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Produktdetails
  • Verlag: Edition Mnemosyne
  • Gesamtlaufzeit: 120 Min.
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 9783934012134
  • Artikelnr.: 10313655
Autorenporträt
Heinrich von Kleist, dessen Werk bereits auf die Moderne vorausweist, wurde am 18. Oktober 1777 in Frankfurt/Oder geboren. Die Beschäftigung mit Kants Philosophie löste 1801 eine Krise aus, die zur Infragestellung der Lebenspläne Kleists führte. Es folgten Reisen durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. 1807 wurde Kleist von französischen Behörden unter Spionageverdacht verhaftet. 1809 publizierte er patriotische Lieder und Aufsätze gegen die französische Besatzung. Von 1810-11 war er Herausgeber der Berliner Abendblätter , zunehmende Schwierigkeiten mit der Zensur führten zu deren Verbot. Gemeinsam mit der krebskranken Henriette Vogel beging Kleist am 21. November 1811 am Ufer des Wannsees in Berlin Selbstmord. Von den Dichtern der Goethezeit ist Heinrich von Kleist einer der lebendigsten und zerrissensten. Sowohl sein Leben als auch sein Werk standen im Zeichen einer aus den Fugen geratenen Zeit, und die extremen Gefühlslagen und radikalen Zweifel, die sich in den Werken dieses zu Lebzeiten erfolglosen Dichters Bahn brachen, sind auch heute noch höchst aktuell.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Mir aus den Ohren, Erhabene!
Es geht nicht mehr: "Penthesilea", 1955 im Funk geballt und gebellt / Von Gerhard Stadelmaier

Man stelle sich vor: Der Jacobs-Bohnenkaffee, leicht gestreckt mit Kathreiner-Malzextrakt, ist getrunken; vorher gab's Schweinebraten mit breiten Birkle-Nudeln nebst Kartoffelsalat; es ist Sonntag nachmittag; nun ist, damit die Seele in die Höhe komme, die Verdauungszeit fürs Zeitlose, das den Geist anspannend entspannt; dieses kommt - wir schreiben das Jahr 1955 - aus dem Rundfunk; der WDR sendet Klassik als Hörspiel; heute mit Will Quadflieg und Maria Becker, dem Königspaar, das souverän über bundesdeutsche Nachkriegskulturohren herrscht.

Sie spricht in Wilhelm Semmelroths Funkinszenierung und -einrichtung die Penthesilea, er den Achill. Kleists Stück, in dem eine Frau und ein Mann, die Amazone und der Grieche, auf dem Schlachtfeld vor Troja aufeinander zurasen wie zwei Planeten, die taumelnd aus ihren jeweiligen Ordnungssternenhaufen sich herausgesprengt haben, wird hier serviert auf blankgeputztem Kehlkopfsilbertablett. Jedes Wort eine keuchende Ballung, jede Silbe erhaben gebellt, die Jamben jagend und hetzend, daß man vor lauter Kling! und Klang! und Ha! und Ho! und Ach! und Pa! und Thos! eigentlich nur lauter steil hergesetzte Ausrufezeichen hört - aber keine Sprache. Obwohl alles nichts als "aufs Wort gestellt" sein will. Aber der im schnarrenden Rezitierbefehlston die Verse vor sich hertreibende und immer die Phrasenendungen wie edle Hacken zusammenschlagende Sonoritätsfahnenjunker Quadflieg und die sich hier auf wohlgestalteten Hysteritätshöhen aufplusternde Konsonantenkampfhenne Becker ergeben zusammen kein Kleist-Paar.

Kleist-Paare nämlich (die tragischen zumal) stürzen durch ihr Sprechen, durch das dauernde, in Stockungen und Verhebungen verwirbelnde, durch das sehrende, vergeblich fragende, unmögliche, schmerzende sich Vergewissern des Wer?, Ich?, Wie? Was? in sich zusammen auseinander. Dazu müßten sie auch leise, tastend, zart, traumverloren sein - sozusagen in unheimlicher Stille rasend. Sie dürften nichts auf ein Tablett knallen, sondern alles in Himmeln oder Höllen suchen. Und wenn man sie nun schon nicht mit allen Sinnen im Schauspiel sieht, wenn man sie nur mit Ohren in einem einsinnigen "Sprechtheater" eingesperrt wahrnimmt, das hier wirklich einmal diesen unsäglichen Namen zu Recht trägt, dann müßte jedes Wort um so anschaulicher, um so skrupulöser, suchender, irrender, träumerischer klingen.

Hier aber klingen die Becker und der Quadflieg von damals selbst in der großen Liebesszene, wo die Amazone und der Grieche sich ihre wunderbaren Gefühle erzählen, wie zwei klirrende Lieferanten, die sich gegenseitig die Rezitationsreizwäsche vorführen. Alles auf Spitze geklöppelt, aber halt durchlöchert. Alles dröhnt, nichts spricht. Alles so wohl wie hohl. Dieses "Sprechtheater" hat keinen Grund in einer Phantasie eines Liebens und Lebens, eines Wirklich- oder Unwirklichseins, einer Zu- oder einer Abneigung zu den Figuren, eines Erschreckens oder Entzückens. Es hat nur einen Grund im exekutierenden, meist wohltönend gebrüllten Rezitieren. Wenn am Ende Penthesilea, die nicht durchschaut, daß Achill sich ihr nur zum Schein zum Kampfe stellt, in dem er ihr aus Liebe dann gerne unterliegen würde, den Geliebten totbeißt, dann klingt das bei Maria Becker, als spucke sie hochbrillant tragödisch ein Reclamheft aus. Und wenn die Griechen die Schlacht bedenken und von allerlei berichten, dann klingt das wie das Gebrumm von fleißigen, aber besinnungslosen Bienen.

Das alles war damals, 1955, vielleicht ein Sonntagnachmittagswunder. Heute beleidigt das unsere Ohren, die im Theater ja fürwahr viel leiden müssen. Dort sind das Sprechen und die Sprache oft sehr auf den Hund gekommen: Man ertränkt sie in Bildern und Einfällen, so daß sie auf der Bühne vielfach nur noch plappernd und gurgelnd verröcheln, ohne daß sie noch Sinn und Verstand haben dürfen. Hier aber, in der Aufnahme von 1955, verröcheln sie in Geplapper, das um so mehr Geplapper ist, als es dezidiert und so betont kultiviert und stilisiert ein Anti-Geplapper sein will. Eben nur hehres Geplapper.

Erschienen ist diese "Penthesilea" wie auch Semmelroths Funk-"Lear" von 1958 oder dessen Funk-"Nibelungen" von 1954 oder aber auch "Totentanz - Kabarett im KZ" in der "HörBühne" der "Edition Mnemosyne". Mnemosyne ist der Name der Göttin des Gedächtnisses und der Erinnerung, Mutter der Musen, gezeugt von Zeus. Dem Gedächtnis des Programms des Vergangenen geweiht wird der Verlag von Matthias Schwiedrzik, der als Dramaturg und Regisseur und Mitstreiter der Berliner Schaubühne im Theater der Achtundsechziger Jahre viel dafür getan hat, daß das damals Alte durch das damals Linke vom Theater vertrieben wurde, daß ganze Traditionen und Techniken und Sprachen verschwanden - und daß mit dem Falschen, Hohlen und Verlogenen, das darin war, auch das Aufrichtige, Substantielle und Humane gleich mit verworfen ward. Jetzt will der alte reuige Revoluzzer sozusagen dafür Buße tun. Und wendet sich prompt wieder dem alten Hohlen zu. Mnemosyne, gute Göttin, schütze uns vor Renegaten!

Heinrich von Kleist: "Penthesilea". Ein Trauerspiel. Mit Maria Becker und Will Quadflieg. Edition Mnemosyne, Neckargemünd 2002. 2 CDs, 120 Min., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Untertitel "Ein Trauerspiel" sagt schon alles, was Gerhard Stadelmaier von diesem Hörspiel aus dem Jahre 1955 hält. Nämlich gar nichts. Weder der im "schnarrenden Rezitiersbefehlston die Verse vor sich hertreibende ... Sonoritätsfahnenjunker Quadflieg" noch die "Konsonantenkampfhenne Becker" finden Gnade vor Stadelmaiers Augen oder besser Ohren. Die beiden sind einfach kein Kleist-Paar, lautet sein apodiktisches Urteil. Dafür sind sie ihm zu laut, zu grob. Selbst in der Liebesszene, als sich der griechische Held und die Amazone gegenüberstehen und sich ihre Gefühle füreinander offenbaren, klingen sie für Stadelmaier "wie zwei klirrende Lieferanten, die sich gegenseitig die Rezitationsreizwäsche vorführen". Im Jahr 1955 war das vielleicht ein "Sonntagsnachmittagswunder", spottet er, "heute beleidigt das unsere Ohren". Der Rezensent beklagt den Verlust der Sprechkunst im Theater allgemein, wobei ihm diese Aufnahme als treffliches Beispiel dient. Kurz: "Alles dröhnt, nichts spricht."

© Perlentaucher Medien GmbH