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Mike Davis gibt einen Überblick über nahezu alle bis heute gezündeten Autobomben und stellt die Entwicklung dieser Waffentechnik in den jeweiligen historischen Kontext. Autobomben sind in der Berichterstattung über den Irak und Afghanistan zu täglichen Ereignissen geworden. Dass die Autobombe eine über 80-jährige Geschichte hat und von ganz unterschiedlichen Akteuren und in verschiedenen Kontexten auf fast allen Kontinenten eingesetzt wurde, ist wenig bekannt. Ihre Geschichte begann am 16. September 1920. Um 12 Uhr mittags explodierten in der New Yorker Wall Street 50 kg Dynamit. Die Bombe war…mehr

Produktbeschreibung
Mike Davis gibt einen Überblick über nahezu alle bis heute gezündeten Autobomben und stellt die Entwicklung dieser Waffentechnik in den jeweiligen historischen Kontext. Autobomben sind in der Berichterstattung über den Irak und Afghanistan zu täglichen Ereignissen geworden. Dass die Autobombe eine über 80-jährige Geschichte hat und von ganz unterschiedlichen Akteuren und in verschiedenen Kontexten auf fast allen Kontinenten eingesetzt wurde, ist wenig bekannt.
Ihre Geschichte begann am 16. September 1920. Um 12 Uhr mittags explodierten in der New Yorker Wall Street 50 kg Dynamit. Die Bombe war in einer Kutsche versteckt, die der italienische Anarchist Mario Buda abgestellt hatte, um die J.P. Morgan Bank zu treffen. 33 Menschen wurden getötet und 400 verletzt, der Sachschaden ging in die Millionen. Diese erste "Autobombe" sollte eine Vergeltungsaktion für die Verhaftung der beiden italienischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti sein, die später unter falschen Vorwürfen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Dass Buda der Täter war, blieb jahrzehntelang unbekannt. Erst recht, dass er sich wenige Jahre nach dem Anschlag der faschistischen Bewegung Mussolinis anschloss.
Autorenporträt
Mike Davis, geboren 1946 in Fontana/Kalifornien, ist einer der bedeutendsten Zeitdiagnostiker der Gegenwart.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2007

Mike Davis über die Autobombe

Der Erste Weltkrieg, der in die neue Epoche industrieller Massenvernichtung eingeführt hatte, lag gerade zwei Jahre zurück, als 1920 eine abermals wegweisende kriegerische Erfindung Fahrt auf die New Yorker Wall Street nahm - in einer Kutsche. An einem Tag im September stellte der italienischstämmige Anarchist Mario Buda sein Pferdefuhrwerk gegenüber der J. P. Morgan Company ab und verschwand in der Masse, die zu jener Zeit aus den Ritzen der Weltbühne kroch. Die Bombe aus gestohlenem Dynamit und Altmetall, die Buda auf dem Karren zurückließ, riss vierzig Menschen in den Tod, der Handel an der Börse wurde für kurze Zeit ausgesetzt.

Budas explosiver Karren war ein Vorläufer der Autobombe, deren mittlerweile umfangreiche Geschichte der amerikanische Sozialhistoriker Mike Davis in seinem jüngsten Buch minutiös nachzeichnet. Gut zwanzig Jahre nach Buda entwickelte die sogenannte Stern-Gang, bestehend aus extremistischen Zionisten, die Autobombe zu einer Waffe der Stadtguerrilla und setzte sie gegen britische Truppen und gegen Palästinenser ein. Es folgte die IRA, die in den siebziger Jahren die Autobombe auf ein industrielles Niveau brachte; die italienische Mafia, die auf die Zerstörung von Kunstschätzen spezialisiert war; Eta in Spanien, die erstmals Anschläge auf "weiche Ziele" verübte; die Hizbullah, die im Libanon der achtziger Jahre die Amerikaner mit Selbstmordattentaten zum Rückzug zwang; schließlich die Terroristen von Al Qaida, deren Autos fliegen konnten.

Die Autobombe, schreibt Davis, sei die "Luftwaffe des kleinen Mannes". Tatsächlich kann sie jeder erwerben: Allein in Amerika werden jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Ammoniumnitrat-Dünger verkauft, der sich bestens zum Bombenbau eignet. Autobomben sind billig: Wissenschaftler der Universität von Pittsburgh haben errechnet, dass Al Qaida für die beiden großen Angriffe auf amerikanische Botschaften in den neunziger Jahren etwa 50 000 Dollar benötigte, während von den Cruise Missiles, die Bill Clinton danach auf ein afghanisches Terroristenlager abfeuern ließ, jede einzelne fast eine Million Dollar kostete. Autobomben sind vergleichsweise leicht zu bauen, Anleitungen dazu finden sich im Internet. Autobomben können eine enorme Zerstörungskraft entfalten: Die Bombe, die 1995 das Alfred-R.-Murrah-Bundesgebäude in Oklahoma City zerstörte (unsere Abbildung), erzeugte ein Erdbeben der Stärke sechs auf der Richterskala.

Insbesondere Amerika habe, so Davis, in den vergangenen Jahren viel Mühen und Geld auf geeignete Verteidigungsstrategien gegen Autobomber verwandt, ohne dass die Zahl der Anschlagsopfer merklich zurückgegangen wäre. Eine Konsequenz daraus könnte sein, sich selbst der Waffen der Gegner zu bedienen. Laut Davis ist das in der Vergangenheit auch passiert. Die CIA, der israelische Mossad und die britischen SAS seien zumindest indirekt an Anschlägen beteiligt gewesen. In einigen Fällen bleibt das Spekulation, in anderen hat Davis dafür zumindest ernstzunehmende Zeugen. Dass einige der Bombenbauer der jüngeren Generation aus Terrorschulen stammen, in denen unter Mitwirkung der CIA und des pakistanischen Geheimdiensts ISI von Mitte der achtziger Jahre an die Mudschaheddin für den Kampf gegen die damaligen russischen Besatzer in Afghanistan ausgebildet wurden, scheint mittlerweile aber erwiesen zu sein.

TIMO FRASCH

Mike Davis: "Eine Geschichte der Autobombe". Aus dem Amerikanischen von Klaus Viehmann. Verlag Assoziation A, Berlin 2007. 227 S., br., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2007

Die Luftwaffe des kleinen Mannes
Weltweiter Siegeszug einer Technologie: Mike Davis erzählt die Geschichte der Autobombe
Mike Davis’ „Eine Geschichte der Autobombe” ist mit Sicherheit das perfekte Buch, um auf Flugreisen seinen Sitznachbarn nachhaltig zu beunruhigen. Der kalifornische Urbanist und Kulturkritiker beschreibt die Geschichte der Terrortaktik, ein Auto oder einen Lastwagen mit Sprengstoff zu beladen und so eine Bombe direkt ins Ziel zu befördern, mit der Nüchternheit eines Ingenieurs und der Detailtreue eines Historikers. Das wirkt auf den ersten Blick wie ein Handbuch für den angehenden Terroristen. Mit einer Vielzahl von Bilddokumenten, Statistiken und Fußnoten versehen, erläutert Davis die Entwicklung und unaufhaltsame Verbreitung der Terrortaktik als eine Strategie, die sich im Spannungsfeld zwischen Weltpolitik und technischem Fortschritt geradezu zwangsläufig etablieren musste. Letztlich ist Mike Davis aber ein Grundlagenwerk der Militärgeschichte gelungen, das längst überfällig war.
Das liest sich dabei keineswegs so technokratisch und nüchtern, wie man es bei so einem Buch befürchten könnte. Immerhin gehört Mike Davis seit seinem Bestsellerdebut „City of Quartz” von 1990 zu jener neuen Generation furios formulierender Sachbuchautoren, die auch komplexe Zusammenhänge mit dem Spannungsbogen eines Thrillers ausbreiten können. Davis’ Schwäche war dabei oft seine Neigung zu apokalyptischen Zukunftsvisionen, die gepaart mit seinem postmarxistischen Grundgestus eine ideologisierbare Hysterie erzeugten, die eher in die Talkshows der Meinungshöker gehört, als in das Werk eines der interessantesten Denker der amerikanischen Linken.
Da war seine finstere Prophezeiung vom Untergang der Stadt Los Angeles in einem geradezu alttestamentarischen Inferno aus Umweltkatastrophen in „Ökologie der Angst” und seine Weltuntergangsstimmung in „Die Vogelgrippe”. Doch immer wenn Mike Davis sich mit der jüngeren Geschichte und den Realitäten unserer Gegenwart befasst, läuft er zur Hochform auf. „City of Quartz” war zwar formal eine Geschichte der Stadt Los Angeles, aber im Kern eine furiose Abrechnung mit dem Wildwestcharakter der freien Marktwirtschaft. In „Die Geburt der Dritten Welt” (im Original mit dem sensationsheischenden Titel „Late Victorian Holocaust” versehen) schuf er eine brillante Verbindung aus meteorologischer Analyse und einer Verdammung des Kolonialismus.
Epochale Revolution
„Eine Geschichte der Autobombe” beginnt mit dem 16. September 1920, als der italienische Anarchist Mario Buda seine Genossen Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti rächen wollte, indem er im New Yorker Finanzviertel einen mit Sprengstoff und Eisenschrott beladenen Pferdewagen nahe der Kreuzung Broad und Wall Street abstellte. Die Explosion tötete 40 Menschen, verletzte 200 weitere und sorgte für wilde Verschwörungstheorien. Bis zum Anschlag auf das Bundesbehördengebäude in Oklahoma City durch die Rechtsradikalen Timothy McVeigh und Terry Nichols am 19. April 1995 sollte dies der schwerste Anschlag auf amerikanischem Boden bleiben. Der wiederum von den Anschlägen des 11. September 2001 übertroffen wurde, die Mike Davis als „Autobombe mit Flügeln” mit zur Geschichte der mobilen Sprengstoffattentate zählt.
Gerade Oklahoma City dient Davis dabei als Beweisführung für die fatale Schlichtheit und enorme Zerstörungskraft der Autobombe, die mit wenigen Mitteln aus jedem beliebigen Fahrzeug und legal erhältlichen Grundstoffen aus der Landwirtschaft wie Kunstdünger und Diesel konstruiert werden kann. Das aber macht die Autobombe zur gleichzeitig wirksamsten, wie auch brutalsten Taktik für den bewaffneten Kampf von unten. Als „Luftwaffe des kleinen Mannes” bezeichnet Davis diese Taktik. Wobei er die Unmöglichkeit, bei einem solchen Anschlag Kollateralschäden zu vermeiden, in Relation zu den zivilen Opfern bei Luftangriffen traditioneller Streitkräfte setzt.
Dieser Vergleich gehört zu den wenigen Stellen, an denen der postmarxistische Davis sich eine klare Meinung erlaubt. Ansonsten referiert er den historischen Verlauf weitgehend mit der gebotenen akademischen Objektivität. Den Durchbruch der Autobombe als Waffe siedelt er im antikolonialistischen Kampf der „Stern Gang” im Palästina der späten Vierzigerjahre an, einer rechtszionistischen Guerilla, die ihre Sprengladungen vorzugsweise in britische Polizeireviere und Militärunterkünfte steuerte.
Anfang der Fünfzigerjahre kopierte der vietnamesische Widerstand die Taktik zunächst gegen die französischen Kolonialherren und dann gegen die amerikanischen Invasoren. Über den Algerienkrieg und die Autobombenanschläge der IRA führt David den Leser schließlich zurück in den Nahen Osten, wo die Autobombe in Verbindung mit dem religiösen Fanatismus von Selbstmordbombern bis heute Angst und Schrecken verbreitet.
Es war in Beirut, als Autobomben erstmals geopolitische Wirkung zeigten. Am 23. Oktober 1983 sprengte die Hisbollah mit zwei Lastwagenbomben die Kaserne der US Marines, in der sich amerikanische Angehörige der MFL-Friedenstruppen befanden. 241 amerikanische Soldaten kamen ums Leben. Daraufhin zog Ronald Reagan die US-Truppen aus dem Libanon ab. Ein Rückzug, der heute noch als erster Sieg des islamistischen Terrors und als unverzeihliche Schwäche gewertet wird. Hätte Reagan damals die Hisbollah bekämpft, wäre der islamistische Terror vielleicht im Keim erstickt worden.
Stattdessen hatte Beirut die Überlegenheit der Autobombe als Waffe bewiesen. Es folgten eine Eskalation und die globale Verbreitung der Autobombe, die auch heute noch zunimmt. Die weltweiten Anschläge der al Qaida, die Selbstmordbomber des Nahostkonfliktes und vor allem die unzähligen Anschläge auf die Besatzungstruppen im Irak haben aus der Autobombe die effektivste und verbreitetste Waffe der asymmetrischen Kriegsführung gemacht.
Als epochale Revolution bezeichnet Davis diese Entwicklung. Und setzt sie in den Kontext der Moderne: „Diese Revolution nimmt die Form einer nahtlosen Verschmelzung von Technologien an: Autobombe plus Handy plus Internet bilden die einzigartige Infrastruktur eines Global-Network-Terrorismus.” Die Versuche, der Taktik Herr zu werden, resümiert er im letzten Kapitel „Die Pforten der Hölle”. Und kommt zum Schluss: Es ist unmöglich.ANDRIAN KREYE
MIKE DAVIS: Eine Geschichte der Autobombe, Assoziation A, Berlin 2007, 232 Seiten, 20,00 Euro.
Enorme Wirkung ohne großen Aufwand: Am 23. Oktober explodiert in London eine Autobombe der IRA Foto: M. Fresco/Getty Images
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nur auf den ersten Blick erschien Rezensentin Ulrike Baureithel eine Geschichte der Autobombe etwas zynisch, auf den zweiten hat Mike Davis sie einmal mehr überzeugt. Mit Spannung hat sie diese Geschichte verfolgt, die ihren Anfang nahm, als der amerikanische Anarchist Mike Boda (Buda) 1920 eine Bombe auf einem Pferdekarren platzierte, um seine hingerichteten Kompagnons Sacco und Vanzetti zu rächen. Weiter geht es mit Fahrradbomben in Vietnam, Kunstdünger in den USA und schließlich zu den Bewegungen des europäischen Terrors, der IRA, Eta und FNLC. Aufschlussreich findet Baureithel auch, was Davis über die Verbindungen der CIA zum pakistanischen Bombernachwuchs recherchiert hat oder was er über die neuen Methoden des Dschihad zu berichten weiß. Kleiner Wehmutstropfen für die Rezensentin: die stellenweise reißerische Schreibe des Autors und das schnelle Lektorat für die deutsche Ausgabe.

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