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Let me entertain you Der Earl of Rochester (1647 bis 1677) war einer jener Menschen, die sehnsuchtsvolle Phantasien von längst vergangenen Zeiten in uns wecken. Er war gerade 13 Jahre alt, als England 1660 den puritanischen Alptraum beendete und mit Charles II. zur Monarchie zurückkehrte. Da sein Vater den König ins Exil begleitet hatte, nahm Charles den kleinen John unter seine Fittiche, und das bedeutete: Party, bis der Arzt kommt. Nach den elf Jahren der Cromwell-Herrschaft gab es einen enormen Nachholbedarf an den schönen Dingen des Lebens. An dem liederlichsten Königshof, den England je…mehr

Produktbeschreibung
Let me entertain you
Der Earl of Rochester (1647 bis 1677) war einer jener Menschen, die sehnsuchtsvolle Phantasien von längst vergangenen Zeiten in uns wecken. Er war gerade 13 Jahre alt, als England 1660 den puritanischen Alptraum beendete und mit Charles II. zur Monarchie zurückkehrte. Da sein Vater den König ins Exil begleitet hatte, nahm Charles den kleinen John unter seine Fittiche, und das bedeutete: Party, bis der Arzt kommt. Nach den elf Jahren der Cromwell-Herrschaft gab es einen enormen Nachholbedarf an den schönen Dingen des Lebens. An dem liederlichsten Königshof, den England je zu finanzieren hatte, entfaltete Rochester sein Talent als charmanter Unhold und unermüdlicher Erzähler, und seine Balladen und Spottverse wurden schnell legendär. Wenn er rezitiert: "Gott segne den König, der gnädig ist, keiner glaubt ihm, was er verspricht, nie sagt er etwas Dämliches und Kluges tut er nicht.", applaudiert selbst der König.
Am besten stellen wir uns Rochester als einen nur selten nüchternen Gentleman vor, der frohgemut sämtliche Karrierechancen über Bord warf, das Theater über alles liebte und sich ständig verkleidete, in einem idyllischen Waldschlösschen seltsame Orgien feierte und Anfang Dreißig an der Syphilis starb. In bester Mantel-und-Degen-Manier entführte er zweimal (!) mit sechsspännigen Kutschen eine reiche Erbin, die ihn dann schließlich heiratete. Er hatte unzählige Affären mit Männern und Frauen und zeichnete sich durch eine hektische Energie und Spontanität aus, die sich durch mögliche Folgen nicht im geringsten beirren lässt. Am Ende seines Lebens erwischte ihn die Kirche dann doch, er bereute dramatisch seine Ausschweifungen und erlangte neuen Ruhm als verlorene Seele, die den Weg zurück gefunden hat.
Seine Gedichte und Briefe spiegeln die Widersprüchlichkeit seines Lebens: Er spottet über Treue und über Treulosigkeit, er feiert und verachtet die körperlichen Genüsse, besingt die Schönheit der Frauen und tritt sie in den Schmutz ("Du liebst ein Weib? Welch Eselei!") und schreibt mit der gleichen Selbstverständlichkeit aus der Sicht einer verliebten jungen Unschuld wie eines frustrierten alten Wüstlings. Die deutschen Leser können mit dieser Werkauswahl einen Mensch und Autoren kennen lernen, der in den angelsächsischen Ländern längst zu den Klassikern gehört.

Christine Wunnicke (Jg. 1966), Herausgeberin und Übersetzerin dieser Textauswahl, ist durch ihren dritten Roman "Die Kunst der Bestimmung" (Kindler 2002) als Kennerin des barocken England ausgewiesen. In ihrer Sprache ist Rochester auch für den deutschen Leser ein unverwechselbares Erlebnis. Die Übersetzung wurde durch den Deutschen Übersetzerfonds e.V. gefördert.
Autorenporträt
Christine Wunnicke wurde 1966 in München geboren und wuchs dort auf. Sie studierte Linguistik, Altgermanistik und Psychologie in Berlin und Glasgow, Seit 1991 arbeitet sie als freie Autorin für verschiedene Hörfunktsender. 1998 erschien beim Kanus Verlag ihr vielbeachteter erster Roman "Fortescues Fabrik". Für "Jatlag" erhielt sie 1999 das Literaturstipendium der Stadt München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2005

Wüstling mit scharfer Feder
Zyniker von Königs Gnaden: Die Gedichte des Earl of Rochester

Er war schon zu Lebzeiten eine legendäre Figur: unbestritten der Erste unter dem mob of gentlemen who wrote with ease, der Clique (oder Rotte) feiner Herren am Hof von Charles II., die das Dichten nebenher mit aristokratischer Eleganz und Nonchalance betrieben - John Wilmot, Earl of Rochester; für seine Epoche der Inbegriff des adeligen Wüstlings, für die Nachwelt ein Mythos und einer der markantesten Dichter englischer Zunge. Seine Vita scheint auf ihre Weise das historische Wechselbad Englands zwischen Bürgerkrieg und Restauration nachzuvollziehen. Als Sohn einer strengen Puritanerin und eines royalistischen Abenteurers wurde er 1646 auf der Durchreise seines Vaters zu einem Pariser Duell gezeugt - nach dieser häuslichen Heldentat ließ sich der Ehemann daheim nicht mehr blicken. Die fromme Erziehung der Mutter kam offenbar nicht gegen die väterlichen Gene an. Beim Studium in Oxford wurde John Wilmot von einem seiner Dozenten in die Sünden dieser Welt eingeweiht, denen er zeitlebens verbunden blieb: Zechgelage mit Gleichgesinnten und venerische Ergötzungen.

Es war eine angemessene Vorbereitung auf die neue Zeit, als der "lustige Monarch", soeben aus dem französischen Exil zurückgekehrt, höchstpersönlich den Standard für die allgemeine Lockerung der Sitten nach dem strengen Cromwell-Regime setzte. Doch zunächst gab es für den jungen Tunichtgut ein Bildungserlebnis der besseren Art. Eine mehrjährige Kavalierstour durch Frankreich und Italien machte aus dem verlotterten Studenten einen umfassend kultivierten Weltmann. Nach seiner Rückkehr wurde das ebenso geistreiche wie unmoralische Milieu des neuen Hofes rasch sein ureigenes Element. Der König selbst fand seinen Witz und seine Gesellschaft unwiderstehlich und ließ sich von ihm die größten Unverschämtheiten ins Stammbuch schreiben; darunter jenes berühmte Epigramm, das dem Monarchen bescheinigte, noch nie etwas Dummes gesagt und etwas Gescheites getan zu haben. Charles erwiderte mit königlicher Zungenfertigkeit: "Meine Worte gehen auf mein Konto, meine Taten auf das meiner Minister." Ein längeres Gedicht befaßt sich in denkbar anstößigster Manier mit dem geringen politischen und dem gewaltigen erotischen Ehrgeiz des Herrschers: "Sein Szepter ist nicht länger als sein Schwanz. / Dieselbe Schlampe darf mit beidem spielen ..."

Rochesters Gedichte, meist erst postum gedruckt, variantenreich und manchmal mit nicht ganz eindeutiger Zuschreibung überliefert, feiern und schmähen die Frauen- und Männerliebe gleichermaßen; dabei scheren sie sich weder um Schicklichkeit noch um das, was uns Heutigen als sexualpolitisch korrekt gilt. "Du liebst ein Weib? Welch Eselei! / Passion der abgeschmackten Laffen! / Als ob das Glück gegründet sei / aufs dümmste Ding, das Gott geschaffen!" So beginnt eines seiner blasphemischen Liebeslieder, und es endet mit den Worten: "Gebt mir Gesundheit, Freude, Wein, / und um Gott Amor zu beschwören, / ruf ich den Pagen süß und fein, / der's besser kann als vierzig Gören."

Solche flotten Verse mögen einen kleinen Verlag für Homoerotika bewogen haben, die literarische Kostbarkeit einer zweisprachigen Rochester-Auswahl zu vertreiben, und für diese mutige Tat gebührt ihm Dank. Doch den weiblichen Teil der Schöpfung hat der Dichter weder im Leben noch im Werk je vernachlässigt. Die Liebe seines Lebens war Elizabeth Malet, die bildschöne Erbin eines großen Vermögens, die der junge Earl gleich zweimal entführte und für die er einige Zeit im Tower saß; zu ihr, der Mutter seiner Kinder, kehrte er immer wieder von seinen Eskapaden zurück. Eine weitere Leidenschaft galt dem Theater und den Schauspielerinnen. Die zunächst eher mittelmäßige Elizabeth Barry wurde dank seines ausdauernden Einsatzes zur größten Charakterdarstellerin der Epoche und zur kapriziösesten seiner Mätressen. In seinen Liedern wünscht er sich bald Ewigkeit in den Armen einer Geliebten, bald schwört er, seine Bettgenossinnen so lange zu wechseln, bis ihn die Würmer fressen. Sogar in der berüchtigten Sexualfarce "Sodom", deren pornographische Brillanz stark für Rochesters Autorschaft spricht, herrscht Ausgewogenheit zwischen dem wüsten homo- und heterosexuellen Treiben.

Rochesters misogyne Ausfälle sind satirisch motiviert: Seine längeren Verssatiren können sich nicht genug daran tun, höhnische und nicht selten degoutante Porträts von allerlei Liebesnarren aneinanderzureihen. Sexuelle und gesellschaftliche Absurdität erweisen sich als eng verwandt, ob nun der Schauplatz der modische St. James's Park ist oder das von der feinen Gesellschaft frequentierte "Kurbad" Tunbridge Wells. Indem er seiner Ära die Rolle des virtuosen Wüstlings oder rake vorlebt, steht Rochester nicht nur im Zentrum des permissiven Gemenges, sondern auch als skeptischer Beobachter gleichsam neben sich.

Leidenschaftlicher Liebhaber und Sexualzyniker, Genußmensch und von der schwarzen Galle Infizierter, Kriegsheld und Feigling, Ungläubiger und auf dem Totenbett Bekehrter - auch sein Leben scheint in lauter disparate Rollen zu zerfallen. Merkwürdig prominent ist in seiner "Liebesdichtung" das Thema der Impotenz. Aus der klassischen Literatur (Horaz, Ovid, Petron, Martial) ist das Versagen im vitalsten Moment als ironische Antiklimax des Liebesdramas bekannt - bei Rochester wird es zum Fluchtpunkt einer dionysischen Selbstdarstellung, die auf den Syphilitikertod im Alter von dreiunddreißig Jahren zusteuert. In seinem Gedicht "Der invalide Wüstling" sieht sich der Sprecher als Veteran des Liebeskrieges aus einer imaginierten Zukunft der Impotenz Rückblick auf seine Heldentaten bei Raufhändeln und Bordellorgien halten. Die eigene Gegenwart wird hier ihres illusorischen Charakters überführt, und der Autor erscheint als Subjekt und Objekt seiner Satire.

"Wir preisen laut Vernunft - vergebens: /

Das Menschsein ist die Krankheit unsres Lebens" heißt es am Ende der Chronik von Tunbridge Wells. In jener Blütezeit der englischen Satire an der Schwelle der Aufklärung ist die Kluft zwischen dem lauthasl verkündeten Vernunftprinzip und dem Realverhalten des angeblich mündigen Bürgers ein unerschöpfliches Thema und die Liebesposse seine beste Illustration. Rochesters Witz reflektiert den Schmerz eines epochalen Glaubensverlusts: Der Glaube an Gott, an das königliche Gottesgnadentum und an die Idealität der Liebe wird von diesem antimetaphysischen Erkenntnisschock gleichermaßen gebeutelt. Der Zyniker Rochester ist eine Maske des Kynikers, der in einem seiner berühmten Texte die tierische Existenz über die menschliche stellt. Das (leider nicht übersetzte) Gedicht "Upon Nothing" feiert als Unglaubensbekenntnis des Dichters das Nichts, dem sich sein Werk verwandt weiß, und geißelt zugleich die Herrschaft des Nichtigen in der eigenen Zeit.

Die erste deutsche Rochester-Ausgabe wurde von der Übersetzerin Christine Wunnicke kompetent und liebevoll gestaltet. Sie überträgt die Originale witzig und mit gebotener Deftigkeit, trifft den liedhaften Fluß der kürzeren Stücke ebenso geschickt wie den mehr als lockeren Gesprächston und die burlesken Stilfarben der Verssatiren. Gemessen an der Schwierigkeit, eine lange Folge englischer Verspaare im Zeilenstil in ein geschmeidiges Deutsch zu bringen, bedeutet es keine übersetzerische Havarie, daß gelegentlich ein Vers etwas lahmt; so etwas kann sogar in den Vorlagen passieren. Die Ergänzung der Gedichte durch eine Briefauswahl, ein Vorwort, nützliche Sacherklärungen und eine Bildergalerie der dramatis personae unterstreicht die Leserfreundlichkeit des Unternehmens. Darf man da noch mäkeln? Hinter vorgehaltener Hand: Die Einleitung sagt viel über das Leben, aber zuwenig über das Werk des Autors; und der Titel "Der beschädigte Wüstling" liest sich seltsam kurios. Dieser Wüstling ist kriegsversehrt - und nicht nur als Opfer des sattsam bekannten, alle Epochen übergreifenden Liebeskrieges.

John Wilmot, Earl of Rochester: "Der beschädigte Wüstling". Satiren, Lieder und Briefe. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Christine Wunnicke. MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 2005. 192 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2005

Ein Tropf kommt mit Verderbtheit nicht zurecht
Ein Dichter ist zu entdecken: Vom säuischen Vergnügen des John Wilmot in der Restauration
Erlösung ist furchtbar. John Wilmot, der zweite Earl of Rochester, hat sie gemieden, solange er noch bei Kräften war. Zwar lud er den schottischen Theologen Gilbert Burnet an sein Krankenbett und sprach mit ihm über Glauben, Atheismus und Moral, aber er ließ sich nicht umstimmen. Wut, nicht Reue, erfüllte ihn, als er London im April 1680 zum letzten Mal verließ. Er schwor, alle Beweise und alle Gehässigkeit gegen die offenbarten Wahrheiten aufzubringen, um Wohlanständigkeit und Frömmigkeit, die Religion und den Herrn herunterzumachen. Mit seiner Gesundheit schien es besser zu werden. Daher unternahm er eine Spritztour nach Enmore in Somerset. Der rasche Ritt über holprige Wege gab ihm den Rest. Ein Geschwür in seiner Harnblase brach auf, Eiter floss. Man brachte ihn auf seinen Landsitz, nach Woodstock Park, zurück, wo er auf der Türschwelle kollabierte. Er war 33, ein Libertin von Ruf und sollte sich nicht mehr erholen.
Seine Mutter, eine 66-jährige Puritanerin, die er jahrelang ferngehalten hatte, eilte herbei und sprach von der Hölle. Geistliche begleiteten den Todeskampf des Syphilitikers mit Gebet und Bußpredigt. Prophetenworte über die Passion Christi, Jesaja 53 - „Fürwahr er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen” - erfüllten den Dahinsiechenden mit Reue. Ihn berührte, wie Burnet bezeugte, die Hand des Herrn, er empfing die Sakramente und überredete seine Frau, mit der er sich erst vor kurzem wieder versöhnt hatte, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren.
In fünf Jahren nie nüchtern
Freunde aus vitaleren Tagen hätten Wilmot den „melancholischen Wahnsinn” gern erspart. Er schwankte, von der Krankheit zerfressen und ruiniert, zwischen Verwirrung, Zerknirschung und Enthusiasmus, bis er am 26. Juli 1680 starb. Die Geschichte seiner Umkehr, die Burnet auf Rochesters Wunsch aufschrieb und veröffentlichte, diente bigotten Europäern gut 200 Jahre zur Erbauung. Zu gern wüsste man, wie John Wilmot, wäre er genesen, die eigene Bekehrung und die folgende Propaganda kommentiert hätte. Er war zu ehrlich, um denen zu trauen, die Moral predigen, zu arrogant, um Schwächen durchgehen zu lassen, er war zu sehr Spötter, um dem sterbenden Wilmot und dem Gezerre um seine Seele ein gutes Zeugnis auszustellen. Vier Jahre zuvor hatte er in einem Gedicht an den Postjungen gefragt: Du Hurensohn, verdammt! Sag, auf die Schnelle, / wie komme ich am besten in die Hölle? Die Antwort fiel so knapp wie wahrheitsgemäß aus: Mein Herr, / Der schnellste Weg führt über Rochester.
Der reuige Sünder war die letzte Rolle dieses kurzen, manisch geführten Lebens. Wilmot spielte sie so formvollendet und übertrieben wie all die anderen, die er gewählt hatte, um dem Nichts zu entkommen, dem eines seiner schönsten Gedichte gewidmet ist: Nothing, thou Elder Brother even to Shade / Thou hadst a being ere the world was made / And (well fixt) art alone of ending not afraid. Warum wird dieser Freigeist so wenig zitiert? Für Voltaire- und Goethe-Forscher ist er eine Fußnote. Graham Greene hat 1934 eine Biografie über den Wüstling des englischen Hochbarock vollendet, die erst vierzig Jahre später einen Verleger fand. 2004 spielte Johnny Depp in „The Libertine” den Earl of Rochester, nichtsdestotrotz blieb Wilmot in Deutschland weitgehend unbekannt. Dank Christine Wunnicke kann sich das ändern. Sie hat Wilmots Verse in ein sehr heutiges, schmiegsames Deutsch übersetzt, dabei den derben Ton und den schnöselhaften Witz ebenso getroffen wie das liederliche Leiern oder die Ziererei. In einem kleinen Hamburger Verlag hat sie nun eine Auswahl der Satiren, Lieder und Briefe veröffentlicht, ein mitreißendes Vorwort geschrieben und einen knappen Kommentar verfasst. Die zweisprachige Leseausgabe enthält alles Nötige, ohne durch gelehrten Bombast abzuschrecken. Hier ist ein Dichter zu entdecken. Jeder Liebhaber intelligenter Verse wird sich nach kurzem Blättern fragen, wie ihm dieser Minnesänger des Lasters bisher entgehen konnte, dessen Leben Stoff genug für einen Novellenkranz bietet. Und nur als Teil seines Lebens ist Wilmots Dichtung zu verstehen.
Den Wonnen der Restauration hat sich der Sohn eines royalistischen Helden und einer Puritanerin vorbehaltlos hingegeben. Er war dreizehn und studierte in Oxford, als die Nachricht von der Rückkehr Charles II. England in einen Freudentaumel versetzte. Es begann eine „aufrecht versoffene und verhurte Zeit”. Wilmot war mit vierzehn Alkoholiker, nach einer Kavalierstour kam er an den Hof und reüssierte rasch. Er konnte trinken - fünf Jahre lang soll er keinen Augenblick nüchtern gewesen sein, welche Jahre dies waren, ist allerdings umstritten. Er war schlank, hochgewachsen, ein schöner Mann und besaß anfangs die seltene Gabe, erröten zu können. Der König und die Merry Gang, die nichts so fürchtete wie Langeweile, mochten ihn. Dank seiner überlegenen Intelligenz war er immer für einen Streich gut, ein Avantgardist des Verruchten. Denn mit dem Laster paart sich Dummheit schlecht: / Ein Tropf kommt mit Verderbtheit nicht zurecht.
Da die hübsche, vielfach umworbene Elizabeth Malet ihn hätte zurückweisen können, entführte er sie kurzerhand, mit Anstandsdamen und im Sechsspänner. Das brachte ihm drei Wochen Tower ein, zwei Jahre später nahm er sie zur Frau. Sein Liebesleben stand unter dem Zeichen der Abwechslung, der ständigen Steigerung der Reize. Er verkehrte mit den Damen vom Hof wie mit den Londoner Huren, er hatte eine Affäre mit der Schauspielerin Elizabeth Barry, die ihn die Eifersucht lehrte, wie mit seinem Freund Henry Savile, dem er später einen geliebten Pagen vorbeischickte. Als er 22 war, machte sich die Syphilis bemerkbar. Dagegen half nichts: nicht Abführmittel noch Aderlass, nicht Quecksilber in rauen Mengen.
Die Dichtung scheint für Wilmot ein weiteres Vergnügungsmittel gewesen zu sein. Vor allem diente sie dem geselligen Verkehr, zur Bloßstellung von Feinden wie zur Unterhaltung der Gefährten. Ihre größten Qualitäten sind jene, die man auch an einem Gesprächspartner schätzt: Konventionalität in der Form, Deutlichkeit im Ausdruck, gepaart mit überraschenden Wendungen und Offenheit für Erwiderung oder Fortsetzung. Diese Verse sollen die Runde machen. „Signor Dildo” etwa, ein Loblied auf das Hilfsmittel „von italienischem Adel”, ist so mechanisch gereimt, dass man gar nicht anders kann, als weiterzudichten: Er scheint zunächst kein Herr von Gewicht, /sein Ledermantel beeindruckt uns nicht, / doch seine Künste haben Niveau - / kniet hin und betet zu Signor Dildo! Es wird erzählt, dass Wilmot diese Satire dem König aushändigen wollte, ihm aber aus Versehen eine auf den Monarchen selbst übergab: Du armer Fürst! Dein Schwanz wie Deine Schranzen, / sie lassen dich nach ihrer Pfeife tanzen. Lästerliche Bemerkungen über seine Regierung hätte Charles II. sich gewiss gefallen lassen, allein da Rochester auch seine Manneskraft bezweifelte, musste er den Hof für eine Weile meiden.
Es geht drastisch zu in diesen Gedichten, die Welt besteht aus Lüge, Gier und Geilheit. Aber die derbe Sprache, kombiniert mit gelehrten Anspielungen, macht nur den halben Reiz aus. Etwas tobt in dieser Lyrik, die so glatt und konventionell erscheint. Unter der gefälligen Oberfläche, hinter den rasch absprechenden Urteilen, ist eine Unsicherheit spürbar, ein Wissen um Vergeblichkeit, um die nicht zu brechende Herrschaft des Nichts. Nur Liebe, Sex und Poesie versprechen Augenblicke der Fülle. Aber auch hier läuft vieles schief.
Für immer berauscht
Da ist die Geliebte, die sich im St. James Park drei Kerlen hingibt, die keines Blickes, geschweige denn einer Berührung wert sind. Sie wird ob ihrer Anspruchslosigkeit verflucht: Wenn Hasenfüße nicht mehr tricksen, / Huren nicht schminken, Jungs nicht wichsen, / und wenn das Jesuitenheer / nimmt Abschied vom Analverkehr, / die Filzlaus, göttlich angehaucht, / beseligt in den Himmel kraucht, / wenn Ärzte bau’n auf Jesus Christ, / wenn Trotz nicht mehr in Mode ist /- . . . Fürs erste reicht es, ihr die Ehe an den Hals zu wünschen.
Da ist die Unzuverlässigkeit der Manneskraft, die den Dichter zwingt, weise zuzuschauen, wo er sonst aktiv war. Dabei scheint er auf Vernunft wenig zu geben. Sein berühmtestes Gedicht ist eine „Satire gegen die Vernunft und den Menschen”. Sie breitet die diesseitige Philosophie aus, die Wilmot sich angelesen hat. Vernunft soll den Sinnen an die Seite treten und den Gelüsten dienen, der Wille muss die Begierde stärken.
Ganz Aristokrat hat sich Wilmot dem Vergnügen, dem Rausch und der Pose, dem Witz und dem Reiz verschrieben, und kämpft doch gegen deren Flüchtigkeit, als könne und wolle er das Vorübergehende, Endliche des Daseins nicht akzeptieren. Er wird grob, auch brutal, um nichts zu verpassen, keiner falschen Tröstung aufzusitzen - und kann doch nur im Vers den Verfall aufhalten, die Zeit stillstellen, seine Vitalität zurückgewinnen.
An seinem Totenbett stand auch der geliebte, dem Freund Savile einst empfohlene Page. Er erbte die Garderobe und persönliche Wertgegenstände seines Herrn. Die puritanische Mutter war derweil damit beschäftigt, Wilmots Gedichte zu verbrennen. Dafür schmort sie im Himmel.
JENS BISKY
JOHN WILMOT, EARL OF ROCHESTER: Der beschädigte Wüstling. Satiren, Lieder und Briefe. Herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Christine Wunnicke. MännerscharmSkript Verlag, Hamburg 2005. 192 Seiten, 18 Euro.
Menschen haben vernunftlosen Tieren nichts voraus: John Wilmot (1647-1680) krönt einen Affen mit dem Lorbeerkranz.
Foto: Bettmann/Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit dieser zweisprachigen Ausgabe einer Auswahl aus den Gedichten, Satiren und Briefen von John Wilmot ist ein "Dichter zu entdecken", schwärmt ein vollkommen begeisterter Jens Bisky. Freunde "intelligenter Verse" werden sich wundern, wie ihnen dieser "Minnesänger des Lasters", der 1680 in London 33-jährig an der Syphilis starb, "bisher entgehen konnte", versichert der Rezensent, der meint, dass die Werke Wilmots nur aus seinem überaus ausschweifenden und lasterhaften Leben heraus verständlich werden. Bisky preist die Übersetzungen von Christine Wunnicke, in deren "schmiegsamem Deutsch" er den "derben Ton" des englischen Schriftstellers genauso gefunden hat wie den "schnöselhaften Witz" oder ein "liederliches Leiern". Außerdem habe die Übersetzerin ein "mitreißendes Vorwort" mitgeliefert, das dem hierzulande viel zu unbekannten Wilmot zu Ruhm verhelfen könnte, wie der Rezensent hofft. Diese Ausgabe "enthält das Nötigste" zu Wilmot, ohne dass sie mit allzu viel "gelehrtem Bombast" aufwartet, lobt der begeisterte Bisky weiter, der neben der durchaus konventionellen Form und dem deutlichen "Ausdruck" den "überraschenden Witz" dieser Verse schätzt und der hinter all der Liederlichkeit das "Wissen" des Lyrikers aus dem englischen Hochbarock um die unüberwindbare "Herrschaft des Nichts" herausgelesen hat.

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