie unter der Adresse "Mystic Avenue 3847 über ihr Dasein rätseln, wie Andreas Rosenfelder den Inhalt des Buchs zusammenfasst. Es handele sich um einen "psychedelischen Roman", in dem es für die Protagonisten, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, keine Gewissheiten gebe. Wenn der italienische Autor am Anfang auch etwas "penetrant" die kafkaesken Züge des Geschehens betone und mit seinen vielen "Dante-Verweisen" beim Leser das "mulmige Gefühl" aufkommen lasse, er habe eine Parabel vor sich, werde das im Verlauf der Lektüre nicht bestätigt, beruhigt der Rezensent. Vielmehr stelle sich Benati als "hochtalentierter Erzähler" heraus, der als "Rechtfertigung" für die seltsame Lage seiner Figuren letztlich nur die Tätigkeit des Erzählens anbietet, so Rosenfelder angetan. Die dabei mitunter übertriebenen "literarischen Selbstreflexionen" Benatis werden für ihn aber durch die "mystischen Momente", die im Roman aufscheinen, wettgemacht und machen selbst das "Quälerische" der Situation erträglich, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH