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Produktdetails
  • Verlag: Manholt Verlag
  • Seitenzahl: 157
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 290g
  • ISBN-13: 9783924903213
  • ISBN-10: 3924903212
  • Artikelnr.: 08248187
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2000

Wie Fliegen im leeren Glas
Jules Barbey d'Aurevilly hält es mit dem Teufel

Wer ist der Kapuziner mit dem unverfrorenen Mund, der in einem trostlosen Bergnest der Cevennen für eine Fastenzeit bei den gutkatholischen Damen de Ferjol Aufnahme fand und bei seinem brüsken Verschwinden "die Hölle, die er predigte, in ihren Herzen zurückließ"? Es ist der Teufel, möglicherweise. Pater Riculf - also kaum anders als Lucifer - heißt der unheimliche Mönch mit dem Schädel eines römischen Prokonsuls, der eindringlicher als jeder andere von den Qualen der Hölle predigen kann und der den frommen Gastgeberinnen schon bald die Ahnung aufdrängt, er sei zu allem fähig. So kommt es in diesem Roman, wie es kommen muss, wenn zwei Katholikinnen mit dem Teufel zu Abend essen. Wobei sich der Teufel als starker Esser erweist und weder Thunfisch noch marinierte Austern verschmäht.

Jules Barbey d'Aurevilly, der 1808 in Saint-Sauveur-le-Vicomte geboren wurde und 1889 in Paris starb, veröffentlichte 1883 einen katholischen Schauerroman, der mit dem einen Fuß im Ancien Regime, mit dem anderen im Fin de Siècle steht. "Une histoire sans nom", so heißt der Roman im Original, pfropft auf eine ultramontan-royalistische Grundgesinnung die Sumpfblüten des Satanismus und der Décadence auf. Der Autor, der zuvor bereits in der Novellensammlung "Les Diaboliques" von 1874 vom Teufel erzählt hatte, war in jungen Jahren ein Dandy gewesen und wandte sich später entschieden von der Welt des Luxus und der Moden ab. Dass Barbey darüber ganz und gar zu dem christlichen Moralisten geworden sei, als der er sich selbst verstand, legt die Lektüre des Romans "Finsternis" nicht unbedingt nahe. Gewiss geißelt Barbey nach Kräften die "allgemeine Verderbtheit und Aufweichung", die in den vorrevolutionären Jahren, in denen der Roman spielt, "die alte und solide Bronze Frankreichs wie einen Schmutzrest in den Abort der Revolution spülen sollte".

Aber zur alten Bronze Frankreichs gehört nun eben auch der furchtbare Pater Riculf mit seinem auffälligen Bronzeteint. Als christlicher Warner, so scheint es, lässt Barbey bisweilen Ironie walten. Aber seine Beschreibungen von Somnambulismus, Wahnsinn und religiöser Selbstzucht verraten den Connaisseur. Den alten Menschen, nämlich den Dandy und Décadent, hat der greise Barbey nicht gar so vollständig ausgezogen, wie er es gerne gesehen hätte. Wie könnte man vom Wirken des Bösen so ausgesucht erzählen, wenn man ihm nicht wenigstens ästhetisch verfallen wäre? So liegt über Barbeys moralischer Erzählung immer auch der frivole Hauch der Pariser Salons; Barbey ist dann näher bei Ruskin und Walter Pater als bei den Orléanisten, in deren Zeitschriften er schrieb.

Spannend und grauenvoll ist dieser Roman von der ersten Seite an. Der Ort am Fuß der Cevennen kann wohl als einer der tristesten Flecken der Weltliteratur gelten. Die Menschen, heißt es, leben in ihm wie Fliegen in der "gewaltigen Tiefe eines leeren Glases". Er selbst, lässt uns der Erzähler wissen, habe an diesem Ort achtundzwanzig Tage verbracht, deren Gewicht noch heute auf ihm lasteten. Ausgerechnet an diesen Ort hat vor Jahren der Baron de Ferjol ein normannisches Edelfräulein aus jansenitischem Hause entführt, um sie gegen den Willen ihrer Eltern zu ehelichen. Es war eine "Liebestorheit", weiß die Baronin, "die sie in dieses Maulwurfsloch hatte fallen lassen." Nach dem frühen Tod des Gatten gibt sie sich ganz dem traurigen Eingedenken ihrer großen Liebe hin. Ihre Tochter Lasthénie, ein schönes, aber melancholisches Schattengeschöpf, liebt sie mit frommem Eifer, aber ohne mütterliches Gefühl.

Den einzigen Höhepunkt des häuslichen Lebens, in dem die treu sorgende Magd Agathe für das Praktische zuständig ist, bildet die sonntägliche Kommunion. Die Damen de Ferjol leben, eine "vom Grünspan des Grams überzogene Bronze", in der Furcht des Herrn. Sie pflegen, wie Barbey schreibt, eine Frömmigkeit, die aus Port-Royal stammt; wie überhaupt das ländliche Frankreich in jener Epoche von dieser strengen Frömmigkeit geprägt worden sei. Solche Sätze findet man häufig in seinem Roman. Sie künden von der Absicht, den Zeitgenossen eine Mentalität verständlich zu machen, die mit der Revolution untergegangen ist. Die Menschen haben eine Sozialgeschichte, der Teufel hat keine.

Pater Riculf ist über Nacht abgereist und hat nichts zurückgelassen als einen Rosenkranz aus Ebenholz, den nach jeweils zehn schwarzen Perlen ein Totenkopf ziert. Vor allem Lasthénie verspürt darüber Erleichterung, denn die "Präsenz des Mannes" hatte auf sie "die Wirkung eines geladenen, gegen sie gerichteten Gewehrs" ausgeübt. Agathe, die patente Magd, glaubt, der Pater habe das Mädchen verhext und sie bedürfe nun eines Exorzismus. Und tatsächlich verfällt Lasthénie vom selben Tage an körperlich und seelisch; ja, sie weigert sich sogar zu beichten und zur Kommunion zu gehen. Madame de Ferjol unterzieht ihre Tochter den peinigendsten Prozeduren, um ihr das Geständnis zu entlocken, dass hinter der Krankheit eine Schwangerschaft stecke, deren Urheber Lasthénie unverzüglich preiszugeben habe. Die schändliche Schwangerschaft, die bald zur Gewissheit wird, lässt die Damen samt Bedienerin aus dem grässlichen Bergdorf in Madame de Ferjols normannische Heimat flüchten. Dort haust man, während ringsum die ländliche Welt von der Revolution erschüttert wird, abgeschieden in dem alten Familienschloss, das die junge Frau damals bei Nacht und Nebel verlassen hat. Lasthénie bringt ein totes Kind zur Welt, und wenig später tötet sie sich selbst.

Ein Vierteljahrhundert später sitzt ihre Mutter, die Baronin, bei einem Diner der guten Gesellschaft von Saint-Sauveur, das bis in die Einzelheiten als Allegorie der neuen Ordnung angelegt ist. Bei diesem "Treffen der drei Stände" führt ein Mann das Wort, der als "ein Bauer urnormannischer Herkunft" begonnen hatte und nun "ein ganz authentischer Pariser Bourgeois geworden war". Am kleinen Finger trägt der Parvenu einen auffälligen Smaragdring, und als er auf die Bitte der Gesellschaft von dessen Herkunft erzählt hat, fällt Madame de Ferjol in Ohnmacht. Die Anekdote hat ihr mit einem Schlag das Rätsel von Lasthénies Schwangerschaft und Pater Riculfs wahrer Identität enthüllt. Mit "erhabener Verstocktheit" steht sie am Ende am offenen Grab eines Verbrechens, um, wie es heißt, ihren Hass zu genießen.

Der Schriftsteller Michael Kleeberg hat den seinerzeit viel gelesenen, nun aber weithin vergessenen Roman (der schon in der ersten deutschen Übersetzung von 1902 "Finsternis" hieß), neu übersetzt und ihm eine editorische Notiz beigegeben. Darin finden sich aufschlussreiche Betrachtungen zu Barbeys somnambulisme lucide und überdies die Feststellung, man müsse den Roman "als eine Folge unauflösbarer, psychologischer Verkettungen bis zum Ende hin" lesen. Dann werde man einer Modernität gewahr, die vielleicht erst heute gewürdigt werden könne. Daran ist sicher der Hinweis richtig, dass über hundert Jahre nach Barbey d'Aurevilly die Funktion des Teufels als Romanfigur erst wirklich begriffen werden kann. Anders als Kleeberg mutmaßt, ist der Teufel aber gerade nicht das organisierende Prinzip psychologischer Verkettungen. Wo der Teufel auftritt, sind Psychologie und Wahrscheinlichkeit suspendiert; das Unerklärliche ist sein Terrain.

CHRISTOPH BARTMANN

Jules Barbey d'Aurevilly: "Finsternis". Aus dem Französischen übersetzt von Michael Kleeberg. Manholt Verlag, Bremen 1999. 158 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph Bartmann scheint es zu begrüßen, dass dieser - seinerzeit sehr populäre - Schauerroman nun in einer neuen Übersetzung erschienen ist. "Spannend und grauenvoll ... von der ersten Seite an " findet er dieses Buch, das teilweise an einem Ort spielt, der "wohl als einer der tristesten Flecken der Weltliteratur gelten" könne. Besonders scheint Bartmann das auf den ersten Blick eher Widersprüchliche in dem Roman zu gefallen: so treffen "religiöse Selbstzucht" und Satanismus aufeinander, Frömmigkeit, Somnambulismus und auch Ironie. Bartmann macht dafür teilweise die Wandlung des Autors vom Dandy zum christlichen Moralisten verantwortlich.

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