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Produktdetails
  • Verlag: Offizin, Hannover
  • Seitenzahl: 300
  • Gewicht: 452g
  • ISBN-13: 9783930345281
  • ISBN-10: 3930345285
  • Artikelnr.: 25294748
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2001

Transformierte Transferierte
Vorurteile über die Vertriebenenverbände

Samuel Salzborn: Heimatrecht und Volkstumskampf. Außenpolitische Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische Umsetzung. Offizin Verlag, Hannover 2001. 304 Seiten, 44,- Mark.

Der Autor bedient sich in tendenziöser Absicht einer eigenwilligen Terminologie. Der Ausdruck Wende oder Ende der kommunistischen Herrschaft über die Staaten Ostmitteleuropas wird hartnäckig gemieden, das durchgängig gebrauchte Wort heißt "osteuropäische Transformation". Welche Fehlleistung im Sinne des Autors, daß im Vorwort von Wolfgang Kreuzberger gleich im ersten Satz vom "Zusammenbruch des Ostblocks" die Rede ist!

Die Vertriebenenverbände werden zwar so genannt, wie sie sich nun einmal selbst nennen, aber eine Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat soll es nicht gegeben haben. "Die Wörter Vertreibung/Vertriebene werden in Anführungszeichen gesetzt, denn der Begriff Vertreibung", so heißt es kommentierend, "wurde einige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Ziel der moralischen Legitimation des eigenen anspruchsorientierten Handelns als offizieller Oberbegriff eingeführt." Samuel Salzborn gibt schon deswegen den "Termini Umsiedlung/Flucht beziehungsweise Umsiedler/Flüchtling als generellen Begriffen den Vorzug", denn "nur für eine kurze Zeit vor der Potsdamer Konferenz kann von wilden Vertreibungen gesprochen werden". Für den Autor ist es dann jedoch geradezu peinlich, wenn er bei Zitaten aus dem zwischen Deutschland und Polen 1990 abgeschlossenen Grenzbestätigungsvertrag auf den Begriff der Vertreibung stößt. Hier muß auch er das historische Faktum der Vertreibung zur Kenntnis nehmen, und dies ohne jedes Anführungszeichen.

Geschichtsunkenntnis

Obwohl sich Salzborn die Aufgabe gestellt hat, über die "außenpolitische Ideologie" der aus der Heimat Vertriebenen zu berichten, geht er von einem höchst sonderbaren Deutschlandbegriff aus. Es seien eben nur "wenige Jahre seit der Reichsgründung 1871" gewesen, "in denen etwa Ostpreußen oder Teile Oberschlesiens tatsächlich zum deutschen Staat gehörten. Es war im wesentlichen preußischer, österreichischer und russischer Expansionspolitik zu verdanken, daß die Gebiete später für eine kurze Zeit unter deutsche Verwaltung gelangen konnten." Diese Beschwörung der drei polnischen Teilungen von 1772, 1793 und 1795 hat überhaupt nichts mit Schlesien, Ostpreußen oder Pommern zu tun, wohl aber sehr viel mit der Geschichtsunkenntnis des Verfassers. Bis in die Bezeichnung des Oppelner Schlesiens, das für ihn nur Opolskie heißt, werden nur die fremdsprachigen Ortsbezeichnungen im laufenden Text benutzt. Mit dem Umschlag des Buches ist jedoch eine Panne passiert, denn die Landkarte als benutzte Folie verzeichnet Oberschlesien und Breslau ausschließlich in deutscher Sprache.

Was hat sich unter den Vertriebenen seit der "osteuropäischen Transformation", also seit der Wende von 1989/90 bis zum Jahre 2000, in Befolgung ihrer so benannten "außenpolitischen Ideologie" getan? Durch den Grenzbestätigungsvertrag von 1990 mußte der Bund der Vertriebenen, mußten die Landsmannschaften auf einem neuen Arbeitsfeld, dem der Außenpolitik, operieren. Aber so neu war es auch wiederum nicht, denn schon in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 fällt das Stichwort Europa. Jedoch setzt nach Salzborns Ansicht bereits hier das Fragwürdige ein. Der Bezug auf Europa und dessen Wiederaufbau war lediglich "von taktischer Prägung": "Es ging den ,Vertriebenen' vielmehr um die Relativierung der deutschen Verbrechen durch die Einbettung in einen europäischen Kontext, bei dem der Europabezug selbst als taktische Variante eher neben Deutschland-zentrierten Ausrichtungen entwickelt wurde."

Kraftvolle Worte

Wenn jetzt seit dem Beginn der "osteuropäischen Transformation" die Vertriebenen von Menschenrechten reden, als Anwalt für die Deutschen unter polnischer Souveränität auftreten, für ein (absichtlich nicht: das) Recht auf die Heimat eintreten, soll Osteuropa höchste Gefahr drohen. Diese nennt Salzborn "völkischer Partikularismus" und "ethnische Parzellierung der europäischen Nationalstaaten". Daß diese kraftvollen Worte bereits Realität geworden seien, könne zwar nicht behauptet werden, aber es erscheine doch dringend geboten, Warnungen auszusprechen.

Anvisiert ist stets Polen, denn hier leben Hunderttausende als deutsche Minderheit. Mit dieser Minderheit - die Bezeichnung Volksgruppe ist ihm zuwider - tut sich Salzborn deswegen schon so schwer, weil er kurz zuvor noch in seiner Argumentation die Existenz einer solchen Minderheit entsprechend den Angaben der kommunistischen Diktatur auf nur wenige tausend minimalisiert hatte. Während der Polonisierung bis zur Wende von 1989 (kein Wort Salzborns darüber) fehlte es bekanntlich an jeglicher Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Deutschen, aber der Verfasser hält all das für in Ordnung mit der Begründung, die Deutschen seien lediglich "wegen Kollaborationsverdachts gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt" gewesen.

Es gibt kaum eine Äußerung von Sprechern der Landsmannschaften und den jeweiligen Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, die nicht kritisch zerfetzt wird, um den Nachweis für die aufziehende Bedrohung des Status quo zu erbringen. Bereits vor einem Jahr hat Salzborn mit seinem Buch "Grenzenlose Heimat. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände" ganz im Sinne der einstigen Sprachregelung in der DDR das Wirken der Vertriebenen und ihrer Organisationen vorgeführt, angeklagt und verurteilt. Das wiederholt sich jetzt. Die Sprache des Verfassers ist die des Vorurteils, und er verurteilt alles, was die für die Vertriebenen verantwortlich Handelnden sagen und tun. Warum sollte nicht auch kritisch geurteilt werden? Dann aber bitte ohne offenkundiges Ressentiment.

HERBERT HUPKA

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Autor sei voller Ressentiments - behauptet Herbert Hupka, der dieses Buch über die Vertriebenenverbände und ihr "außenpolitisches Konzept" nach 1990 für die FAZ besprechen darf. Und zwar ohne dass es eine Anmerkung dazu gibt, dass der Rezensent Politiker und Sprecher des Landsmannschaftsverbandes Schlesien ist. Kein Wunder also, dass er findet, die Vertriebenverbände und ihre Politik seien schlecht weg kommen. Hupka mokiert sich über die Sprachregelungen des Autors, der das Wort Vertreibung in Anführungszeichen setzt, aus einem Vertriebenen lieber einen Flüchtling macht und den Zusammenbruch des Ostblocks "osteuropäische Transformation" heißt. In Bezug auf die außenpolitischen Konzepte der Landsmannschaften - Stichwort Europa - möchte sich Hupka gegen den Vorwurf des Autors verwahren, dieser Bezug sei ein rein taktisches Manöver und stehe für "völkischen Partikularismus". Auf eine kleine Panne weist Hupka zurecht hin: im Text verwendet Salzborn die polnischen Ortsnamen, während der Schutzumschlag des Buches eine Landkarte von Schlesien in deutscher Sprache vorweist. Wahrscheinlich verkauft sich das Buch so besser. Peinlich für den Verlag, Pech für den Autor, Schadenfreude auf Seiten des keineswegs ressentimentfreien Rezensenten.

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