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Produktdetails
  • Verlag: Kleebaum-Verlag
  • ISBN-13: 9783930498314
  • ISBN-10: 3930498316
  • Artikelnr.: 32742427
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2011

Das Unglück des Reisens

Unspeakable Eintopf: In "Beckett in Bayern" erzählt Steffen Radlmaier von den deprimierenden Erlebnissen des irischen Erzählers auf deutschem Boden.

Dieses Bayern hat ihm nun gar nicht gefallen. "Ich bin froh, wenn ich wieder weg bin", schrieb Samuel Beckett am Ende seiner zweimonatigen Rundreise Anfang 1937, die ihn nach Bamberg, in den Kurort Staffelstein, nach Nürnberg, Regensburg und schließlich nach München führte. Dabei hatte das Unbehagen mehrere Gründe: Keinesfalls regte Beckett etwa das martialische Auftreten der Nationalsozialisten auf, die er nur beiläufig be- und missachtete. Es waren andere, oft profane Anlässe, die ihm die Stimmung vermiesten.

Ein Anzug, den er bei einem dubiosen Schneider in Auftrag gegeben hatte, wurde nicht zum vereinbarten Zeitpunkt fertig - und saß dann schließlich hinten und vorne nicht. Mit dem Schreiben ging es gar nicht voran, zudem war immer noch nicht klar, ob der erste Roman "Murphy" nun endlich erscheinen würde. Wenngleich Beckett die Kunstwerke, die er unermüdlich in Museen und Kirchen in kritischen Augenschein nahm, anregten, machte ihn das Leben in Franken und Bayern nicht froh: Furtwängler am Klavier fand er "furchtbar"; die dürftig bestückte Dürer-Sammlung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg nannte er einen "Skandal"; mit dem Komiker Karl Valentin, den er kurz traf und dessen absurde Späße später doch oft mit seinem, Becketts Namen in Verbindung gebracht werden sollten, konnte er nur wenig anfangen; die Isar war eine "Pissrinne".

"Saublöde Tage" mithin, in denen der damals dreißig Jahre alte Beckett zu viel trank, kaum Geld hatte und in der Krise feststeckte: "Ich führe Tagebuch über mein Hin und Her, habe aber seit meiner Abreise nichts Zusammenhängendes geschrieben, auch nichts Unzusammenhängendes. Nicht die Spur eines neuen Buches", schrieb Beckett in einem Brief.

Das erwähnte Tagebuch hat jetzt der Nürnberger Journalist Steffen Radlmaier gesichtet und ausgewertet. In seinem Buch "Beckett in Bayern" finden sich auch jene Einträge wieder, die von Stimmungsschwankungen und heftigem Unmut erzählen. Diese "German Diaries", die erst nach Becketts Tod entdeckt wurden und seitdem unveröffentlicht in der Universität Reading lagern, dürfen nur eingesehen werden; aus ihnen ausführlich zu zitieren, untersagt der Nachlassverwalter Edward Beckett nach wie vor. Trotz dieses Verdikts aber gelingt es Radlmaier, die bayerische Route der Reise nachzuzeichnen, die ursprünglich in Hamburg begann und weiter über Berlin, Halle, Leipzig in den Süden führte.

Fünf rote Notizbücher und ein schwarzes Heft sind es, in denen die Deutschland-Tour festgehalten ist - die Hamburger und Berliner Zeit wurde bereits in Ausstellungen und Publikationen dokumentiert. In kleiner, zum Teil unleserlicher Handschrift und mittels Eintragungen, die sich größtenteils auf Zahlen und Fakten beschränken, wird jede Skulptur, jedes Bild schriftlich festgehalten, das Beckett sich anschaut. Er listet seine Lektüre auf, flüchtige und (ganz selten) engere Bekanntschaften, alltägliche Befindlichkeiten. Manchmal schwankt er spielerisch zwischen den Sprachen, dann wieder liest man vom "unspeakable Eintopf", dem "Hundewetter again", von "Radau too great" oder vom nervigen "Concert SS Blaskapelle".

Dass Beckett sich in einem Land befindet, das seit ein paar Jahren von Faschisten regiert wird, die besonders im Süden großen Anklang finden, kommt in den "Diaries" dagegen nur beiläufig zur Sprache. In Würzburg löst er allerdings antisemitische Hasstiraden aus, als er in einem Wirtshaus den Namen des jüdischen Malers Max Liebermann erwähnt. In München findet er einen Propagandafilm "unsäglich". In Nürnberg registriert er die Anwesenheit des "Judenhetzers Julius Streicher & seiner Bande". In Regensburg hat man an einer Kirche das Schild mit "Grüß Gott" durch "Heil Hitler" ersetzt. Ansonsten aber interessiert ihn der augenfällige Umbruch in dem Land nicht - oder sollte die knappe Notiz "but it is aus" als resignatives Urteil über ein nicht mehr zu rettendes Volk gelesen werden?

Beckett schlingert durch Franken und Bayern wie einer, dem die Orientierung abhandengekommen ist. München mag er nicht, Nürnberg findet er schrecklich, in Würzburg rätselt der Spaziergänger auf einem Wallfahrtsweg über den Hinweis "Nicht rauchen auf dem Leidensweg". Seine Kunststudien, die er in Berlin noch systematisch betrieb, haben hier etwas Zufälliges, sein Interesse an Land und Leuten tendiert gegen null: "Ich habe das Reisen satt und fühle mich oft, als würde ich eine Rolle rückwärts machen", heißt es abermals in einem der Briefe, die Radlmaier eigens für seine Arbeit übersetzt hat.

Ohne eben diese Briefe wäre eine Rekonstruktion der bayerischen Reise auch kaum möglich. Denn die fragmentarischen Notizen lassen einen tieferen Einblick in Becketts Seelen-Schieflage nur bedingt zu. Einzig die groteske Geschichte über den zwielichtigen Bamberger Schneider findet ausführlich Erwähnung. Daneben gerade noch einige unfertige Gedanken über das Scheitern der Sprache, das sein literarisches Thema werden wird. Einstweilen aber leidet Beckett ganz persönlich und konkret darunter. Ohne Hoffnung übrigens, dass es daheim in Irland besser werden könnte. Am 2. April 1937 beendet er seine Reise, die "von etwas weg und nicht zu etwas hingeführt hat". Und verlässt Bayern mit den Worten: "Ich bin erschöpft und kann nichts mehr sehen, alle Oberflächen bleiben Oberflächen und das ist schrecklich."

BERND NOACK

Steffen Radlmaier: "Beckett in Bayern".

Kleebaum Verlag, Bamberg 2011, 88 S., geb. 12,40 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erkenntniswertes bietet das Buch offenbar eher wenig, dafür hat der Autor Steffen Radlmaier viel Zusammenhangloses in eine lesbare Form gebracht, indem er Becketts Tagebucheinträge zu seiner Bayern-Zeit (die weiters unter Verschluss liegen) mit einigen seiner Briefe kombiniert und die für Beckett recht quälende Reise rekonstruiert hat. Bernd Noack scheint's dem Autor zu danken, wenn auch nicht überschwänglich. Immerhin entdeckt er erste Ansätze zu Becketts Lebensthema der scheiternden Sprache und weiß nun, dass der aufziehende Faschismus den jungen Iren ordentlich abgestoßen, ansonsten aber nicht sonderlich interessiert hat, dass er damals ziemlich desorientiert und die Bayern ihm ein Graus gewesen sein müssen.

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