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Produktdetails
  • Verlag: Vorwerk 8
  • Neuaufl.
  • Seitenzahl: 244
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 363g
  • ISBN-13: 9783930916511
  • ISBN-10: 3930916517
  • Artikelnr.: 10481824
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2003

Anthropologische Tage
Dir ist, Liebes, nicht einer zuviel gefallen: Alexander Honold liest Hölderlin vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele
Bei den III. Olympischen Spielen der Neuzeit in St. Louis, den ersten auf amerikanischem Boden, wurden farbige Sportler von der Teilnahme ausgeschlossen und auf eigens eingerichtete „anthropological days” verwiesen. Statt der weißen wurden 1936 die arischen Athleten gefeiert. Carl Diem sorgte für die totalitäre Inszenierung der XI. Olympischen Spiele in Berlin zum Nutzen des NS-Regimes. In der monströsen Langemarckhalle des Olympiastadions feierten Hölderlins Worte: „Dir ist, liebes, nicht einer zuviel gefallen” den Opfertod fürs Vaterland. Die wechselvolle Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit ist ebenso intensiv erforscht worden wie das Werk Friedrich Hölderlins. Alexander Honold hatte die erhellende Idee, beide Themen zu verbinden. Hölderlins idealisierende Re-Konstruktion des antiken Olympia im „Hyperion” ist ihm Ausgangs- und Bezugspunkt, um die Genese der modernen Olympia-Idee nachzuzeichnen. Der Briefroman, in zwei Bänden 1797 und 1799 veröffentlicht, spielt im Jahr des griechischen Aufstandes 1770, in Hölderlins Geburtsjahr. Einige Jahre später wollte der Halbbruder Teile des Erlöses aus der Neuausgabe einem schwäbischen Verein zur Unterstützung der Befreiung Griechenlands zukommen lassen.
Honold ist auf der Höhe der Hölderlinforschung. Er betont einmal mehr die Bedeutung der Französischen Revolution für das Werk, spürt erfolgreich den zeitgenössischen Reisebeschreibungen von Griechenland nach, die dem Dichter als Quellen dienten, bereichert die kontroversen Diskussionen um die Deutung des Spätwerks und umreißt die Hölderlinrezeption bis hin zum Georgekreis. Zu Recht distanziert er sich von der blassen humanistischen Instrumentalisierung Hölderlins im Nachkriegsdeutschland, die schon Adorno als die „Beliebigkeit des marktgängigen Tiefsinns” geschmäht hatte. Honold fasziniert Hölderlins ästhetische, intellektuelle und politische Orientierung am Vorbild des klassischen Griechenland. Mit Hölderlin in der Hand liest er Pindars Olympische Oden und Lukians Anacharsis, interpretiert den Figurenschmuck des Zeustempels von Olympia, rekonstruiert idealtypisch den antiken Agon und erörtert die alten Mythen zur Gründung Olympias.
Doch Honold will mehr. Er nimmt das Thema zum Anlass, ein wichtiges Kapitel der Kultur- und Mentalitätsgeschichte Europas zu schreiben. Der schmale Band führt nicht nur nach Olympia, sondern in die okzidentalen Zentren der Antike-Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Wiedergeburt des Olympia-Gedankens war verbunden mit der Wiederentdeckung des Altertums, genauer: der Erfindung der idealen Antike durch das Bürgertum am Ende des 18. Jahrhunderts. Die Verherrlichung des antiken Hellas hatte auch eine politische Dimension: In Übereinstimmung mit der emanzipatorischen Tradition der Aufklärung wurde das griechische Altertum nicht nur zum Inbegriff künstlerischer und humaner Idealität, sondern zugleich zum Ort politischer Freiheit. Im Glauben an eine innere Verwandtschaft von Hellenen und Deutschen machte Hölderlin das antike Griechenland zum Ausgangspunkt nationaler Erneuerung.
Zur Nachahmung der Alten hatte schon Johann Joachim Winckelmann aufgerufen. Hölderlins Griechenbegeisterung ging einher mit dem Aufstieg der archäologischen Forschung, den Honold am Beispiel der Grabungsgeschichte von Olympia darstellt. War man Ende des 18. Jahrhunderts noch auf der Suche nach der „edlen Einfalt” und „stillen Größe”, so wollte 1836 Fürst Pückler-Muskau das Areal des antiken Olympia in einen Archäologischen Park umgestalten. Mit der dilettantischen Forschung war es vorbei, als 1875 das Deutsche Reich Grabungen am Alpheios aufnahm. Die zunehmende akademische Professionalisierung der archäologischen Methodik läutete zugleich das Ende einer idealisierenden Kunstbetrachtung ein, die Hölderlin tief geprägt hatte. Doch eine sichere Antwort auf die Frage nach dem Alter Olympias konnte auch die neue „wissenschaftliche” Archäologie nicht liefern.
Hölderlin vertraute mit seinen Zeitgenossen auf die „allgemeine Menschenbildung” durch den altsprachlichen Unterricht. Hyperion ist der Erzieher der Nation, der im Geiste Rousseaus das selbständige Individuum bilden will. Ein für Deutschland einheitliches Bildungskonzept sollte in dem politisch fragmentierten Land eine nationale kulturelle Identität stiften. Deshalb schildert Honold die Geburt des „Humanistischen Gymnasiums” aus dem Geiste der Antikenbegeisterung und benennt die Folgen des universalistischen Geltungsanspruchs der alten Sprachen für die bürgerliche Gesellschaft des Kaiserreichs.
Im deutschen Gymnasium
Doch im deutschen Gymnasium lernte man nicht nur griechische Wörter, sondern auch den eigenen Rumpf zu beugen. Die Rückbesinnung auf Olympia verlangte auch die Körperbildung. Schon der graecophile Poet aus Lauffen am Neckar hatte sich die Maxime zueigen gemacht: mens sana in corpore sano.
Die Forderung nach körperlicher Ertüchtigung verband sich mit der Wiederbelebung des olympischen Gedankens und der Sehnsucht nach nationaler Unabhängigkeit. Der griechische Freiheitskampf bediente sich der Idee einer an der antiken Tradition orientierten Pädagogik des Geistes und des Leibes ebenso wie die Turnerbewegung Friedrich Ludwig Jahns. Und für den Baron de Coubertin war Olympia die Antwort auf die französische Niederlage von 1870. Seine Konzeption der Olympischen Spiele der Neuzeit ist, wie Honold prägnant formuliert, „ein gemeinsamer Abkömmling der Visionen aus Rugby und Bayreuth”. Nahtlos reihte sich die olympische Bewegung in die nationalen Feiern und Vaterlandsfeste ein, die europaweit gepflegt wurden. Schon die laizistischen Revolutionäre von 1789 wollten alle vier Jahre ein großes Turnfest veranstalten, das Olympiade française heißen sollte.
Honolds Buch ist reich an Ideen und besticht durch die Souveränität der Darstellung. Gewiss, die eine oder andere These ist diskussionswürdig. So bin ich mir nicht sicher, ob „das Olympia-Projekt” tatsächlich „der Fokus” war, „in dem sich die Tendenzen eines antikisierenden Bildungsideals und des nationalkulturellen Reform-Diskurses bündelten”. Der Olympia-Gedanke könnte auch bloß Akzidens der Griechenbegeisterung des bildungsversessenen und nationalbewegten Bürgertums gewesen sein. Aus Hölderlins Adaptationen des Dionysos-Mythos herauslesen zu wollen, schon der Dichter habe in den Mythen „Instrumente des kulturellen Gedächtnisse” erkannt und damit ursprüngliche Rituale rekonstruieren wollen, kann kaum überzeugen. Und schließlich kommt die protestantische Konditionierung des schwäbischen Pietisten Hölderlin etwas zu kurz. Doch alle diese Einwände verschlagen nichts: Dies ist ein spannendes, ein kluges, ein lesenswertes Buch.
STEFAN REBENICH
ALEXANDER HONOLD: Nach Olympia. Hölderlin und die Erfindung der Antike. Vorwerk Verlag, Berlin 2002. 244 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2002

Sportskamerad Hölderlin
Alexander Honold über Olympia als modernes Gesamtkunstwerk

Als zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Sydney die eingeborene australische Sportlerin Cathy Freeman die olympische Fackel senkte und um sich herum einen Feuerkreis entzündete, hatte auch Richard Wagner mit Regie geführt: Auf hohen Fels bannte einst sein handlungsschwacher Gott Wotan die Lieblingstochter Brünnhilde, das "kühne, herrliche Kind", und umgab es mit "flammender Glut", was die Walküre leider nicht vor ihrem lüsternen Neffen Siegfried und der Feuersbrunst einer Götterdämmerung bewahrte. Cathy Freeman hingegen trat in den nächsten Tagen in die Arena und gewann sich und ihrem Lande eine Goldmedaille.

Eine Verwandtschaft zwischen Sportshow und der Opernbühne zu konstatieren ist keineswegs frivol. Wagner zum Beispiel hätte ein Stadion mit Hunderttausenden von enthusiastischen Zuschauern samt den Fernsehkameras der ganzen Welt gewiß nicht als unangemessen für die Aufführung seiner Werke betrachtet. Nur existiert die Verbindung von Bayreuth und Olympia tatsächlich auf eine viel greifbarere Weise. Pierre Coubertin nämlich, der Gründervater der modernen Olympischen Spiele, hat ausdrücklich von sich bekannt, erst Wagner habe den "olympischen Horizont" vor seinem geistigen Auge geöffnet; eine Art Gesamtkunstwerk sollten in seiner Vision auch die Wettkämpfe um schnelles Laufen und weites wie hohes Springen werden.

Wie das im einzelnen zu verstehen ist, untersucht eine Studie des Literaturwissenschaftlers Alexander Honold, deren Titel "Nach Olympia" entgrenzt, was sich im Untertitel "Hölderlin und die Erfindung der Antike" auf germanistische Analyse einzuschränken scheint. In Wirklichkeit gibt sein Buch von beidem; es ist ein Stück Hölderlin-Interpretation ebenso wie ein Stück europäischer Kulturgeschichte. Nahtstellen sind da und dort sichtbar, aber das Buch ist dennoch ein ganzes: Hölderlin steht am Beginn, und zu ihm kehrt es immer wieder zurück.

"Der Agon als Mimesis eines Machtkampfes" verbinde, heißt es, "den Sport mit der mimetischen Form des Dramas, insbesondere der Tragödie" - das "Agonale", also der Wettstreit, das Kämpferische, ist in den letzten Jahren ein beliebtes Wort und Thema geworden. Und wirklich haben ja Theater und Sportplatz, Bühne und Arena vieles gemeinsam, nicht nur Zuschauer, sondern eben auch Auseinandersetzung, Konkurrenz, Ringen, Dialog und Dialektik. Honold zieht Linien zu jenen naturwissenschaftlichen Entdeckungen vor 1800, als der Widerstreit von Naturkräften auf ein Grundgesetz der Natur überhaupt leitete, zur Polarität der Elektrizität und einer neuen, auf der Entdeckung des Sauerstoffs beruhenden Verbrennungslehre. Auf ebendiese Zeit nun ist auch die systematische Entwicklung einer Pädagogik des Turnens anzusetzen. Sie geschah freilich nicht als Resultat eines numinosen Zeitgeistes, sondern zunächst aus dem Bedürfnis, den Napoleonischen Armeen tüchtige Soldaten entgegenzusetzen. Athletische Bildungsprogramme jedenfalls wurden entworfen. Der Turnvater Jahn hat manchem Sportverein bis auf den heutigen Tag seinen Namen geliehen; damalige Fitness-Pioniere wie Christian Gotthilf Salzmann und Johann Christoph Friedrich GutsMuths hingegen sind inzwischen weithin der Vergessenheit anheimgefallen.

Bei ihren Ertüchtigungversuchen konnte sich bürgerliche Bildung damals auf die Antike berufen, denn mit der klassischen, also mustergültigen Kunst waren auch die Ideale der Schönheit und des athletischen, gestählten Männerkörpers überliefert worden. Daß Hölderlins elegischer, vom Leben geschlagener und an der Liebe leidender Hyperion nicht nur tatenarm und gedankenvoll blieb, sondern Fechtunterricht nahm ("Aber ich spiele mit dem Schwerdte, bis ich es gewohnt bin . . .") und seine heldischen Hoffnungen zeitweise durchaus agonal in die Praxis umzusetzen versuchte, mag gelegentlich übersehen werden über der bitteren Klage: "O hätt' ich doch nie gehandelt."

Daß Turnertum und Leibesertüchtigung den Körper in den Vordergrund rücken und damit freilich auch Pädophilie und Päderastie fördern können, ist bekannt. Honold entwickelt perspektivenreich, wie das Leitbild des Wettkampfes solchen Tendenzen entgegenwirken sollte. Das hervorzuheben ist um so wichtiger, als aus Äußerungen junger Männer dieser Jahre, Hölderlins zum Beispiel oder auch Kleists, oft allzu voreilig auf deren latente Homosexualität geschlossen worden ist.

Aus dem Bildungserlebnis "Antike" entstand später der Forschungsgegenstand "Altertumswissenschaften" und aus ihm wiederum die Idee Olympischer Spiele, die dann unter den Händen der Politik, speziell der deutschen, umfunktioniert wurde zur Demonstration nationalistischer Hypertrophie. Das kulminierte 1936 in Berlin in jenem Olympiastadion, in dem 1979 eine dramatisierte Fassung von Hölderlins "Hyperion" in der Regie von Klaus Michael Grüber aufgeführt wurde - solch widerspruchsvolle Geschichte ist in diesem Buch gelehrt und lesbar zugleich dargestellt.

GERHARD SCHULZ

Alexander Honold: "Nach Olympia". Hölderlin und die Erfindung der Antike. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2002. 246 S., geb., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Ungewöhnlich dicht und kenntnisreich" nennt der Rezensent Ralf Müller Alexander Honolds Studie über Hölderlins Bild der Antike, und dasselbe trifft auch auf seine Rezension zu. "Jeder Blick in die Vergangenheit ist zugleich Ausdruck der Gegenwart", schreibt Müller einleitend und liest Honolds Buchtitel "Nach Olympia" sowohl als Wegweiser in die Vergangenheit als auch als Selbstpositionierung im "Danach". Honold erzähle demnach "zwei Geschichten": die von Hölderlin und die vom europäischen Antike-Mythos. Wie die glühende Antikenverehrung zur "existenziellen Selbstbefragung" wird, zeigt Honold in Hölderlins Werk auf, wobei ihm in erster Linie der "Hyperion" als Bezugstext dient. Der "unkonventionelle und phantasievolle Interpret" Honold, wie Müller voll des Lobes schreibt, sieht diese Spannung der gleichzeitigen Rück- und Selbstzuwendung in Hyperions Verhältnis zu seinem Lehrer Adamas, das er als "Emblem einer Allianz von Antike und Moderne" liest, und im dynamischen Bild der Quelle, das er als Metapher der Kulturkonstitution versteht: "Kultur ist auch 'als Effekt von Migration zu begreifen und darzustellen'. Doch das Antike-Bild sei auch aufgrund der wissenschaftlichen Entwicklung problematisch geworden, vor allem im Bereich der Archäologie. Hölderlin habe den tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Antike miterlebt, in der Methodik die Einfühlung ablöst. Für Honold zeige der "Hyperion" also ein doppeltes Olympia, das zugleich "agonale Urszene und realhistorischer Trümmerhaufen" sei. Später, als die Nazis die olympische Wettkampf-Metaphorik für die soldatische Kriegsbereitschaft verpflichteten, "wurde aus dem olympischen Agon Agonie", schließt der Rezensent pathetisch.

© Perlentaucher Medien GmbH
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