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Von Dezember 1943 bis März 1944 ist Stella Silberstein "Gast" im "Excelsior" in Nizza, einem von den deutschen Besatzern vereinnahmten Hotel. Der Hotelchef ist Alois Brunner - oder genauer, SS-Obersturmbannführer Brunner -, verantwortlich für Massenmorde an Juden in Wien (1939-1941), in Griechenland (1943) und in Frankreich (1943-44). Um sich zu retten, macht Stella Silberstein sich nützlich, wischt das Treppengeländer und fegt die Flure. Ihr Mann, der Wiener Arzt Richard Borger, hat die Neuzugänge zu untersuchen und festzustellen, ob sie jüdisch rituell oder aus medizinischen Gründen…mehr

Produktbeschreibung
Von Dezember 1943 bis März 1944 ist Stella Silberstein "Gast" im "Excelsior" in Nizza, einem von den deutschen Besatzern vereinnahmten Hotel. Der Hotelchef ist Alois Brunner - oder genauer, SS-Obersturmbannführer Brunner -, verantwortlich für Massenmorde an Juden in Wien (1939-1941), in Griechenland (1943) und in Frankreich (1943-44). Um sich zu retten, macht Stella Silberstein sich nützlich, wischt das Treppengeländer und fegt die Flure. Ihr Mann, der Wiener Arzt Richard Borger, hat die Neuzugänge zu untersuchen und festzustellen, ob sie jüdisch rituell oder aus medizinischen Gründen beschnitten sind. Er kann vielen Männern das Leben retten. Eines Abends verschwindet Richard. Stella wird nach quälenden Verhören für den Folterkeller freigegeben, überlebt jedoch durch die Hilfe eines deutschen Bewachers. Im April wird sie nach Auschwitz deportiert, später nach Bergen-Belsen verlegt, wo sie am 15. April 1945 befreit wird. Im Dezember 1945 reist Stella über Paris zurück nach Nizza, um Auskunft über Richard zu erhalten, und führt über ihre Begegnungen und Erlebnisse Tagebuch.
Autorenporträt
Kurt Kreiler, geboren 1950 in München, promovierter Germanist, lebt als Essayist, Herausgeber, Hörspielautor und Übersetzer in Köln.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2006

Terror im „Excelsior”
Erinnerungen der Auschwitz-Überlebenden Stella Silberstein
Anne Franks Tagebuch ging um die Welt. Die Aufzeichnungen des jüdischen Mädchens, das sich mehr als zwei Jahre mit ihrer Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckt hielt, sind mahnendes Zeugnis einer schwer in Worte zu fassenden Zeit. Stella Silbersteins Tagebuch fand ebenfalls erst Jahre nach ihrem Tod den Weg in die Öffentlichkeit. Die Wiener Jüdin überlebte Auschwitz und den Todesmarsch nach Bergen-Belsen, wo sie am 15. April 1945 von den Engländern gerettet wurde. Ihr persönlicher Befreier Bob, der sie mit Konservendosen aller Art versorgte, war es, der ihr wenig später zum Schreiben riet: „Stella, weich nicht vor dir selber aus, schreib alles nieder, alles, woran du dich erinnern kannst.” Anders als Anne Frank entwickelte sie kein freundschaftliches, sondern ein schmerzhaftes, therapeutisches Verhältnis zu ihrem Tagebuch, doch es sollte sie letztendlich vor dem Wahnsinn bewahren.
Die 46-Jährige begann mit ihren Aufzeichnungen am 15. Dezember 1945, mit ihrer Rückkehr von Bergen-Belsen nach Paris. Acht Monate lang war sie nach ihrer Befreiung dort geblieben, wo sie unter dem berüchtigten Arzt Josef Mengele SS-Leute hatte massieren müssen. Ihre „heilenden Hände” hatten ihr das Leben gerettet - nun half sie in einer eigens für sie von den Engländern eingerichteten Physiotherapie-Abteilung ihren Leidensgenossen. Dieser unmittelbaren Vergangenheit näherte sie sich als Erstes. Zu unfassbar schienen der Frau, die jahrelang in Todesangst leben musste, die ersten Schritte in die Freiheit. Wie konnte man noch nach Auschwitz weiterleben?
Ihr Erzählstil bildet den Prozess ab, den die Autorin während des Schreibens durchmachte. Nüchtern, fast unbeteiligt tastet sie sich mit schlichten Worten heran. Konstatierend, nicht kommentierend holt sie Erlebtes und Verdrängtes in ihr Bewusstsein zurück. Sie bringt zu Papier, was passiert ist; sichtlich schwerer fällt es ihr, Gefühle zu artikulieren.
Stella reiste weiter nach Nizza, ihrem einst „paradiesischen” Exil. Hier führte sie, jung verwitwet, seit 1938 das Leben der Touristen-Bohème, umgeben von Landsleuten, die ebenfalls aus dem annektierten Österreich geflohen waren. Man traf sich am Strand, verbrachte die Nachmittage im Stammcafé. Hier lernte sie ihren künftigen Ehemann Richard Borger, einen Chirurgen, kennen. Im Winter 1945 kehrte sie mit dem Wissen zurück, dass ihr Mann tot ist, und begann ihre Suche nach der Wahrheit über seinen gewaltsamen Tod. Sie traf alte Bekannte wieder, darunter ehemalige KZ-Gefangene, die an die Riviera zurückgekehrt waren und, wie sie, um Normalität rangen. Doch jede Begegnung, jede noch so zerstreuende Unternehmung rief schmerzhafte Erinnerungen wach. Die rückblickenden Passagen sind kursiviert und heben sich deutlich von ihren Tagebucheintragungen ab. Doch nicht selten folgen Erinnerung und unmittelbar Erlebtes stakkatohaft aufeinander, vermischen sich die Zeitebenen; abrupte Ortswechsel und immer wieder neue Namen und Gesichter lassen Stellas rasende, marternde Gedanken nachempfinden.
Aus ihrem Exil war im Krieg ein Gefängnis geworden, das Hotel Excelsior für Stella und Richard ein Vorhof zur Hölle. In dem gutbürgerlichen Haus inhaftierten die Nazis hunderte Juden, verhörten und folterten sie und organisierten ihre Deportation. An der Rezeption meldeten sich Kollaborateure, um Juden anzuzeigen. Wer von den Gefangenen aus dem Fenster blickte, wurde erschossen. Richard wurde als Arzt zur Zusammenarbeit gezwungen, nicht selten konnte er Glaubensbrüdern das Leben retten, indem er ihnen eine medizinische anstatt einer rituellen Beschneidung attestierte. Stella hoffte, sich durch unermüdliche Putz- und Hilfsarbeiten unabkömmlich zu machen. Im Excelsior trennen sich schließlich gewaltsam ihre Lebenswege.
Stella Silberstein (1899-1994) hatte es geschafft. Sie überlebte, ohne über dem Unvorstellbaren verrückt zu werden. Simha Noar, „die Freudige”, nannte sie sich in ihrem zweiten Leben. In Palästina fand sie endlich eine Heimat und ihren dritten Ehemann, mit dem sie 40 Jahre lang zusammenlebte. Das Tagebuch ist die Lebensgeschichte einer bewundernswerten Philanthropin, der man sich nicht entziehen kann. Es bildet den Verarbeitungsprozess einer schwer Traumatisierten ab, und ist ein zeitgeschichtliches Dokument, das diese leidvollen Jahre so nahe bringt, dass es schmerzt.
MIRJA KUCKUK
STELLA SILBERSTEIN: Hotel Excelsior. Tagebuch einer Spurensuche. Hrsg. von Ingeborg Hecht und Kurt Kreiler. Dölling und Galitz Verlag, Hamburg/München 2005. 275 Seiten, 14,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Doppelt schmerzhaft sei das Tagebuch der Stella Silberstein, berichtet Rezensentin Mirja Kuckuk, für die Schreiberin, aber damit auch für den Leser. Nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen nach Frankreich habe die Autorin mit dem vorliegenden Tagebuch begonnen, das sie, so die Rezensentin, "vor dem Wahnsinn bewahrt" habe. In dem Bericht von ihrer Recherche nach ihrem verschollenen Mann in Nizza, wohin sie 1938 geflohen war, seien Zug um Zug auch die Erinnerungen an Bergen-Belsen in kursiv gesetzten Textpassagen eingefügt. Das Hotel Excelsior, von dem aus Stella Silberstein nach Bergen-Belsen deportiert wurde, referiert die Rezensentin, sei schon zuvor zu einem Gefängnis geworden, in dem die Nationalsozialisten verhört und gefoltert hätten. Unter dem Namen "Simha Noar", "die Freudige", habe die Autorin später in Palästina ein zweites Leben beginnen können. Ihr Tagebuch bilde "den Verarbeitungsprozess einer schwer Traumatisierten ab".

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