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Karl Bühlers Werk umfasst wichtige Beiträge zu einer beeindruckenden Vielzahl verschiedener Disziplinen, unter anderem zur Denk-, Gestalt- und Sprachpsychologie sowie zur Zeichen-, Kommunikations- und Wissenschaftstheorie.Nicht zuletzt aufgrund der historischen Ereignisse sind heute wesentliche Teile des Bühlerschen Werkes beinahe in Vergessenheit geraten. Das ist um so bedauerlicher, als Bühlers Forschungen zu den anregendsten und zugleich fruchtbarsten wissenschaftlichen Leistungen des 20. Jahrhunderts gehören.Dieser Band bietet alle von ihm selbst veröffentlichten Monographien sowie mit…mehr

Produktbeschreibung
Karl Bühlers Werk umfasst wichtige Beiträge zu einer beeindruckenden Vielzahl verschiedener Disziplinen, unter anderem zur Denk-, Gestalt- und Sprachpsychologie sowie zur Zeichen-, Kommunikations- und Wissenschaftstheorie.Nicht zuletzt aufgrund der historischen Ereignisse sind heute wesentliche Teile des Bühlerschen Werkes beinahe in Vergessenheit geraten. Das ist um so bedauerlicher, als Bühlers Forschungen zu den anregendsten und zugleich fruchtbarsten wissenschaftlichen Leistungen des 20. Jahrhunderts gehören.Dieser Band bietet alle von ihm selbst veröffentlichten Monographien sowie mit wenigen Ausnahmen seine kleineren Schriften unter Einschluß der wichtigsten Rezensionen in einem systematischen Zusammenhang. Zugleich wird im Rahmen dieser Ausgabe der erhaltene Nachlass Karl Bühlers erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.Hinweis: Bde. 1-3 erscheinen NICHT.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2001

Zeichen (Z) und Wunder (W)
Wie Karl Bühler die Psychologie auf Kybernetik umgestellt hat

Die Semiotik war das Versprechen, das Welträtsel zu lösen, indem es in eine bislang unvermutete, überraschende Gestalt gekleidet wurde: Es stellte sich plötzlich in Form von Zeichen. Während der Genfer Linguist Ferdinand de Saussure das Bedeutende und das Bedeutete untrennbar zusammenschweißte, die Bedeutung aber in ein unerschöpfliches Verweisungsspiel verwickelt sah, führte der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce die Kantsche Kategorientafel auf die basale Trichotomie des Zeichens an sich, seines Objekts und seines Interpretanten zurück, die sich jeweils wieder aus drei Momenten zusammensetzen. Dieser Kombinatorik entsprang ein wahrer Furor der Klassifikation, mit dem Peirce durch die Welt und ihre Interpretation rauschte, um sie in eine Zahl zwischen 66 und mehrere hundert Millionen mögliche Zeichenklassen einzuteilen. Hier wie dort entpuppte sich das Welträtsel als Rätsel der Komplexität.

Auch im 1927 erstmals erschienenen Buch "Die Krise der Psychologie", mit dem Velbrück Wissenschaft eine auf acht Bände angelegte Werkausgabe des 1938 von Wien in die Vereinigten Staaten emigrierten deutschen Gestalt-, Kinder- und Sprachpsychologen Karl Bühler (1879 bis 1963) eröffnet, kann man das Bemühen und die Mühe der Semiotik beobachten, die Welt auf wenige Axiome zurückzuführen. Hervorgegangen aus einer Bestandsaufnahme, die Bühler 1926 auf Einladung des Herausgebers Paul Menzer für die "Kantstudien" verfaßt hat, steht am Anfang eine Diagnose: Die Vervielfältigung der neuen Forschungsrichtungen - Denkpsychologie, Gestaltpsychologie, Behaviorismus, geisteswissenschaftliche Psychologie, Psychoanalyse - hat die Psychologie nicht nur bereichert, sondern gleichzeitig in eine Komplexitätskrise gestürzt.

In dieser unübersichtlichen Lage, der Bühler eingangs mit sicherem Strich Kontur verleiht, will der Vermittler den Reichtum der Forschungsergebnisse retten und die Krise gleichzeitig überwinden, indem er allen Fachrichtungen ein "Reglement", einen "Komment" für zukünftige Auseinandersetzungen untereinander vorschlägt. Zu diesem Zweck entwirft Bühler ein Integrationsmodell, das alle Psychologie auf die "Klärung der drei Verhältnisse, die zwischen Erlebnis, Benehmen und Leistung bestehen", verpflichtet, wobei er Leistung mit Geist (G) gleichsetzt.

Die Formel: "Wie verhält sich E:B, E:G, B:G?" spielt Bühler selbst schon hier, sieben Jahre vor seiner "Sprachtheorie", deren Organonmodell seinen Ruhm begründet hat, am Phänomen der Sprache durch. Die Einheit, zu der die drei Ausgangsgegenstände - die Erlebnisse (E), das sinnvolle Benehmen der Lebewesen (B) und ihre Korrelationen mit den Gebilden des objektiven Geistes (G) - als konstitutive Momente gehören, gewinnt er, indem er die Sprachtheorie kybernetisch von jeglichem Psychologismus und Anthropomorphismus reinigt - "Man stelle sich die Dinge nicht zu menschlich vor" - und konsequent auf die "gegenseitige Steuerung", die unentbehrliche "Zweieinigkeit von Zeichengeber und Zeichenempfänger" umstellt.

Tierische und menschliche Gesellschaften teilen unter diesen Vorzeichen die soziale Funktion der Semantik und den Erlebnisausdruck. Tiere tauschen aber nach Bühler nur Indizien und Ikone im Peirceschen Wortsinn, das heißt Zeichen, die den Dingen, die sie bezeichnen, verhaftet bleiben, sei es stofflich (der Blütenduft als Stoffprobe unter Bienen), sei es durch Ähnlichkeit (der Bienentanz bildet in verkleinertem Maßstab die mitgeteilten Richtungs- und Entfernungsverhältnisse ab); Symbole als "unangeheftete, selbstgeschaffene Gegenstandszeichen" kennt nur der Mensch. Ein Tier kann durch Symptome Erlebnisse zum Ausdruck bringen und durch Signale an sein Gegenüber appellieren; die symbolische Darstellung komplizierter Sachverhalte bleibt als Sinndimension dem Menschen allein vorbehalten.

Das Buch "Die Krise der Psychologie", von Achim Eschbach und Jens Kapitzky sorgfältig ediert und mit einem erhellenden Nachwort versehen, ist überall dort aktuell geblieben, wo es die auf diese Weise aufgeworfenen Probleme für sich hat, die Bühler immer wieder durch eindrückliche Vergleiche und Analogien veranschaulicht. Trotzdem kann man sich bei der Lektüre des Eindrucks nicht erwehren, daß für ihre logische Durchdringung die systematische Terminologie von Charles Sanders Peirces Phänomenologie, die dem Semiotiker Bühler wohl unbekannt war, mehr leistet als die Husserlsche, in der er sich befangen zeigt ("Kundgabe", "Kundnahme" und so weiter).

Erwägenswert sind allerdings nach wie vor Bühlers Vorbehalte gegen das psychoanalytische Konzept des Todestriebes, dem er durch eine gänzlich andere Psychologie des Kinderspiels entgegentritt, als Sigmund Freud sie in seinem Buch "Jenseits des Lustprinzips" von 1920 entwirft: Wo Freud im unablässig wiederholten Spiel nur den Zwang als Ausdruck des Todestriebes erkennen kann, sieht Bühler "die autochthone Vitalität und Kraft des Rhythmus" als Ausdruck der Lebens- und Schaffenslust am Werk, in der ein kreativer "Formwille" zum Vorschein kommt. Für Bühlers Kinder ist das Spielen noch eine Freude, kein Trübsinn. Sie wollen das Leben erobern, nicht den Tod zurückgewinnen.

MARTIN STINGELIN

Karl Bühler: "Werke". Band 4: Die Krise der Psychologie. Herausgegeben von Achim Eschbach und Jens Kapitzky. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000. 267 S., geb., 59,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Herausgeber Achim Eschbach und Jens Kapitzky haben Karl Bühlers erstmals 1927 erschienenen Band "Die Krise der Psychologie" sorgfältig ediert und mit einem "erhellenden" Nachwort versehen, lobt der Rezensent Martin Stingelin. An der Schrift des 1963 verstorbenen Gestalt-, Kinder- und Sprachpsychologen - der erste Band einer auf acht Bände angelegten Werkausgabe des Velbrück Verlags - übt der Rezensent aber Kritik. Zwar seien manche Ausführungen auch heute noch aktuell. So etwa Bühlers Erörterungen über die Schwierigkeiten der Psychologie, ihre vielen unterschiedlichen und sehr komplexen Ansätze unter einen Hut zu bringen. Aber sein hier erstmals erörtertes Integrationsmodell hält der Rezensent für überholt. Er bedauert, dass Bühler in seine Analyse die systematische Terminologie des amerikanischen Philosophen Charles Sanders Peirce nicht einbezogen hatte. Positiv bewertet der Rezensent aber Bühlers Vorbehalte gegen Freuds These vom Todestrieb, der er eine überzeugende Psychologie des Kinderspiels entgegengesetzt habe.

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