Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 10,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Offizin, Hannover
  • 1., Aufl.
  • Seitenzahl: 300
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm x 135mm
  • Gewicht: 380g
  • ISBN-13: 9783930345427
  • ISBN-10: 3930345420
  • Artikelnr.: 12897834
Autorenporträt
Joachim Perels, geb. 1942, Politikwissenschaftler, seit 1971 an der Universität Hannover, seit 1983 dort Professor für Politische Wissenschaft (inzwischen emeritiert). Arbeitsgebiete: Demokratische Verfassungstheorie, Herrschaftsstruktur des Staatssozialismus, Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, Nachwirkungen des NS-Systems in der Bundesrepublik Deutschland, Ahndung von Staatsverbrechen, Politische Implikationen von Theologie.
Mitbegründer und Redakteur der Zeitschrift "Kritische Justiz", Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Fritz Bauer Instituts und Mitglied der internationalen Expertenkommission für den Ausbau der Gedenkstätte Bergen-Belsen, stellvertretender Direktor des Instituts für Föderalismusforschung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.01.2005

Das Versagen der Eliten
Joachim Perels zur Entsorgung der Vergangenheit
Deutschland im Herbst 2004: Bei den Landtagswahlen in zwei ostdeutschen Bundesländern bekamen rechtsextreme Parteien eine erschreckend hohe Zahl an Wählerstimmen. Man konnte dann lesen, dass die gewachsenen Sympathien in der Bevölkerung für Nazi-Sprüche den Industriestandort Deutschland gefährdeten. Als ginge es lediglich um ökonomische Investitionssorgen, wenn in einem Land mit einer dramatischen jüngeren Vergangenheit wie Deutschland ein mühsam gewonnener demokratischer Grundkonsens einbricht. Oder, so hieß es auch, die Skinheads seien mit einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik wieder zu beruhigen. Waren es denn nur radikalisierte Arbeitslose und verunsicherte Kleinbürger, die den Nationalsozialismus schließlich an die Macht gebracht haben? Altväterlich beschwichtigend dann der Verweis auf die disziplinierende Wirkung parlamentarischer Spielregeln auf die extremistischen Abgeordneten. Ein kurzes, grelles Scheinwerferlicht auf die neuen rechtsextremen Parlamentarier - und dann wieder Business as usual.
Unabhängig von tagesaktuellen Konjunkturen forscht der Hannoveraner Politikwissenschaftler Joachim Perels seit Jahrzehnten über die gesellschaftlichen Ursachen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates und vor allem über dessen Nachbeben in der demokratischen deutschen Nachkriegsgesellschaft. Eine Auswahl seiner Arbeiten ist jetzt unter dem Titel „Entsorgung der NS-Herrschaft” in einem Sammelband erschienen. Mit der den Band einleitenden Widmung („Dem Andenken an Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt aus Freiheitssinn, Mitbegründer der ,Kritischen Justiz‘” ) gibt Perels sogleich den Tenor seiner Argumentation an. Dass er selber einer protestantischen Familie entstammt, die große Opfer im Kampf gegen das Nazi-System gebracht hat, erwähnt Perels indirekt nur in seiner Erinnerung an die Abschiedsbriefe zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer. Dort zitiert er auch Zeilen aus dem Brief, den sein Vater Friedrich Justus Perels vor der Hinrichtung an seine Frau gerichtet hat.
Perels ist nicht nur Politikwissenschaftler, sondern, in der Tradition seines Vaters stehend, auch Jurist. Im Mittelpunkt seines Interesses an der Nazi-Diktatur stehen, im Gegensatz etwa zu Adorno, Horkheimer und Bloch, weniger die mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen dieses Unrechts-Systems. Orientiert an den Faschismusanalysen von Ernst Fraenkel („Der Doppelstaat” ) und Franz L.Neumann („Behemoth”), versucht er die „Strukturen der NS-Despotie” offen zu legen. Wie funktionierte der Übergang von der rechtsstaatlichen Weimarer Demokratie in den nationalsozialistischen „Maßnahmestaat” (Fraenkel)? Wie wurde der Justizapparat in das NS-Regime eingefügt und warum konnten in der rechtsstaatlichen BRD anti-demokratische Restbestände der NS-Justiz so lange weiterbestehen?
Eine schmerzhafte Wunde
Seiner in immer wieder neuen Varianten und mit immer weiteren Belegen vorgetragene Grundthese vom Nachwirken des Nazi-Unrechts kann heute ernsthaft wohl niemand mehr widersprechen. Im Bildungssystem, in den medizinischen Institutionen, in den Medien, den herrschenden Parteien im Adenauer-Staat und ganz besonders auch im westdeutschen Justizapparat gehörten Täter und aktive Mitläufer der NSDAP lange Zeit zum Stammpersonal auch in führenden Gremien: „Der beamtete Stab des NS-Regimes, der einst in weitem Maße für die Durchbrechung rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Positionen mitverantwortlich war, wurde nach 1951 fast ohne Einschränkung zum Rückgrat der Bundesrepublik.”
Warum bis heute - und in letzter Zeit wieder verstärkt - die konservativen Eliten des deutschen Bürgertums so empfindlich auf die so genannte 68er-Generation reagieren, wird einem bei der Lektüre der Arbeiten von Perels bewusst: In jener Zeit der studentischen Revolte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, der auch Perels wichtige Impulse seiner forschenden Neugierde verdankt, wurde das Versagen fast des gesamten deutschen Bürgertums in den Jahren vor und während des Nationalsozialismus in aller Deutlichkeit offen gelegt. Viele mit dem 68er-Etikett versehene „kulturrevolutionäre” Ideen konnten von der kapitalistischen Konsumgesellschaft leicht funktionalisiert werden. Aber mit dem Insistieren auf die Ursachen des Nationalsozialismus und das historische Versagen gerade der bürgerlichen Eliten blieb immer eine schmerzhafte Wunde offen.
Eine durch die familiäre Herkunft angestoßene zusätzliche Aufmerksamkeit widmet Perels dabei auch dem Verhalten der Kirchen, vornehmlich des Protestantismus, in der Nazi-Zeit. Folgen wir den Untersuchungen, dann war das Verhalten der Hannoverschen Landeskirche gegenüber dem Nationalsozialismus alles andere als vorbildlich christlich. „Ihre Aufgabe, ein Ärgernis in der Welt zu sein, verfehlte die Kirche vielfach.” Auch der nach dem Ende der deutschen Teilung forcierte Versuch, das Unrechtssystem der Nazis mit dem der ostdeutschen Kommunisten auf eine Stufe zu stellen und damit zu relativieren, wird von Perels mit luziden Argumenten zurückgewiesen. Sich den Opfern der beiden undemokratischen Systeme verpflichtet zu wissen, heißt aber auch, auf differenzierte Untersuchungen zu bestehen. Wer beide Systeme als identisch interpretiert, „will die Argumentationsergebnisse des Historikerstreits, die Verteidigung des unbestechlichen Blicks auf die NS-Despotie und die Wahrnehmung der geschichtlichen Genesis ihrer Verbrechen, rückgängig machen.”
Allerdings hätte man sich hier vom Autor eine etwas detailliertere Auseinandersetzung mit den Strukturen des „real existierenden Sozialismus” erhofft. Und ob der vom Autor favorisierte „demokratische Sozialismus” in der Tradition des Prager Frühlings von 1968 eine realistische Alternative zum Kapitalismus sein kann, ist mangels dauerhafter Beispiele nur schwer zu überprüfen.
Wir müssen selber entscheiden, welche Konsequenzen wir aus dem von Joachim Perels an einer Stelle zitierten Vermächtnis Fritz Bauers ziehen: „Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.”
CARL WILHELM MACKE
JOACHIM PERELS: Entsorgung der NS-Herrschaft. Konfliktlinien im Umgang mit dem Hitler-Regime. Offizin, Hannover 2004. 384 Seiten, 22,90 Euro.
Im Film „Rosen für den Staatsanwalt” (mit Martin Held und Walter Giller/rechts) wird die bruchlose Karriere mancher Nazi-Juristen angeprangert.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Warum die konservativen Eliten des deutschen Bürgertums derart empfindlich auf die Vorwürfe der 68er-Generation reagierten, verstehe man bei der Lektüre der Arbeiten Joachim Perels, schreibt Rezensent Carl Wilhelm Macke. In Perels neuem Buch, einem Sammelband über die "Entsorgung der NS-Herrschaft", spürt der Autor dem Nachwirken des Nazi-Regimes in der Bundesrepublik nach. In immer neuen Varianten und mit neuen Belegen lege der Politikwissenschaftler seine Grundthese dar, nämlich dass Täter und aktive Mitläufer der NSDAP lange Zeit zum "Stammpersonal" führender Gremien der BRD gehörten, resümiert Macke. Dabei interessierten ihn weniger die mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen der NS-Diktatur als vielmehr deren Strukturen und der Weiterbestand antidemokratischer Restbestände der NS-Justiz in der rechtsstaatlichen BRD. Lobend hebt der Rezensent zudem die Untersuchung der Rolle der protestantischen Kirche während des Nationalsozialismus hervor, die "alles andere als vorbildlich christlich" war. Allein eine etwas detailliertere Auseinandersetzung mit den Strukturen des DDR-Sozialismus hätte er sich in der ansonsten ausgezeichneten Untersuchung gewünscht.

© Perlentaucher Medien GmbH