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Produktdetails
  • Verlag: Palmyra
  • Seitenzahl: 294
  • Erscheinungstermin: 4. Quartal 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm x 135mm x 25mm
  • Gewicht: 366g
  • ISBN-13: 9783930378227
  • ISBN-10: 3930378221
  • Artikelnr.: 07960353
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2000

Das seltsame Datum "bevor"
Mohammed Arkoun preist die Epoche des Islam, ehe er dogmatisch wurde

Mohammed Arkoun, geboren 1928 in Algerien, lehrte von 1972 bis 1992 islamische Ideen- und Kulturgeschichte an der Pariser Sorbonne. Heute ist er Regierungsberater für islamische Angelegenheiten in Frankreich. Von seinen zahlreichen Büchern ist "Der Islam" (Paris 1989) das erste, das in einer deutschen Übersetzung vorliegt. Es versteht sich als eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam, wobei mit "Islam" nicht nur die Religion der Muslime gemeint ist, sondern das Gesamtbild, das sich sowohl "der Westen" wie auch "der Orient" von dem Phänomen Islam machen. Die Beobachtung, daß diese Islam-Bilder nicht nur nicht identisch sind, sondern daß sie auch nicht deckungsgleich sein können, durchzieht die Abhandlung wie ein roter Faden.

Arkoun fragt nach den Gründen für diese Ungleichheit der Islam-Bilder im Westen (die Heterostereotypen) und im Orient (die Autostereotypen), wobei er sogleich feststellt, daß beide Islam-Bilder falsch - da rein ideologisch - sind. Die Ausgangsfrage seines Buches könnte auch so formuliert werden: "Wie wirklich ist die Wirklichkeit des Islam?" Die Antwort müßte lauten: "Zur Zeit noch nicht sehr."

Das Islam-Bild der Muslime, erklärt Arkoun, sei orthodox, fundamentalistisch, mittelalterlich, erstarrt, unvernünftig. Seit dem Tod des Philosophen Averroes (1198) und der Eroberung Bagdads durch die Mongolen (1258) habe der Islam sich nicht weiterentwickelt, sondern er sei zu einem "geschlossenen offiziellen Korpus" erstarrt, dem die kritische Vernunft fehle. Der Westen hingegen huldige einem "positivistischen, wissenschaftsfetischistischen Rationalismus", der es unmöglich mache, über religiöse Phänomene und religiöse Ausdrucksformen (Mythos, Symbol, Metapher) überhaupt nachzudenken. Die breite Öffentlichkeit sei in Europa in allen Bereichen, die mit religiösem Leben und religiösen Ausdrucksformen zu tun haben, "zum Analphabetentum verurteilt worden".

Mit dieser harten Grenzziehung übertreibt Arkoun natürlich, doch er tut es bewußt und provozierend. Er geht sogar so weit, einige "gewiß gewagte Parallelen" zwischen "den Verwaltern des Heiligen und den Priestern laizistischer Militanz" zu ziehen: Der Schlachtruf der Anhänger Chomeinis während der persischen Revolution lautete: "Marg bar Schah" (Tod dem Schah). Sie wollten ihrem Bild vom Islam, ihrem muslimischen "Imaginären" zum Sieg verhelfen. Dies sei "durchaus mit dem Impuls vergleichbar, der die französischen Revolutionäre dazu veranlaßte, Ludwig XVI. zum Tode zu verurteilen und hinzurichten, um der gesamten religiösen Symbolik ein Ende zu bereiten". Im kollektiven Bewußtsein der Franzosen bedeutete die Verurteilung des Königs den Sieg der Vernunft (der dann in Terror ausartete); im kollektiven Bewußtsein der Perser bedeutete die Forderung nach dem Tod des Schahs den Willen zur Rückkehr zu dem Islam (der dann ebenfalls in Terror mündete).

Die Parallelen Arkouns, ob gewagt oder provozierend, machen nachdenklich. Denn indem der Autor Parallelen aufzeigt, kritisiert er nicht nur den orthodoxen Islam, sondern ebenso den Hochmut der westlichen Intellektuellen gegenüber diesem Phänomen. Trotz seiner Kritik an der "islamischen Vernunft" scheint Arkouns Buch in erster Linie gegen die westlichen Intellektuellen und Islamwissenschaftler geschrieben worden zu sein, es ist ein "für ein westliches Publikum bestimmtes Buch".

Diese Feststellung ergibt sich aus Arkouns eigenwilliger Aufteilung der Geschichte. Der Islam zerfällt für ihn in zwei Perioden: die "klassische" Zeit vom Tod Mohammeds 632 bis zum Fall von Bagdad 1258 und die dekadente oder auch "orthodoxe" Zeit von 1258 bis heute. Dem steht der Westen gegenüber mit seiner Zeiteinteilung, die die Französische Revolution als Scheidedatum zwischen der vormodernen rationalen und der "säkularen" Zeit begreift.

Über die westliche Zeit vor der Französischen Revolution sagt Arkoun wenig, im Visier hat er die "säkulare" Zeit des Westens und die "orthodoxe" Zeit des Islam. Diese beiden "Zeiten" sind zu kritisierende Verfallszeiten, die gemessen werden an der Zeit des "klassischen" Islam. Dieser ist dem Autor Vorbild, von ihm aus entwickelt er seine Kritik. Der Kernpunkt dieser Kritik lautet, daß sich "sämtliche ,Gläubigen', ob sie nun Anhänger geoffenbarter Religionen oder zeitgenössischer säkularer Religionen sind", alle wichtigen Sinnfragen allein aus dem Blickwinkel einer "unveränderten Transzendenz" zu beantworten versuchen, das heißt, so Arkoun, aus dem Blickwinkel "einer vor aller Geschichtlichkeit geschützten Ontologie".

Die jeweils ahistorische Ontologie - sei sie islamisch, christlich, jüdisch oder säkular - verhindert ein Gespräch, vom Verstehen ganz zu schweigen, zwischen den jeweiligen Gruppen. Alle theologischen und traditionellen Definitionen der Religionen verhärten nur die Grenzen zwischen diesen, und darum fordert Arkoun eine neue Hermeneutik, sein Ziel ist die "Wiederherstellung einer angemessenen historischen Sicht" des Phänomens Religion. Diese historische Sicht sei verbunden mit einer historischen Kritik an den Religionen, die nicht von Rabbinern, Priestern, Mullahs oder Vernunftaposteln geleistet werden könne, sondern nur von Anthropologen und Kulturhistorikern - von Mohammed Arkoun zum Beispiel.

"Diese Arbeit ist bisher noch nicht einmal in Angriff genommen oder auch nur als Aufgabe wahrgenommen worden." Noch "niemand" habe "die Offenbarungen in ihren drei ursprünglich sprachlichen - hebräischen, aramäischen und arabischen - Manifestationen und im Rahmen der historischen und anthropologischen Bedingungen für das Entstehen dieser drei Traditionen studiert". Niemand ist kursiv gedruckt. "Nirgends", wieder kursiv, sei die Offenbarung "in ihren drei historischen Manifestationen studiert worden". Bei allem Verständnis für Arkouns Angriffe auf jede Art von Dogmatik gehen diese Behauptungen doch etwas zu weit. Auf Shlomo Pines und Carsten Colpe sollte unbedingt in diesem Zusammenhang verwiesen werden, sicher auch auf Leo Strauss.

Arkoun möchte auf die Gemeinsamkeiten der drei mediterranen Offenbarungsreligionen hinweisen, auf die gemeinsamen Zeichen und Symbole ihrer Glaubensweisen, bevor sie zu Dogmatiken und sich gegenseitig ausschließenden Ideologien wurden. Aber wenn man alle drei Religionen gleichzeitig im Blick hat: Wann war dieses "bevor"? Wann und wo passierte das, was wiederhergestellt werden soll? Arkoun verachtet die verstaatlichte Gegenwart und träumt von der schönen Utopie in der Vergangenheit, die schwer zu finden ist.

An einer Stelle deutet Arkoun an, wo und wann er seine Utopie gefunden hat: "Der koranische Diskurs hat in vielfältiger Weise seine Wirksamkeit als Raum für die Entstehung, Ausbildung und Entfaltung der freien Person demonstriert, deren Leben, Eigentum, Familie und privates Heim garantiert sind - nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als ,Bürger' einer Zivilgesellschaft, die durch gewählte Repräsentanten oder durch allgemeines Wahlrecht (Souveränität der durch die Französische Revolution 1789 gegründeten Nation) geleitet wird, sondern als Partner Gottes in einem ewigen Vertrag." So war es - aber kann es auch wieder so werden? Kann die Französische Revolution, kann die persische Revolution, kann Mustafa Kemal Atatürks türkische Revolution rückgängig gemacht werden? Der Rezensent meint, lieber heute in Wolfenbüttel als 630 in Medina leben zu wollen.

Mohammed Arkouns Buch ist letztlich keine historisch-kritische Annäherung an den Islam. Wer jedoch auf Fehler im Umgang mit dem Phänomen Religion aufmerksam gemacht werden möchte, findet darin manche Anregung. Wer auf die Kraft der einen menschlichen Vernunft und die Aufklärung baut, dem wird die Lektüre zwar nicht gefallen, doch er wird merken, daß Mohammed Arkoun von einem dem Aufklärer ähnlichen Optimismus lebt. Es ist der Optimismus eines Denkers, der sich gerade von der Religion die Aufklärung erhofft.

FRIEDRICH NIEWÖHNER

Mohammed Arkoun: "Der Islam". Annäherung an eine Religion. Aus dem Französischen von Michael Schiffmann. Vorwort von Gernot Rotter. Palmyra Verlag, Heidelberg 1999. 294 S., br., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Kulturgeschichtler Arkoun interessiert sich für ein doppeltes Fehlverständnis: Das Selbstbild der Moslems ebenso wie die Vorurteile des Westens verhinderten den Blick auf den wahren Islam. Rezensent Friedrich Niewöhner konstatiert manche Übertreibung im Text Arkouns, hält aber viele seiner Thesen immerhin für anregend. Er folgt ihm nicht in seinen Versuchen, in der historisch-hermeneutischen Forschung die Wahrheit der Religion (und nicht nur des Islam) wieder zu entdecken, erklärt dieses Vorhaben zur allzu stark der Vergangenheit zugewandten Utopie. Stichhaltiger sei der Hinweis auf die Religionsblindheit der aufklärerischen Tradition, der wiederum Arkoun in puncto Optimismus allerdings kaum nachstehe.

© Perlentaucher Medien GmbH