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"Die Juden sind unser Unglück", postulierte 1879 der angesehene Historiker Heinrich von Treitschke in den »Preußischen Jahrbüchern«. 1920 verbreitete sich der Parteiagitator Adolf Hitler im Münchner Hofbräuhaus über die "fürchterliche Gefahr", die dem "Ariertum" durch die "jüdische Rasse" drohe. 1986, anläßlich der Waldheim-Affäre, beschuldigte die größte Tageszeitung Österreichs "Amerikas Massenmedien", diese inszenierten gegen Kurt Waldheim eine "Nazi-Kampagne", und beklagte "die unsachliche Hysterie, in die sich jüdische Journalisten jedesmal hineinsteigern, wenn es um die NS-Zeit…mehr

Produktbeschreibung
"Die Juden sind unser Unglück", postulierte 1879 der angesehene Historiker Heinrich von Treitschke in den »Preußischen Jahrbüchern«. 1920 verbreitete sich der Parteiagitator Adolf Hitler im Münchner Hofbräuhaus über die "fürchterliche Gefahr", die dem "Ariertum" durch die "jüdische Rasse" drohe. 1986, anläßlich der Waldheim-Affäre, beschuldigte die größte Tageszeitung Österreichs "Amerikas Massenmedien", diese inszenierten gegen Kurt Waldheim eine "Nazi-Kampagne", und beklagte "die unsachliche Hysterie, in die sich jüdische Journalisten jedesmal hineinsteigern, wenn es um die NS-Zeit geht".

Drei Zitate von völlig unterschiedlichen Personen, aus einem Zeitraum von über hundert Jahren sind sie Beispiele ein und desselben Antisemitismus? Was ist überhaupt unter "Antisemitismus" zu verstehen? Um diese Fragen zu beantworten, präsentiert Klaus Holz in seiner Studie eine detaillierte Analyse paradigmatischer Ausprägungen des modernen Antisemitismus: Untersucht werden der postliberale Antisemitismus von Treitschke, der christlich-soziale von Adolf Stöcker, der rassistische von Édouard Drumont, der nationalsozialistische von Hitler, der antizionistische der Volksdemokratien und der auf die Vergangenheitsbewältigung konzentrierte Nachkriegsantisemitismus in Österreich. Durch sein länderübergreifendes, systematisch vergleichendes Vorgehen präpariert Holz die allen Ausprägungen gemeinsamen Grundstrukturen des Antisemitismus heraus. Das Ergebnis bildet ein empirisch fundierter, präziser Begriff des modernen Antisemitismus.

Hierbei zeigt sich, daß der moderne Antisemitismus ein "nationaler" Antisemitismus ist. Das antisemitische Bild der "Juden" fungiert als Gegenbild zum Selbstbild der Wir-Gruppe als "Volk" und "Nation". In den "Juden" wird personifiziert, was dem Selbstbild, eine "nationale Gemeinschaft" zu sein, antagonistisch entgegensteht: Die "Juden" stehen für "Gesellschaft", für konkurrierende Interessen, abstrakte Verhältnisse und für kontingente und konstitutiv unsichere Sozialbeziehungen, sie personifizieren die störende Erinnerung an die von Deutschen vollzogene Vernichtung der Juden, die einer "nationalen Identität" im Wege steht. Infolge ihrer gleichen Grundstruktur tendieren alle untersuchten Formen des nationalen Antisemitismus zur gleichen Lösungsperspektive für die "Judenfrage", auch wenn eine solche nur selten explizit entwickelt wird. Doch innerhalb dieser Weltanschauung ist nur ein Ziel kohärent: die Entfernung der Juden.
Autorenporträt
Klaus Holz, Dr. habil., geboren 1960, arbeitete als Soziologe an den Universitäten Freiburg, Leipzig und zuletzt an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seit Oktober 2000 ist er Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Neuere Veröffentlichungen: Herausgeber des Bandes "Staatsbürgerschaft. Soziale Differenzierung und politische Inklusion in der modernen Gesellschaft", Wiesbaden 2000.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die Habilitationsschrift des Soziologen Klaus Holz kommt bei Dagmar Pöpping sehr gut weg. Nicht nur, dass die Rezensentin die Analyse seiner Fallbeispiele - sechs politisch höchst unterschiedliche antisemitische Texte aus der Zeit von 1879 bis 1986 - brillant findet. Die wissenschaftliche Arbeit ist auch noch gut verständlich und flüssig geschrieben, lobt Pöpping. Und sie enthält viel politischen Sprengstoff, stellt die Rezensentin fest. Denn Holz interpretiere die Texte beinahe unabhängig von ihrem historischen Kontext und gebe dem Leser ein Instrumentarium an die Hand, Antisemitismus schnell und deutlich zu verorten. Einzig Holz' These, Antisemitismus sei das Produkt des modernen Nationalismus, will die Rezensentin nicht gänzlich zustimmen. Denn Pöpping sieht die Wurzeln des Antisemitismus eher in einer Krisenstimmung am Ende des 19. Jahrhunderts. Ihre Kritik mindert aber trotzdem nicht ihr positives Urteil. Holz habe hier soziologisch-linguistische Methoden hier mit einer historischen Thematik gelungen und wissenserweiternd miteinander verbunden.

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