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Aus dem Nachlass des berühmten Schweden hat Renate Bleibtreu diese noch nie übersetzten Texte zusammengestellt. Dass Strindberg ein Zweifler und unruhiger Geist war, ist bekannt. Weniger bekannt ist seine hemmungslose Neugier auf alles, was zu seiner Zeit modern zu werden begann. Die Notizen dieses Zweiflers sind ein Kompendium seiner vielfältigen, rätselhaften Interessen - und der poetischen Kraft dahinter. Strindberg war dichterischer Avantgardist, aber auch mit seiner Sinneswahrnehmung der Zeit weit voraus. Diese durchaus fantastische Buch, in dem Schweden und Europa, Hören und Sehen,…mehr

Produktbeschreibung
Aus dem Nachlass des berühmten Schweden hat Renate Bleibtreu diese noch nie übersetzten Texte zusammengestellt. Dass Strindberg ein Zweifler und unruhiger Geist war, ist bekannt. Weniger bekannt ist seine hemmungslose Neugier auf alles, was zu seiner Zeit modern zu werden begann. Die Notizen dieses Zweiflers sind ein Kompendium seiner vielfältigen, rätselhaften Interessen - und der poetischen Kraft dahinter. Strindberg war dichterischer Avantgardist, aber auch mit seiner Sinneswahrnehmung der Zeit weit voraus. Diese durchaus fantastische Buch, in dem Schweden und Europa, Hören und Sehen, Elektrizität und Geographie eine kühne Verbindung eingehen, gibt zahllose Beispiele von der Art, wie Strindberg die Welt in sich aufnahm und interpretierte. Ganz nebenbei entsteht hier eine der Natur abgelauschte innere Geographie von Skandinavien und Europa an der Schwelle zum modernen Zeitalter.
Autorenporträt
August Strindberg, geboren 1849 in Stockholm, starb 1912.Renate Bleibtreu, geboren 1942 in Wien, lebt in Hamburg als Schauspielpädagogin und Übersetzerin. Sie ist Herausgeberin und Übersetzerin zweier Werkporträts: August Strindberg, "Ich dichte nie" (1999), und Ingmar Bergman, "Im Bleistiftton" (2002), beide im Verlag Rogner & Bernhard.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Strindberg-Spezialisten und Leser mit ausreichend Humor dürften sich über diesen von Renate Bleibtreu übersetzten und unter dem Titel "Notizen eines Zweiflers" herausgegebenen Sammelband von Aufzeichnungen freuen, glaubt Rezensent Wolfgang Schneider. Nicht immer wird man Strindbergs Gedankengänge nachvollziehen können, warnt der Kritiker, der sich durch eine Vielzahl von Theaterskizzen, Szenenentwürfen und Aphorismen gelesen hat. Während sich Schneider über manches Bonmot wie etwa "Blumen, ungern überreicht, verwelken" amüsiert hat, haben ihn Strindbergs Protokolle fotografischer, optischer und chemischer Experimente ebenso fasziniert wie verwundert: er erfährt hier, dass der naturwissenschaftlich interessierte Autor nicht nur Kälberaugen sezierte und sich an der Goldsynthese versuchte, sondern auch die Kugelform der Erde in Frage stellte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2012

Der Mond ist eine Glaskugel und die Erde voller Hubbel

Es ist schade um die Menschen, aber ihnen ist mit Wissenschaft und Religion ebenso wenig zu helfen wie mit Kunst: Das Universum des August Strindberg lässt sich in drei neuen Büchern vermessen.

Das rote Zimmer" ist Strindbergs Durchbruchswerk aus dem Jahr 1879. Gleichzeitig mit Ibsens "Nora" läutete der Roman die skandinavische Moderne ein. Der dreißigjährige Autor hatte bereits erste, schwierige Schritte als Dramatiker unternommen und als Journalist seine Nase in verschiedene soziale Biotope gesteckt. In diesem Roman verarbeitet er seine Erfahrungen und liefert das furiose Panorama einer durch und durch korrupten Gesellschaft. Es ist ein Buch, auf das Kafkas Urteil passt: "Der ungeheure Strindberg ... Diese Wut, diese im Faustkampf erworbenen Seiten."

Arvid Falk heißt der autobiographisch zugeschnittene Held. Gleich zu Beginn gibt er eine bequeme Beamtenlaufbahn auf, um sich als Literat auf die Spur der Wahrheit zu setzen. Nach dem Motiv der feindlichen Brüder wird ihm als Kontrastfigur der Großhändler Carl Nikolaus Falk gegenübergestellt, ein Repräsentant der Stockholmer Oberschicht, der ihn erst einmal ums brüderliche Erbteil prellt. Mit anderen jungen Künstlern und Literaten trifft sich Arvid im "Roten Zimmer", einem Stockholmer Bohemelokal, und bespricht die Lage.

Die Handlung ist lose geknüpft; die Kapitel führen episodisch durch verschiedene Milieus, von einem gesellschaftlichen Sumpf in den nächsten, darunter Börse, Parlament, Theater, aber auch Armenviertel. Strindberg entlarvt die Maskierungen des Egoismus: intrigante Geschäftsmänner, die vom Allgemeinwohl schwadronieren, salbungsvolle Pastoren und Wohltätigkeitsvereinsdamen, rundum bestechliche Politiker und Gefälligkeitsjournalisten, eine vor allem an ihren Pfründen interessierte Kunst- und Theaterszene. Der Mensch als "verlogenes Gesellschaftstier" - das ist das Motto. Die Satire arbeitet dabei gleichermaßen mit naturalistischem Detailreichtum und wie mit der Überspitzung ins Surreale, wenn etwa der Büroschlaf der Beamten dargestellt wird.

Bequemlichkeit, Heuchelei, Eigennutz, Betrug, Dummheit - das sind zeitlose Werte, und man liest den Roman heute mit vielen Wiedererkennungseffekten, insbesondere wenn die Geschäftsmodelle von Versicherungsgesellschaften und Verlagen seziert werden.

Statt komplexer Figuren bietet "Das Rote Zimmer" einprägsame Typen: physiognomische Porträts und Charakterskizzen, die die dramatische Begabung Strindbergs deutlich machen. Da gibt es einen Streichholzfabrikanten, der zugleich Theaterdirektor ist und nach Gusto über die Rollen und Karrieren der Schauspieler entscheidet. Oder einen Gottesmann und Heilsbringer, der als Großverleger mit missionarischem Schrifttum ein Heidengeld verdient. Die Zigarre im "Schiffskapitänsgesicht", waltet er an seinem riesigen Schreibtisch und hat es fertiggebracht, dass "Sündigsein modern geworden ist". Eine weitere interessante Figur ist der Amateurphilosoph Olle Montanus, der vor empörtem Honoratioren-Publikum seinen Vortrag "Über Schweden" hält: Schweden gibt es demnach gar nicht, ein Land aus lauter Eingewanderten, die Sprache Plattdeutsch in zwölf Dialekten. Es ist ein Abgesang auf den Nationalismus, der damals gerade zum europäischen Hauptübel wurde. Auch das unvermittelt von Begehren in Hass umschlagende Verhältnis der Geschlechter, ein großes Strindberg-Thema, wird bereits in mehreren Kapiteln ins Auge gefasst.

"Das Rote Zimmer" ist eine Revue der Desillusionierung, bei der allerdings der moderne Habitus der Desillusion, der Nihilismus, als "geruhsame Weltverachtung" gleich schon mitentsorgt wird. Arvid Falk wird der selbstschädigende "Idealismus" schließlich von einem zynischen Mediziner ausgetrieben. Er kann "genesen" und eine bürgerliche Laufbahn als Lehrer einschlagen. Aus dem Weltverbesserer wird ein Heftekorrigierer.

Wie Jahrzehnte später Célines "Reise ans Ende der Nacht" ist dies ein Roman, der die grelle Gesellschaftskritik mit einem neuen, scharfzüngigen Prosa-Ton verbindet. Da wird der Jargon der Businessmänner parodiert und naturalistisch der Slang von Gassenjungen imitiert. Diese Qualitäten und Tonlagen ließen sich in alten Übersetzungen nur wie durch eine trübe Scheibe erahnen. Strindbergs Furor las sich abgemattet wie mittelmäßiger Realismus. In der Neuübersetzung von Renate Bleibtreu hat das Buch nun einen ganz anderen Griff; das funkelt erst jetzt in seinem maliziösen Witz.

Liegt mit dem "Roten Zimmer" zum hundertsten Todestag Strindbergs ein süffig lesbares Frühwerk vor, so mit den "Notizen eines Zweiflers" ein sperriges Dokument aus der alchimistischen Werkstatt des späten Strindberg. Im "grünen Sack" verwahrte er literarische Wertstoffe - seine handschriftlichen Aufzeichnungen. Diese Papiere aus dem Nachlass bieten Werkstattblicke. Viele Ideen für Theaterstücke und Szenen werden skizziert; einige der Entwürfe lesen sich wie moralistische Halbminuten-Novellen. Manchmal sind es bloß psychologische Pointen: "A zählt alle Fehler von B auf. B schaut A scharf an, ohne ein Wort. Da merkt A, dass er sich selbst charakterisiert hat." Oft bleibt es bei Stichworten, bei denen sich Strindberg selbst wohl etwas denken konnte, nicht aber heutige Leser.

Gelegentlich stößt man aber auch auf Aphorismen wie von Nietzsche: "Menschen können nicht verbergen, was sie denken; in Gesellschaft verrät sich einer durch Schweigen; ein anderer mit einem Lächeln an der falschen Stelle; einer spricht zu viel, aus Angst gefragt zu werden." Das meiste lässt man allerdings eher ratlos an sich vorbeiziehen, bis plötzlich wieder ein Satz kommt, der knallt: "Träumte von einer Wohnung, wo alle Möbel schwarz geteert waren." Oder: "Christus, hässlich abgebildet, weil er all unsere Bosheit in sich hineingeschlürft hat." Und hier noch eine aktuelle Warnung zum Muttertag: "Blumen, ungern überreicht, verwelken."

Manchmal gibt es einen lyrischen Überschuss: "Die Telegraphistinnen / auf Sandhamm / die verrückt wurden, weil sie niemanden zum Sprechen hatten." Anderes ist bloß skurril: "Was die Galoschen sagen: Narr, narr, Orvarr, Orrvarr, knorfvar, knar, garfvar." Bricht da Strindbergs notorische Paranoia durch? Fühlt er sich sogar vom knarrenden Hausschuh verhöhnt?

August Strindberg lebte in der Epoche, in der die Naturwissenschaften ihren Siegeszug antraten und das moderne Weltbild formierten. Er wird von der Entwicklung in den Bann gezogen; informiert und inspiriert, hadernd und grummelnd zugleich. Der enzyklopädisch interessierte Eindrücke-Aufsauger unternimmt ein vielfältiges Studium der Wissenschaften, Okkultismus und andere Mirakelsuche inbegriffen. Ein großer Teil der Nachlassblätter besteht deshalb aus Protokollen fotografischer, optischer oder chemischer Experimente, mitsamt Formeln, Tabellen, Rechenoperationen.

Er seziert Kälberaugen und versucht sich an Goldsynthese. Den Mond kann er nicht mehr ansehen, ohne dass ihm die Frage das Hirn zermürbt, ob die neuen kosmologischen Theorien der Weisheit letzter Schluss seien. Nach jahrelangen Beobachtungen kommt er zur Auffassung, der Mond sei eine "Glaskugel", die "eine unbekannte Seite der Erde" spiegelt. Ob die Erde selbst Kugel, Ei, Ellipsoid, Tetraeder oder womöglich doch eine Scheibe sei, ist für Strindberg noch nicht rechtskräftig entschieden. "Heute melden die Bücher, am Meeresufer könne man angeblich Dampfschiffe mit dem Schornstein voran hinter der Wasserkuppe hervorkommen sehen": Er führt Beobachtungen und Berechnungen an, nach denen diese vermeintliche "Hubbeligkeit" der Welt bloß Wahrnehmungstrug sei. Schon Kopernikus habe keine ausreichenden Beweise vorlegen können, erst in neuerer Zeit hätten Physiker die Formeln "diktiert", schreibt er wie ein Paul Feyerabend im Kampf gegen den Methodenzwang. Tatsächlich war die Erde zu Strindbergs Zeiten "rund ja nur im Denken" (Renate Bleibtreu); aus genügender Distanz gesehen hatte sie noch niemand.

Leben und Wissenschaft - ein "Gewebe aus Trugbildern, Lügen, Irrtümern, Missverständnissen, Unverständnis", in dem die "sogenannte Wahrheit" nicht ausfindig zu machen sei. Der Freigeist baut sich sein eigenes Weltbild: "Glaub an dich, Tausendsassa!" Der moderne Skeptiker wird zum Skeptiker der Moderne. Den Naturalismus bezeichnet er bereits als "Schusterrealismus". Die Mitleidsmoral tritt er gleichzeitig mit Nietzsche in die Tonne. Es sei nun einmal so, dass "der Raubvogel die Taube und die Laus den Raubvogel frisst" - warum solle man dem abhelfen? Dann aber findet er 1902 im "Traumspiel" die schlichte, erhabene Formel, die das Mitleid ins Metaphysische hebt: "Es ist schade um die Menschen."

Der "grüne Sack" bietet jede Menge Widersprüchliches, Unausgegorenes und Verwunderliches von einem Autor, der das Wundern zeitlebens nicht verlernte - ein Band für Spezialisten und Spaßvögel. Für das breitere Publikum eignet sich dagegen ein schmales Heft der Friedenauer Presse: "Vom Meer" enthält drei frühe Erzählungen aus der Schärenwelt. Hier bekommt man es mit aufregenden, wie von Turner gemalten Meerlandschaften und maritimer Schauerromantik zu tun. Ein Lotse, der nächtelang nicht geschlafen hat (seine Frau erwartet ein Kind), wird schuldig am Untergang eines Schiffes. Der Winkeladvokat Markus Larsson setzt sich mit all seiner argumentativen Kraft für den Mann ein - und macht am Ende alles nur schlimmer. Schon dem jungen Strindberg geht es um die Frage des Mitleids und den fehlgehenden Versuch, "die Vorsehung zu korrigieren". Beim Lesen reibt man sich die Augen. Ist das noch Strindberg - oder schon Joseph Conrad? Der Tausendsassa, Theatermacher, Prosafaustkämpfer, an dessen Stockholmer Trauerzug vor hundert Jahren sechzigtausend Menschen teilnahmen, verfügte über eine verblüffende Vielfalt von Stimmen. Aber was er auch unternahm, immer blieb ein Vorbehalt: "Die schönen Künste: ein Fehler an allem. Die Wissenschaften: ein Irrtum in allem. Die Religionen: eine Tollheit da und dort."

WOLFGANG SCHNEIDER.

August Strindberg: "Das rote Zimmer". Roman.

Aus dem Schwedischen von Renate Bleibtreu. Manesse Verlag, Zürich 2012. 574 S., geb., 24,95 [Euro].

Ders.: "Notizen eines Zweiflers". Schriften aus dem Nachlass.

Herausgegeben und aus dem Schwedischen übersetzt von Renate Bleibtreu. Berenberg Verlag, Berlin 2011. 320 S., geb., 25,- [Euro].

Ders.: "Vom Meer". Drei Erzählungen.

Aus dem Schwedischen von Klaus-Jürgen Liedtke. Friedenauer Presse, Berlin 2012., 31 S., br., 9,50 [Euro].

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