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Kaum ein anderer Wissenschaftler, Schriftsteller und Gelehrter des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts stellt für das Denken und Handeln zu Beginn des dritten Jahrtausends eine so faszinierende Herausforderung dar wie Alexander von Humboldt, der jüngere der beiden Humboldt-Brüder. Dies mag erklären, warum der von seinen Zeitgenossen noch so bewunderte Naturwissenschaftler und Naturphilosoph, Kosmopolit und Kulturtheoretiker, kritische Intellektuelle und königliche Kammerherr nach langen Jahrzehnten des Vergessens der Öffentlichkeit wieder vertrauter geworden ist.
Mit Alexander von Humboldt
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Produktbeschreibung
Kaum ein anderer Wissenschaftler, Schriftsteller und Gelehrter des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts stellt für das Denken und Handeln zu Beginn des dritten Jahrtausends eine so faszinierende Herausforderung dar wie Alexander von Humboldt, der jüngere der beiden Humboldt-Brüder. Dies mag erklären, warum der von seinen Zeitgenossen noch so bewunderte Naturwissenschaftler und Naturphilosoph, Kosmopolit und Kulturtheoretiker, kritische Intellektuelle und königliche Kammerherr nach langen Jahrzehnten des Vergessens der Öffentlichkeit wieder vertrauter geworden ist.

Mit Alexander von Humboldt hat an der Wende vom 18. zum 19. Jahr hundert eine Entprovinzialisierung des deutschen Denkens aus der Erfahrung außereuropäischer Wirklichkeiten stattgefunden. Im Kern des Humboldtschen Weltbewußtseins stand nicht die Prosperität Europas oder des je eigenen Vaterlands, sondern die des gesamten Planeten.

Zweifellos war Humboldt dem Projekt der europäischen Moderne verpflichtet, ging aber an entscheidenden Stellen über dieses hinaus. Sein Vertrauen auf ein künftig sich einstellendes Gleichgewicht zwischen den Kontinenten und Nationen implizierte keine einseitige, sondern eine multipolare Entwicklung, die zu einer neuen, gerechteren Weltordnung führen sollte. Diese neue Welt-Ordnung, dieser neue Kosmos war für Humboldt ohne ein Zusammenwirken verschiedenster Faktoren, ohne ein Ineinandergreifen verschiedener Kulturen, ohne eine Einbindung des Menschen in die Kräfte der Natur nicht vorstellbar.

So wie die Humboldtsche Wissenschaft (die der Autor im ersten Teil des Buches betrachtet) in einem transdisziplinären, interkulturellen Weltbewußtsein fundiert ist, bündelt die Humboldtsche Schreibweise (der sich Ette im zweiten Teil widmet) Wissenschaft und Literatur, Empirie und Experiment, Naturforschung und Naturphilosophie, Weltoffenheit und ästhetischen Genuß zum spezifischen Typus der Humboldtschen Weltbeschreibung. Sie ist und will mehr als Naturphilosophie, mehr als Philosophie überhaupt: Ihr kommt es im Sinne eines eigenen Projekts der Moderne darauf an, die Welt zu verändern.

Humboldts Denken beeinflußt und begleitet die Entwicklung der europäischen Moderne und hält ihr, nicht selten mit außereuropäischer Akzentuierung, den kosmopolitischen Spiegel vor. Sein Denken enthält die Widersprüche der Moderne, aber auch den Widerspruch gegen eine allein an Europa ausgerichtete Moderne.

Inhalt:
Vorwort vor dem 14. September 2001

Erster Ideenkreis: Wandernde Netze
Wissenschaftsverständnis und Weltbewußtsein

Annäherung: Weltethos - ein unvollendbares Projekt?
1. Visionen der Moderne(n)
2. Eine Wissenschaft als netzartig verschlungenes Gewebe
3. Ein Weltbürger in Potsdam
4. Der Kosmos im Kopf
5. Weltbürgertum zwischen Chimborazo und Magellanstraße
6. Humboldt und die Entstehung eines neuen Kosmopolitismus
7. Die Netze eines wissenschaftlichen Kosmopoliten
8. Kosmopolitik als Bewußtseinspolitik aus weltweitem Vergleich
9. Welthandel, Weltgeschichte, Weltanschauung, Weltbewußtsein
10. Im Pflanzenreich des Weltbewußtseins
11. Die Welt ist Klang
12. Ein Weltethos der wandernden Netze

Zweiter Ideenkreis: Vernetzte Wanderungen
Alexander von Humboldts Reisewerk

Annäherung: Wie läßt sich ein Land (be)schreiben?
13. Kartennetz und Textgewebe
14. Weltgeist versus Weltbewußtsein
15. Globalisierte Wissenschaft
16. Wie läßt sich eine Reise (be)schreiben?
17. Netzförmige Verschlingungen eines verdoppelten Stromsystems
18. Euphorie der Wissenschaft - das Humboldtsche Höhlengleichnis (I)
19. Aporie der Wissenschaft - das Humboldtsche Höhlengleichnis (II)
20. Was Literatur mit ökologischem Denken zu tun hat
21. Bilder im Kopf, Bilder im Text und Bildtexte
22. Vom Naturgemälde zum Kulturgemälde
23. Ein imaginäres Museum der Weltkulturen
24. Gefangen im Netz?

Nachwort nach dem 11. September 2001
Autorenporträt
Ottmar Ette, geb. 1956, ist seit 1995 Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Potsdam. 1987 Heinz-Maier-Leibnitz-Preis, 1991 Nachwuchswissenschaftler-Preis der Universität Freiburg. Mehrere Gastdozenturen in Mexiko und den USA.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2002

Kraftlose Krokodile
Sprachgefälle: Ottmar Ette wirbt für Alexander von Humboldt
Künstlerische Installationen sind nicht immer ganz leicht zu verstehen. Was hatte es z.B. mit dem acht Meter langen Werk des Kolumbianers José Alejandro Restrepo auf sich, das den dunklen Titel trug „El cocodrilo de Humboldt no es el cocodrilo de Hegel”? Hat sich Hegel überhaupt je mit Krokodilen abgegeben?
Leider ja. So fest war er von der geschichtsphilosophischen Minderwertigkeit der Neuen Welt überzeugt, dass er diese bis hinab ins Tierreich zu entdecken glaubte und die Ansicht vertrat, selbst die amerikanischen Krokodile wären vergleichsweise Kümmerlinge. Dies setzte er fest, ohne sich je von seinem Schreibtisch zu entfernen und sich die Mühe des Augenscheins zu geben. Und so musste er den Spott Alexander von Humboldts herausfordern, der sich nach Amerika zurücksehnte und an seinen Freund Varnhagen von Ense schrieb: „Ich thäte gern ,Verzicht auf das europäische Rindfleisch‘, das Hegel S. 77 so viel besser als das amerikanische fabelt, und lebte neben den schwachen kraftlosen (leider 25 Fuß langen) Krokodilen”.
Das ist mehr als eine Skurrilität am Rande. Humboldt hegt ein „wildes Vorurtheil” gegen alle Wissenschaft, die alles auf den allgemeinen Begriff abzieht und der hastigen Erledigung im System zuführt – auf dass, wie er sich ausdrückt, „alles geschehen sei, ,damit erfüllet werde‘, was der Philosoph verheißt”. Sein Kosmos sieht anders aus: „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geographie der Moose auf den Granitfelsen, wissen, alles in Einem Werke darzustellen, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüth ergötzt. Jede große und wichtige Idee, die irgendwo aufgeglimmt, muß neben den Thatsachen hier verzeichnet sein.” Und „Kosmos” nennt er dann auch sein Hauptwerk, in dem er dies leisten will, wenngleich seine Freunde ächzen: „Humboldt, Du weißt nicht, wie ein Buch verfasst werden muss!”
Gerade hierin aber erblickt Ottmar Ette die Aktualität des Spezialisten für Vielfach-Spezialisierungen und großen Reisenden. Doch allzu eifrig spannt er Humboldt in die Diskurse der Gegenwart ein. Hans Küng und Habermas, Hans Jonas und Goyas Schlaf/Traum der Vernunft werden bemüht – des Guten also deutlich zu viel, um Klarheit zu schaffen. Auch der 11. September muss als Bezugsdatum herhalten. Besonders aber ist Gilles Deleuze mit seinem „rhizomatischen” Denken Ettes Gewährmann. „Wandernde Netze” und „Vernetzte Wanderungen” heißen seine beiden Buchteile. In einem langen Zitat sieht man mit Entzücken, wie Deleuze die Alternative von hierarchischer Verzweigung und multizentralem Knollenwerk entwickelt und denkt sich: Es stimmt schon, dass es zwei Sorten Leute gibt, diejenigen, die alle Leute in zwei Sorten einteilen, und diejenigen, die das nicht tun; und dass Deleuze eindeutig zur ersten Sorte gehört.
Humboldt soll uns als gerade heute aktuell nahegebracht werden, und das ist er auch – aber Ette gelangt kaum über die Anpreisung hinaus, dass er es sei. Fast gänzlich vertut er die Chance, Humboldt als Figur darzustellen: Man sieht ihn nicht, den hochgewachsenen Nordländer, wie er an der bunten tropischen Küste Südamerikas landet und vor Begeisterung fast wahnsinnig wird; nicht den weltgewandten Pariser, über den sein Bruder Wilhelm bei der Heimkehr erschrickt; und auch nicht den Mann, der sein ganzes neunzigjähriges Leben hindurch von einer quälenden physischen Unrast angetrieben wird und dabei offenbar, obwohl Verfasser von fünfzigtausend Briefen, in einer tiefen Einsamkeit gefangen bleibt.
Die Sprache der Tropennacht
Vor allem muss Ette ratlos machen, was er als die herausragende Qualität Humboldts erkennt: die untrennbare Verschwisterung von Erlebnis, Erkenntnis und sprachlicher Gestaltung. Sooft auch bloß ein paar Zeilen von Humboldt zitiert werden, versinkt die brav vor sich hin trottende Wissenschaftssprache Ettes mit ihren „kontextuellen”, „intertextuellen” und „intratextuellen” Bezügen, ihren „transmedialen Mehrfachcodierungen” und selbst ihrem „Weltethos” ins Bedeutungslose. Humboldt schrieb für Alle, weil er gut schrieb; Ette schreibt, selbst wenn er die Überwindung der Fachgrenzen einklagt, für die Kollegenschaft – denn wer sonst möchte sich diese Prosa antun? Warum hat die Wissenschaft die Schönheit aus ihren Darstellungen verwiesen, warum kann kein Wissenschaftler mehr eine Tropennacht so schildern wie Humboldt?
„Schweigend entfernten wir uns von der Höhle von Ataruipe. Es war eine der stillen, heiteren Nächte, die im heißen Erdstrich so gewöhnlich sind. Die Sterne glänzten im milden, planetarischen Licht. Ihr Funkeln war kaum am Horizont bemerkbar, den die großen Nebelflecken der südlichen Hemisphäre zu beleuchten schienen. Ungeheure Insektenschwärme verbreiteten ein rötliches Licht in der Luft. Der dicht bewachsene Boden erglühte von lebendigem, bewegtem Feuer, als hätte sich die gestirnte Himmeldecke auf die Savanne niedergesenkt. Vor der Höhle blieben wir noch öfters stehen und bewunderten den Reiz des merkwürdigen Orts. Duftende Vanille und Gewinde von Bignonien schmückten den Eingang, und darüber, auf der Spitze des Hügels, wiegten sich säuselnd die Wipfeln der Palmen.”
Das Frühe, das Unberührte, das Riesige des südamerikanischen Kontinents und die Sprache, die es erfasst, sind hier, in einem gewissermaßen kondorischen Stil, eins geworden. Sie verschmelzen zu einem Bild, wie es Humboldts bekanntestes Porträt zeigt: Zur Höhe des Chimborazo, des beschneiten Vulkans auf dem Äquator, erhebt sich dort sein schneeweißes Haupt. BURKHARD MÜLLER
OTTMAR ETTE: Weltbewusstsein. Alexander von Humboldt und das unvollendete Projekt einer anderen Moderne. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2002, 243 Seiten, 45 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Bewundernd spricht Elisabeth von Thadden von Alexander von Humboldt als von dem "Kosmopoliten, der zur Entprovinzialisierung des Denkens in Deutschland maßgeblich beitrug". Und bewundernd schreibt der Romanist Ottmar Ette in seinem, wie Thadden versichert "anregenden" Buch über das "Weltbewusstsein" dieses umtriebigen Naturforschers, Kulturtheoretikers und Erzählers. Welche Bedeutung dessen Wissenschaft und dessen Schreibweise für die aufgeklärte Moderne besitzt, meint Thadden, zeigt der Autor, indem er vorführt, wie bei Humboldt ästhetischer Genuss und politische Freiheit, naturwissenschaftliche Empirie und Anschauung ebenso aufeinander angewiesen sind, "wie die vielfältige Fremde und das alte Europa erst aneinander erkennbar werden".

© Perlentaucher Medien GmbH