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Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein namenloser junger Mann - die Ärzte haben ihm ein Zombie-Syndrom zugesprochen. Aber ist der krank, der weiß oder jene, die nicht wissen? Bei Hufnagel wird der Wahn zur Wahrheit, und die Vernunft verrät sich als Irrsinn.
"Hitler ist nicht verbrannt worden. Eigenhändig habe ich ihn in meinem Vorgarten eingegraben und nähre mich noch immer von des Führers Fleisch, durch das ich mich bohre, ohne Unterlass bemüht, die Seele zu finden." Sätze aus einem Konvolut, die der Ich-Erzähler in Hufnagels Erzählung in der Zeit seiner Therapie notierte. Der ihn…mehr

Produktbeschreibung
Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein namenloser junger Mann - die Ärzte haben ihm ein Zombie-Syndrom zugesprochen. Aber ist der krank, der weiß oder jene, die nicht wissen?
Bei Hufnagel wird der Wahn zur Wahrheit, und die Vernunft verrät sich als Irrsinn.
"Hitler ist nicht verbrannt worden. Eigenhändig habe ich ihn in meinem Vorgarten eingegraben und nähre mich noch immer von des Führers Fleisch, durch das ich mich bohre, ohne Unterlass bemüht, die Seele zu finden." Sätze aus einem Konvolut, die der Ich-Erzähler in Hufnagels Erzählung in der Zeit seiner Therapie notierte. Der ihn behandelnde Arzt stellt als Herausgeber dieser Texte dem Leser anheim, "ob ein krankes Hirn diese Aufzeichnungen diktiert hat (...) oder ob der Patient uns Einblick gewährt in eigene Abgründe." Hufnagels Protagonist, der nach Zeichen einer Seele im hitlerischen Inwendigen, wie in dem seiner Anhänger fahndete, ist am Ende, nach einer Gehirnoperation, ein Beruhigter, der seine Arbeit bei einer Versicherungsgesellschaft zur vollen Zufriedenheit der Firma verrichtet.
Autorenporträt
Karl Günther Hufnagel (1928-2004; Studium der Philosophie, Anthropologie und Psychologie). »Er gehört zum Münchner Urgestein: zwischen 1960 und 1980 hat er Romane veröffentlicht, denen die Kritik Meisterschaft attestierte und den Autor ins Umfeld der Werke von Julien Green und Witold Gombrowicz rückte.« (Ivo Frenzel, NDR, 2002)Anfang der 2000er-Jahre erschienen nacheinander die Trilogie Wahn, dann die Aufzeichnungen eines Flüchtigen. Statt einer Biographie. Hier tauchen Gespenster aus der Vergangenheit auf, u.a. Hitler, ein kleiner hässlicher Mann, ein Gnom, der auf dem Tisch sitzt, die Beine reichen nicht bis zum Boden. Ein Größenwahnsinniger spricht.Im Zentrum der Texte Hufnagels steht der menschliche Wahn, jene geheimnisvolle, gefährliche Kraft, die eine zerstörerische Dynamik in Gang setzt. Hufnagel beleuchtet den dunklen Kontinent Wahn in seinen grotesken Ausformungen: den politischen, den Liebeswahn, den religiösen Wahn, der in Vernichtungsphantasien und Erlösungssehnsucht kulminiert. »Die Welt des Romans ist konsequent hässlich, aber sie funktioniert«, schrieb Lutz Hagestedt zu Geburt eines Dichters im Bürgerkrieg (Trilogie Wahn). »Es herrscht der permanente Bürgerkrieg. Für die Machenschaften der Presse steht das alte Wort 'Frevel', dessen religiöse Konnotation reichlich Nahrung enthält, weil dahinter, ebenso wie hinter dem Reinheitswahn des Terrorismus, ein Menschheitsproblem steht, wenn nicht gar ein metaphysisches Problem.«
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2002

Hitler im Vorgarten
Karl Günther Hufnagel protokolliert eine Reliquien-Obsession

"Soweit ich mich erinnere, habe ich immer auf Hitlers Schulter gesessen." Mit diesem psychopoetischen Programm beginnt der Ich-Erzähler seinen phantasmagorischen Kreuzweg. Aus der Wohnung fremder Leute treibt es ihn durch den Vorgarten auf den Marktplatz einer Kleinstadt direkt in die Psychiatrie, ortlose Stationen einer Obsession der Wiedergängerei. Hitler ist immer dabei. Der Ich-Sucher gräbt wieder und wieder den Leichnam des Diktators aus seinem Vorgarten aus und ein; der Ich-Prophet trägt den verwesten Körper durch die Straßen, zieht ihn an, zieht ihn aus, tränkt und füttert ihn und führt ihn vor: Ecce Homo. Zulauf findet er allerorten mit der stinkenden Reliquie, um schließlich als Ich-Messias in einem Mysterienspiel seine Heilsbotschaft zu verkünden: Nur mit Hitler von Hitler genesen! Den Untoten wird man nur los, wenn man sich durch seine Eingeweide wühlt! Doch die Passion scheitert, der Erleuchtete wird verhöhnt, die Wahrheit unterliegt dem Irrsinn: "Ich habe den richtigen Führer ausgewählt, den einmaligen, der sich nur mir zu erkennen gibt, mir, dem Dichter."

Karl Günther Hufnagel hat mit seinem "Wiedergänger" ein Stück Mischprosa vorgelegt. Die Herausgeberfiktion des Psychiaters bündelt das als Aufzeichnungen eines Patienten deklarierte Konvolut, collagiert aus Dialog und Rhapsodie, Apokalypse und Parusie, Fragment, Wahnrede und These, Drama, Erzählung. Der Mahlstrom von Un- und Unterbewußtsein überspült den stream of consciousness dieser heterogenen Mono-, Dia- und Polyloge. Verstörend, irritierend und aufregend ist diese Hitler-Obsession. Schwerste Lektüre ist sie auch. Das Lesen wird zum Vorgang, und zwar zum schweißtreibenden, den man nicht kommod im Sessel vollzieht: "ein Pfingsten . . . abgeschabt von den Knochen des Hitler". Abgestützt und überhöht wird die literarische und intellektuelle Innovation der Hitler-Ikone durch die zwei gänzlich konventionellen Topoi des Künstler- und Liebesromans. So ist der Dichter der Narr, der als einziger den Heilsweg der Vernunft durch den Irrsinn beschreitet, indem er Kunst aus Leben schafft. Und natürlich ist dies ein männlicher Musensohn, der das Spiel von Liebe und Tod über dem Fleisch der Frau aufführt.

Kafka, Goethe, Hölderlin, Freud und Beckett heideggern durch freie Rhythmen eines grandiosen Wortschwalls und Wörterschwulsts zwischen metaphysischer Verquastheit und somnambuler Hellsicht. Sprache wird sich selbst zum Gegenstand, das Lexikon beugt sich über sich selbst und schreckt nicht vor Platitüden zurück wie "Kunst ist Schwindel". Vor diesem traditionellen Fond hebt sich um so mächtiger der Sog der neuartigen Hitler-Befassung ab.

Hufnagel setzt seine Hitler-Hegemonie dem Freudschen Motto des Durcharbeitens aus und macht daraus literarische Methode: "Ich will mich nähren von Deinem Fleisch und es wieder ausspucken" / "Tinte, Papier und Druckerschwärze werden dein Ende bedeuten" / "Habe ich dich begriffen, magst du zur Hölle fahren!" Erst dann ist Ruhe. Wie auch immer fäkalisch, kannibalisch, koprophil diese Poetik exekutiert wird - von Hitlers Hand bis zu seinen Därmen -, sie ist beeindruckend. Ein Grenzgang, wie dieser Schriftsteller mit seiner Hitler-Krankheit umgeht und wie er von Elektroschock zu Elektroschock die Befassungsgewohnheiten mit der Figur des Führers durchschüttelt.

PETER ROOS

Karl Günther Hufnagel: "Der Wiedergänger". Eine Erzählung. Gemini Verlag, Berlin 2001. 128 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine "schweißtreibende" Lektüre hat Peter Roos absolviert - aber er fand's gut. "Der Wiedergänger" von Karl Günther Hufnagel ist nach seinem Bekunden ganz und gar kein Buch, mit dem man es sich im Sessel nett und gemütlich machen kann. Denn "Hitler ist immer dabei", charakterisiert er das Grundthema des Buches, das einen Psychopathen zum Helden hat, der mit einer stinkenden Hitler-Reliquie durch die Anstalts-Welt zieht und in exorzistischer Manier Hitler mit Hitler bekämpfen will - indem man ihn im kannibalischen Sinne tatsächlich "durcharbeitet". Ummäntelt werde das "Stück Mischprosa" von der Herausgeberfiktion des zuständigen Psychiaters, der die Mono-, Dia- und Polyloge seines Patienten collagiert oder dirigiert, wie Roos erklärt; für den Rezensenten stellt das Textkonvolut jedenfalls eine Mischung aus "metaphysischer Verquastheit und somnambuler Hellsicht" dar, es heideggere wie doll durch den Text, eine Herausforderung, der sich Roos gerne gestellt hat. Das intellektuelle Spiel werde im übrigen, verrät er, durch den ganz konventionellen Topos eines Liebes- und Künstlerromans abgemildert.

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