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Das Erstarken einer Neuen Rechten in Europa erfordert die Überprüfung der Theorie und Praxis eines Antirassismus, der seinen Ausgangs- und Bezugspunkt immer noch im Nazismus hat.
Pierre-André Taguieff bezweifelt, dass dieser Antirassismus eine erfolgreiche Strategie gegen rassistische Ideologie, Politik und rassistisches Handeln sein kann und versucht dies durch eine »Kritik der antirassistischen Vernunft« zu belegen. An die Stelle des Reiz-Reaktions-Schemas, das die Beziehung zwischen Rassismus und Antirassismus kennzeichnet und den Antirassismus hilflos macht, will der französische…mehr

Produktbeschreibung
Das Erstarken einer Neuen Rechten in Europa erfordert die Überprüfung der Theorie und Praxis eines Antirassismus, der seinen Ausgangs- und Bezugspunkt immer noch im Nazismus hat.

Pierre-André Taguieff bezweifelt, dass dieser Antirassismus eine erfolgreiche Strategie gegen rassistische Ideologie, Politik und rassistisches Handeln sein kann und versucht dies durch eine »Kritik der antirassistischen Vernunft« zu belegen. An die Stelle des Reiz-Reaktions-Schemas, das die Beziehung zwischen Rassismus und Antirassismus kennzeichnet und den Antirassismus hilflos macht, will der französische Sozialphilosoph Grundlagen für reflektiertes Handeln setzen.

Handeln aber setzt Wissen voraus: Ohne eine Selbstanalyse des antirassistischen »Lagers« mit seinen Stereotypen und Ritualen und ohne Verständnis der Gründe für die Zählebigkeit des Rassismus in der Gesellschaft wird sich die Rivalitätsbeziehung zwischen den feindlichen Brüdern kaum beenden lassen.

Beschwörungen und einfache Umkehrung von Parolen helfen nicht gegen die Macht des Vorurteils, gegen Tendenzen der Ausgrenzung und hierarchisierenden Gruppenbildung. Nur ein Konzept für einen nicht-ideologischen Humanismus kann wirksam sein.
Autorenporträt
Pierre-André Taguieff, Philosoph und Politologe, ist Forschungsdirektor am CNRS in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Die weltumspannende Tugendorganisation
Wie man mit Kanonen auf Glatzen schießt / Von Wolfgang Sofsky

Zu den unerquicklichen Entwicklungen der letzten fünfzehn Jahre in Europa gehört das Erstarken des rechten Extremismus. Wahlerfolge chauvinistischer Parteien, Umzüge von Prügelgarden, eine Subkultur mit eigener Haartracht, Mode und Musik, Attentate, Hetzjagden und Lynchmorde - das Spektrum rechtsradikaler Aktivitäten reicht von demokratischer Legalität bis zum Kapitalverbrechen. Auf den Vormarsch der neuen "Bewegung" reagieren die Amtsinhaber mit eigentümlicher Verwirrung. Je nach politischer Saison schwanken sie zwischen Alarmierung, Verharmlosung oder Resignation. Manche meinen, die Wiederkehr des alten Nazismus zu erkennen, andere vermuten hilflose Reaktionen von Randgruppen auf unübersichtliche Märkte oder Kulturen. Dritte wiederum halten die Angelegenheit eher für eine lokale Fatalität oder für ein Jugend- und Erziehungsproblem. Was also ist der Rassismus - eine Seuche, eine Flutwelle, ein Symptom, eine Ideologie, eine Idiotie? Und wer ist zuständig - die Politik oder die Pädagogik, die Justiz, die Polizei oder die Fürsorge, der Mann in der Straßenbahn, alle oder keiner?

Die Verwendung des Wortes "Rassismus" signalisiert Empörung und Tatkraft. Lange war es in Deutschland ein Markenzeichen der Militanten unter der Haßkappe, mittlerweile ist es in das Vokabular offizieller Brandreden eingegangen, in die Rhetorik der neuen Entschlossenheit. "Rassismus" ist ein Kampfbegriff, ein Etikett, ein Fanalwort gegen die Trägheit. Aber seine Bedeutung changiert, ja verliert sich in Beliebigkeit. Selbst Jean-Marie Le Pen beschimpfte vor einiger Zeit seine parteiinternen Widersacher als "Rassisten".

Es müssen Beobachtungen wie diese gewesen sein, welche Pierre-André Taguieff seinerzeit - das Buch erschien in Frankreich 1968 - dazu bewogen haben, den Diskurs des Beschwörens und Anprangerns zu "dekonstruieren", um dem Begriff "Rassismus" noch einen analytischen Sinn abzugewinnen. Taguieff, Forschungsdirektor am CNRS, hatte es Ende der achtziger Jahre mit einer Konstellation der Ideen zu tun, die sich mittlerweile verschoben hat: hier der traditionelle Antifaschismus und das postmoderne Loblied auf die kulturelle Vielfalt, dort eine neue Rechte, welche sich vom alten Biologismus verabschiedet hatte, um gleichfalls den Lobpreis der kulturellen Differenz anzustimmen. Daher erklärt sich das Ziel seiner wortreichen Studie: die Selbstaufklärung der antirassistischen Vernunft und die Aufdeckung heimlicher Gemeinsamkeiten zwischen beiden Kontrahenten.

Wenn Ideologien verworren sind, droht sich freilich auch deren Dekonstruktion in labyrinthischen Wiederholungen zu verlieren. Man kann nicht sagen, daß Taguieff dieser Gefahr entgangen sei. Reduziert man die These von der unheiligen Allianz der Ideen auf ihren Kern, so bleibt ein zentraler Leitgedanke: das Lob des Unterschieds und die Ablehnung des Universellen. Der moderne Rassismus bemüht keine obskuren Rassentheorien mehr, sondern beruft sich auf die Pluralität der Kulturen. Er proklamiert das Recht, anders zu sein und zu bleiben. Verteidigung und Restitution des Eigenen, Kampf gegen die Vermischung und Nivellierung der Völker, Nationen, Kulturen - das ist die Maskerade, hinter der sich der neue Fundamentalismus der Gemeinschaft zu verschanzen pflegt.

Doch so defensiv dieser Rassismus sich ideologisch geriert, er nährt sich von alten Instinkten: von der Mixophobie und vom Mythos der Reinheit. Der Fremde gilt als unassimilierbar, nicht wegen der Unvereinbarkeit des Blutes, sondern wegen der Verschiedenheit der "Mentalitäten". Da die Menschen einzig durch ihre ethnische Zugehörigkeit bestimmt sind, führt Vermischung, so heißt es, zwangsläufig zu Dekadenz und Degeneration. Das Kollektiv ist heilig und unteilbar, ein Individuum im Plural gewissermaßen, mit eigenen Sitten, Werten und Traditionen. Die Ablehnung der Menschenrechte als schädliche Fiktion ist nur konsequent. Sie wurden erfunden von bösartigen Kosmopoliten und Kolonisatoren. Es gibt in dieser Logik keine anthropologische Gleichheit, und daher sind auch nicht alle Kulturen unmittelbar zu Gott. So verdeckt das Lob des größeren Unterschieds nur die Ideologie der Ungleichheit zwischen dem Eigenen und dem Fremden.

Mit Recht unterscheidet Taguieff zwei Strategien rassistischer Politik. Die erste folgt der Logik der Macht, des Interesses, des Profits. "Wir sind die Besten, ja, wir sind die Menschheit schlechthin; ihr aber seid nur eine spezielle Kultur und deshalb von geringem Wert", dies sind die Axiome der Sklaverei und des Kolonialismus. Sie rechtfertigen Herrschaft und Ausbeutung. Die zweite Strategie folgt der Logik der Exklusion. "Wir sind die besondere, die höhere Kultur; der Rest der Menschheit jedoch, das sind die Minderwertigen, Überflüssigen, deren bloße Existenz uns zu beflecken droht." Dies sind die Axiome der Reinheit und Verfolgung. Sie rechtfertigen die Vertreibung, das Massaker. Daß sich beide Strategien trefflich ergänzen können, bewies der nazistische Terror. In den Lagern und Zwangsghettos waren Arbeit und Vernichtung direkt verkoppelt.

Das Elend des Antirassismus beruht, will man Taguieff folgen, auf überholten Klischees und inneren Widersprüchen. Entweder gilt der Rassismus als Symptom sozialer Krisen oder als Verschwörung finsterer Hintermänner, als Komplott zur Manipulation der Massen. Der Rassist gehört demnach in die schlechte Gesellschaft der Armen, Arbeitslosen, Ausgestoßenen, denen allein mit den Mitteln der Sozialtherapie beizukommen ist - Arbeitsplätze, Nachhilfeunterricht und subventionierte Jugendclubs gegen das Ressentiment der Prügler.

Versagt die gütliche Betreuung, verfinstert sich das Feindbild. Der Rassist wird zum Inbegriff der Ignoranz, Dummheit und Bosheit. Man muß ihn auf Distanz halten, um die ehrenwerte Zivilgesellschaft zu schützen, muß jede ansteckende Berührung mit ihm vermeiden, ihn bloßstellen, ausstoßen oder einsperren. Doch die rechtlichen Maßnahmen erfassen allenfalls die nostalgischen Zeremonien der alten Kämpfer. Die normale Aversion gegen das Fremde und das stillschweigende Einverständnis mit den Übergriffen entgehen der Polizei. Schlimmer noch: Die Politik der Exklusion wiederholt spiegelbildlich das Axiom der Reinheit, der reinen Gemeinschaft der Gesinnungsfreunde. Der Moralist predigt Intoleranz gegen die Feinde der Toleranz, erklärt den Widersachern den Krieg, proklamiert Haß gegen den Haß, immer begründet mit der Utopie, nach dem letzten Gefecht beginne alsbald der ewige Frieden, die Politik ohne Feinde.

Den beiden Strategien des Rassismus entsprechen zwei Gegenprogramme, welche sich gegenseitig ausschließen. Entweder preist man das republikanische Ideal der vollständigen Vermischung, weil man kulturelle Unterschiede für eine stete Quelle sozialer Ungleichheit hält: Die universelle Kreuzung soll alle einander angleichen - das ist die Logik der vollständigen Assimilation, der Integration, der bedingungslosen Mixophilie. Oder man teilt das Lob der Differenz mit dem Rassismus und plädiert für die Gesellschaft in Regenbogenfarben: Differenz statt Nivellierung, Vielfalt der Regionen, Multikulturalität statt Zerstörung der kollektiven Identitäten - das ist die Logik der Authentizität. Assimilation durch Gleichberechtigung und Gleichbehandlung oder aber Bewahrung der partikularen Eigenheit, so lauten die konträren Alternativen des Antirassismus.

Man sieht, wie eng die Denkfiguren der politischen Gegner einander benachbart sind. Den Horror vor dem Nivellement, vor der kulturellen Standardisierung teilen die Apologeten der reinen Rasse mit den Propagandisten der Differenz. Mixophilie und Mixophobie sind nur die Kehrseiten einer Weltsicht, die sich vornehmlich dem Problem der Vermischung widmet. Als sei die Konfundierung der Hautfarben, Ethnien, Kulturen a priori gut oder schlecht und nicht ein Prozeß, der immer schon stattfindet und sowohl Einheit als auch Zwietracht mit sich bringt. Die universalen Menschenrechte sind für den rechten wie den (pseudo-)linken Prediger der Differenz ohnehin nur eine Ausgeburt des okzidentalen Ethnozentrismus.

Taguieffs Ausweg aus der Kollusion der feindlichen Brüder fällt wenig überzeugend aus. Das rationalistische Aufklärungsprogramm für eine Welt ohne Vorurteile lehnt er als spekulativ und totalitär ab. Geboten sei ein neuer Universalismus, der die unvollendete Mission der Zivilisierung fortführt. Der "heroische Humanismus" findet seine sozialphilosophische Grundlage nicht in verträumter Philanthropie, aber auch nicht in der Universalität des Moralgesetzes oder den Reziprozitätsnormen des Dialogs, sondern im ursprünglichen Vorrang des anderen, in der Dezentrierung des Ego. In einer Communitas, die zwischen dem Individuum und der Weltgesellschaft vermittelt, tritt an die Stelle der Selbsterhaltung, des Tauschs und der Anerkennung die Verantwortung für den anderen.

Ein anspruchsvolles Programm! Doch benötigt der Widerstand gegen den rechten Extremismus überhaupt eine philosophische Begründung? Der Streit gegen den Rassismus ist kein Disput der Ideen, kein Diskurs der Doktrinen, kein Wortgefecht um Vorurteile. Über die Praxis des Rassismus erfährt man vom Ideenhistoriker Taguieff so gut wie nichts. Um ihr Einhalt zu gebieten, bedarf es neben politischer Klugheit und strikter Ahndung und Prävention von Straftaten lediglich der Beachtung zweier defensiver Grundsätze, die sich von selbst verstehen: des Gebots der passiven Toleranz, das jeden dazu verpflichtet, auch neben dem zu leben, der anders ist als er selbst; und des Gebots der Unversehrtheit, das jedermann dazu verpflichtet, dem anderen nicht zu nahe zu kommen, weder mit Worten noch mit Händen, geschweige denn mit Waffen.

Pierre-André Taguieff: "Die Macht des Vorurteils". Der Rassismus und sein Double. Aus dem Französischen von Astrid Geese. Hamburger Edition, Hamburg 2000. 618 S., geb., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2004

Gespensterbeschwörung
Frankreichs Debatte über Antizionismus und Antisemitismus
Jeder Familien- oder Ehekrach liefert dafür ein Beispiel: Man unterstellt den Argumenten des Anderen Motive, die dieser angeblich sich hütet auszusprechen, um sich nicht von vorneherein ins Unrecht setzen. Der ursprüngliche Anlass des Streits wird darüber rasch nebensächlich, während mit umso größerer Erbitterung um die geleugneten, eo ipso aber „wahren” Motive gezankt wird, deren Stichhaltigkeit sich mit zahllosen Indizien und Argumenten aus dem gelebten Familien- oder Ehealltag eben so gut belegen wie bestreiten lässt.
An Dramaturgie und Verlauf solcher Auseinandersetzungen erinnert die seit einiger Zeit immer lauter werdende Kontroverse darum, wer welche Kritik an der amerikanischen Nah-Ost-Politik und an der Politik Israels üben darf. Geradezu reflexartig wird immer öfter von den Kritisierten sogleich ein Verdacht geäußert, der jede gegenteilige Ansicht desavouiert, den Kritiker diskreditiert und so eine weitere Diskussion unmöglich macht.
Der Verdacht, der diese umfassende Wirkung entfaltet, ist der Antisemitismusvorwurf, für dessen Plausibilität die europäische Geschichte, die nicht vergehen will, einsteht. Als Beweis dieser Unvergänglichkeit wird die antisemitische Welle angeführt, die derzeit vor allem Frankreich, aber auch andere europäische Länder überschwemmt und die sich statistisch belegen lässt. Um so mehr schien es geboten, dieses Phänomen differenziert zu betrachten, es mit der im Wortsinne gebotenen Radikalität, also bis in seine Wurzeln hinein, zu analysieren, weil sich nur so seine gezielte Bekämpfung organisieren lässt.
Mit einer solchen Untersuchung beauftragte das französische Innenministerium den Arzt und Schriftsteller Jean-Christophe Rufin, der am 19. Oktober 2004 seinen 51 Seiten umfassenden Bericht vorlegte, der in Frankreich ein lebhaftes und teilweise sehr kontroverses Echo auslöste. In einer differenzierten Analyse des Täterkreises antisemitischer Aktionen gelingt es Rufin zunächst aufzuzeigen, dass diese nicht vorrangig den „üblichen Verdächtigen” anzulasten sind, also Mitgliedern von Gruppierungen und Parteien der extremen Rechten oder Jugendlichen, deren Eltern aus Nordafrika eingewandert sind.
Die große Mehrheit der einschlägigen Delinquenten käme hingegen aus Ländern, „die in keinerlei Verbindung mit der israelisch-arabischen Frage stünden, was deren mögliche Identifikation mit den Palästinensern als weitaus weniger ‚natürlich‘ erscheinen lässt.” Gemeinsam sei diesen hingegen, dass sie einem Milieu entstammten, dessen Merkmale Entwurzelung, soziales Versagen, Orientierungsverlust und Identitätsprobleme sind, allesamt Indikatoren, wie sie sich unter dem Begriff der „Armutskultur” rubrizieren lassen.
Was diese Träger der „Armutskultur” besonders anfällig macht für den Antisemitismus, sei, so Rufin, dessen eingängige Mischung aus Radikalität, Gewalt und Megalomanie, die verführerische Muster bereitstelle, um sich eine Identität, ein kulturelles Herkommen zusammenzubasteln. Sowohl der radikale Islamismus wie neonazistische Ideologien, die im Antisemitismus konvergieren, fänden deshalb hier einen fruchtbaren Boden. Das gelte aber weit weniger für die Ideologie als solche, sondern beschränke sich auf ein ostentatives Zurschaustellen ihrer tabuisierten und weithin unverstandenen Symbole (Hakenkreuz, SS-Runen) und Slogans, deren Gebrauch stets eine große mediale Wirkung garantiere.
Geborgte Respektabilität
Um deshalb den „neuen” Antisemitismus zu bekämpfen, gelte es, so die Rufins Schlussfolgerung, die soziale Marginalisierung einzelner Bevölkerungsgruppen zu beseitigen, aber auch die Möglichkeiten polizeilicher Repression oder disziplinarischer Sanktionen in den Schulen zu verstärken. Schließlich müsse auch intensiver als bisher über Nazismus und Shoa aufgeklärt werden.
So weit, so gut, so einsichtig und in seinen Folgerungen zu begrüßen. Heftige Kontroversen provozierte Rufin indes mit dem zweiten Teil seines Berichts, in dem er sich über die politischen und intellektuellen „Steigbügelhalter” des Antisemitismus, die „facilitateurs” und den „antisémitisme par procuration”, verbreitet.
Wörtlich heißt es: „Unter allen subtilen Formen, derer sich der Antisemitismus bedient, gilt es vor allem einer besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie seit geraumer Zeit den Diskurs beherrscht: den radikalen Antizionismus (. . .) Dieser moderne Antizionismus speist sich aus dem Anti-Kolonialismus, der Anti-Globalisierungsbewegung, dem Anti-Rassismus, dem Engagement für die Dritte Welt und der Umweltbewegung. Er ist stark verankert innerhalb der linken Globalisierungskritik und bei den Grünen. In dieser Sicht der Welt gilt Israel, das mit den USA und der Globalisierung über einen Leisten geschlagen wird, als ein kolonialistischer Staat, der ohne allen Grund ein unschuldiges Volk der Dritten Welt unterdrückt. (. . .) Indem dieser antirassistische Antizionismus vor allem die ‚Politik Scharons‘ kritisiert und sich dabei auf die Stimmen einiger jüdischer Dissidenten beruft, verschafft er sich den Schutz vermeintlicher Respektabilität und kann für sich beanspruchen, nicht mit Antisemitismus identifiziert zu werden. Das ändert aber nichts daran, denn gräbt man nur etwas tiefer, lässt sich leicht feststellen, dass es sich bei diesem Antizionismus nicht um eine fallweise Kritik der israelischen Politik, sondern um ein Infragestellen der Basis des Staates Israel handelt.”
Mit dem aberwitzigen Gespinst einer weltweiten Verschwörung, zu der Rufin unbewiesen eine kaum überschaubare Zahl von meist linken Bewegungen, Grüppchen und Weltverbesserungsvereinen, zu denen aber durchaus auch respektable Vereinigungen wie „amnesty international” oder auch das „Internationale Komitee vom Roten Kreuz” rechnen können, unter dem Passepartout-Verdacht des „radikalen Antizionismus”, vulgo des Antisemitismus, zusammenschirrt, verfolgt er eine diffamierende Absicht: Jegliche Kritik an der israelischen Politik soll mit der nachweislich falschen Behauptung, sie leugne implizit oder sogar explizit das Existenzrecht Israels, delegitimiert und mundtot gemacht werden.
Die „Belege”, die Rufin zur Erhärtung seines Passepartout-Verdachts schuldig bleibt, liefert ein anderer Autor überreich nach. Pierre-André Taguieff hat mit seinem soeben erschienenen Buch „Prêcheurs de haine. Traversée de la judéophobie planétaire” (Verlag Mille et une Nuits, Paris 2004) auf 962 Seiten gleichsam die „Protokolle” der von Rufin verklagten radikal antizionistischen Weltverschwörung vorgelegt.
Opium der Intellektuellen
Dieses Buch, das sich unschwer als das Produkt einer intellektuellen Paranoia diagnostizieren lässt, weitet jenen Passepartout-Verdacht, wie sein Untertitel bereits verspricht, ins Planetarische und Gigantische aus, denn: „Die Verteufelung Israels und des ‚Zionismus‘ ebenso wie die Litanei der Entlarvung des ‚amerikanisch-zionistischen‘ Imperialismus, schafft eine Konstellation von ideologischen Haltungen, die einen geistigen Raum definieren, in dem sich Islamisten und Extremisten der Rechten wie der Linken zusammenfinden.”
Und speziell für Europa oder Frankreich, man weiß es nicht genau, stellt unser Autor fest: „Das islamisch-palästinensische ‚Revoluzzertum‘ ist heute das Opium der europäischen Intellektuellen - nicht zu vergessen die Vielzahl der Halb-Intellektuellen (der ungebildeten Diplomierten, der verwirrten Autodidakten, der intellektualisierten Irren), die sich in den Medien eingenistet haben, in politischen Grüppchen und Klüngeln den Ton angeben, und die eine weitverstreute Ansammlung von Taliban-Kämpfern à la française darstellen. Sie äußern sich stets mit einem Maximum an rhetorischer Wildheit und gestützt auf ihre mediale Legitimation in einem anti-amerikanischen Ressentiment, das längst zur Vulgata geworden ist.” Selbstverständlich sind bei ihnen auch „Anti-Amerikanismus” und „verteufelnder Anti-Israelismus” eng verschwistert.
Die beiden Textbeispiele machen die „Methode” anschaulich, derer sich Taguieff durchweg bedient: Statt einer argumentativ abgestützten Beweisführung liefert er eine wüste Kompilation allen dessen, worüber sich der Passepartout-Verdacht, der in seinem Fall „Judeophobie” heißt, stülpen lässt. Taguieff ist laut seiner Kurzbiographie übrigens Direktor am staatlichen „Centre national de la Recherche scientifique”, eine Mitteilung, die geeignet ist, nach der Lektüre seines Galimathias einen Bericht über die Qualität der hier geleisteten Forschertätigkeit als überflüssig erscheinen zu lassen.
Mag Taguieff in seiner monomanischen Fixierung auf die umfassende Darstellung der planetarischen Zusammenhänge der „Judeophobie” so leicht nicht zu übertreffen sein, so gilt dies auch für Rufin hinsichtlich der unbeirrbaren Konsequenz, mit der er den „radikalen Antizionismus” zu bekämpfen sucht. Allen Ernstes fordert er ein Gesetz, das jene mit Strafe bedroht, „die ohne zulänglichen Grund Gruppen, Institutionen oder Staaten des Rassismus beschuldigen und sich dabei ungerechtfertigter Vergleiche mit der Apartheid oder des Nazismus bedienen.”
Wer mit seiner Kritik irgend ernst genommen werden will, dem verbietet sich von vorneherein ein Vergleich der israelischen Politik mit den Nazis. So schlimm auch das Los der Palästinenser ist, so wenig lässt es sich mit dem der Juden oder auch dem der Sinti und Roma, der Polen und der sowjetischen Kriegsgefangenen unter der Naziherrschaft vergleichen.
Ganz anders verhielte es sich aber mit einem Vergleich, der die israelische Siedlungspolitik auf der West-Bank mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime unseligen Angedenkens in Beziehung setzte. Dass Scharons Regierung den Siedlungsbau im Westjordanland im stillen Einverständnis mit der Regierung Bush vorantreibt, verrät unmissverständlich ihre Absicht, wie Henry Siegman in der New York Review of Books vom 2. Dezember 2004 schreibt, dieses Gebiet „in drei nicht mit einander verbundene palästinensische Kantone, tatsächlich in Bantustans, aufzuteilen, in denen die Palästinenser unter israelischer Kontrolle leben können, ohne einen eigenen zusammenhängenden Staat zu haben”.
Henry Siegman hat sich schon verschiedentlich in diesem angesehenen Blatt mit scharfer Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern zu Wort gemeldet. Dass dies dem schwadronierenden Taguieff entgangen ist, der auch noch den hinsichtlich seiner politischen oder intellektuellen Repräsentativität zweifelhaftesten Mist, den er im Internet entdeckte, lang und breit zitiert, ist schon erstaunlich. Und Rufin müsste in dem von ihm geforderten Gesetz konsequenterweise auch ein Verkaufsverbot der New York Review of Books in Frankreich verlangen, handelt es sich dabei doch eindeutig um das Zentralorgan des von ihm diagnostizierten „radikalen Antizionismus.”
JOHANNES WILLMS
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der Studie des französischen Philosophen Pierre-André Taguieff über die Ähnlichkeiten zwischen Rassisten und Antirassisten gibt Micha Brumlik die besten Chancen, zum meistzitierten, aber am wenigsten gelesenen Sachbuch der Saison zu werden. Das in Frankreich schon 1988 erschienene Buch scheine jenen Recht zu geben, die schon immer ein Hühnchen mit der alten Linken, mit Antifa und NGOs zu rupfen hatten. Brumlik überführt die `nicht immer klare und in interessante historische Exkurse mäandernde philosophische Grundlage` selber der Macht des Vorurteils. Taguieffs Studie blende die Praxis des Rassismus weitgehend aus und konzentriere sich auf die Auseinandersetzung mit Richard Rortys `Politik der Differenz` und auf philosophische Definitionen des Begriffs `Antirassismus`. Brumlik nennt das Buch dennoch `lesenswert`, sein Ergebnis, ein republikanischer Universalismus, ausgerichtet an der Kantschen Ethik, ist ihm jedoch zu wenig. Will man diese Studie auf ihren Kern prüfen, so der Rezensent, muss man nur die Frage stellen, `wie viele Tote den Rassisten und wie viele den Antirassisten zuzurechnen sind`.

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