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Die Neue Frankfurter Schule, hinter der sich eine Gruppe von acht Künstlern verbirgt, die einst die Satirezeitschrift Titanic gründeten, ist eine Institution des Humors, die jeder kennt. Weniger bekannt war bisher jedoch, dass sich sämtliche Hauptvertreter der Neuen Frankfurter Schule nachweislich, nachdrücklich und nachhaltig von allen Ozeanen, Meeren und sonstigen weitläufigen Wasserflächen fern halten: Der Böhme Hans Traxler, der Schwabe F. W. Bernstein und der Oberpfälzer Eckhard Henscheid entstammen Landstrichen, deren Bewohner das Meer bis heute nur von Forschungsberichten und aus…mehr

Produktbeschreibung
Die Neue Frankfurter Schule, hinter der sich eine Gruppe von acht Künstlern verbirgt, die einst die Satirezeitschrift Titanic gründeten, ist eine Institution des Humors, die jeder kennt. Weniger bekannt war bisher jedoch, dass sich sämtliche Hauptvertreter der Neuen Frankfurter Schule nachweislich, nachdrücklich und nachhaltig von allen Ozeanen, Meeren und sonstigen weitläufigen Wasserflächen fern halten: Der Böhme Hans Traxler, der Schwabe F. W. Bernstein und der Oberpfälzer Eckhard Henscheid entstammen Landstrichen, deren Bewohner das Meer bis heute nur von Forschungsberichten und aus Abenteuerromanen kennen. Chlodwig Poth und Peter Knorr, in Wuppertal beziehungsweise Salzburg geboren, ließen sich tief im Binnenland nieder. Robert Gernhardt, F. K. Waechter und Bernd Eilert sind Kinder zwar der Küste, doch verließen alle drei bald ihre feuchte Heimat und suchten ihr Glück dort, wo sie trockene Arbeitsbedingungen sowie die übrigen Erwähnten vorfanden: in Frankfurt am Main, der Stadt, die weiter von jeder Meeresküste entfernt liegt als jede andere europäische Metropole. Und worüber schreiben, was zeichnen diese wasserscheuen Landratten nun seit mittlerweile 50 Jahren? Meere, Meere und nochmals Meere. Dieses Buch versammelt erstmals das facettenreiche maritime OEuvre der Neuen Frankfurter Schule.
Autorenporträt
Klaus C. Zehrer, geb. 1969 in Schwabach (Mittelfranken), studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg und schreibt für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, darunter die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Titanic. Er lebt als freier Autor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.2005

Acht Männer und das Meer
Schwimmen nach Adorno: Das maritime OEuvre der Neuen Frankfurter Schule

Die Neue Frankfurter Schule (NFS) gründete 1979 in Frankfurt am Main die Satirezeitschrift "Titanic". Zu der Gruppe gehörten acht Künstler: F. W. Bernstein, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Peter Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F. K. Waechter. Das alte Haupt der Alten Frankfurter Schule (AFS), Theodor W. Adorno, war damals seit zehn Jahren tot. Das junge Haupt der AFS, Jürgen Habermas, hatte 1971 Frankfurt in Richtung Starnberg verlassen. Dort wurde Habermas Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Eckhard Henscheid veröffentlichte zwei Jahre darauf den ersten Band seiner "Trilogie des laufenden Schwachsinns" und rückte damit das Frankfurter Nordend, dessen Kneipen und den dort herrschenden Diskussionspegel in den intellektuellen Mittelpunkt der Mainmetropole. Hatte die AFS einst tieftraurig und griffig gesagt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen, meinte die NFS nun frech: Aber ein besseres Lachen.

Der Luxusdampfer "Titanic" war im April 1912 untergegangen. Durch den Zeitschriftennamen stellte die NFS sofort und ohne überflüssige Umwege eine Verbindung zum Schiff (die bürgerliche Gesellschaft) und dessen Untergang im Meer (da ist nichts mehr zu machen - an der Reling stehen und noch einmal lachen) her. Das weite Meer ist das Element der NFS, so wie das steile Gebirge das Element der AFS ist. Die AFS verstieg sich in Theorien, die NFS schwamm in Parodien herum. Die NFS hat sich aber auch noch im Detail immer wieder ins Meer vertieft und dem Meer als ihrem Element in Vers, Erzählung und Bild gehuldigt. Klaus Cäsar Zehrer hat das maritime Werk der NFS zusammengestellt. Wir möchten "Da: Das Meer!" nicht missen.

Das könnten wir auch nicht. Denn die Geschichte der deutschen Innerlichkeit reicht vom Meer direkt ins Gebirge. Thomas Mann hat das geahnt, gefühlt, gewußt und uns zur Lehre inszeniert. Im "Zauberberg" verließ der Held Hans Castorp, einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, die nordische Küste und stiefelte zu seinem kranken Vetter hinauf nach Davos. Hans blieb länger als geplant. Thomas Mann schickte ihn dort oben in hohe und heikle ideologische Gefechte, die Hans aber dem Leben nicht näher brachten. Das war gleichsam Hans Castorps AFS-Bildungserlebnis, das war gleichsam sein intellektuell aufregendes 1968 mitten in den Bergen. In der dünnen Luft der Theorie und der Todessehnsucht gedieh kein gesundes Pflänzchen.

Als Hans sah und erkannte, daß er dem Leben nicht mit müden, sondern mit lebhaften Augen entgegensehen sollte, klingelte Mann zur Abfahrt ins Tal. Das war gleichsam Hans Castorps Hinwendung zur NFS: "Wer hat angesichts des Meeres / nicht schon selber tief empfunden: Angesichts des Meers erlebst du / deines Daseins höchste Stunde, / da sich angesichts des Meeres / auch das Herz der Seele weitet / und den Mantel der Gefühle / über die Begriffe breitet . . .", heißt es in Robert Gernhardts Gedicht "Ocean Drive".

Thomas Mann selbst war ein beständiger Bewunderer des Meeres und innerlich ein wahrhafter Küstenbürger. Mit dem Bürgertum aber hat die NFS nichts mehr am Hut. Das Bürgertum war ja auch 1933 untergegangen. Und da standen sie nun seit den siebziger Jahren: acht wackere Männer vor dem Meer. Sie sahen Männer mit Bäuchen und Frauen in Bikinis, so weit das Auge reichte, sie sahen in die Ferne und sahen auch mal ins Nichts, sie sahen den sinnbildlichen Fischen in die treuen Augen und dem Leben auf den allerletzten Grund.

Die Männer fühlten sich - wohl auch vom Bier und vom Wein - gestärkt, sie fühlten sich frei - kein Verblendungszusammenhang an der ganzen Küste -, sie fühlten sich frisch - das Lachen macht ja heiter. Eine Brise pfiff, das Meer rollte vor und zurück, und mancher Küstenbewohner trällerte ein Lied. Und was wollten sie, die acht? "Musik, Sex, Liebe, Mondschein, Meer, Wärme, Brandung, dabei angeknallt sein, alles, einfach alles", heißt es im Romanauszug "Die aufeinandergetürmten Räusche" von Chlodwig Poth. Sah so einfach aus, was Adorno als das Authentische und Nichtidentische gesucht und beschrieben hatte?

Die acht Männer waren nicht zum kritischen Vernichten angerückt. Diese herbe und harte Art der Kritik lag ihnen am sanften Meer ganz fern. Die Zeiten, wo der Intellektuelle auf der Höhe der Theorie stand und mit seinem Schwert die gesellschaftlichen "Nebel" im Tal (Ernst Bloch) zerteilte, waren vorbei, dahin, passé: "Wie? Was? / Ich hör' ein Widerwort? / Der Sport heißt Schwimmen? / Und nicht Mord? / Wie war das noch mal? / Schwimmen? / Moment - ihr seht mich sehr verwirrt . . . / Mein Gott - vielleicht hab' ich geirrt . . . / Doch - Schwimmen könnte stimmen." Schwimmen wohlgemerkt, das hieß eben auch mit den Mitmenschen mitschwimmen - da taucht sie wie ein Seehund auf, die von Hans Castorp gefundene Mitmenschlichkeit - und dabei die Augen offenhalten: Andere tunken - ja, selber untergehen - nein.

Daß das Schwimmen nach Adorno wieder Spaß macht - das haben wir der NFS zu verdanken.

Klaus Cäsar Zehrer (Hrsg.): "Da: Das Meer!". Das maritime OEuvre der Neuen Frankfurter Schule. marebuchverlag, Hamburg 2005. 431 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005

Die Ozean-Phobiker
Endlich klärt ein Buch, warum sich die Neue Frankfurter Schule von allen weitläufigen Wasserflächen fernhält
Streng genommen, das wissen wir spätestens seit dem letzten Jahresende, ist das Meer nicht zum Lachen. Es soll sogar Leute geben, die neuerdings keinen Fuß mehr auf einen Strand setzen. Wie wir erst jetzt erfahren, eint die Zeichner und Autoren der Neuen Frankfurter Schule eine Gemeinsamkeit, die im Licht der jüngsten maritimen Katastrophe nachgerade etwas Ominöses hat: Sie halten sich schon immer „nachdrücklich und nachweislich von allen Ozeanen, Meeren und weitläufigen Wasserflächen fern”. Selbst jene unter ihnen, die an der Küste das Licht der Welt erblickten, fanden nicht eher Ruhe, als bis sie auf dem Trockenen saßen. Nicht zufällig wurde dann ja auch Frankfurt, eine der meerfernsten Städte überhaupt, der Sitz ihrer satirischen Volksbildungsanstalt, und nicht etwa Pellworm, obwohl zunächst einiges dafür zu sprechen schien.
Was aber zeichnen, was aber bedichten diese wasserscheuen Künstler? Angeblich „Meere, Meere, und nochmals Meere”. Ferner Strände und Sonnenuntergänge, Inseln und Insulaner, Küsten und Touristen. Bäder und Schwimmer, Schiffe und Kapitäne, Fische und Angler. Und wie nannten sie, nach dem Schiffbruch von Pardon, ihre zweite, vorläufig endgültige Fachzeitschrift? Titanic. Das alles kann kein Zufall sein. Dachte der Hamburger Verlag, der sich ausschließlich mit Meeresthemen über Wasser hält. Und sammelte sämtliche Belege für den See-Tick der Satire-Saurier, um sie, durchmischt mit Erstveröffentlichungen, in einem strandsandgelben Prachtband zu versammeln.
Tatsächlich wurden daraus über vierhundert Seiten in Wort und Bild, was die These von der feuchten Obsession der Herren F.W. Bernstein, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, Peter Knorr, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F.K. Waechter so wasserdicht erscheinen lässt wie einen isländischen Anglerstiefel. Und es ist gewiss nur Zufall, dass in Bernsteins Karikaturenserie „Von den Untugenden der Küstenbewohner” der Strandwart spricht: „Mehrere Großwogen haben das Vertrauen in die Küstensicherheit nachhaltig und erheblich untergraben.”
Klaus Cäsar Zehrer (Hrsg.)
„Da: Das Meer!” Das maritime Œuvre der Neuen Frankfurter Schule
marebuchverlag, Hamburg 2005. 432 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kristina Maidt-Zinke lässt sich von Klaus Cäsar Zehrers "strandsandgelben Prachtband" gerne davon überzeugen, dass die Neue Frankfurter Schule von einer Meerphobie befallen ist, die sich wiederum in vermehrter Reflexion des Gefürchteten ausdrückt. 400 Seiten sind es geworden, staunt die Rezensentin, nun kommt ihr die These von der "feuchten Obsession" der Herren Eilert, Gernhardt, Henscheid, Poth und anderen so "wasserdicht" vor wie ein "isländischer Anglerstiefel". Zumindest ist sie sich sicher, hier "sämtliche Belege" für den Wassertick der "Satire-Saurier" versammelt zu finden, datrunter auch einige Erstveröffentlichungen.

© Perlentaucher Medien GmbH