Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 7,00 €
  • Gebundenes Buch

Jakowlews Autobiographie, voller Gedankenreichtum und Zivilcourage und auf unerbittlicher Suche nach Wahrheit, ist wie ein Mosaik aus vielen erlebten und durchdachten Situationen in einem brodelnden Rußland während eines infamen Jahrhunderts. Den Grundelementen des Dörflichen, der Front ohne Heldenepen und Propagandalügen, den Nischen und Zirkeln der kleinen Leute, den »Himmelsbewohnern«im Kreml, dem Byzantinismus einer der Selbsttäuschung verfallenen Gesellschaft, allen Aspekten von Mensch und Macht begegnen wir in Jakowlews atemlosen Schilderungen. Auf der medialen Bühne des 20. Jahrhunderts…mehr

Produktbeschreibung
Jakowlews Autobiographie, voller Gedankenreichtum und Zivilcourage und auf unerbittlicher Suche nach Wahrheit, ist wie ein Mosaik aus vielen erlebten und durchdachten Situationen in einem brodelnden Rußland während eines infamen Jahrhunderts. Den Grundelementen des Dörflichen, der Front ohne Heldenepen und Propagandalügen, den Nischen und Zirkeln der kleinen Leute, den »Himmelsbewohnern«im Kreml, dem Byzantinismus einer der Selbsttäuschung verfallenen Gesellschaft, allen Aspekten von Mensch und Macht begegnen wir in Jakowlews atemlosen Schilderungen. Auf der medialen Bühne des 20. Jahrhunderts erscheinen die großen Akteure von Stolypin bis Putin, von Lenin bis Gorbatschow, und wir erfahren, warum und wie sie ihre Visionen verspielten oder verloren.
Jakowlews Memoiren sind das Zeugnis eines Zeitgenossen und Mitgestalters der Ereignisse, und es sind die scharfsinnigen Analysen eines Historikers, der die Dokumente befragt.
Autorenporträt
Alexander Jakowlew, geboren 1923, erlebte alle Stationen der sowjetischen Geschichtsperiode: Kindheit und Jugend verbringt er unter Stalin und im Krieg mit den Deutschen, nach dem Studium der Pädagogik dient er im Apparat der KPdSU bis zum späteren Redenschreiber für Chruschtschow und Breschnew. Von 1973 bis 1983 Botschafter in Kanada, danach Leiter des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen an der Moskauer Akademie der Wissenschaften.
Als Architekt der Perestroika und Vater der Glasnost gestaltete er mit Gorbatschow den Umbruch des Sowjetreichs. Als Vorsitzender der Kommission zur Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen vollzog er die Rehabilitierung von Millionen Opfern.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Autobiografie von Alexander Jakowlew, einem Vertrauensmann des letzten sowjetischen Parteichefs, Michail Gorbatschow, bietet nicht nur einen Lebensbericht, sondern - darüber hinaus - auch eine Auseinandersetzung mit Russlands Schicksal im 20. Jahrhundert, berichtet der "A. O." zeichnende Rezensent. Ausführlich referiert er die Stationen von Jakowlews Karriere, vom schlauen Bauernbub zum stellvertretenden Leiter der Abteilung für Propaganda bereits im Sekretariat des Zentralkomitees und Gorbatschow-Vertrauten, um dann auf die Kapitel über die russische Vergangenheit einzugehen. Dabei hebt er hervor, dass Jakowlew bei seiner Abrechnung mit der Sowjetära die terroristische, verbrecherische Natur des Regime der Bolschewiken belegt. Insgesamt lesen sich Jakowlews Erinnerungen nach Einschätzung des Rezensenten "nicht ganz leicht", was er auf die Vorliebe des Autors für abstrakte Ausdrucksweise zurückführt und auch darauf, dass weder Autor noch sein Übersetzer besonders sprachmächtig sind. Trotz der Ausführlichkeit des Buches hat der Rezensent zudem das Gefühl, dass etwas Wichtiges fehlt. So erscheint ihm zwar "wertvoll", was Jakowlew als Historiker beisteuert. Als Zeitzeuge liefert ihm Jakowlew allerdings zu wenig. Das Unglück im Nuklearkraftwerk Tschernobyl etwa werde bei Jakowlew zu einer Nebensächlichkeit und auch über den Putschversuch 1991 erzähle er nur Äußerlichkeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2004

Auf dem Totenacker
Alexander Jakowlew rechnet schonungslos mit Lenin und dem Sowjetsystem ab

Alexander Jakowlew: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Eine Autobiographie. Aus dem Russischen von Friedrich Hetzer. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2003. 910 Seiten, 29,90 [Euro].

Vor achtzig Jahren hat ein Mann das Zeitliche gesegnet, dem nach wie vor eine Wallfahrtsstätte im Kreml zugestanden wird, obwohl er der eigentliche "Inspirator und Organisator des Terrors in Rußland" war. "In der Geschichte hat es keinen Menschen gegeben, der Rußland mehr haßte als Uljanow-Lenin. Was immer er anfaßte, verwandelte sich in einen Totenacker, in ein Riesenfeld mit menschlichen, sozialen und ökonomischen Gräben. Alle wurden ausgeraubt - die Lebenden wie die Toten." Und sollte auch achtzig Jahre danach immer noch jemand der Meinung sein, Stalin, nicht Lenin sei der wahre Unhold der Sowjetmacht gewesen, so wird er von einem Mann, der über Jahrzehnte selbst der kommunistischen Nomenklatura angehörte, mit den Worten belehrt, die Geschichte des Stalinismus weise im Grunde nichts Neues auf, es sei denn, "man sähe darin noch zusätzlich einen Fall für die Psychiatrie".

So schonungslos wie Alexander Jakowlew, der bereits 1953 unmittelbar nach Stalins Tod als sogenannter Instrukteur ins Zentralkomitee der KPdSU gelangte, Chruschtschow aus nächster Nähe erlebte und dann unter Breschnew zum stellvertretenden Leiter des Referats für Agitation und Propaganda avancierte, bevor er sich schließlich unter Gorbatschow einen Namen als "Vater der Glasnost" machte - so schonungslos wie dieser inzwischen achtzig Jahre alte Mann hat noch kein russischer Politiker mit der sowjetischen Vergangenheit im allgemeinen und mit Lenin im besonderen abgerechnet. Jakowlew, der später die Kommission für die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen leitete, belegt den von dem Gründer der Sowjetunion in Gang gesetzten Terror mit Dokumenten, die bis vor kurzem noch in Sonderverwahrung gehalten wurden. Danach belief sich die Zahl der in den Jahren der Sowjetherrschaft aus politischen Gründen Ermordeten, in Gefängnissen und Lagern Umgekommenen auf zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen.

Er selbst, schreibt der Autor nicht ohne Pathos in seiner umfänglichen, mit zum Teil atemberaubenden Details angereicherten Autobiographie, habe "den Weg der Buße gewählt" und sei damit einem inneren Bedürfnis nachgekommen, das die Mehrheit seiner Landsleute augenscheinlich nach wie vor nicht verspüre. Folglich ruft Jakowlew, dessen Darlegungen weder frei von Selbstkritik noch von Selbstmitleid und Selbstlob sind, die russische Gesellschaft dazu auf, sich endlich der sowjetischen Vergangenheit zu stellen. Er greift auf die russische Schicksalsfrage - "Kto winowat?" Wer ist schuld? - zurück und beantwortet sie in einer Gnadenlosigkeit sondergleichen. "Wir selbst sind schuld . . . Wir waren es, die unseresgleichen ausrotteten und erschossen, Nachbarn und Kollegen denunzierten, bei Parteiversammlungen und dergleichen, in Zeitungen und Zeitschriften, Filmen und auf Theaterbühnen die ideologischen ,Scheusale' entlarvten. Und waren wir es nicht, die man in verschiedenen Sitzungen auf die Knie gezwungen hat - zu Schwüren der Loyalität und Reue, zum Ritual unter der Rubrik ,Kritik und Selbstkritik', kurzum: zu kollektivem und organisiertem Denunziantentum? Und heute wohnen wir seelenruhig der Reinwaschung Stalins durch einige Behörden und Massenmedien bei. So kriechen wir tausend Jahre über den zähen Morast, kriegen kaum frische Luft vor Armut, Rechtlosigkeit und Versklavung. Ringsum verspüre ich eine überwältigende Gleichgültigkeit gegenüber allem, was in Rußland geschah."

Dabei hatte es spätestens nach Stalins Tod an Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen nicht gefehlt. So weiß Jakowlew zu berichten, er habe Chruschtschow 1954 in den Fernen Osten des Sowjetreichs begleitet und ihn dort in kleinem Kreis sagen hören: "Ich war Arbeiter, und es gab noch keinen Sozialismus, aber Kartoffeln. Jetzt haben wir den Sozialismus aufgebaut und keine Kartoffeln." Das war zwei Jahre vor dem XX. Parteitag, auf dem Chruschtschow mutig mit der Gewaltherrschaft Stalins abrechnete. Allerdings zog er daraus in reformerischer Hinsicht keine wirklich durchgreifenden Konsequenzen. Nach anfänglichem Tauwetter stellte sich bald wieder rigorose Unterdrückung ein. Dazu Jakowlew: "Unter den Politikern des 20. Jahrhunderts fällt mir keine Persönlichkeit ein, die widersprüchlicher und mit einem dermaßen tragisch gespaltenen Bewußtsein ausgestattet gewesen wäre wie Nikita Chruschtschow." Zu einem ähnlichen Urteil gelangt der Autor freilich auch im Rückblick auf das Wirken Gorbatschows und Jelzins, was er unter Einbeziehung ihrer reformerischen Mitstreiter und damit auch seiner eigenen Person einem "historischen Fehler" zuschreibt: "Auf der Basis des Sowjetsystems, dem in Wirklichkeit ein Staatsfeudalismus zugrunde lag, strebten wir nach einem demokratischen Sozialismus, der auf den Prinzipien der Zivilgesellschaft beruhen sollte. Wegen der Verknöcherung des Bewußtseins haben wir den wahren Charakter des Systems falsch eingeschätzt."

Für Breschnew, den Sowjetführer der sogenannten Stagnationszeit, schrieb Jakowlew als Agitprop-Fachmann zunächst Reden, bevor er wegen "liberaler Positionen", wie er zustimmend westliche Zeitungsberichte zitiert, seinen Posten im ZK verlor und als Botschafter nach Kanada abgeschoben wurde. Nicht weniger als zehn Jahre, von 1973 bis 1983, verbrachte Jakowlew dort und kehrte schließlich mit reformerischen Ideen nach Moskau zurück. Hier sollte er sich, nachdem Gorbatschow im März 1985 an die Macht gekommen war, als eine der treibenden Kräfte in Sachen Perestrojka und Glasnost erweisen, bis es 1991 zum Bruch zwischen beiden kam.

Gorbatschow? Jakowlew spricht ihm ernsthaftes Reformstreben zwar keineswegs ab, beschreibt ihn aber als einen wankelmütigen Mann, auf den man sich nicht habe verlassen können, der Warnungen vor einem Staatsstreich in den Wind geschlagen habe und statt dessen blindlings reaktionären Elementen mit dem damaligen KGB-Chef und Putschistenführer Krjutschkow an der Spitze auf den Leim gegangen sei. Jelzin? Dieser habe zwar beharrlich Reformpositionen vertreten, zugleich aber demokratische Kräfte "im Regen stehen" lassen. Und Putin? "Er ist wie in sich selbst verpuppt, womöglich mit Vorsatz, oder ist das sein Charakterzug? Auch seine Politik hat etwas Doppelschichtiges." Das ist milde ausgedrückt angesichts dessen, was Putin und seine ehemaligen KGB-Genossen von Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu halten scheinen. Allerdings wird Jakowlew am Ende seiner zeitgeschichtlich überaus aufschlußreichen, wenngleich manchmal etwas zu ichbezogenen Erinnerungen noch einmal deutlich. Er sieht eine "normale demokratische Zukunft" für sein Land nicht voraus, dafür aber die "Herrschaftskaste der Staatslakaien" mit dem Ziel am Werk, die Russen in eine "fügsame Herde zurückzuführen". Mit einem Wort, so sein Epilog: Dämmerstimmung.

WERNER ADAM

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Wenn es Russland gut geht, geht es auch Deutschland und Europa gut. Daran muß kräftig gearbeitet werden: auch indem wir Jakowlew lesen und zuhören." (Richard von Weizsäcker)