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Produktdetails
  • Friedenauer Presse Drucke
  • Verlag: Friedenauer Presse
  • Seitenzahl: 31
  • Deutsch
  • Abmessung: 5mm x 170mm x 247mm
  • Gewicht: 106g
  • ISBN-13: 9783932109331
  • ISBN-10: 3932109333
  • Artikelnr.: 11923940
Autorenporträt
Peter Urban, geboren 1941 in Berlin, studierte Slavistik, Germanistik und Geschichte in Würzburg und Belgrad, war Verlagslektor bei Suhrkamp, Hörspieldramaturg beim WDR und ist Lektor im Verlag der Autoren in Frankfurt; er übersetzte u.a. Werke von Gorkij, Ostrovskij, Daniil Charms, Kazakov, Chlebnikov und das gesamte dramatische Werk von Anton Cechov. Für seine Neuedition und -übersetzung der Cechov-Briefe wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis zuerkannt. Peter Urban verstarb 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2004

Gegen Glatze und Bäuchlein
Der musikalische Symphonismus der Dichterin Elena Guro

Alexander Blok, der große Dichter des russischen Symbolismus, schätzte sie und führte mit ihr tiefe Gespräche. Als die Futuristen lautstark und provokant auf den Plan traten, war sie, die stille, feinnervige Dichterin und Malerin, zwar mit von der Partie, doch betrat sie diesen Weg nur kurz, da sie bereits 1913, im Alter von nur sechsunddreißig Jahren, starb: Elena Guro. Von 1910 an war sie an futuristischen Publikationen beteiligt, auch das Manifest der Kubofuturisten im zweiten Almanach der "Kritikasterkiste" (Sadok sudej, 1913) hat sie mitunterzeichnet. Da sollten die grammatischen Regeln, Syntax und Orthographie aus den Angeln gehoben werden, sollten die Wörter ihre Bedeutung allein von ihrer graphischen und phonetischen Charakteristik erhalten und der Reichtum der Lexik als einzige Rechtfertigung des Dichters gelten.

Elena Guro ist in keinem der Texte ihres schmalen Werks den wilden Parolen ihrer futuristischen Freunde gefolgt. Vielmehr bestand ihr Neuerertum in geschärfter Sensibilität gegenüber Pflanzen, Tieren und Menschen sowie auch darin, feinste Stimmungen und Eindrücke in Natur, Stadt und Heim aufzufangen - eine Frühlingsnacht mit leichtem Regen, einen Gang durch helle, aufgeregte Straßen im Vorfrühling, den Augenblick, da Laternen und Lampen auf den Straßen und in den Wohnungen angezündet werden. Im Prosastück "Picassos Geige" evoziert sie den "Nebel weißer Musik und das in die Welt der Stummheit Versunkene", das aus der Geige jäh aufsteigt. Die synästhetische Wahrnehmung der Musik, die in Bild und Rede gebannt wird, läßt die wundersame Feinfühligkeit dieser Dichterin ahnen. In dem appellativen Text "Vasja" wendet sie sich gegen die Dressur des Knaben, den die Erwachsenen mit dem Ziel abrichten, in der Zukunft eine "gesicherte Existenz" als Beamter zu erwerben und später, als Greis, mit Glatze und Bäuchlein nach Karlsbad zu reisen. Gegen die Zerstörung der frischen, empfindsamen Seele des Kindes schreibt Elena Guro an.

Das Ziel ihres Schreibens hatte sie bereits 1912 im Plan für die "Kamelkinder-Sammlung" umrissen. Es ging ihr um "ein kämpferisches Lied der Jugend", geschrieben in freien Rhythmen, um Prosa, die in Verse übergeht, Gedichte in Prosa und, immer wieder, um synästhetisches Weltempfinden: "Stücke von Fabeln, genommen wie Farben und wie Leitmotive... musikalischer Symphonismus. Das Bild eines durchsichtigen Grashalms symbolisiert die durchsichtige Erhabenheit der Seele." Die Wörter sollten ausgesprochen werden, als fielen sie nicht mit dem Sinn zusammen, als brächten sie bestimmte Bilder hervor, über die nie gesprochen werde. So lauteten Elena Guros künstlerische Maximen, die nun doch wieder mit dem futuristischen Sturm gegen eingeschliffene Konventionen und Gefühle übereinstimmten.

Peter Urban hat mit dem sicheren Instinkt des Entdeckers einige der luftigen Miniaturen der Elena Guro, die bei uns unbekannt waren und auch in Rußland nur versierten Kennern vertraut sind, ans Licht gehoben. In gewohnter Übersetzersorgfalt hat er sich den stillen Wortgebilden und zarten Tönen zugewandt, die man, wie er mit Recht betont, auch in der russischen Literatur so noch nie gehört hatte.

REINHARD LAUER

Elena Guro: "Lieder der Stadt". Prosa und Zeichnungen. Aus dem Russischen übersetzt und mit einem Vorwort von Peter Urban. Friedenauer Presse, Berlin 2003. 31 S., br., 9,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Jelena Guro war eine Ausnahmeerscheinung in der russischen Literatur, schwärmt Ilma Rakusa, eine Künstlerexistenz im Übergang zweier Epochen des vorrevolutionären Russland. Guro malte, dichtete und schloss sich 1910 einem Petersburger futuristischen Kreis an, dessen künstlerischen Weg sie aufgrund ihres frühen Todes nicht nachfolgen konnte. Rakusa äußert Zweifel, ob sich Guro mit der späteren Rigorosität der Futuristen hätte anfreunden können. In ihren Augen war Guro eine äußerst sanfte Person, die sich allem Lauten und Propagandistischen verschloss. Stattdessen verband sie eine ganz kindliche Wahrnehmung mit sprachlichen Neuerungen, verband Lautpoesie und Kinderverse, Naturbeschreibungen und Märchenwelt, schreibt Rakusa. Guro fand dabei zu einem ganz unverwechselbaren Ton, preist Rakusa die Autorin. Der Übersetzer Peter Urban hat für die Friedenauer Presse eine "aparte" Auswahl aus Guros schmalem Werk getroffen, die Prosaminiaturen und einige Gedichte, aber auch Zeichnungen der Guro enthält. Auch wenn der Band "Lieder der Stadt" heißt, war Guro, beteuert Rakusa, eine überzeugte Anti-Städterin, deren eigentliches Reich die Natur war, der sie sich franziskanisch-demütig genähert habe und ohne jenen "herrischen Gestus der Futuristen".

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