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Produktdetails
  • Verlag: Gollenstein
  • Seitenzahl: 167
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 350g
  • ISBN-13: 9783935731188
  • ISBN-10: 3935731183
  • Artikelnr.: 10480885
Autorenporträt
Johannes Kühn wurde am 3. Februar 1934 in Bergweiler im Saarland geboren. Als Sohn einer Bergarbeiterfamilie wuchs Kühn mit acht Geschwistern in Hasborn auf, wo er heute noch lebt. Ab 1948 besuchte er die Missionsschule der Steyler Missionare in St. Wendel, die er 1953 aufgrund einer langwierigen Krankheit ohne Abitur verließ. Da die finanziellen Mittel fehlten, den Abschluss auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen, hörte er von 1956 bis 1961 Germanistik als Gasthörer an den Universitäten von Saarbrücken und Freiburg im Breisgau. Daneben besuchte er von 1955 bis 1958 die Schauspielschule in Saarbrücken. Von 1963 bis 1973 arbeitete er als Hilfsarbeiter in der Tiefbaufirma seines Bruders, nebenbei schrieb er Dramen, Gedichte und Märchen. In den folgenden Jahren wanderte Kühn durch seine Heimat und hielt seine Eindrücke in Arbeiter- und Naturgedichten fest. Auszeichnungen: Kunstpreis des Saarlandes (1988), Ehrengabe der Schiller-Stiftung (1991), Horst-Bienek-Lyrikpreis (1995), Christ

ian-Wagner-Preis (1996), Stefan-Andres-Preis (1998), Hermann-Lenz-Preis (2000), Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg (2004).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2002

Schönes Laubwerk, behäng’ mich grün
Voller Unschuld, die alles vermag, erlöst die Lyrik von Johannes Kühn das flache Land aus der Tristesse: „Nie verließ ich den Hügelring”
Wozu gibt es, da es doch keine Bauern mehr gibt, noch Dörfer? Wie Findlinge liegen sie in der Landschaft verstreut, nachdem der große Gletscher, der sie hergebracht hat, geschmolzen ist. Um 1970 existierten in dem Dorf, aus dem ich komme, noch rund vierzig Vollbauern; um 2000 noch zwei. Die großen Dörfer, von zwei- oder dreitausend Einwohnern an aufwärts, haben begonnen sich umzuerfinden, sie sind Unterzentren geworden und stehen im Begriff, sich in neue Kleinststädte zu verwandeln. Elend aber ergeht es denen, deren Bewohnerzahl im Dreistelligen stecken geblieben ist, die keinen Bürgermeister, keinen Pfarrer, keine Schulen mehr haben, keinen Laden, keinen Bäcker, keine Kneipe und vor allem: keine Landwirte. Das flache Land, das den spöttischen Städtern schon immer als verloren galt, ist es erst jetzt wirklich, wo es seinen Zweck, Nahrung für sich und für Alle bereitzustellen, verliert. Viele stammen noch dort-her, aber wen hat es dort gehalten?
Und wenn einer doch bleibt? Wenn jemand nicht weggeht von dort, wo er geboren ist, bis ins hohe Alter, und dort auch stirbt? Man weiß nicht, ob man das Zaudern beklagen oder darin die Beherztheit eines Entschlusses bewundern soll. Die Gegenwart hält für einen solchen Rückzug kein Rollenmodell bereit; wer es tut, nimmt es auf die eigene Kappe und muss es gegen das Befremden der großen wie der kleinen Welt allein behaupten.
Dem Gedichtband „Nie verließ ich den Hügelring” geht eine Porträtfotografie des Autors Johannes Kühn voraus. Ent-standen ist es offenbar auf einem Spaziergang; aber ein Schnappschuss ist es nicht. Das Bildnis des alten Mannes baut sich massiv aus einer schwarzen Anzugjacke heraus auf; ein breites, kantiges Gesicht, das sich um seine große Plastikbrille und seinen Lodenhut nicht weiter bekümmert und sie erst so zu wirkungsvollen Accessoires macht, wendet sich dem Betrachter ruhig entgegen; die Hand hält einen angerauchten Zigarillo. Es ist ein beirrendes Foto, weil sich in ihm das Ländliche und das Geistige kreuzen und in der Façon des Herrenhaften binden: dem physiognomischen Typus des katholischen Pfarrherrn.
Ganz wie ein solcher hat Johannes Kühn unverheiratet im Haus seiner jüngeren Schwester gewohnt. Die kleinen Augen mit ihrem festen Blick sind hinter den Brillengläsern einstweilen undeutbar, auch autoritären Starrsinn könnten sie ausdrücken; und man muss die Gedichte gelesen haben, um zu begreifen, dass stattdessen das Nachwort recht hat, wenn es sagt: „Er betrachtet das Treiben um sich herum wie sonst keiner. Seine Friedfertigkeit, seine Verstehensbereitschaft, seine Geduld beim Beobachten, seine Begeisterung, sein Wissen um die Bedeutung der Anteilnahme, auch der Bescheidenheit, heben seine Äußerungen weit über das hinaus, was als Dorfwirklichkeit gilt.”
Seine Heimat ist Hasborn, nah bei Wittlich in der Eifel gelegen, wie das sächsische Klipphausen die des anderen Dorflyrikers Wulf Kirsten ist. Aber während Kirsten das alte Dorf mit seinen vergehenden Wörtern für vergangenes Gerät fast wie in einem Krampf des Gedächtnisses bewahren will, schreibt Kühn gelassen von dem, was er heute sieht. Er sieht das Ritual des sonntäglichen Fußballspiels, den „Strafstoßschießer” als Helden: „Es ist in dieser Welt, / was einer wertvoll erachtet, / wertvoll, / dem Kind das Glitzerglas im Sand / und ihnen / der Ball im Tornetz / der Gegnermannschaft. / Da wird die Stimme laut / und wirft zum Halse fast hinaus / das Herz.”
Der Wiesenpapst
Er warnt vor dem „Rachsüchtigen”, der ein Huhn, das ihm auf den Schuh pickt, erschießen will, er beklagt den „Störenfried”, der den Spaziergänger mit unnützen Fragen aufhält; von sich weiß er, dass er keinem der vorrätigen dörflichen Charaktere entspricht und darum sich im Gasthaus von den Biertrinkern Spitznamen anhören muss: „Wiesenpapst, / Hagebuttenlümmel / und Teeaff. / Ich weiß, so ein Name kommt nicht / auf mein Grabkreuz / und ertrag es.” Mähdrescher und Panzer gehören heute zum Bild, dicht am Dorf führt die Autobahn vorbei, und die Feldwege sind asphaltiert, aber es macht ihn nicht irre an der Heimat; die Blüte der Apfelbäume wird davon nicht angefochten.
Auch ist das Land, trotz allem, noch immer die Domäne der Tiere, dem Keiler wird ein Gedicht zuteil wie dem Hausschwein, der Maus, dem Hasen, dem Schaf, der Schwalbe und dem Terrier: „Flink, / trotz kleiner Füße, umkreist er seinen Herrn, / frisst sein Hundefutter wie ein Fürst, / beugt sich vor niemand”. Veränderung bedeutet nicht unbedingt Verschlechterung: Sieht die Weide mit ihrem unbeschnittenen Zweighaar, das in den Bach hängt, jetzt nicht viel schmucker aus als früher, wo die Korbmacher sie jährlich gestutzt haben, dass sie gerupft wie eine Gans dastand? Immer wieder staunt man, mit wie einfachen Mitteln es Kühn gelingt, höchst anmutige Gebilde zu erschaffen. Das Gedicht „Abendluft” beginnt: „Hätt ich einen Menschen zu entlassen / aus Zimmergefangenschaft / in milden Frieden, / zu dieser Zeit der Abendluft / öffnete ich die Tür.”
Dem Örtlichen wird in der Sprache nicht mehr eingeräumt, als dass zuweilen eine Endung wegfällt, „ein kindlich Mädchen”, „Sonntagskirch”, „ich er-schreck”. Wo Kühn schreibt, „Wenn es heut noch gälte, / mit Seidenmänteln / und Ordensmützen jemanden toll zu kleiden, / zu toller Zierde”, da weiß man gar nicht, mit welchem „toll” man es zu tun hat – mit dem alten, im Sinn von wahnsinnig, oder der umgangssprachlichen Vokabel spontaner Anerkennung; zuzutrauen wäre seiner Unschuld beides.
Auch Erinnerungen sind einem alten Mann wohlverstattet; und es überrascht nicht, dass man den Junggesellen in Besinnung auf eine verjährte Liebe findet. Dass dabei nicht Wehmut oder gar Reue überhandnimmt, verdanken die Gedichte dem Schwung, mit dem das alte Erlebnis erneuerte Gestalt gewinnt, eingebettet in die Jahreszeiten, die unbeschädigt immer wieder dasselbe Zubehör liefern wie vor vielen Jahren. Ein Mädchenbild schwebt ihm durch den Kopf, „also bin ich auch noch jung”, und: „Berührt dein Faltenrock / in großer Näh mein Knie, / so brenn ich.” „Dem Sommer zu” geht es heute wie damals: „Gute Witterungen sind wieder ins Land gekommen! / Ich hab Lust zu führen den Wanderschritt! / Liebste, mein Weg geht zu dir. // Schönes Laubwerk, / behäng mich grün! / Blumenstrauß, / am Pfad gepflückt, / adle mich, einen Freier, / mit schnellem Schritt.” Hier bricht der Strom des Volkslieds neu hervor. Diesem frischen Anklang ans Alte, dieser plötzlichen Lebendigkeit des Totgeglaubten ist es geschuldet, dass der Band, wie es moderne, reimlose Lyrik sonst selten tut, ganz unmittelbar Beglückung schenkt. Dieser Dichter des Dorfs träumt sich nicht zurück zum Brunnen vor dem Tore, sondern prüft sich, ob ihm die Suppe noch schmeckt, ob er im Wald noch pfeift, „ob er noch Vögel leiden kann / und sich selbst”; und er freut sich auf das Jahr 2000: „Er will es noch erleben / mit etwas Temperament!”
BURKHARD MÜLLER
JOHANNES KÜHN: Nie verließ ich den Hügelring. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Irmgard und Benno Rech. Gollenstein Verlag, Blieskastel 2002. 167 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Burkhard Müller ist von der Schönheit, den diese reimlosen Gedichte vermitteln, ganz gefangen. Er informiert, dass der Autor sein ganzes Leben in einem kleinen Dorf in der Eifel verbracht hat und dort als Sonderling ein Junggesellenleben geführt hat, für das heute kein "Rollenmodell" bereit steht. Müller preist die "einfachen Mittel", mit denen der Lyriker das moderne Leben auf dem Land zu "höchst anmutigen Gebilden" verdichtet und bekennt, dass die Gedichte für ihn "unmittelbar Beglückung" bedeuten. Dass Kühn nicht der Vergangenheit nachtrauert, sondern auch Veränderungen anerkennt, gefällt dem Rezensenten. Dabei bemerkt er mit Freude, dass mitunter ein Volksliedton in die moderne Lyrik zurückkehrt, den er als frischen "Anklang ans Alte" begrüßt.

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